25. April 2011 Christina Ujma: Geburtstagsfeier mit Hindernissen

150 Jahre Italien

Was gibt’s an diesem 150. Geburtstag eigentlich zu feiern? Das war die Frage, die viele Italiener im Vorfeld der staatlichen Jubiläums-Festivitäten im März 2011 bewegte. Schließlich hat der Nationalstaat vielen, die sich für seine Gründung eingesetzt haben, am Ende wenig Freude gemacht, waren die letzten 150 Jahre in mancher Hinsicht kein Ruhmesblatt für Italien.

Im Vorfeld der offiziellen Jubiläumsfeiern im März gab es deshalb heftige Debatten über die italienische Identität und die Geschichte. Sah es erst so aus, als hätte die Mehrheit der Italiener keine Lust auf eine staatliche Geburtstagsfeier, so wurde es am Ende trotz schlechten Wetters noch ein nettes Fest.

Gefeiert wurden das Jubiläum der staatlichen Einigung und der Prozess, der dazu führte. 1861 konnte die Bewegung des Risorgimento nach einem Kampf, der je nach Rechnungsart mit der französischen Revolution oder mit dem Wiener Kongress begann, einen Teilerfolg verbuchen: Der italienische Staat konstituierte sich, indem Viktor Emanuel II. von Sardinien-Piemont nach gewonnenem Krieg gegen Österreich mit der Unterstützung Frankreichs und nach Planungen seines Premierministers Cavour sich zum König eines norditalienischen Teilstaats erklärte. Volksaufstände in Mittelitalien, d.h. der Emilia Romagna und der Toskana, wo das Risorgimento traditionell ähnlich stark wie im Nordosten des Landes war, erzwangen Volksabstimmungen über den Anschluss an das neugegründete Königreich, die überwältigende Mehrheiten für Italien brachten. Zeitgleich brach Garibaldi mit seinen berühmten 1.000 Freiwilligen nach Sizilien auf, um Süditalien dazuzuholen. Das Wunder geschah, die Sizilianer und später die Einwohner Süditaliens ließen sich bereitwillig erobern, der Herrscher des Königreichs beider Sizilien ging ins Exil. Am 17. März 1861 wurde der neue Staat Italien aus der Taufe gehoben. Der Dreiklang von Volksbewegung, bewaffnetem Kampf und monarchischer Legitimität, der zur Einigung geführt hat, wurde freilich nach 1861 nicht mehr so gern gesehen. Immerhin, die alten Aktivisten, die bereit waren, den Eid auf den König abzulegen, bekamen eine Stelle oder eine Staatspension, was viele Republikaner dann auch mehr oder minder zähneknirschend taten. Garibaldi allerdings lag mit dem neuen Staat im Dauerclinch, er zog sich auf seine Insel Caprera zurück und wollte mit der pompösen Monarchie nur noch wenig zu tun haben. Er blieb Internationalist, unterstützte die Pariser Commune und zog für Frankreich gegen Preußen in den Krieg.

Der Kampf des Risorgimentos, der eigentlich immer auch um nationale Einheit und relative politische Freiheit und Republik bemüht war, fand mit der Realisierung der Einigung Italiens als Monarchie seinen Abschluss. In der Folge gaben sich die Herren des neuentstandenen Nationalstaats große Mühe, die progressiven Elemente des Risorgimento vergessen zu machen, was ihnen weitgehend auch gelang. Der bunte, mehrheitlich republikanisch gesonnene Haufen, der sich an den Heroen Garibaldi oder Mazzini orientierte, wurde genau wie deren Leitfiguren zu Patrioten erklärt. Die Heroen bekamen nach zähen Kämpfen ihrer treuen Verehrer viele Denkmäler, die Aktivisten einen Platz am Katzentisch der italienischen Geschichte, denn offiziell standen immer Italiens erster König Vittorio Emmanuele II. und sein Premierminister Cavour im Vordergrund.

Dies wurde bei den zahlreichen italienischen Feiern diesmal nur bedingt ­herausgestellt. Auch in Deutschland wurde in zahlreichen Veranstaltungen und Zeitungsartikeln der 150. Geburtstag Italiens diskutiert und gefeiert, die Themenstellung hing zumeist von den Veranstaltern ab. Das italienische Kulturinstitut in Berlin veranstaltete eine viel beachtete wissenschaftliche Tagung in Zusammenarbeit mit der Humboldt-Universität, bei der die italienische Einigung und die 150 Jahre gesamt­italienische Geschichte aus deutsch-italienischer Perspektive diskutiert wurden. Es war gleichzeitig die Abschiedsvorstellung des Berliner Kulturinstitutsdirektors Angelo Bolaffi, der sein Haus zu einer intellektuellen Institution der Hauptstadt gemacht hat, das sich häufig den bedeutenden progressiven Traditionen in Kunst, Wissenschaft und Film widmete.

Dem Anlass entsprechend hochkarätig war die Tagung besetzt, fast alle wichtigen Italienforscher Deutschlands, darunter Oliver Janz, Michael Kreile, Wolfgang Schieder, Friederike Hausmann und Christian Jansen waren auf der deutschen Seite und die italienischen Deutschlandspezialisten Gian Enrico Rusconi, Brunello Mantelli und Mario Caciagli auf der italienischen Seite. Sie beleuchteten wichtige Aspekte der italienischen Geschichte und der deutsch-italienischen Beziehungen. Den Auftakt der heiteren und harmonischen Tagung aber machten zwei Festvorträge, in denen nicht Harmonie, sondern Kontroverse zelebriert wurde. Es ging um die zahlreichen Parallelen der Geschichte Deutschlands und Italiens: Staatsgründung fast zur gleichen Zeit, Kirchenkampf, Faschismus und eine christdemokratisch beherrschte Nachkriegszeit und um die Frage, ob die beiden Länder einen europäischen Sonderweg gegangen sind und ob es sich bei beiden um verspätete Nationen handelte.

Können sich Nationen verspäten? Mit dieser Frage begann Wolfgang Schieder den Eröffnungsvortrag der Tagung. Er bejahte die Frage weitgehend und zeigte die vielen Gemeinsamkeiten auf, die die deutsche und italienische Geschichte gerade nach der fast gleichzeitig erfolgten Nationenbildung aufzuweisen hatte. Den Gegenentwurf präsentierte Gian Enrico Rusconi, der die Frage verneinte. Er konzentrierte sich auf die Leadership-Modelle Bismarcks und Cavours und konstatierte, was immer wieder das Resultat dieses Vergleichs gewesen ist: Der italienische Staat startete unter liberalen Vorzeichen, hatte sich Wissenschaft, Fortschritt und Liberalität auf die Fahnen geschrieben und setzte dies zumindest teilweise auch um, während das deutsche Kaiserreich dem Fortschritt sehr skeptisch gegenüberstand und von der Moderne nichts wissen wollte. Während in Italien führende liberale Intellektuelle wie Francesco de Sanctis, Pasquale Villari oder Michele Amari Minister wurden, gab es im kaiserlichen Deutschland nur überforderte Adlige mit putzigen Doppel- und Dreifachnamen als Minister. Der wichtigste Unterschied war natürlich die Tatsache, dass Italien ein parlamentarisches System hatte, während in Deutschland Monarchismus praktiziert wurde und das Parlament wenig zu sagen hatte. Dafür durften aber alle Männer wählen, während dies in Italien nur einer kleinen Bevölkerungsgruppe gestattet wurde. Bei der Schwäche der Monarchie und der eigenen Position wundert es nicht, dass fast alle italienischen Premierminister des 19. Jahrhunderts bewundernd und beneidend auf Bismarck schauten.

Das tat auch Francesco Crispi, Führungspersönlichkeit der seit 1876 zur parlamentarischen Mehrheitspartei gewordenen sinistra storica, der historischen Linken. Einst fing er als junger Radikaler des Risorgimento und Heiß_sporn der sinistra storica an, später, als Premierminister, beneidete er die kriegerisch-autoritäre Natur der deutschen Staatsgründung und hätte gern durch »Blut und Eisen« der italienischen Nation ein wenig mehr nationale Identität eingebleut, was aber daran scheiterte, dass gerade kein passender Krieg zur Hand war. Dafür ließ er Revolten von Arbeitern in Sizilien und anderswo brutal unterdrücken und verbat, ganz nach Bismarckschem Modell, kurzzeitig die italienische sozialistische Partei. An dieser Persönlichkeit, deren Vita und Wirken vor einigen Jahren vom englischen Historiker Christopher Duggan in der Bio­grafie »Francesco Crispi. From nation to nationalism« (Oxford 2002) mustergültig aufgearbeitet worden ist, hätten die Widersprüche des postrisorgimentalen Italiens wesentlich klarer aufgearbeitet werden können als am Vergleich von Bismarck und Cavour, der allerdings den Vorteil hat, dass Italien dabei grundsätzlich besser abschneidet, was bei Crispi nicht so eindeutig wäre. Dessen autoritärer Regierungsstil wurde später gern von Faschisten gepriesen, die sich auch oft auf den Nationalismus des Risorgimento bezogen.

Angesichts dieser historischen Hypotheken ist es eigentlich kein Wunder, dass im Vorfeld des Jubiläums wiederholt die Frage aufkam, ob man denn wirklich das 150. Jubiläum eines Staates feiern wolle, der 90 Jahre lang monarchistisch organisiert war, worunter auch die 20 Jahre Faschismus fallen, der dann von 40 Jahren christdemokratischer Herrschaft abgelöst wurde. Staatspräsident Napoletano, unter dessen Schirmherrschaft die Festivitäten fielen, beantwortete diese Frage mit dem Beharren darauf, dass man das Gute der italienischen Geschichte feiern wolle. Worunter offensichtlich Premier Berlusconi nicht fällt, denn der spielte in den Feiern meist nur die Rolle einer Randfigur. Im Mittelpunkt standen Staatspräsident Napoletano und gelegentlich die Präsidenten der beiden Parlamentskammern.

Die Regisseure der Feiern haben sich große Mühe gegeben, die demokratischen und rebellischen Traditionen des Risorgimento in den Staatsakt miteinzubeziehen. Nach dem Staatsakt am Vittoriale gab es eine weitere große Zeremonie am Gianicolo, wo Garibaldi, Mazzini und der Römischen Republik von 1848/49 gedacht wurde. Hier im Parco degli Eroi, im Park der Helden, wurden nicht nur die frisch renovierten Büsten der Verteidiger der Römischen Republik von 1848/49 und die ebenfalls aufpolierten Denkmäler von Giuseppe und Anita Garibaldi der Öffentlichkeit präsentiert, es wurde auch ein Museum eröffnet, das die römische Republik würdigt, die die weitgehendsten demokratischen Ansprüche des Risorgimento formulierte. Diese Ansprüche wurden auch in Mazzinis Verfassung der Römischen Republik formuliert. Alle 69 Artikel dieser Verfassung sind nun auf öffentlich zugänglichen Stahltafeln nachzulesen, die ebenfalls bei Napoletanos Staatsakt eingeweiht wurden.

Eine große Rolle bei den Feiern und in den Reden des Präsidenten spielten selbstverständlich auch Kunst, Musik, Wissenschaft und Literatur, die maßgeblich dazu beigetragen haben, dass sich ein italienisches Nationalbewusstsein schon vor der Einigung herausbildete, man denke nur an Verdi, Manzoni und viele andere Schriftsteller. Kulturschaffende fühlten sich dadurch aber dazu herausgefordert, gegen die zahlreichen Kürzungen im Kultur- und Bildungsbereich zu protestieren, wie es auch zu Protesten gegen Berlusconi kam.

Die drei Elemente, die das Risorgimento ausmachten: die Bewegung innerhalb der Zivilgesellschaft, der bewaffnete Kampf von Garibaldi und seinen Mannen und das monarchische Element, das Piemont, Cavour und Vittorio Emmanuele verkörperten, wurden bei den Feiern in eine neue Beziehung gesetzt, die dem zivilgesellschaftlichen und rebellischen Element endlich seinen angemessenen Platz einräumt. Napoletano mahnte weitere Forschungsaktivität zum Thema an und forderte eine verstärkte Erforschung des weiblichen Elements des Risorgimento ein. Insgesamt brachte er in seinen Auftritten und Reden das Risorgimento als rebellische Bewegung in den Vordergrund, was allzu lange vernachlässigt worden war, für Napoletano aber eine anhaltende Aktualität besitzt – denn auch die Rebellionen in Nordafrika seien nichts anderes als ein nordafrikanisches Risorgimento.

Die Einheitsfeiern waren insgesamt die Stunde der Linken und der Mitte, nicht zuletzt dadurch, dass der PD-Politiker Giulio Amato Vorsitzender des Komitees war, das die inhaltlichen Leitlinien der Festivitäten vorgab. Dass die semi-separatistische Lega Nord sich kaum blicken ließ und in den von ihr regierten Territorien alles tat, um Feierlichkeiten in Grenzen zu halten, lässt sich nachvollziehen, aber auch Berlusconis neoliberal gesonnene Partei galt kaum als adäquater Repräsentant der Nation, was nicht nur an Sex-Eskapaden des Premiers lag. Die Partei des Klientelismus und der Förderung des Profits erschien als nicht seriös genug, um die Nation zu symbolisieren. Freilich ist der Versuch Bersanis, des Vorsitzenden des Partito Democratico, das Vakuum zu füllen, das der Niedergang der italienischen Rechten verursacht hat, und die PD als die Partei des Nationalstaats zu präsentieren, auch nicht als wirklich geglücktes Manöver zu betrachten; schließlich war in den vergangenen 150 Jahren die Richtung, für die Bersani steht, öfter Opfer der Staatsgewalt als deren Repräsentantin. Der linke Gewerkschaftsbund CGIL war da geschickter, er lud im Vorfeld der Festivitäten linke Künstler und Wissenschaftler ein und ließ diese über den Charakter des Risorgimento und die Rolle der Arbeit in der 150-jährigen Geschichte des italienischen Staates diskutieren. Was einmal mehr zeigt, dass es die CGIL immer noch besser schafft, die kritischen Geister Italiens einzubinden als die PD, deren Versuch, sich als »Staatspartei« zu inszenieren, auf mehr Kritik als Zustimmung stieß.

Das Symbol des Jubiläums war Staatspräsident Napoletano, unser hochgeschätzter bzw. geliebter Präsident, wie es wiederholt hieß. Das ist ein persönlicher und politischer Triumph für den Politiker, der seine Wurzeln im eurokommunistischen PCI hat und nun zum Repräsentanten des gesetzes- wie geschichtsbewussten Italiens geworden ist. In fast protestantisch anmutender Schlichtheit, die sich betont von den neureichen Protzereien Berlusconis und seiner Anhänger abhebt, betonte er immer wieder die Bedeutung von demokratisch legitimierten Institutionen, des Parlaments, der Verfassung und der Demokratie.

Trotz der umstrittenen Figur des Regierungschefs Berlusconi und vielfacher regionaler und politischer Verwerfungen und Spaltungen haben die Organisatoren des Jubiläums es geschafft, dass die Geburtstagsfeier des italienischen Staates ein halbwegs gelungenes Ereignis wurde, bei dem auch die Schattenseiten und Probleme der Geschichte nicht heruntergespielt wurden und auch nicht versucht wurde, die Nation zu verklären. Wie sich die Deutschen angesichts des in zehn Jahren anstehenden Jubiläums von 150 Jahren deutscher Einigung anstellen werden und wie man mit den Schattenseiten der eigenen Geschichte umgehen wird, bleibt abzuwarten. Die in den letzten Jahren erfolgte Rehabilitierung des Preußentums und verklärende Ausstellungen über Königin Luise lassen aber nicht unbedingt Gutes erwarten.

Ob sich die Konflikte und Friktionen, die das 150-jährige Jubiläum verursacht hat, direkt oder indirekt auch an den italienischen Wahlurnen auswirken werden, ist vermutlich nicht festzustellen. Hartgesottene Anhänger der Lega Nord werden sich dadurch sicherlich nicht in gesetzes- und staatstreue Bürger verwandeln lassen, aber insgesamt scheinen Berlusconi und seine Partei in den Umfragen auf dem absteigenden Ast zu sitzen. Die Fragen, die das Jubiläum aufgeworfen hat, sind mit den Festivitäten des 17. März keineswegs zu Ende, denn das ganze Jahr 2011 soll dem Jubiläum gewidmet werden. Es werden zahlreiche Ausstellungen zur italienischen Einigung und zum Risorgimento stattfinden, die häufig einen regionalen Schwerpunkt haben und auch Geschichtsbetrachtung von unten betreiben, was zumindest den Geschichtskenntnissen der Nation auf die Sprünge helfen wird.

Christina Ujma, Berlin, schreibt in Sozialismus regelmäßig über Italien.

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