27. Januar 2011 Heinz Bierbaum

2011: DIE LINKE in der Bewährungsprobe

Das Jahr 2011 sieht DIE LINKE in einer entscheidenden Bewährungsprobe. Dies gilt nicht nur für die anstehenden Landtagswahlen, sondern auch in programmatisch-politischer Hinsicht ebenso wie im Hinblick auf die organisatorische Verfassung der Partei. Wird diese Bewährungsprobe nicht bestanden, droht das vielversprechende politische Projekt einer neuen Linken zu scheitern – mit nachhaltigen Wirkungen nicht nur für die deutsche, sondern auch für die europäische Politik.

Beginnend mit Hamburg im Februar wird in 2011 in sieben Bundesländern gewählt. Das Abschneiden bei den Wahlen wird Auskunft darüber geben, ob die LINKE ihre bisherige Erfolgsgeschichte fortsetzen kann, oder ob diese gestoppt wird. Dabei sind die Ausgangspunkte sehr unterschiedlich. Während in Sachsen-Anhalt die LINKE darum kämpft, stärkste Partei zu werden, geht es in Rheinland-Pfalz und in Baden-Württemberg erst einmal darum, überhaupt in den Landtag einzuziehen. In beiden Ländern ist dies schwierig, aber nicht unmöglich. Die politische Bedeutung liegt auf der Hand. Gelänge der LINKEN der Einzug in den Landtag, wäre sie in 15 von 16 Bundesländern vertreten und damit als politische Kraft erheblich gestärkt. Gelingt es ihr in einem oder beiden Ländern nicht, wäre dies zweifellos ein Rückschlag und würde auch die interne Auseinandersetzung anheizen. Sollte gar der Wiedereinzug in die Hamburgische Bürgerschaft verpasst werden, womit trotz aller Negativszenarien wohl kaum zu rechnen ist, würde dies zur innerparteilichen Zerreißprobe führen. Auch wenn den Landtagswahlen eine sehr hohe politische Bedeutung zukommt, so sollte man doch einen realistischen Blick behalten und die Hürden nicht allzu hoch hängen. Selbst wenn der Einzug in den Landtag von Rheinland-Pfalz und/oder Baden-Württemberg nicht gelingen sollte, wäre dies zwar ein herber Rückschritt, würde aber nicht das Ende des politischen Projekts der Linken bedeuten.

Landtagswahlen sind natürlich durch die je spezifischen Bedingungen in den einzelnen Ländern geprägt. Dies gilt für die LINKE insbesondere dort, wo sie politisch etabliert ist wie in Berlin, Mecklenburg-Vorpommern oder Sachsen-Anhalt. Dies gilt weniger in Ländern wie Baden-Württemberg oder Rheinland-Pfalz. Insofern wird der Wahlerfolg hier besonders vom bundespolitischen Trend und damit von der Gesamtverfassung der Partei abhängen. Doch auch dort, wo die Partei regional stark verankert ist, werden die Wahlchancen vom allgemeinen Zustand der Partei beeinflusst. Dies ist bei der Wahlstrategie zu berücksichtigen.

Die Partei


Zu Beginn des Jahres 2011 befindet sich die Partei DIE LINKE nicht eben in einer glänzenden Verfassung. Nachdem sie zwar von der Krise bisher kaum profitieren konnte, aber in den Umfragen lange noch relativ stabil um die zehn Prozent lag, sackt sie inzwischen ab. Dies liegt zum einen an der aktuellen Kommunismus-Debatte, zum anderen aber auch – und damit verbunden – daran, dass das Bild der Partei in der Öffentlichkeit weniger durch politische Inhalte als vielmehr durch interne Querelen und Machtkämpfe bestimmt wird. Insbesondere die Parteiführung sieht sich dabei der Kritik ausgesetzt. Nachdem diese zunächst auf Klaus Ernst fokussiert war, ist mit der Kommunismus-Debatte auch Gesine Lötzsch ins Zentrum der Kritik gerückt. Während bei Klaus Ernst vor allem der Lebensstil, sein angeblich autoritäres Gehabe und die fehlende Sensibilität gegenüber den ostdeutschen Landesverbänden moniert wird, wird Gesine Lötzsch Parteikommunismus vorgeworfen. Die zum Teil sehr weitgehende und oft pauschal vorgetragene Kritik gerade auch aus den eigenen Reihen ist in dieser Form nicht berechtigt. Dabei soll niemandem der kritische Umgang mit der Partei und ihrer Führung verwehrt werden. Dies gehört zur innerparteilichen Demokratie. Kontraproduktiv wird die Kritik jedoch dann, wenn sie erstens nicht ausgewiesen und zweitens vor allem über die Medien ausgetragen wird. Und diese machen mit dem »Spiegel« an der Spitze daraus gleich eine Kampagne, die sich zunächst an der Parteiführung festmacht, jedoch die Partei insgesamt und damit jede linke politische Alternative zu diskreditieren sucht.

Die Kommunismus-Debatte ist dafür geradezu ein Lehrstück. Anlass bot ein Artikel, den Gesine Lötzsch für die von der »jungen Welt« veranstaltete Konferenz »Wege zum Kommunismus« schrieb. Nur weil sie dabei auch das Wort »Kommunismus« verwandt hat, wird sie in grober Verdrehung des reformsozialistischen Inhalts ihres Beitrags zur Vertreterin eines autoritären Parteikommunismus gemacht, um so die Partei und ihre politischen Anliegen abzuqualifizieren. »Kommunismus« – das zeigt das gesellschaftliche Echo – steht hierzulande immer noch in hohem Maße für Parteidik­tatur und Unfreiheit und löst durchaus im Unterschied zu anderen europäischen Ländern besondere Ängste aus. Der emanzipatorische Gehalt des Kommunismus als einer auf eine klassenlose, die Schranken des Kapitalismus überwindende freie Gesellschaft abzielenden Bewegung bleibt auf der Strecke. Vom »Kommunistischen Manifest« ist offenkundig vor allem das »Gespenst« übrig geblieben. Dieser durchaus mit politischer Absicht vorgenommenen schiefen Darstellung kann die LINKE nur dadurch begegnen, dass sie inhaltlich deutlich macht, was sie will. An die Stelle von Etikettierungen müssen politische Inhalte treten. Es gilt, die Defizite der gesellschaftlichen Entwicklung wie die ungleiche Einkommensverteilung, den Sozialabbau, die Prekarisierung der Arbeit, die gesellschaftliche Polarisierung, die ökologischen Probleme, die Militarisierung der Politik und die grundlegenden Systemmängel kapitalistischer Entwicklung, wie sie in der Finanz- und Wirtschaftskrise sich manifestierten, herauszustellen, um so die Kommunismus-Debatte in eine kapitalismuskritische Diskussion zu wenden. Es gilt, die politischen Alternativen zu verdeutlichen und dabei insbesondere auch die Erneuerung der Demokratie als Ziel anzugeben, das nur erreicht werden kann, wenn die Beschränkung der Demokratie durch wirtschaftliche Macht überwunden wird.

Die Kritik an der Parteiführung konzentriert sich naturgemäß auf die beiden Vorsitzenden, greift damit jedoch zu kurz. Einbezogen werden muss auch die erweiterte Parteispitze. Der geschäftsführende Parteivorstand zeigt sich uneins und weist nicht die Geschlossenheit auf, die für eine starke Führung notwendig wäre. Geschlossenheit meint dabei keineswegs die kritiklose Unterordnung unter Mehrheitspositionen. Sie setzt vielmehr die kritische Diskussion voraus, die sich allerdings nicht in Vorwürfen erschöpfen darf, sondern sich auch inhaltlich ausweisen muss.

Hier zeigt sich, dass der sorgsam austarierte Kompromiss mit Doppelspitze, doppelter Geschäftsführung, Ost-West-Parität, der auf dem Rostocker Parteitag eine deutliche Mehrheit fand, Grenzen hat. Die Lücke, die der Rücktritt der bisherigen Parteispitze – Bisky und Lafontaine – hinterlassen hat, ist bisher nicht geschlossen. Das konnte auch ernsthaft niemand erwarten. Ein Politiker wie Oskar Lafontaine lässt sich nicht einfach ersetzen. Insofern war von vornherein klar, dass ein anderer, stärker kollektiv geprägter Führungsstil gefunden werden musste. Dies ist bisher nur unzureichend gelungen. Obwohl sich die Führungsspitze verpflichtet hatte, strömungsübergreifend zu agieren, schlägt das Strömungsverhalten immer wieder durch. Eine wirklich offene politische Diskussion um Strategie und Ausrichtung der Partei findet zu wenig statt. Diese wäre aber notwendig, um die erforderliche Geschlossenheit und damit politische Stärke zu erreichen.

Die mangelnde inhaltliche politische Diskussion begünstigt die Personalisierung der Auseinandersetzung. Die manchmal geradezu skurrilen und von persönlichen Eitelkeiten geprägten Konflikte, wie sie insbesondere in einer Reihe von westdeutschen Landesverbänden aufgetreten sind, sind einerseits Ausdruck eines offensichtlich nicht zu vermeidenden Begleitprozesses der Entwicklung einer noch jungen und politisch-kulturell sehr unterschiedlich geprägten Partei, andererseits aber auch Ausdruck unterschiedlicher politischer Konzeptionen. Anknüpfend an die schon von den Grünen bekannte Unterscheidung zwischen »Realos« und »Fundis« werden in der Öffentlichkeit häufig »Reformer« und »Fundamentalisten« gegenübergestellt, wobei die ersteren vorwiegend den östlichen Landesbezirken zugerechnet werden. Diese Bezeichnung trifft jedoch die Konfliktlinien nicht wirklich. Denn es ist ja keineswegs so, dass die einen Reformen wollten und die anderen nicht. In den Grundzügen der Politik ist man sich weitgehend einig. So werden sowohl das von Lötzsch, Ernst und Gysi vorgelegte Strategiepapierpapier »Zum Motor für den Politikwechsel werden« ebenso wie die vom Parteivorstand beschlossenen politischen Schwerpunkte der Arbeit für 2011 weitestgehend geteilt. Die darin festgehaltenen »Markenzeichen« linker Politik, nämlich Herstellung von Verteilungsgerechtigkeit, Kampf für soziale Gerechtigkeit, Verteidigung und Erneuerung der Demokratie und die Schaffung von Frieden, werden von niemandem ernsthaft in Frage gestellt.

Dies bedeutet keineswegs, dass man sich in allen Fragen einig wäre, oder dass es keine gravierenden inhaltlichen Unterschiede gäbe. Die politischen Kontroversen, wie sie auch in der Öffentlichkeit wahrgenommen werden, liegen jedoch mehr in der Frage der Schwerpunktsetzung – in der Frage, inwieweit die Kernpunkte linker Politik durchgehalten werden und inwieweit man bereit ist, Kompromisse einzugehen, und inwieweit man bereit ist, sich an die herrschenden Verhältnisse anzupassen. Dies betrifft auch die Frage der Regierungsbeteiligung. Dabei geht es wiederum in erster Linie nicht darum, ob man sich beteiligen soll oder nicht, sondern um die Frage der Bedingungen. Das war beispielsweise auch der Konflikt um die Koalition in Brandenburg. Konkret ging es um den Stellenabbau im öffentlichen Dienst. Entscheidend ist, ob die LINKE ihr spezifisches Profil als Partei der politischen Alternative zum herrschenden neoliberalen Mainstream herauszustellen vermag. Das Problem einer allzu pragmatischen, einer sich allzu sehr auf die herrschenden Verhältnisse einlassenden Politik besteht darin, dass das politische Profil der LINKEN verblasst und damit die politische Orientierung verloren geht. Eine zweite SPD wird nicht gebraucht. Es gilt, die Kernpunkte linker Politik gerade auch im politischen Alltag deutlich zu machen – auch wenn genau dies in den Medien und vom politischen Gegner als »politikuntauglich« zu brandmarken versucht wird.


Programmdebatte

 

Auch wenn es mehr an politischen Gemeinsamkeiten gibt, als die Auseinandersetzungen manchmal vermuten lassen, so ist doch auch klar, dass es neben der Frage, wie sich die LINKE politisch artikulieren will, eine Reihe von eher grundsätzlichen Fragen gibt, bei denen erhebliche politische Unterschiede bestehen. Dies zeigt sich an der Programmdebatte. Einer der zentralen Kritikpunkte an dem vorliegenden Programmentwurf lautet, dass der dort unterlegte Arbeitsbegriff zu eng sei, weil er sich vorwiegend auf die Erwerbsarbeit beziehe und so wichtige Bereiche wie die Reproduktionsarbeit unterbelichte. In die­se Richtung geht die Kritik der Bundesfrauenkonferenz ebenso wie die Kritik aus dem Kreis der Befürworter eines bedingungslosen Grundeinkommens. Die­se Kritik verkennt, dass in einer kapitalistischen Gesellschaft Erwerbsarbeit in Form von Lohnarbeit erfolgt und dass Arbeit nur dann als wertschöpfend zählt, wenn sie Mehrwert schafft. Dies bedeutet, dass die Reduzierung der Arbeit auf Lohnarbeit Produkt kapitalistischer Produktionsverhältnisse ist. Auch wenn nicht alle Widersprüche, die unsere Gesellschaft kennzeichnen, auf das Verhältnis von Lohnarbeit und Kapital reduziert werden können, so ist doch dieses Verhältnis von zentraler Bedeutung. Eine Überwindung der Verkürzung wertschöpfender Arbeit auf Lohnarbeit und die Erweiterung der Arbeit in Richtung der Anerkennung gerade auch der Reproduktionstätigkeit und anderer Tätigkeiten als gesellschaftlich nützlicher Arbeit ist mithin an eine Überwindung der kapitalistischen Schranken der gesellschaftlichen Entwicklung gebunden. Man kann diesen Zusammenhang nicht einfach durch einen erweiterten Arbeitsbegriff wegdefinieren. Diesen kapitalistischen Strukturzusammenhang nicht beachtet zu haben, ist auch der grundlegende Fehler der Anhänger des bedingungslosen Grundeinkommens. So sehr aus der Sicht prekär Beschäftigter und Langzeitarbeitsloser ein solches Grundeinkommen attraktiv sein mag, so verfügt diese Forderung doch letztlich über keine emanzipatorische Perspektive. Denn sie lenkt vom Ziel der Befreiung der Arbeit von ihren kapitalistischen Fesseln ab. Und was manchmal als ökonomistische Verkürzung kritisiert wird, ist die kapitalismuskritische Fundierung des Programms. Diese sollte unbedingt beibehalten werden, will man programmatisch nicht in die Beliebigkeit abrutschen. Allerdings fehlt dem Entwurf die klassenanalytische Dimension, indem sich praktisch keine Angaben zur Entwicklung und Veränderung der Sozialstruktur in der Gesellschaft finden.

Eine zweite, damit durchaus im Zusammenhang stehende Kontroverse dreht sich um die Frage des Eigentums. Zu Recht werden im vorliegenden Programmentwurf die Zentralität der Eigentumsfrage und der enge Zusammenhang von wirtschaftlicher und politischer Macht herausgestellt. Strittig ist dabei nicht die Eigentumsfrage an sich, sondern welchen Stellenwert und Umfang gesellschaftliche Eigentumsformen haben sollen. Dabei ist weitestgehend unstrittig, dass der Bereich der öffentlichen Daseinsvorsorge auch öffentlich organisiert und damit in öffentliches Eigentum überführt werden soll. Während im Programmentwurf die Forderung nach Vergesellschaftung strukturbestimmender Großunternehmen erhoben wird, gehen andere Auffassungen davon aus, dass eine gesellschaftliche Rahmensetzung und eine strikte Wettbewerbskontrolle des privatwirtschaftlichen Sektors ausreichten. Damit wird m.E. die strukturelle Bedeutung kapitalistischen Eigentums unterschätzt. Die Eigentumsfrage ist eng mit der Demokratiefrage verbunden, wozu insbesondere auch die Frage der Demokratisierung der Wirtschaft und damit auch das Belegschaftseigentum gehören. Die dazu im Programmentwurf gemachten Aussagen bedürfen dabei ganz sicherlich der vertieften Diskussion.

Darüber hinaus gibt es eine ganze Reihe weiterer Kontroversen, beispielsweise über die Außenpolitik, die Rolle des Militärs und über die Beteiligung an UN-Einsätzen, wobei die grundsätzliche Ausrichtung der LINKEN als Friedenspartei nicht in Frage steht. Dies alles zeigt die Notwendigkeit einer breiten und intensiven, durchaus auch kontroversen politischen Debatte. Die politisch-inhaltliche Auseinandersetzung schadet der LINKEN nicht, sondern stärkt sie. Der vorliegende Programmentwurf bietet dazu eine gute Grundlage.

Es kann allerdings weder darum gehen, ihn in allen Punkten unbedingt beibehalten zu wollen, noch ihn in Bausch und Bogen zu verdammen. Notwendig ist die inhaltliche Debatte. Dazu bedarf es einer Diskussionskultur, bei der unterschiedliche Auffassungen nicht nur einander gegenübergestellt, sondern inhaltlich ausgewiesen und damit auch inhaltlich diskutiert werden. In dieser Hinsicht war der Programmkonvent in Hannover im November vergangenen Jahres ein gutes Beispiel. Damit kann das politische Profil der Partei gestärkt werden. Ein eher schlechtes Beispiel für die Diskussionskultur ist der von Mitgliedern des geschäftsführenden Parteivorstands vorgelegte »Alternativentwurf«. Dabei ist völlig unbestritten, dass auch eigene Entwürfe in die Debatte um das Programm eingebracht werden können. Das Problem besteht vielmehr darin, dass hier der Diskussion eher ausgewichen wird. An die Stelle der inhaltlichen Auseinandersetzung treten die pauschale Verwerfung des vorliegenden Programmentwurfs als Dokument der Rückständigkeit und die einfache Setzung anderer Positionen, die ihrerseits ebenfalls nicht weiter begründet werden. Offensichtlich ist die Abmilderung der Kritik an den herrschenden kapitalistischen Verhältnissen und damit eine deutlich moderatere politische Positionierung. Man sucht allerdings vergeblich nach einer politisch-ökonomischen Analyse als Fundierung. So bleibt beispielsweise schleierhaft, was man denn unter der Weiterentwicklung der materiellen Produktion zur »Erlebnisproduktion« zu verstehen habe. Auch genügt der Alternativentwurf dem eigenen Anspruch, konkrete Reformvorschläge vorzulegen, nicht, ist doch in dieser Hinsicht der vorliegende Programmentwurf bei weitem inhaltlicher und prägnanter.

Auch wenn der Entwurf keine wirklich überzeugende Alternative enthält, so muss man sich doch mit der dahinterliegenden und in der Partei durchaus verbreiteten Position auseinandersetzen, wonach im vorliegenden Programmentwurf die Kritik an den herrschenden Verhältnissen und die daraus abgeleiteten politischen Konsequenzen als zu radikal angesehen werden, hat dies doch erhebliche Konsequenzen für die politische Programmatik. Und dies zeigt sich ja auch an der Kontroverse, inwieweit die »Haltelinien« Bestandteil des Programms sein sollten.

 

Politische Schwerpunkte für 2011


Neben der Arbeit am Grundsatzprogramm, den anstehenden Wahlkämpfen und den Projekten der Parteientwicklung hat der Parteivorstand als zentrale politische Vorhaben für 2011 die Kampagne für die Einführung des gesetzlichen Mindestlohns und die Eindämmung der Leiharbeit, den Einsatz für eine andere Steuer- und Einnahmenpolitik, die Gesundheitskampagne, die Rekommunalisierung privatisierter Unternehmen der öffentlichen Daseinsvorsorge, den sofortigen Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan und die Erarbeitung eines umfassenden Konzepts zur Erneuerung der Demokratie beschlossen.

Ein wesentlicher Schwerpunkt in 2011 liegt in der Verteilungsfrage. Durchaus in Verbindung mit dem Kampf gegen prekäre Arbeit und für die Einführung eines gesetzlichen Mindestlohns in Höhe von 10 Euro muss die Linke sich für deutliche Lohnsteigerungen einsetzen. Denn bislang ist die wirtschaftliche Besserung nach wie vor ein Aufschwung der Profite, nicht der Löhne.
Die Einkommensentwicklung und die damit verbundene Verteilungsfrage sind über ihre unmittelbare Wirkung für die Lage der Arbeiter und Angestellten hinaus auch von grundsätzlicher Bedeutung für die wirtschaftliche und gesellschaftliche Entwicklung. Die Auseinanderentwicklung der Einkommen und der Absturz der Lohnquote in den letzten Jahren mit der damit verbundenen Umverteilung von unten nach oben gehören mit zu den wesentlichen Ursachen der schweren Finanz- und Wirtschaftskrise. Denn dadurch wurde zur Entstehung der riesigen Finanzvermögen beigetragen, was in Verbindung mit einem weitestgehend deregulierten Finanzmarkt die Finanzspekulation angeheizt hat. Solange also die Einkommensverteilung nicht verändert, die Finanzmärkte nicht reguliert und der Bankensektor nicht in Ordnung gebracht wird, solange wird die wirtschaftliche Entwicklung risikoreich und krisenanfällig bleiben. Dies gilt umso mehr, als auf europäischer Ebene im Zusammenhang mit den Schuldenproblemen einer Reihe von europäischen Ländern diesen eine rigide Sparpolitik verordnet wird, die nicht nur zu Sozialabbau und zur Verschlechterung der Arbeits- und Lebensbedingungen großer Teile der Bevölkerung führt, sondern auch wirtschaftlich kontraproduktiv wirkt, da dadurch die wirtschaftliche Entwicklung abgewürgt wird. Dies hat erhebliche Auswirkungen gerade auch für die Entwicklung in der Bundesrepublik Deutschland, sodass die gegenwärtige Aufschwung-Euphorie bald verflogen sein wird.

Das Jahr 2011 ist aber auch das Jahr der Programmdebatte. Dabei steht die LINKE vor der Herausforderung, eine breite und intensive, durchaus auch kontroverse Diskussion zu führen, und gleichzeitig eine größtmögliche Geschlossenheit in den Wahlkämpfen zu zeigen. Dies geht nur mit einer politischen Kultur, die Personalisierungen vermeidet und den politischen Inhalten Vorrang vor persönlichen Belangen einräumt. Daran muss dringend gearbeitet werden.

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