18. Dezember 2014 Alexander Häusler

AfD: Zwischen Wettbewerbskorporatismus und rechtem Kulturkampf

Mit dem Aufstieg der »Alternative für Deutschland« scheint sich die bislang in Deutschland vorhandene rechtspopulistische Lücke parteipolitisch zu füllen: Auferstanden als national(istisch)-wohlstandschauvinis­tische Antwort auf das Merkelsche Credo einer Alternativlosigkeit zur austeritätsfixierten Euro-Rettungspolitik schlägt die Partei nun die Brücke zum fremdenfeindlichen »Pegida«-Wutbürgertum.

»HogeSa« – »Pegida« – AfD: Bündnis von Elite und Mob

Vor dem Hintergrund eines internationalen gewalttätigen Islamismus erweist sich das rechte Kulturkampfthema Islam als anschlussfähig für breitenwirksame rechte Mobilisierungen mit ausgrenzender und zum Teil auch deutlich rassistischer Stoßrichtung. Aus der Angst vor islamistischer Gewalt sowie zugleich vor dem Verlust von Zugehörigkeit und sozialer Sicherheit versucht die nationalistische Rechte, politisch Kapital zu schlagen. Das Rechtsaußenspektrum der europäischen Parteien tritt dabei mit einer Kulturkampf-Rhetorik in Erscheinung, die trotz sonstiger Unterschiede offen rassistische und extrem rechte Parteien wie etwa die FPÖ in Österreich mit islamophoben rechtspopulistischen und neoliberalistischen Parteien wie etwa die Partij voor de Vrijheid (PVV) in den Niederlanden oder die Schweizerische Volkspartei (SVP) miteinander verbindet.

Im Zentrum dieser Rhetorik steht die Mär vom »Untergang des Abendlandes« durch die »Islamisierung Europas«. Der österreichische FPÖ-Nationalratsabgeordnete Eduard Manoni bezeichnete in einem Interview diese Strategie offenherzig als »Geschäft mit der Angst«. Die Anschlussfähigkeit solcher Themen reicht vom rechten Rand bis hinein in bürgerliche Mittelschichten. Hierzulande offenbarte sich dies zunächst bei einer Demonstration von rechten Hooligans, die im Oktober 2014 unter dem Banner »Hooligans gegen Salafisten« an die 5.000 Teilnehmer auf die Straße bringen konnten. So mobilisierend sich diese Veranstaltung für den rechten Hooligan-Mob erwies, so wenig ist sie in einer solchen Form anschlussfähig an bürgerliche Milieus, die ebenfalls Ressentiments gegenüber den Muslimen hegen.

Schon seit etlichen Jahren weisen Umfragen auf eine weit verbreitete Muslimfeindlichkeit hin. Bislang spiegelte sich dieses Einstellungspotenzial jedoch noch nicht breitenwirksam in entsprechenden Protestartikulationen auf der Straße und in der Wahlkabine wider. Dies hat sich nun geändert. Besonders deutlich wurde dies in der Zeit vom Oktober bis zum Dezember 2014 in wöchentlichen Demonstrationen in Dresden. Eine Gruppe mit dem Namen »Europäische Patrioten gegen die Islamisierung des Abendlandes« – kurz »Pegida« – stellte sich in die Tradition der Montagsdemonstrationen des demokratischen Aufbruchs in der früheren DDR, um dies zur Mobilisierung gegen eine angebliche »Islamisierung« dienlich zu machen. Was darunter verstanden werden soll, illustrierte der Pegida-Sprecher Lutz Bachmann in einem Interview mit der neurechten Wochenzeitung »Junge Freiheit« an folgendem Beispiel: »Die Islamisierung unseres öffentlichen Raumes, wenn etwa aus Rücksicht auf den Islam aus Weihnachtsmärkten ›Wintermärkte‹ werden.« In Reden auf den »Pegida«-Demonstrationen kam eine Vermischung irrwitziger Behauptungen mit rassistisch motivierter Aufwiegelei zum Ausdruck: So wurde u.a. verkündet, der Zuzug von Muslimen führe zur Abschaffung des Christstollens sowie, deutsche Rentner müssten ihre Pflegeheimplätze für Asylsuchende räumen. Die dort behauptete Gefahr einer »Islamisierung des Abendlandes« speist sich aus muslimfeindlichen Haltungen, die anknüpfen an ethnisch-rassistische Identitätskonstrukte. Sie lassen sich anhand folgender Merkmale kennzeichnen:

  • Gleichsetzung von ethnischer Herkunft und Glauben sowie von Ethnie und Kultur;
  • Behauptung ethno-kultureller Unvereinbarkeit (»Abendland gegen Morgenland«);
  • Überschneidung von kulturellen mit demografischen Untergangsprophezeiungen (»demografische/kulturelle Landnahme«);
  • Pauschalzuschreibung unabänderlicher Wesensmerkmale (frauenfeindlich, unehrlich, machtbesessen etc.);
  • rassistische Verklärungen (Muslim = Ausländer = Islamist = Eroberer).

Die AfD macht diese zugleich irrwitzigen wie rassistisch konnotierten Zuschreibungen und Bedrohungsszenarien öffentlich diskursfähig: »Ich kann die Furcht vor der Islamisierung verstehen«, erklärte AfD-Bundessprecher Konrad Adam in einem FAZ-Interview und verstärkte dort zugleich selbst das Schreckgespenst einer angeblichen Islamisierung Deutschlands mit dem Ausspruch: »Ich möchte nicht, dass irgendein Mullah darüber befindet, wie ein Dieb zu behandeln ist.« Die Kampfvokabel Islamisierung stellt bei den »Pegida«-Protesten jedoch nur eine artikulationsmächtige Chiffre dar für dahinter stehende ethnisch-homogene und zum Gutteil zugleich völkisch-rassistische Identitätsvorstellungen: Der »Pegida«-Protest ist zugleich ein niedrigschwelliges Angebot zur Mobilisierung gegen Asylsuchende. So wurde in dem Positionspapier der »Pegida«-Kulturkämpfer zugleich die Forderung laut nach einer »Null-Toleranz-Politik gegenüber straffällig gewordenen Asylbewerbern und Migranten«.

Auch in diesem Bereich bietet sich die AfD gewissermaßen als weltanschauliches wie organisatorisches Dach für einen rechten Kulturkampf an, der in den Pegida-Protesten auf der Straße zum Ausdruck kommt. Denn die Teilnahme von weit über zehntausend Menschen an Protestmärschen unter derartigen Forderungen ist als Ausdruck einer Entwurzelung eines rechtsgerichteten politischen Milieus in der bürgerlichen Mitte der Gesellschaft zu deuten, das sich nicht mehr entsprechend politisch repräsentiert sieht. Die dort artikulierten Forderungen sind in vielen Fragen deckungsgleich mit Positionen der AfD – etwa das Eintreten von »Pegida« gegen »dieses wahnwitzige ›Gender Mainstreaming‹« sowie die dort deutlich zum Ausdruck gekommenen Ressentiments gegenüber einer multikulturell verfassten Einwanderungsgesellschaft.

Dies stößt auf deutlichen Wiederhall in der AfD: In einer Stellungnahme der Patriotischen Plattform in der AfD wurde die Gesamtpartei dazu aufgefordert, »die Kernforderung von Pegida zu übernehmen und sich in aller Deutlichkeit gegen die Islamisierung des Abendlandes auszusprechen«. Diese Forderung wird in dem Schreiben verknüpft mit der Aufforderung, »gegen die Wahnvorstellung einer multikulturellen Gesellschaft« einzutreten. Auch Brandenburgs AfD-Landesvorsitzender Alexander Gauland bekundete: »Wir sind die ganz natürlichen Verbündeten dieser Bewegung.« Ebenso äußerte Parteisprecher Lucke, dass viele Forderungen des »Pegida«-Bündnisses »von der AfD geteilt« werden. Kurzum: Trotz bestehender Skrupel von Teilen der Parteiführung davor, mit dem rechtsradikalen Anhang dieser Proteste in Verbindung gebracht zu werden, bietet sich die AfD ihnen als eine Art parteipolitisches Dach an und sorgt damit zugleich für deren parteipolitische Verankerung.


Frontkämpfer gegen »Islamisierung«, für »nationale Identität«

Der sächsische Landesverband der AfD kann als Keimzelle der parteipolitischen Hinwendung zu einem rechten Kulturkampf gegen das Schreckgespenst einer angeblichen Islamisierung angesehen werden. Dort fanden nicht nur frühere Aktivisten der muslimfeindlichen Splitterpartei »Die Freiheit« ein neues parteipolitisches Betätigungsfeld, sondern in diesem Landesverband wurde im Vorfeld der sächsischen Landtagswahlen 2014 auch ein Wahlprogramm erstellt, das als Annäherung an antimuslimische Agitationsformen gedeutet werden kann. Mit der Aufnahme der Forderung nach Volksabstimmungen über den Bau von Moscheen mit Minaretten in Sachsen hat zum ersten Mal in der Entwicklung der AfD das Thema Moscheebau Eingang gefunden in den offiziellen Forderungskatalog der Partei. Dies ist vor allem vor dem Hintergrund von Bedeutung, dass diese Forderung hierzulande bislang nur von rechtspopulistischen bzw. extrem rechten Parteien wie der Freiheit, den Republikanern und von pro NRW/Deutschland erhoben worden ist. Diese antimuslimische Frontstellung geht einher mit einem exkludierenden Identitätsverständnis. In einem Interview mit einem Videoportal der »Jungen Freiheit« erklärte Frauke Petry ihre Zustimmung zu Forderungen von »Pegida« und betonte in diesem Kontext die Bedeutung natio­naler Identitätsfragen. Laut Petry artikulieren die Demonstranten »die große Sorge, die man im Osten vielleicht auch eher findet als im Westen, dass wir mit unserer eigenen Identität offensichtlich Probleme haben und gar nicht mehr wagen, drüber zu sprechen, wie es ist, als Deutscher in Deutschland zu leben und wie man dieses Land selbst gestalten möchte«.

Die Forderung nach »nationaler Identität« scheint sich besonders in den ostdeutschen Landesverbänden zum zentralen Themenfeld für die AfD zu entwickeln: So gab der Spitzenkandidat der AfD-Thüringen, Björn Höcke, der neurechten Zeitschrift »Blaue Narzisse« unter der Überschrift »Die AfD als identitäre Kraft« ein Interview, in dem er die »Frage nach der Identität für die zentrale Frage der Menschheit im 21. Jahrhundert« erhob, da diese »der Schlüssel zu ökonomischen und ökologischen Homöostasen, also ausgleichenden Selbstregulierungen einer Gesellschaft« sei. Und weiter: »Die Deutschen und die Europäer haben die Aufgabe, den Wert ihrer Hochkultur wiederzuentdecken.« Dieselbe Zeitschrift war es übrigens, der der »Pegida«-Organisator Lutz Bachmann – sonst äußerst medienskeptisch – schon zu Beginn dieser Proteste zwei Interviews gab. Mit ihren nationalen Identitätszuschreibungen erweist sich die AfD gewissermaßen als weltanschauliche Stichwortgeberin für einen rechten Kulturkampf, der unter Inanspruchnahme des Rechtes auf »Verteidigung der nationalen Identität« letztendlich gegen die multikulturelle Pluralisierung unserer Gesellschaft zu Felde zieht und dadurch ethnisch homogenisierende und rassistische Gesellschaftsvorstellungen diskursfähig macht.


Der neue deutsche »ideelle Gesamtpopulist«

Spätestens seit der Sarrazin-Debatte wird hierzulande ausführlich die Frage der Chancen einer neuen Rechtsaußenpartei diskutiert: Rund 18% der Wählerstimmen prognostizierte im September 2010 eine Emnid-Umfrage einer fiktiven Sarrazin-Partei. Doch bislang konnte keine Partei rechts der Union dieses Einstellungspotenzial bündeln.

Mit seinen Thesen bediente Sarrazin jedoch nicht bloß muslimfeindliche und sozialbiologistische Zuschreibungen, sondern zudem auch eine Euro- und EU-skeptische Haltung sowie eine Kampfansage an einen angeblich von links vorherrschenden »Tugendterror«. In seinem bislang dritten Buch verortet der Erfolgsautor die angeblich vorherrschende Einschränkung von (angeblich auch seiner eigenen) Meinungsfreiheit in einem hermetischen »Code des Guten, Wahren und Korrekten, der große Teile der Medienklasse dominiert«. Jene »Political Correctness« sei zu einem »transnationalen Phänomen des Abendlandes geworden«, das »zumindest in Europa von der linken Ecke des politischen Meinungsspektrums geprägt ist«.

AfD-Sprecher Lucke äußerte sich in einem Interview im rechten Querfrontmagazin »Compact« zu Sarrazins Prognose »Deutschland schafft sich ab«. Im Gespräch mit dem »Compact«-Chefredakteur Jürgen Elsässer erklärte er: »Sarrazin gebührt das große Verdienst, mit seinem Buch auf wichtige Missstände in Deutschland hingewiesen zu haben: Unsere Bildungsmisere, Integrationsprobleme von Zuwanderern, unser enormes demographisches Problem. Das alles wird von der Politik gerne totgeschwiegen, weil sie die erforderlichen unbequemen Antworten nicht geben will. Dennoch würde ich nicht von ›Deutschland schafft sich ab‹ sprechen, weil das ja so klingt, als ob wir die Selbstabschaffung aktiv betreiben. Tatsächlich ist Deutschland einfach schwach und nachgiebig gegenüber schleichenden Veränderungen, die langfristig die Substanz unserer Gesellschaft bedrohen. Diese Schwäche Deutschlands, dieser Mangel an Selbstbewusstsein und der fehlende Mut, offen zu sagen, was für uns gut und wichtig ist, ist freilich nicht minder alarmierend, als wenn irgendwo aktiv selbstzerstörerische Kräfte am Werk wären.«

Auch AfD-Kandidat Henkel zählt zu den Unterstützern von Sarrazins Kampf gegen die »Political Correctness«: Als Sarrazin für eine Buch-Publikation gegen den Euro der Deutsche Mittelstandspreis verliehen wurde, hielt Henkel am 6. November 2012 die Laudatio. Darin titulierte er den Preisträger als »deutschen Widerstandskämpfer im besten Sinne des Wortes«.


Nicht rechtsextrem, sondern »Stimme des Volkes«

Auf dem Gründungsparteitag der AfD am 14. April 2013 hielt der Bundessprecher Konrad Adam eine Rede, in der er zum Populismus Stellung bezog: »Wenn unsere Volksvertreter ihre Aufgabe darin sehen, das Volk zu entmündigen, sollten wir selbstbewusst genug sein, den Vorwurf des Populismus als Auszeichnung zu betrachten«, erklärte er unter großem Zuspruch seiner Zuhörerschaft.

Zwar versucht die Partei in öffentlichen Stellungnahmen, sich vom Rechtsextremismus abzugrenzen und wehrt sich zugleich gegen eine Zuordnung zum Rechtspopulismus. Hinsichtlich ihres Mitgliederspektrums dient die AfD jedoch neben Ihrem Zulauf von ehemaligen CDU- und FDP-Anhängern zugleich als neues Auffangbecken für den äußeren rechten Rand. Ihre Verortung rechts von der CDU entspricht der Selbsteinschätzung eines Großteils ihrer Mitglieder sowie ihres Führungspersonals. So bezog der AfD-Spitzenkandidat zur Europawahl, Hans-Olaf Henkel, in seiner politischen Aschermittwochsansprache im niederbayerischen Osterhofen Stellung zum Vorwurf der Rechtslastigkeit seiner Partei. Die »Junge Freiheit« zitiert ihn dabei wie folgt: »Nach Ansicht von Henkel sei ›nichts falsch daran‹, rechts zu sein: ›Der Kampf gegen Rechts ist eine Unverschämtheit.‹ Rechts dürfe nicht mit rechtsextrem verwechselt werden. ›Die politische Landschaft ist nach links gerückt, deswegen stehen wir rechts. Aber wir stehen richtig.‹« Hinsichtlich ihrer Inszenierung als »nationale Alternative« reiht sich die AfD in das rechte europaskeptische Parteienspektrum ein, das trotz politischer Unterschiede ein gemeinsames Bestreben zur Nationalisierung des Politischen sowie offen antisozialistische und zuwanderungsfeindliche Positionierungen aufweist. Die parteipolitischen Ausrichtungen der europaskeptischen Rechten weisen eine große Spannbreite auf. Sie reichen von offen rassistischen und neo­faschistischen bis hin zu natio­nalliberalen und nationalkonservativen Positionen. Diese Ansichten werden von ihren Vertretern meist in einem rechtspopulistischen Stil vertreten: einer Selbststilisierung als »Anwälte des Volkes«, die die »nationalen Interessen« vertreten, die von den »Altparteien« im Zuge transnationaler Politik in Europa »verraten« würden. Solche Ausrichtungen zeigen sich auch bei der AfD, die mit nationalistisch grundierten Parolen gegen die Euro- und transnationale Europapolitik sowie gegen Zuwanderung und »Sozialtourismus« ihren Wahlkampf zur Europawahl 2014 bestritten hat. Die AfD steht damit in einem Zusammenhang mit dem Aufkommen neuer rechter Parteien, die im Zuge der Erosion wohlfahrtsstaatlicher Politik in Europa infolge von Abbau von sozialen Standards und Standortkonkurrenz zunehmend marktradikale und wohlstands­chauvinistische Positionen vertreten und diese mit (Standort-)Nationalismus verknüpfen. Massenarbeitslosigkeit und strikte Austeritätspolitik im krisengeschüttelten Europa erwirken ein Erstarken des rechten Randes im politischen Gefüge. Entgegen der vor der Europawahl getroffenen Versprechen, auf Abstand zu rechtspopulistischen Parteien zu gehen, ist die AfD unter dem Dach der Fraktion der Europäischen Konservativen und Reformisten (EKR) u.a. ein Bündnis mit den rechtspopulistischen Parteien »Die Finnen« und der Dänischen Volkspartei eingegangen. Als »vorbildlich« werden seitens der AfD Volksentscheide in der Schweiz bezeichnet. Dort war zuletzt die SVP mit einer deutlich rassistisch grundierten »Volksinitiative gegen Masseneinwanderung« erfolgreich gewesen.


»Volksgemeinschaft statt politischer Klasse«

Im Unterschied zur traditionellen extremen Rechten treten Parteien der rechtspopulistisch modernisierten Rechten nicht offen demokratiefeindlich auf. Vielmehr inszenieren sie sich als »wahre Demokraten« und »Anwälte« der angestammten Bevölkerungsteile und bekunden, deren Interessen gegenüber einer als undemokratisch angeprangerten und transnational orientierten Politik zu »verteidigen«. Dabei werden breit vorherrschende Ängste gegenüber nationalem Souveränitätsverlust und drohendem sozialem und wirtschaftlichem Abstieg propagandistisch kanalisiert in eine Politik der Feindbilder.

Damit greift der Rechtspopulismus höchst aktuelle Fragestellungen auf wie die Integrationsfähigkeit von Einwanderungsgesellschaften oder demokratische Defizite im europäischen Krisenmanagement und füllt diese politischen Leerstellen mit schlichten, reaktionären »Lösungsangeboten«. Dabei wird »das Volk« als homogenisierender Begriff für die unterschiedlichen Partikularinteressen angestammter Bevölkerungsteile in Kontrast zu der »politischen Klasse« gesetzt, die angeblich zum Zwecke der eigenen Bereicherung die »nationalen Interessen« an eine undemokratische, multikulturelle und transnational orientierte Europäische Union verkauft habe. Der Rechtspopulismus übersetzt hierbei den Nationalismus und Rassismus der traditionellen extremen Rechten in kulturell und/oder religiös umformulierte Feindbilder: die »schleichende Islamisierung«, den »bürokratischen Moloch EU«, die »Zerstörung kultureller Identität« durch den Multikulturalismus und die Linke als dessen »Steigbügelhalter«.

Dabei inszeniert sich der zeitgenössische Rechtspopulismus kämpferisch als »demokratische Alternative« zum beschworenen kulturellen Untergangs­szenario. Als Chiffre dieses rechten »Kulturkampfes« können die Schlagworte »Heimat, Glaube, Identität« genannt werden, die als reaktionär gefüllte Identifikationsangebote in Frontstellung gegenüber der transnational und multikulturell verfassten europäischen Demokratie gebracht werden. Die aus diesen Kreisen erhobenen Forderungen nach »mehr Demokratie« in Form von Volksentscheiden und Bürgerbegehren weisen eine selektive Inanspruchnahme partizipativer demokratischer Mitbestimmungsmöglichkeiten auf, die konterkariert werden von autoritären, undemokratischen und rassistischen Politikvorstellungen.

Die AfD kann hinsichtlich ihrer politischen Positionierungen als eine Partei rechts der CDU/CSU und der FDP gelten, die sowohl nationalliberale und nationalkonservative als auch rechtspopulistische Tendenzen aufweist. Unklar ist, welche Strömungen künftig in besonderem Maße den Kurs der Partei bestimmen werden. Feststellbar ist, dass die rechtspopulistische Prägung der AfD eine deutlich fassbare Gestalt angenommen hat. Deutliche Ähnlichkeiten hinsichtlich ihrer Ausrichtung weist die AfD zum früher existenten rechtspopulistischen »Bund freier Bürge« auf, Überläufer hat die AfD aus der rechtspopulistischen Partei »Die Freiheit« zu verzeichnen. Publizistisch erhält die AfD Unterstützung durch die neurechte Wochenzeitung »Junge Freiheit«, die sich zu einer Art informellem Parteiblatt der AfD entwickelt hat. Der selbsterklärte Daseinszweck der JF besteht in dem Bestreben, einer nationalliberal/konservativen Kraft rechts der CDU/CSU zum Durchbruch zu verhelfen. In den Wahlerfolgen der AfD sehen diese neurechten Kräfte erstmals seit Jahrzehnten wieder eine realistische parteipolitische Option, ihr Ziel einer Re-Nationalisierung des Politischen voranzutreiben.


Rassistische Normalisierung

Mit ihren Verweisen auf die angeblich legitimen Forderungen der »Pegida«-Demonstranten gegen »Asylmissbrauch« spitzt die AfD lediglich ein schon lange breit geschürtes Ressentiment zu: Denn in der öffentlichen Debatte sind Flucht und Asyl regelmäßig Anlass für Schreckensszenarien. In apokalyptischen Schilderungen wie denen vom »Ansturm der Armen« und vom »Plündern unserer Sozialkassen« werden im politischen und medialen Diskurs in Deutschland wiederkehrend einseitige und diskriminierende Darstellungen verbreitet. Dadurch werden die Opfer von Armut und Verfolgung zu Tätern stilisiert und in der einheimischen Bevölkerung Ressentiments gegen Zuwanderer und Asylsuchende geschürt. Durch solche Zerrbilder werden Zuwanderung und Asylrecht im öffentlichen Bewusstsein als Bedrohungsfaktoren verankert: Die Normalität von Zuwanderung sowie deren Nutzen und gesellschaftlicher Gewinn geraten dadurch ebenso aus dem Blick wie die politische Notwendigkeit des Menschenrechts auf Asyl. Anstatt soziale und politische Fehlentwicklungen in Europa sowie politische Fehlleistungen und diskriminierende Praktiken zu thematisieren, werden mit Angstparolen wie »Das Boot ist voll« Zuwanderer und Asylsuchende an den Pranger gestellt. Mit dem Schlagwort vom »Asylmissbrauch« werden in der öffentlichen Debatte immer wieder Asylsuchende diskriminiert und ihr Recht auf Schutz und Hilfe angezweifelt. Bei dem Schlagwort handelt es sich zugleich um einen Kampfbegriff der extremen Rechten, um propagandistisch besser das Recht auf Asyl infrage stellen zu können.

Populär wurde der Begriff des »Asylmissbrauchs« kurz nach der Wiedervereinigung im Zusammenhang mit der Debatte um eine Einschränkung des Asylrechts. Die Historiker Ulrich Herbert wies auf den Tatbestand hin, dass die Asylbewerberfrage die erste große, gesamtdeutsche Thematik war, »die 1991 bis 1993 die Menschen mehr als jedes andere Thema beschäftigt hat«. In diesem Kontext verwies Herbert auf den Tatbestand, dass es auf dem Höhepunkt der damaligen rassistischen Pogromwelle bei den Angriffen auf ein Asylbewerberheim in Rostock-Lichtenhagen überwiegend rumänische Roma waren, die den gewalttätigen Angriffen des Mobs auf der Straße ausgesetzt waren. Ein solcher Identitätsdiskurs, der auf der Inszenierung eines Bedrohungsszenarios durch Einwanderer und Asylsuchende aufbaut, findet aktuell eine geschichtsvergessene Wiedereinkehr im erneuten Bündnis von Biedermännern und Brandstiftern.


»Catch all«-Partei mit nationalem Populismus

Obwohl die AfD sich als besondere Partei mit völlig neuen Inhalten inszeniert, stellt sie unter inhaltlichen Gesichtspunkten das genaue Gegenteil dar. Denn trotz ihrer populistischen Polemik gegen die »Altparteien« offenbart sich die AfD als rückwärtsgewandt. DM-Nostalgie und Rückgriffe auf die Zeiten einer »geistig-moralischen Wende« werden dort angereichert mit rechten und emanzipationsfeindlichen Parolen gegen homosexuelle Gleichstellung, Gender-Mainstreaming, Doppelpass und Multikulturalismus. Damit einher geht ein populistischer Alarmismus, der den Verlust »nationaler Identität« und das Schwinden »nationaler Interessen« durch eine angeblich volksfeindliche Politik der »Altparteien« beschwört. So stellt die Partei die Brücke her zwischen ihrer wohlstandschauvinistischen und elitär-marktradikalen ökonomischen Grundausrichtung (»Nicht das Sozialamt der Welt«, »Partei der Leistungsträger«) hin zu »dem Volk« und auch den prekarisierten Schichten, die ein Ventil für ihre konforme Revolte gegenüber den »Altparteien« und den als »Sozialtouristen« diffamierten Zuwanderern suchen. Damit stellt sich die AfD propagandistisch zugleich als Zugpferd »nationaler Leistungsträger« mit neoliberaler Theoriebildung (Lucke, Henkel u.a.) auf und nimmt zugleich die Rolle als national gesinnter Konterpart zu der europäisch hegemonialen politischen Formation der »passiven Revolution« des Neoliberalismus ein: als »Alternative für Deutschland« gegen die angebliche Alternativlosigkeit einer neo­liberal grundierten Austeritätspolitik in Europa.

Diese unter sozioökonomischen Gesichtspunkten »konforme Revolte« gegen die »Altparteien« richtet sich daher populistisch mobilisierend zugleich an die Leidenschaften und Frustrationen ethnisch angestammter prekarisierter Schichten, die sich ebenfalls wie bürgerlich-nationalkonservative Milieus nicht mehr ausreichend politisch repräsentiert fühlen. »Klassenkampf« nennt dies der AfD-Bundessprecher Konrad Adam. Er deutet dies als Kampf gegen die »politische Klasse«: »Natürlich kann sich das Volk nicht selbst regieren, es braucht dazu Vertreter. Aber müssen die sich auch als Klasse formieren? Sich nicht nur so bezeichnen, sondern sich auch so benehmen? Wozu brauchen wir sie denn? Geht es zur Not denn nicht auch ohne sie?« Hier zeigt sich das populistisch mobilisierende Moment, durch das sich die AfD hinsichtlich der Wechselwähler nahezu zu einer »Catch all«-Partei entwickelt hat.


Einbruch auch in linkes Wählerlager

Dies stellt besonders den linken Parteienblock vor besondere Herausforderungen. Denn die AfD hat trotz ihrer Vorzeige-Personalie Henkel auch einen Einbruch in das organisierte Gewerkschaftslager erreicht: So haben laut dem DGB-Info-Service »Einblick« in Brandenburg bei den Landtagswahlen 12,1% der Gewerkschaftsmitglieder AfD gewählt und in Thüringen 9,3%. Laut dem DGB-Vorsitzenden Reiner Hoffmann ist die Zustimmung von Arbeitnehmern und Gewerkschaftsmitgliedern »angesichts der gewerkschaftsfeindlichen Grundhaltung der AfD und vieler ihrer Spitzenfunktionäre nicht nachvollziehbar. Wir haben im Vorfeld der Wahlen über die arbeitnehmerfeindlichen Positionen der AfD informiert. Selbstkritisch müssen wir feststellen, dass das offensichtlich nicht gereicht hat. Erschreckend ist zudem, dass der Anteil der jüngeren Wähler, die für die AfD oder die rechtsextreme NPD stimmten, höher ist als in anderen Altersgruppen. Das gilt auch für Gewerkschaftsmitglieder.« Zugleich arbeitet die AfD an einer ihrer ökonomischen Ausrichtung adäquaten Formation, der Gründung eines »Mittelstandsforums der AfD«. Laut Informationen der Süddeutschen Zeitung wurden bislang Einladungen an »etwa 500 Unternehmer und Manager aus ganz Deutschland verschickt«. Als Organisator dieser Formation tritt der Ex-Republikaner Ulrich Wlecke auf, der vor einigen Jahren noch als Budget-Experte bei der rechtspopulistischen FPÖ aufgetreten ist.

Zudem zeigt die Etablierung populistisch-rechter Parteien in Europa, dass dies eine Veränderung der politischen (Alltags-)Kultur nach sich zieht und eine Schwächung emanzipativer Politikansätze zur Folge hat. Deutschland ist bislang hinsichtlich des Erfolges rechtspopulistischer Parteien eine Art »politisches Entwicklungsland« gewesen. Dies kann sich mit weiteren Erfolgen der AfD nachhaltig ändern. Folgende Anknüpfungspunkte für einen populistisch artikulierten Kulturkampf von rechts lassen sich aktuell feststellen:

  • Fokussierung auf religiös/kulturell umgeformte rassistische Stereotype (Islam[ismus], »Integrationsverweigerer«);
  • Familien- und Gesellschaftsbilder (Gender Mainstreaming, Bildungsplan BaWü, sexuelle Pluralisierung);
  • nationale/kulturelle Identität (gegen Zuwanderung und multikulturelle Gesellschaft);
  • »Meinungsfreiheit« (gegen »Political Correctness«/linke »kulturelle Hegemonie«);
  • Bewahrung »bürgerlicher Tugenden« (Ordnung, Sauberkeit, Sicherheit).

Dies geht einher mit einem rechten Sozialpopulismus, der den Begriff »des Volkes« dafür in Anspruch nimmt, um exkludierende und nationalistische Politikansätze breitenwirksam zur Geltung bringen zu können. Hierbei ist zu beachten, dass diese rechte Inanspruchnahme des Volksbegriffs sowohl an Ressentiments sozialökonomisch prekarisierter Schichten appelliert und diese fördert, wie auch zugleich den Begriff des Bürgerlichen in ethnisch/national exkludierendem Verständnis für sich reklamiert.


Neue Herausforderungen

Dies stellt linke und emanzipatorische Bewegungen vor eine doppelte Herausforderung: Sie müssen sowohl den pseudorevolutionären Charakter dieser populistisch-herrschaftskonformen Revolte demaskieren, wie zugleich deren exkludierende Inanspruchnahme des Begriffs von Volk und Bürgerlichkeit demaskieren. Sie müssen zudem die Fähigkeit entwickeln, entgegen rechtspopulistischer »Wahrheiten« ein populäres Angebot zur Verbesserung und Veränderung gesellschaftlicher Ungleichheit formulieren zu können. Hierbei stellt sich die Herausforderung, den rechten Kampfbegriff der »Nationalen Identität« zu dekonstruieren und ihn umzuformulieren in einen durchaus auch populär wirksamen »Kollektivwillen« auf der Basis sozialökonomischer Gleichstellung, Anerkennung kultureller Diversität und emanzipativer sozialer Praxis. Dies beinhaltet zugleich eine selbstkritische Reflexion über die Aufgabe des Begriffs der Bürgerlichkeit für eine gesellschaftliche Linke, die sich trotz ihrer objektiv in bürgerlichen Mittelschichten verankerten Klassenstellung verbalradikal der Antibürgerlichkeit verschrieben hat. Während die AfD sich bislang als Nein-Sager- sowie als Wutbürger-Partei populistisch in Kontrast zu den »Altparteien« in Szene setzen konnte, muss sie nun ihre Tauglichkeit als realpolitisch handelnde Kraft unter Beweis stellen, wenn sie sich in Bund und Ländern nachhaltig verankern will. Eine Aufgabe, die die Partei angesichts ihrer massiven innerparteilichen Konflikte und einer mehr als dürftigen Personaldecke handlungsfähiger Akteurinnen und Akteure vor eine existenzielle Herausforderung stellt. Mit einer möglichen Etablierung der AfD als neuer Kraft rechts der Union hätte das rechte Wutbürgertum auch in Deutschland eine parteipolitische Verankerung gefunden. Sollte dies Realität werden, hätte dies auch insoweit Konsequenzen für die politischen Kräfteverhältnisse hierzulande, weil dem aktuell hegemonialen neoliberal-konservativen politischen Block nicht nur Konkurrenz, sondern zudem neue Kooperationsmöglichkeiten eröffnet würden.

Alexander Häusler ist wissenschaftlicher Mitarbeiter des Forschungsschwerpunktes Rechtsextremismus/Neonazismus der Fachhochschule Düsseldorf (www.forena.de). Der Artikel fußt auf Textteilen eines Buches, das im Januar 2015 im VSA: Verlag erscheint: Alexander Häusler/Rainer Roeser: Die rechten ›Mut‹-Bürger. Entstehung, Entwicklung, Personal & Positionen der »Alternative für Deutschland«.

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