1. November 2006 Wolfgang Räschke / Björn Harmening

Akzeptable Lösung oder Niederlage der Beschäftigten?

Um eins vorweg zu sagen: Dieser Tarifabschluss ist nicht zum Jubeln und wir werden ihn auch nicht schönreden. Es ist ein Abschluss, der nur unter den schwierigen Rahmenbedingungen in Deutschland und in der Automobilindustrie weltweit zu erklären ist.

Das VW-Tarifergebnis hat zwei Seiten:
1. Es ist Ausdruck des momentanen gesellschaftlichen und betrieblichen Kräfteverhältnisses. Da muss man ehrlicherweise feststellen, dass Arbeitnehmer und Gewerkschaften in der Defensive sind.
2. Gleichwohl hat die IG Metall bei Volkswagen weiterhin die Kraft, dreiste Angriffe und Zumutungen abzuwehren und auch in einer schwierigen Situation die Arbeitsplätze und Standorte langfristig zu sichern – und zwar oberhalb des Niveaus des Flächentarifvertrages. Die IG Metall ist konfrontiert mit dem Widerspruch von Milliardengewinnen des Konzerns auf der einen und objektiven Schwierigkeiten bei Einzelergebnissen der Betriebe insbesondere im operativen Bereich auf der anderen Seite. Der immer stärker um sich greifende Verdrängungswettbewerb führt dazu, dass selbst von den Verkaufszahlen her erfolgreiche Unternehmen wie Volkswagen in regelrechte Preis"kriege" mit immer höheren Rabatten und dementsprechend niedrigeren Erträgen pro Fahrzeug hineingezogen werden. Folglich wird versucht, Kosten in allen Bereichen einzusparen, um dennoch die angestrebten und ständig steigenden Gewinnziele zu erreichen. Um entsprechend schnelle Kompensationen zu erreichen, werden die Zulieferfirmen und die Beschäftigten unter Druck gesetzt und zu Zugeständnissen bei Preisen und tariflichen Standards gezwungen. Mitte der 1990er Jahre wurde der extreme Kostendruck an die Hersteller von Zulieferteilen durch den von der Presse als Kostenkiller hochstilisierten Vorstand José Ignacio Lopez weitergereicht. Qualitätsprobleme durch billige Bauteile waren die eine Folge, Druck auf die Beschäftigten in der Zulieferindustrie im Rahmen zahlreicher Standortvereinbarungen die andere. Für die Kolleginnen und Kollegen bei Volkswagen wurde eine 20-prozentige Arbeitszeitverkürzung (4-Tage-Woche) mit ungefähr 16% Einkommensverlust selbst bezahlt, die zwar 30.000 Arbeitsplätze sicherte, aber VW zugleich eine enorme Steigerung der Produktivität bescherte. Der damals abgeschlossene Tarifvertrag zur Beschäftigungssicherung wurde in der Tarifrunde 2004 infrage gestellt und erneut gab es seitens des Vorstands von Volkswagen ein Szenario gefährdeter Arbeitsplätze mit einem entsprechenden Forderungskatalog an tariflichen Verschlechterungen für die Belegschaft.

Insoweit ist die Einschätzung richtig, dass die Beschäftigten von Volkswagen bereits mehrmals Beiträge in Milliardenhöhe zur Sicherung und auch Gewinnmaximierung des Unternehmens geleistet haben. Ohne die Frage nach dem Huhn und dem Ei beantworten zu wollen, darf man allerdings nicht den Eindruck erwecken, als wäre dies ein einzigartiger Vorgang. Ähnliche Vereinbarungen wurden bei allen Automobilherstellern sowie in den Betrieben der Metall- und Elektroindustrie geschlossen, allerdings auf niedrigerem Niveau.

Die wirklichen Probleme bei Volkswagen

Wir geben uns auch nicht der trügerischen Hoffnung hin, dass es jetzt endlich einmal "gut sein müsse". Das Karussell des Verdrängungswettbewerbs mit seiner enormen Wertevernichtung dreht sich immer schneller und führt aus Sichtweise des Kapitals eben zu dem Zwang, die Kosten dort einzusparen, wo es vermeintlich am schnellsten geht: bei den Löhnen.

Dabei machen die Löhne – gemessen am Umsatz – nur einen Bruchteil der Gesamtkostenbelastung aus: lediglich 12-15%. Die restlichen 85% entfallen auf Material, Energie, Rohstoffe etc. und bieten somit einen Großteil an möglichen Stellschrauben, über die ein Unternehmen seine Ausgaben beeinflussen kann. Aber es geht eben nicht so schnell und bedarf eines weitsichtigen Managements, bis Erfolge sichtbar werden. Hier hat Volkswagen in der Tat erhebliche Probleme, die ihre Ursachen vor allem in zu komplizierten Produktionsprozessen und fehlender fertigungsgerechter Konstruktion haben. Hinzu kommt eine teilweise verfehlte Modellpolitik, bei der Technikverliebtheit und Prestigedenken dem Namen des Unternehmens entgegen gewirkt haben. Dass sich in manchen Produkten Fertigungszeiten von mehr als einem Drittel über denen der Wettbewerber eingeschlichen haben, liegt nicht an der Arbeitsgeschwindigkeit der Beschäftigten. Eine vergleichende Studie über Volkswagen und Toyota hat ergeben, dass im weltweiten Lohnvergleich lediglich ein "Nachteil" von 2% besteht, bei der Produktionsweise und den Prozessen jedoch einer in Höhe von 60%. Dennoch liegt das Hauptaugenmerk von VW auf den Lohnkosten und dem Versuch, durch tarifliche Verschlechterungen die Kostennachteile auszugleichen.

Auch die 2004 im so genannten Zukunftstarifvertrag ausgehandelte Beschäftigungssicherung bis 2011 wurde aufgrund der wirtschaftlich begründeten Nichteinhaltung von Produkt- und Investitionszusagen angekratzt. Vor allem diese Bedingung der "wirtschaftlichen Darstellbarkeit" neuer Produkte war der Kernpunkt unterschiedlicher Auslegungen des Tarifvertrags durch Vorstand und IG Metall und machte die Schwachstellen aus Sicht der IG Metall deutlich. Nicht einmal zwei Jahre nach Abschluss des Vertrages verlangte Volkswagen neue Zugeständnisse der Belegschaft, da die bisherige "Absicherung der Beschäftigung unter den derzeitigen Umständen nicht mehr gewährleistet werden" könne.

Die Drohkulisse

Als das Unternehmen die IG Metall im Mai schriftlich zu Tarifgesprächen aufforderte, lag noch keine offizielle Forderung seitens des Konzerns vor. Dennoch war klar, um was es ging. Im Vorfeld war durch gezielte Pressekampagnen ein Klima der Verunsicherung unter den Beschäftigten geschaffen worden. Die Komponentenstandorte Braunschweig, Salzgitter, Kassel und Teile von Wolfsburg standen immer wieder mit angeblichen Schließungs- oder Verkaufsabsichten im Fokus. Der neue Personalvorstand Horst Neumann und VW-Markenchef Wolfgang Bernhard machten mehrmals deutlich, dass ein Personalüberhang von 20.000 Beschäftigten bestünde und die Stundenlöhne um 20% über denen der Fläche – und somit über denen der Konkurrenz – liegen würden. Gezielt wurden auch einzelne Produkte und Anlagen, wie etwa der Golf in Wolfsburg und die Gießerei in Hannover, infrage gestellt.

Das war kein Bedrohungspotenzial ohne Hintergrund, obwohl die veröffentlichten Verkaufszahlen eine andere Sprache sprechen. In den Jahren 2004 und 2005 hatte das Unternehmen eine Steigerung des so genannten operativen Ergebnisses nach Sondereinflüssen von 70%[1] und eine Gewinnsteigerung von 58,2% erzielt.[2] Im August 2006 meldete der Konzern weitere Steigerungen,[3] die sich allein in Deutschland auf ein Plus von 14% oder 50.000 Fahrzeugen belaufen. Angesichts dieser Zahlen ist es natürlich schwer nachvollziehbar, weshalb sich VW in Schwierigkeiten befinden soll. Der Argumentation des Unternehmens zufolge erweisen sich die Finanzergebnisse mit einer Kapitalrendite im Fahrzeugbau zwischen 1,2% und 2,6%[4] als weit unter denen der als "Vorbilder" dargestellten Hersteller – allen voran Toyota mit Renditen von über 8%. Ursachen hierfür sind – wie ausgeführt – die umständlichen Prozesse, Rabattschlachten, falsche Markteinschätzungen und Währungsschwankungen z.B. zwischen Euro und Dollar. Alles Gründe, auf die die Beschäftigten keinen Einfluss haben.

Verhandlungen – Ja oder Nein?

Die Frage lautet: Weshalb hat sich die IG Metall trotz eines ungekündigten Beschäftigungssicherungsvertrages auf Verhandlungen mit Volkswagen eingelassen? Die Antwort ist einfach. Angesichts des bestehenden betrieblichen und gesellschaftlichen Kräfteverhältnisses haben wir keine andere Möglichkeit gesehen, die Arbeitsplätze und Standorte langfristig abzusichern. Ohne eine Anschlussregelung wären die zukünftigen Produktentscheidungen, die von zentraler Bedeutung für die Beschäftigung sind, nicht mehr zugunsten der sechs westdeutschen Standorte gefallen, da es in jedem Fall ein günstigeres Angebot aus einem anderen Konzernstandort gegeben hätte. Angesichts der derzeitigen Kräfteverhältnisse und der Maßnahmen, die sich Konzernvorstände, Arbeitgeberverbände und Politiker inzwischen ohne zu erwartenden Protest in der Öffentlichkeit zu tun und zu sagen getrauen, war die Hoffnung, sie würden lediglich "bluffen", nicht sehr groß. Zudem gab es ein Minusergebnis in dreistelliger Millionenhöhe in den AG-Standorten, das sich zwar nicht in allen Einzelheiten auf die Werke herunter brechen ließ, das allerdings von Seiten der IG Metall durch eine unabhängige Wirtschaftsberatung überprüft und zum größten Teil bestätigt wurde. Hätte die IG Metall diese Signale ignoriert und auf die Einhaltung des ungekündigten Vertrages gepocht, wären die Arbeitsplätze und Standorte langfristig gefährdet gewesen, selbst wenn sich VW daran gehalten hätte, bis 2011 keine betriebsbedingten Kündigungen auszusprechen. Ohne die Zusage für neue Produkte wäre die Beschäftigungssicherung entwertet worden. Vor allem die kleineren Werke wären dann personell und von den Stückzahlen her langsam ausgeblutet worden. Verbunden mit der im bestehenden Tarifvertrag möglichen Mobilität hätte es in größerem Umfang Versetzungen an andere Standorte gegeben, mit all den damit verbundenen negative Folgen für die Betroffenen – bis hin zum Verlust des Arbeitsplatzes, wenn man zu dieser Mobilität nicht in der Lage gewesen wäre. Das Risiko, dann über Sozialtarifverträge verhandeln zu müssen, wollte keiner eingehen.

Die Verhandlungspositionen: Arbeitszeitverlängerung und Standortsicherung

Am 12. Juni kamen IG Metall und VW erstmals zu einem als Sondierung bezeichneten Gespräch zusammen, bei dem VW die Katze aus dem Sack ließ: Das Unternehmen forderte die 35-Stunden-Woche ohne Lohnausgleich. In einem zweiten Gespräch exakt einen Monat später übernahm die IG Metall die Initiative und legte einen Katalog an konkreten und auf die einzelnen Standorte zugeschnittenen Produktforderungen vor, der den Vorstand offensichtlich in seinem Umfang und seiner Zielrichtung überraschte. Verhandlungen über die geforderten Produktzusagen wurden zur Bedingung für die Aufnahme von Tarifgesprächen gemacht. In einer dritten Gesprächsrunde am 8. September erklärte der Vorstand, dass er zu konkreten und nachvollziehbaren Produktzusagen bereit sei. Dabei gab er zu, dass VW den bestehenden Tarifvertrag bis dahin nicht in allen Punkten umgesetzt und der bisherige Vorbehalt der Wirtschaftlichkeit dazu geführt hatte, dass insbesondere die Produktzusagen nicht eingehalten worden waren. Deshalb sähe auch der Vorstand, dass es künftig einer anderen Qualität an Zusagen bedarf. VW hatte sich zu diesem Zeitpunkt offensichtlich ernsthaft mit den Produktforderungen des Betriebsrates und der IG Metall auseinandergesetzt und Arbeitsgruppen auf Werkebene eingerichtet. Als Kernforderung des Unternehmens blieben jedoch die 35 Stunden Wochenarbeitszeit ohne Lohnausgleich – und mit den konkreten Zusagen ließ man dann doch noch auf sich warten.

Nachdem die Tarifkommission der IG Metall am 11. September Tarifgesprächen zugestimmt hatte, kam es zu einer ersten Verhandlungsrunde, bei der VW noch draufsattelte. Tarifliche Komponenten aus dem Bereich der Auto 5000 GmbH sollten auf den Haustarif übertragen werden. Darunter fielen:

  eine unbezahlte Prozessverbesserungs- und Qualifizierungszeit von 2,5 Stunden pro Woche,

  eine als Programmentgelt bezeichnete Vergütung, die im Grunde nur die unbezahlte Erfüllung des Programms auch nach Schichtende bedeutet hätte,

  Abschaffung der Erholzeiten und Pausen,

  eine zweijährige Nullrunde beim Entgelt,

  eine lediglich vom Budget abhängige Personalbemessung und Austaktung der Anlagen, die nicht mehr nach den arbeitswissenschaftlichen und sozialen Bedürfnissen des Tarifvertrages ermittelt worden wären.

Diese Forderungen wurden natürlich zurückgewiesen und die IG Metall-Verhandlungskommission blieb bei ihrer Linie, dass zunächst greifbare und konkrete Zusagen für die Standorte und die Absicherung der Beschäftigten stehen müssten, bevor man überhaupt zu Beiträgen bereit sei. Spätestens jetzt wurde deutlich, dass die Entscheidungen über diese Zusagen lediglich auf Vorstandsebene getroffen werden konnten – und dort war man sich alles andere als einig. Vor allem Markenchef Bernhard stellte sich in internen Diskussionen gegen eine Entscheidung zugunsten der AG-Standorte und provozierte damit offen ausgetragene Konflikte innerhalb der Führungsebene. Die daraufhin in allen Werken organisierten Informationsveranstaltungen des Betriebsrats hatten den Charakter von Protestveranstaltungen und sollten den Druck auf VW erhöhen, jetzt endlich die geforderten Zusagen vertraglich abzusichern. Mehrmals standen die Verhandlungen auf der Kippe.

Das Ergebnis

Nach einem Verhandlungsmarathon vom 28. bis zum Morgen des 29. September, während dessen es vom Beinaheabbruch der Gespräche bis hin zu einer vollkommen überraschenden Wende alles gegeben hatte, kam es tatsächlich zur Einigung. Die von der IG Metall geforderten Zusagen wurden fast gänzlich erfüllt und schriftlich fixiert. Gleichzeitig war es der IG Metall gelungen, viele der Punkte, die VW zuvor aufgesattelt hatte, wieder wegzudiskutieren. Der Kompromiss setzt sich folgendermaßen zusammen:

  Statt der geforderten 35 Stunden gibt es jetzt einen Arbeitszeitkorridor von 25-33 Stunden. Dazu wird jährlich ein "Arbeitzeitfixpunkt" zwischen Betriebsrat und Unternehmen festgelegt. Die 34. und 35. Stunde werden voll bezahlt.

  Die Zahl von jährlich 1.250 Ausbildungsplätzen wird erstmalig bis 2009 festgeschrieben. Die derzeitig gültige Übernahmeregelung mit unbefristeten Übernahmen gilt bis 2011 und steht nun ebenfalls im Tarifvertrag.

  Die Beschäftigten des in 2004 eingeführten Haustarifvertrages II erhalten eine Anhebung der Entgelte und Ausbildungsvergütungen um 3% ab Februar 2007.

  Für die Beschäftigten im "alten" Haustarif gibt es eine Einmalzahlung für 2007 und zum 1.1.2008 die tabellenwirksame Anbindung an das Flächenergebnis, das in 2007 erzielt wird. Hier werden dann Entgelterhöhung, Laufzeit und eventuelle Sonderzahlungen 1:1 übernommen. Dies gilt analog für die Kolleginnen und Kollegen des Haustarifes II.

  Als Teillohnausgleich für die 29.-33. Stunde wird ein Rentenbaustein von 6.279 Euro gezahlt, der wahlweise auch in ein Zeitwertkonto fließen oder ausgezahlt werden kann. Zudem gibt es eine neu strukturierte Erfolgsbeteiligung, die an das Ergebnis der Marke Volkswagen gekoppelt wird und bei Ergebnisverfehlung zu Verhandlungen über einen Ausgleich für die Beschäftigten führt.

  Die Pausen bleiben im vollen Umfang erhalten.

  Die so genannte Qualifizierungszeit wird analog der Fläche Metallindustrie umgesetzt, sodass betrieblich notwendige Maßnahmen weiterhin der Arbeitgeber zu 100% bezahlt.

  Ebenfalls analog zur Fläche kann die 40-Stunden-Woche auf freiwilliger Basis unter der Mitbestimmung des Betriebsrats vereinbart werden. Allerdings nicht für 18%, sondern lediglich für 5% der Belegschaft.

  Über weitere Punkte, wie etwa dem oben beschriebenen Programmentgelt und zu Arbeitsbedingungen für Beschäftigte im Dienstleistungsbereich gibt es lediglich Verhandlungsverpflichtungen.

Was die Bewertung des Tarifergebnisses angeht, reichen die Reaktionen der Kolleginnen und Kollegen bisher von "hätte schlimmer kommen können" bis "akzeptabel". Die Erwartungen an den Ausgang der Verhandlungen waren offensichtlich eher Befürchtungen, was aus der Erfahrung mit offenen Produktzusagen und der (Nicht)Umsetzung vieler Regelungen aus der letzten Tarifrunde herrührt. Tatsächlich aber ragen einige Punkte des Ergebnisses positiv heraus:

1. Die Umsetzung der geforderten Produktzusagen, die diesmal nicht unter dem Vorbehalt der "Wirtschaftlichkeit" stehen. Von daher geht es auch gar nicht um die Frage, ob manche der Produkte schon einmal "versprochen" waren, sondern, dass es sich diesmal um konkrete und verbindliche Produkt-, Investitions- und Auslastungszusagen handelt.

2. Die Festschreibung der Ausbildungsplatzzahlen und der Übernahme in einen Tarifvertrag, was einmalig in Deutschland ist. Hier wurde eine der Kernforderungen der Jugend in der Verhandlungskommission umgesetzt.

3. Die Einführung des Arbeitszeitkorridors führt dazu, dass auch das Unternehmen nun ein Interesse daran hat, die Standortzusagen einzuhalten, damit es den Korridor bis zu 33 Stunden nutzen kann. Aber dafür muss entsprechend Beschäftigung vorhanden sein, ansonsten kann die festgelegte Wochenarbeitszeit auch unterjährig wieder gesenkt werden. Zudem hat man nun bei einem Einbruch der Konjunktur eine Absicherung der Beschäftigung und des Entgelts auch bei einer Arbeitszeit von unter 28,8 Stunden.

Dabei wird nicht verkannt und auch von uns negativ bewertet, dass wir eine Arbeitszeitverlängerung nicht verhindern konnten, auch wenn sie immer noch unter der Arbeitszeit der Fläche liegt und zumindest ein Teillohnausgleich erzielt wurde. Die Verlängerung der Arbeitszeit wird an irgendeiner Stelle Arbeitsplätze vernichten, so viel ist klar. Ebenfalls einen bitteren Beigeschmack hat die Tatsache, dass es nach 2004-2006 nun auch in 2007 keine tabellenwirksame Entgelterhöhung für den Haustarif I bei VW gibt, sondern lediglich eine Einmalzahlung ansteht. Damit gingen zwei gewerkschaftliche Grundforderungen verloren, die nach wie vor ihre Berechtigung haben, aber nicht umgesetzt werden konnten.

Insgesamt betrachtet kann man aber durchaus von einer akzeptablen Lösung sprechen, die in ihren Einzelheiten besser und zielgerichteter umgesetzt werden muss, als es 2004 der Fall war. Aus dieser Sicht ist das Ergebnis keine Niederlage der Beschäftigten. Allerdings ist es auch kein Garant dafür, dass der Druck des Unternehmens auf seine Beschäftigten damit für immer abgewehrt ist – dafür sind die (auch kurzfristige) Profitausrichtung und die bereits genannte weltweite Verdrängungskonkurrenz einfach zu stark.

Einer der beiden Autoren hat an gleicher Stelle einmal geschrieben, dass wir gesellschaftliche Veränderungen brauchen, wenn wir wieder bessere Tarifverträge umsetzen wollen – das gilt nach wie vor! Dies heißt aber nicht, dass man auf dem betrieblichen Handlungsfeld nichts mehr tun muss, bis sich gesellschaftlich etwas geändert hat. Wir sind nicht der Auffassung, dass man die eigene Untätigkeit auch noch politisch begründen kann. Aber da das gesamtgesellschaftliche Kräfteverhältnis nicht unerhebliche Auswirkungen auf die betrieblichen Auseinandersetzungen hat, gehören sie zu einer Analyse und Bewertung dazu. Von daher ist es wichtig, dass wir als Gewerkschaften zu dem bestehenden Kurs von Kostensenkungen, Arbeitszeitverlängerungen und Personalabbau nicht nur Alternativen entwickeln, sondern darüber hinaus auch wieder für gesellschaftliche Mehrheiten werben und diese organisieren müssen. Allerdings werden wir es nicht schaffen, den Kapitalismus mit einem Tarifvertrag zu überwinden – schon gar nicht mit einem Haustarifvertrag.

Wolfgang Räschke ist 1. Bevollmächtigter der IG Metall Verwaltungsstelle Salzgitter. Björn Harmening ist VK-Leiter bei VW in Salzgitter. Beide waren Mitglieder der Verhandlungskommission.

[1] Alle Zahlen aus Broschüre "Navigator 2006, Zahlen, Daten, Fakten", Volkswagen AG
[2] Der Steuernteil von Volkswagen hat in der Zeit von 2001 bis 2005 hingegen trotz der positiven Zahlen abgenommen.
[3] Salzgitter Zeitung, 26.8.2006.
[4] Siehe Fußnote 1.

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