26. Oktober 2016 Andreas Fisahn: Überlegungen bei der Lektüre von O. Nachtweys »Abstiegsgesellschaft« und B.-C. Hans »Psychopolitik«

Ambivalenzen des Neoliberalismus

Das goldene Zeitalter diente in der Antike als Folie, bevor der Verfall oder gar die Dekadenz der jeweiligen Gegenwart diagnostiziert wurde. Die Fiktion des goldenen Zeitalters ermöglichte, den Kontrast zur schlechten Wirklichkeit scharf zu zeichnen; sie diente damit gleichzeitig als Maßstab der Kritik und als Vorschein des möglichen Besseren.

Das goldene Zeitalter

Kurz denkt man bei der Lektüre der »Abstiegsgesellschaft« von Oliver Nachtwey an dieses goldene Zeitalter: »Auf die politisch polarisierte, von Klassenkonflikten durchzogene Gesellschaft der Weimarer Republik war die nationalsozialistische Diktatur gefolgt. Nach ihrem Zusammenbruch entstand mit der Bundesrepublik Deutschland eine relativ stabile und vor allem sozial abgesicherte Demokratie. In diesem Buch wird diese Epoche soziale Moderne genannt. Ihr materielles Fundament war der ökonomische Wohlstand. In der kurzen Periode von 1950 bis 1973 betrug das jährliche Wirtschaftswachstum in West und Ost – ein Ergebnis des keynesianischen Kapitalismus – im Durchschnitt 4,8%.« (Nachtwey 2016: 17) Die soziale Moderne als goldenes Zeitalter?

Nachtwey begeht nicht den Fehler, die soziale Moderne als solche zu idealisieren – eben weil sie dann nicht mehr nur den vergangenen, sondern auch den herzustellenden Zustand beschreiben würde. Das Untergegangene als Vorschein der besseren Zukunft, als Latenz und besseres Noch-Nicht-Seiendes? Der Mythos vom goldenen Zeitalter ist hier gänzlich undialektisch.

Und leider ist auch in Teilen der gesellschaftlichen Linken das romantische stärker als das dialektische Denken ausgeprägt. Die soziale Marktwirtschaft erscheint dann plötzlich als Ideal, das wieder- oder in reiner Form erst herzustellen ist.

Andreas Fisahn ist Professor für Öffentliches Recht, insbesondere Umwelt- und Technikrecht, und Rechtstheorie an der Universität Bielefeld, er schrieb in Heft 10/2016 über »Neustart der EU?«

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