1. April 2000 Ralf Brodesser und Sabine Gröngröft

Arbeitsbedingungen in Call-Centern

Call-Center unterscheiden sich grundlegend von Telefonzentralen aus der Zeit des Fordismus: quantitativ hinsichtlich der Anzahl der Calls (Anrufe), die ein Agent (TelefonistIn) im Rahmen seiner Tätigkeit bearbeitet, qualitativ hinsichtlich der Komplexität der anfallenden Aufgaben und des Zwecks, den ein Call-Center zu erfüllen hat. Wurden im Fordismus die Anrufe entgegengenommen und an Fachabteilungen weitergeleitet, so werden diese speziellen Aufgaben jetzt direkt von den Agents erledigt.

Call-Center lassen sich unterscheiden: zum einen in interne bzw. Inhouse Call-Center (als technisch-organisatorisches Konzept innerhalb eines Unternehmens), zum anderen in externe Call-Center, verstanden als eigenständige Branche. Die wichtigsten Unternehmensgründe für externe Call-Center liegen zu 42,8% im Kundenservice, 23,5% in der Optimierung des Vertriebs, 20,7% in der Neukundengewinnung und 10,9% in der Kostensenkung. D.h., dass hier in erster Linie Tätigkeiten ausgelagert und somit Kosten reduziert werden, die während des fordistischen Klassenkompromisses von den Unternehmen selbst übernommen wurden. Durch das Outsourcing wird dieser Klassenkompromiss von den Unternehmern einseitig aufgekündigt. Es entstehen »tariffreie Zonen«.

Beschäftigungseffekte

Die Deutsche Postgewerkschaft prognostiziert einen Anstieg der Beschäftigten in Call-Centern um ca. 300% bis zum Jahr 2001 (bezogen auf 1996). Durch solche Prognosen angeregt, konkurrieren die jeweiligen deutschen Bundesländer um die Ansiedlung von Call-Centern und bieten dabei günstige Rahmenbedingungen und Fördermittel. Im Rahmen dessen wird das Verbot der Sonntagsarbeit den Anforderungen des Kapitals geopfert. Als positive Standortfaktoren werden u.a. gut ausgebildetes und mehrsprachiges Personal, niedrige Lohnkosten sowie gute Umfeldbedingungen genannt. Zu den »guten« Umfeldbedingungen zählen z.B. Universitätsstandorte, da es dort zahlreiche jobsuchende StudentInnen gibt, die die für Call-Center optimalen Eigenschaften mitbringen. Die Entlohnung variiert regional und liegt zwischen 12 und 20 DM in der Stunde. Etwa 75% aller StudentInnen sind neben ihrem Studium zur Lohnarbeit gezwungen, da die staatliche Förderungsquote im April 1999 auf den bisherigen Tiefpunkt von nur 13% gesunken ist. Weitere positive Umfeldeffekte sind regional schwache Arbeitsmärkte, da dort ebenfalls entsprechend niedrige Lohnkosten realisiert werden können.

Aus eigener Erfahrung können wir die prekären Beschäftigungsverhältnisse näher beschreiben: Die Agents bekommen i.d.R. keine festen Arbeitsverträge. Ihre Arbeitsverträge sind auf drei, sechs oder zwölf Monate befristet und werden je nach Auslastung und Auftragserwartung des Call-Centers verlängert (oder eben nicht!). Arbeitsverträge werden zudem oftmals gar nicht erst ausgehändigt, obwohl gesetzlich vorgeschrieben, da der Arbeits- und Kostenaufwand dem Unternehmen zu hoch ist. Diese Praxis der Befristung und Nichtaushändigung von Arbeitsverträgen erschwert die Durchsetzung des Mitspracherechts und die Gründung von Betriebsräten.

Bei den »positiven« Beschäftigungsprognosen bleibt außerdem die interne Verlagerung von Arbeitsplätzen unberücksichtigt: Diese internen Verlagerungen gehen einher mit »Geschäftsprozessanalysen, Prozessoptimierungen und massivem Technologieeinsatz«, so dass die positiven Prognosen relativiert werden müssen, da intern an anderer Stelle Arbeitsplätze abgebaut werden. Weiterhin müssen Prognosen solcher Art hinsichtlich der Art des Beschäftigungsverhältnisses relativiert werden: der hohe Anteil an Teilzeitkräften in prekären Beschäftigungsverhältnissen wirft ein zweifelhaftes Licht auf die Beschäftigungseffekte von Call-Centern. Der Anteil der Teilzeitkräfte ist von Branche zu Branche unterschiedlich: arbeitet der Versandhandel zu 79% mit Vollzeitkräften, so sind es im Großhandel nur 6%.

Arbeitsbedingungen

Call-Center-Arbeitsplätze sind eine moderne Form tayloristischer Arbeit. So zeichnen sich z.B. Inbound-Call-Center durch eine hohe Standardisierung der Arbeitsabläufe aus. Die Tätigkeit in dieser Call-Center-Form ist arbeitsteilig organisiert, und die Arbeitsabläufe bestehen aus kurzen monotonen Sequenzen, da der Ablauf eines Calls relativ starr vorgegeben ist. Auf der anderen Seite müssen die Agents flexibel auf ständig wechselnde GesprächteilnehmerInnen reagieren. Die Häufigkeit der Calls wird mit 20-30 pro Stunde inkl. Nacharbeit angegeben, was einer durchschnittlichen Gesprächsdauer von ca. zwei Minuten entspricht. Die schnell wechselnden Gespräche mit unterschiedlichen Menschen erfordern ein Höchstmaß an Konzentration. Gleichzeitig führen die monotonen Arbeitsabläufe zur Unterforderung der Agents.

Die Pausenzeiten werden aufgrund meist fehlender Betriebsräte und Rahmentarifverträge (bzw. der fehlenden Bindung an diese Verträge) und trotz der beschriebenen Anforderungen durch die Willkür der ArbeitgeberInnen festgesetzt. Die Bildschirmarbeitsverordnung, als Umsetzung der EG-Richtlinie von 1990, bleibt hier sehr ungenau. In § 5 BildscharbV heißt es lapidar, dass die »tägliche Arbeit an Bildschirmgeräten regelmäßig durch andere Tätigkeiten oder durch Pausen unterbrochen« und das »jeweils die Belastung durch die Arbeit am Bildschirmgerät« verringert werden soll. Hier sehen wir auf jeden Fall noch eine Notwendigkeit zur Konkretisierung der Verordnung. In der Praxis findet eine abwechslungsreiche Tätigkeit nur in den seltensten Fällen statt und auch Pausen werden keineswegs regelmäßig erlaubt. Bei Pausenregelungen und der Gestaltung der Arbeitsabläufe ist eine Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1 Pkt. 2 und § 91 BetrVG in den meisten Call-Centern so gut wie gar nicht möglich, da Betriebsratsgründungen von den Unternehmen massiv verhindert werden, wie exemplarisch und aus eigener Erfahrung das Beispiel des großen Bremer Konzertveranstalters Klaus-Peter Schulenberg (KPS) mit dem in Hamburg ansässigen Computer Ticket Service (CTS) zeigt. Der Betriebsrat der Münchner Tochter von CTS hat sich im Juni 1998 auf Druck von KPS selbst aufgelöst. Die Betriebsratsgründung in Hamburg scheiterte an ähnlichen Praktiken der Geschäftsführung.

Aufgrund fehlender Betriebsräte gibt es für die Agents auch keine Möglichkeit, ihre Mitsprache hinsichtlich Leistungs- und Verhaltenskontrollen nach § 87 Abs. 1 Pkt. 6 BetrVG wahrzunehmen. Die meist verwendete ACD-Anlage erlaubt die Auswertung u.a. von Beginn und Dauer eines Calls, Zeit zwischen Klingeln und Annahme des Calls, durchschnittliche Calldauer, Anzahl der angenommenen, der abgebrochenen oder nicht angenommenen, und der weitervermittelten Calls, der Anrufer in der Warteschlange, von Pausen-, Warte- und Nachbearbeitungszeiten sowie Zeiten, in denen sich ein Agent »freischaltet«, sprich: Pause macht. Deutlich wird an dieser umfangreichen Auflistung, dass mit Hilfe der ACD-Anlage »moderne« ArbeitgeberInnen »ihre« Beschäftigten noch genauer und effizienter kontrollieren als im Zeitalter der Fließbandarbeit. Durch das Mithören, Aufzeichnen und Auswerten von Gesprächen sowie durch Testanrufe wird der psychische Druck auf die Agents noch verstärkt. Individuelle und kollektive Maßnahmen der Arbeitszurückhaltung – als Druckmittel für Veränderungen – sind in der Praxis schwer umzusetzen, da die Agents überwiegend Teilzeitarbeitskräfte sind, die weitgehend in einem Vielschichtsystem arbeiten. Des weiteren ist es aufgrund der hohen Zahl an Teilzeitkräften für Gewerkschaften schwer, einen Fuß in die Branche zu bekommen.

Die häufigsten Beschwerden an Computerarbeitsplätzen sind: Augenbeschwerden durch ständigen Blickwechsel und durch ungünstige Beleuchtung und Spiegelungen, Kopfschmerzen durch Augenüberlastungen und/oder Verspannungen im Nackenbereich, Rückenschmerzen durch Bewegungsarmut, starke Beanspruchung des Finger-Hand-Handgelenk-Bereichs, Durchblutungsstörungen der Arme und Beine, psychische Ermüdung und Sättigung, Einschlafbeschwerden sowie Stress. Amela Isic (Uni Frankfurt) fand heraus, dass das psychische Befinden der Agents gekennzeichnet ist durch »emotionale Dissonanz«, d.h. es werden Gefühle zum Ausdruck gebracht, die mit den eigenen nicht übereinstimmen. Hierdurch kann es zu emotionaler Erschöpfung und burn out kommen, also zu Krankheitsbildern, wie man sie aus den »helfenden Berufen« kennt. Eine Arbeitsplatzanalyse nach § 3 BildscharbV findet i.d.R. in den Unternehmen nicht statt. Dadurch wäre es möglich, die Belastungen der Agents zu verringern.

Leitbilder

Die Gewerkschaften DPG, HBV und IG Medien haben Leitbilder für die Arbeit in Call-Centern sowie Strategien für die Umsetzung von Standards entwickelt. Ein wichtiges Leitbild umfasst die »Mitbestimmungsrechte und gewerkschaftliche Interessenvertretung«. Hier wurde als Ziel eine unbehinderte und unbeschränkte Betätigung von Betriebsräten und gewerkschaftlichen Interessenvertretern formuliert. Voraussetzung ist, dass Call-Center-Betreiber alle geltenden Gesetze und Vorschriften beachten (was aus unserer Erfahrung jedoch nicht der Fall ist), Einleitung und Durchführung von Betriebsratswahlen nicht be- und verhindern, und ferner, dass den Agents keine Nachteile aus ihrer Aktivität entstehen. Das zweite Leitbild bezieht sich auf »qualitative Maßnahmen statt quantitative Messzahlen«. Hierbei ist die Beachtung des Persönlichkeitsrechts des Agents ein wesentlicher Punkt: ein Call-Monitoring sollte nur nach vorher vereinbarten Bedingungen stattfinden und ein offener Umgang mit Leistungsreports soll eine unkontrollierte Leistungs- und Verhaltenskontrolle verhindern.

Das dritte Leitbild »die Entgelte berücksichtigen alle Fähigkeiten und Kenntnisse« strebt kollektive Regelungen durch Tarifverträge an. Die Gewerkschaft HBV hat hierzu ein Diskussionspapier für tarifliche Gestaltung der Vergütung in Call-Centern des Versandhandels erstellt mit sechs Gehaltsgruppen (ohne Nennung konkreter Zahlen). Die Zuordnung zur jeweiligen Gruppe basiert auf den Faktoren Qualifikation, Verantwortung, soziale Kompetenz und Belastung. Diese Diskussionsbasis gilt es durch konkrete Aktionen seitens der Gewerkschaften und der Agents mit Inhalt zu füllen. Interne Call-Center reagieren auf Tarifbestrebungen oftmals mit Auslagerungen (Outsourcing) ganzer Abteilungen an externe Call-Center. Externe Call-Center hingegen drohen mit Standortverlagerungen in Bundesländer mit »besseren« Standortbedingungen und verweigern sich so Tarifverhandlungen. Die hohe Arbeitslosenquote in Deutschland macht auch hier Politiker und Gewerkschafter durch die Kapitalseite erpressbar.

Landesregierungen und Wirtschaftsfördergesellschaften haben in vielen Bundesländern Call-Center-Netzwerke gegründet. Bisher ist jedoch nur in Niedersachsen die Gewerkschaft an einem solchen Netzwerk beteiligt. Hier sind unserer Meinung nach zum einen die Gewerkschaftsmitglieder angehalten, mehr Druck auf die Gewerkschaften auszuüben, sich stärker an Netzwerken zu beteiligen. Zum anderen sind aber auch und gerade die Gewerkschaften selbst aufgefordert, sich durch spezialisierte Gewerkschaftsfunktionäre stärker im Bereich der Call-Center zu engagieren. Eine starke Mobilisierung und Unterstützung von Agents gegen die bisherigen Praktiken der ArbeitgeberInnen erfordert – gerade in dieser Branche, in der Gewerkschaften bisher schlecht bzw. gar nicht vertreten sind – Anstrengungen, die über das übliche Maß an gewerkschaftlicher Unterstützung, wie man sie aus den »alten« Branchen kennt, hinausgehen.

Ralf Brodesser ist Diplom-Sozialwirt, z.Zt. im postgraduierten Studium der Sozialökonomie, und Call-Center-Agent.
Sabine Gröngröft ist Studentin der Soziologie und ehemalige Call-Center-Agentin.

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