1. Februar 2009 Christina Ujma

Big Bang zur Wiedergeburt der italienischen Linken

Die Entscheidung ist schließlich mit großem Getöse gefallen, die italienische Linkspartei Rifondazione Communista spaltet sich, die Gruppe Rifondazione per la Sinistra unter Führung von Franco Giordano und Nichi Vendola hat sich endlich dazu durchringen können, die Partei zu verlassen und sich der neuen pluralistischen Linkspartei anzuschließen. Am Ende sah es so aus, als hätten weite Teile des Parteivolkes keine Lust mehr gehabt, darauf zu warten, dass sich ihre Häuptlinge Vendola/Giordano und Ferrero irgendwie einigen.

Die neue Linkspartei, die auf Initiative zahlreicher Intellektueller, Aktivisten der neuen wie der alten sozialen Bewegungen sowie der Sinistra Democratica und ihres umtriebigen Vorsitzenden Fava zustande gekommen ist, hat auf ihrem Gründungskongress am 13. Dezember 2008 eine überzeugende Vorstellung gegeben. Es wurde deutlich, dass nach der quälenden Hängepartie, die dem Rifondazione-Parteitag im Juli 2008 folgte, viele Linksaktivisten keine Lust mehr hatten, darauf zu warten, wann und ob Vendola und sein Parteiflügel sich für eine Linkspartei entscheiden, sondern sich gleich der Initiative für die Sinistra und ihren vielen neu entstandenen regionalen Gruppen anschlossen.

Vendola und sein Parteiflügel hätten dagegen gerne versucht, auf dem kommenden Rifondazione-Parteitag im Juli 2009 den Fundamentalisten um Ferrero die Mehrheit zu entreißen und dann die gesamte Partei zum Zentrum einer neuen Linkspartei zu machen. Aber ihnen liefen am Ende die Leute weg, die Mehrheit wäre wohl nicht zurückzuholen gewesen. Zu stark war die Abneigung vieler aktiver Linker gegen den identitätspolitischen Kurs von Rifondazione-Parteichef Ferrero, dem die klare kommunistische Linie und das Bekenntnis zu Hammer und Sichel wichtiger sind als eine aktive Oppositionspolitik.

Dabei hat es im Vorfeld ernstgemeinte Rettungsversuche gegeben, u.a. vom langjährigen Rifondazione-Vorsitzenden Fausto Bertinotti, der 14 Jahre lang die Geschicke der Partei maßgeblich bestimmt hat. Unter seiner Ägide konnte die Partei lange beeindruckende Wahlergebnisse einfahren, obwohl es zahlreiche Linksabspaltungen von Rifondazione gab.

In der aktuellen Debatte steht er aber vor allem für das Scheitern des Linksbündnisses Arcobaleno bei den letzten Parlamentswahlen, von dem sich bislang keine der linken Parteien erholt hat, weshalb eine Neuauflage von diesen abgelehnt wurde. Diese Angst vorm Scheitern ist vielleicht psychologisch nachvollziehbar, aber der eingeschlagene Kurs hätte bedeutet, dass bei der bevorstehenden Europawahl mindestens fünf verschiedene linke Listen kandidiert hätten und garantiert alle an der 4%-Hürde gescheitert wären. Bertinottis Vorstoß für ein linkes Wahlkartell, das weniger ein echtes Bündnis als eine taktische Zusammenarbeit zwecks Überwindung der 4%-Klausel beinhaltete, wurde von den linken Parteien abgelehnt, sodass die Gründung einer pluralistischen Linkspartei als einziger Weg zum möglichen parlamentarischen Überleben übrigblieb.

Der Bruch mit Ferrero und Rifondazione

Eigentlich ist die Spaltung Rifondaziones nur die offizielle Anerkennung der Tatsache, dass die beiden Flügel schon lange getrennte Wege gehen und ein Zusammentreffen bei linken Demonstrationen und anderen Veranstaltungen nach Möglichkeit vermeiden. Die Botschaft der Spaltung überbrachte schließlich der ehemalige Generalsekretär Franco Giordano, ein alter PCI-Mann und Rifondazione-Aktivist der ersten Stunde. Er erklärte für seine Strömung Rifondazione per la Sinistra: "Die Bedingungen für unseren Verbleib in der Rifondazione sind nicht mehr gegeben.... Ferrero führt die Partei in den Abgrund... Er verwirft jegliche Erneuerung, die in den letzten Jahren versucht wurde. Die Rifondazione ist heute eine Partei, die Nostalgie nach der Berliner Mauer verspürt."

Mit Stalinismusvorwürfen wurde auf Seiten des Sinistraflügels von Rifondazione nicht gespart. Aus den Kommentaren Vendolas lässt sich erkennen, dass der Anführer von Rifondazione per la Sinistra diesen Schritt nicht nur mitträgt, sondern für überfällig hält. Recht unsentimental sagt er: Basta mit Rifondazione, rifondare la Sinistra. Während Vendola von rifondare (wiederbegründen) spricht, wählt Bertinotti, dessen Abschiedsworte etwas gequälter klingen, die pathetische Formulierung von der Rinascita, der Wiedergeburt, für die es aber den Big Bang, den großen Knall des Auseinanderbrechens der bestehenden Formationen und besonders von Rifondazione brauche, die unter Ferrero politikunfähig geworden sei.

Die Gegenseite um Ferrero revanchierte sich mit dem Vorwurf, Vendola und Giordano würden die letzte wichtige kommunistische Partei Westeuropas zerstören. Von einer Konzentration aufs parlamentarische Überleben hält Ferrero nichts, er sagte: "Die Partei muss ihre Vertreter in die Fabriken schicken." Mit dem Karrierestreben müsse Schluss sein, "die Erfahrung mit der Regierung Prodi hat uns nichts gebracht, jetzt müssen wir uns aufraffen und den Kontakt zur Arbeiterklasse neu herstellen, der in den letzten Jahren verlorengegangen ist. Die Rifondazione muss ihre kommunistische Identität wieder finden, will sie neuerlich in Italien zählen".

Ob es am Pressesekretär liegt oder ob Ferrero nichts zu den Ereignissen einfällt, diese Presseerklärung hat er schon bei vorhergehenden Krisen in ungefähr gleichem Wortlaut abgegeben, was auch darauf schließen lässt, dass es nicht nur an Ideen, sondern auch an Freiwilligen für den Fabrikeinsatz fehlt.

Säuberung und Zensur?

Im Streit um die Liberazione, der Parteizeitung von Rifondazione, wurde der Stalinismusvorwurf gegen Ferrero vehement und durchaus zu Recht vorgebracht. Die eher biedere Parteipostille Liberazione hatte sich seit der faktischen Spaltung Rifondaziones im Juli 2008 bemüht, beide Strömungen angemessen zu Wort kommen zu lassen; der brachiale Versuch, Liberazione nun vollends auf Ferrero-Kurs zu bringen und den allseits geschätzten Chefredakteur Sansonetti einfach zu feuern, hat viel Prestige in der Öffentlichkeit gekostet und zum Austrittsbeschluss des Vendola/Giordano-Flügels beigetragen.

Die Peinlichkeiten für den immer betont proletarisch auftretenden Rifondazione-Chef Ferrero wollten kein Ende nehmen, denn die Redaktion trat aufgrund der Gängelungsmaßnahmen in den Streik, die Gewerkschaft mischte sich ein und versuchte zu vermitteln, nur um von Ferrero brüsk abgewiesen zu werden. Der versuchte sich das Problem endgültig vom Leib zu schaffen, indem er einfach die Einstellung des Blattes verfügte und seinen Journalisten, die Liberazione gern in Eigenregie weitergeführt hätten, das Gespräch verweigerte.

Nach öffentlichen Protesten ruderte Ferrero zwar zurück, Liberazione wird vorläufig nicht eingestellt und der neue Chefredakteur Dino Greco bestreitet entschieden, Politkommissar des Vorsitzenden zu sein, aber da er kaum journalistische Erfahrung vorweisen kann, fragt man sich, warum er den Job sonst erhalten hat.

Der Streit um Liberazione hätte noch größere Ausmaße angenommen, wenn sich die Öffentlichkeit noch für die linken Auseinandersetzungen interessieren würde, aber selbst die progressiven Kreise sind des Dauerstreites müde. Da es mit Il Manifesto eine niveauvolle und unabhängige linke Tageszeitung gibt, die zwar auch ums Überleben kämpft, lässt das Schicksal von der chronisch defizitären Liberazione die meisten ziemlich kalt, zumal die italienischen Bewegungen und Linke sehr aktiv im Protest gegen den Gaza-Feldzug Israels sind, der trotz Weihnachtsferien und klirrender Kälte zehntausende Protestierende auf die Straßen und Piazzas brachte.

Aufbruch zur neuen Linken

Am 18.1.2009 hat die neue Sinistra, die sich bislang noch bescheiden Associassione per la Sinistra nennt, ihren im Dezember begonnenen Parteibildungsprozess mit Entwürfen für Statuten und Kurzprogramm fortgesetzt. Am Anfang der programmatischen Erklärung steht ein Bekenntnis zu Demokratie, Pluralismus und Laiizismus, der sich klar gegen den starken Einfluss der katholischen Kirche positioniert. Ein Bekenntnis zur Arbeiterbewegung, zu ArbeitnehmerInnenrechten, guter Arbeit und guten Arbeitsbedingungen steht im Zentrum des Programms. Einen wichtigen Stellenwert haben auch Frauenrechte, die Gleichstellung ethnischer und sexueller Minderheiten, verbunden mit einem klaren Votum für eine Antidiskriminierungspolitik. Auch der ökologischen Frage wie der Friedenspolitik wird ein hoher Stellenwert eingeräumt, wie auch der klaren Forderung nach einem leistungsfähigen Staat, dem es gelingt, BürgerInnenrechte, Gesundheits- und Bildungswesen effektiv zu organisieren.

Dieser Grundsatzkatalog fasst die Forderungen der verschiedenen Gründungsmitglieder zusammen, die einerseits den Grünen und den Linksparteien Communisti Italiani, Sinistra Democratica und Rifondazione entstammen, andererseits aber auch den alten wie den neuen sozialen Bewegungen. Auf einem großen Kongress vom 20.-22. Februar 2009 soll der Parteibildungsprozess unter Einschluss des Vendola-Flügels von Rifondazione per la Sinistra fortgesetzt werden.

Bis dahin stehen Rifondazione per la Sinistra jedoch einige Gefühlswallungen bevor. Vendolas Entschluss hat relativ viel Aufregung hervorgerufen, denn eine Partei hat neben den praktisch-politischen Dimensionen auch immer die Funktion einer weltanschaulichen Heimat und als solche ist sie vielen Aktivisten und Funktionären lieb und teuer. Die Zeitungen sind jedenfalls voll von Bekenntnisschreiben von AktivistInnen, die erklären, warum sie Rifondazione verlassen bzw. bleiben.

Paradoxerweise gibt es gerade in Regionen, in denen der Vendola-Flügel die Mehrheit hat, deutlich artikulierte Widerstände gegen die Abspaltung. Nach dem Parteitag von Chianciano im Juli 2008 haben es sich viele Genossen in der faktischen Spaltung recht bequem gemacht; dort wo der Vendola-Flügel die Mehrheit hat, gibt es funktionierende Linksbündnisse, für die diverse Rifondazione-Mitglieder in Regional- und Lokalparlamenten sitzen und in vielen Funktionen in Regionen, Städten und Gemeinden Regierungsverantwortung tragen. Gerade diese Teile von Rifondazione sind teilweise unwillig, sich auf die neue Linkspartei einzulassen. Auch die von Vendola propagierte Doppelmitgliedschaft in Rifondazione und Linkspartei kann die Unruhe und die Sorge der Betroffenen einerseits um Positionen und Einfluss, andererseits um das Zerbrechen der Bündnisse nicht wirklich zerstreuen, denn wenn die Vendola-Anhänger Rifon­dazione verlassen, kippt gleichzeitig die Mehrheit für die Bündnisse.

Linke Gedankenspiele in der PD

Die Spaltung von Rifondazione und Bertinottis Rede über den Big Bang zur Wiedergeburt der Linken haben nicht nur bei den linken Linken Reflexionen und Gedankenspiele in Gang gesetzt. Auch in Veltronis PD denkt man nicht nur über neue Bündnisse mit der Linken nach, der linke Flügel hätte gerne eine Art sozialistische bzw. sozialdemokratische Neugründung. Dass die Demokratische Partei aus sozialdemokratischer DS und linkschristdemokratischer Margherita nicht funktioniert, wird mittlerweile nicht nur in linken Zeitungen offen benannt. Die Ex-DSler sind ziemlich frustriert, dass sie sich mit den ehemaligen Christdemokraten auch deren altes Laster, die Korruption, in ihre vordem relativ integeren Reihen geholt haben und gegenwärtig von einer ganzen Lawine von regionalen und lokalen Korruptionsskandalen überrollt werden. Was noch mehr schmerzt, ist die Tatsache, dass die erhoffte Verbreiterung des WählerInnenspektrums nicht eingetreten ist, ganz im Gegenteil: Die PD kommt auf deutlich weniger Stimmen, als beide Parteien vordem zusammen aufbieten konnten. Zudem können die Ex-PCI- bzw. DS-Politiker wenig mit den neuen Parteifreunden vom ehemaligen christdemokratischen Klassenfeind anfangen. Da stehen ihnen die führenden Politiker der Sinistra, von denen viele aus dem PCI bzw. dessen Nachfolgeparteien stammen, deutlich näher.

Vendola und Giordano waren führende Funktionäre der PCI-Jugendorganisation FGCI, deren langjähriger Vorsitzender Massimo D’Alema war. Der umstrittene Rifondazione-Vorsitzende Ferrero kommt dagegen aus der protestantischen Jugendbewegung und der Democrazia Proletaria (DP), einer Sammelpartei linker Splittergruppen, unter denen Lotta Continua die bekannteste war. Diese unterschiedlichen politischen Herkunftskulturen sind sicher nicht ohne Einfluss bei den aktuellen Streitigkeiten auf der Linken. Bei allem Bekenntnis zu Pluralismus und Offenheit scheint sich in der neuen Sinistra doch am stärksten das arbeiterbewegte, aber gleichzeitig auch an den Bewegungen der Zivilgesellschaft orientierte eurokommunistische bzw. sozialdemokratisch-reformistische Politikverständnis des alten PCI wiederzufinden, ein Eindruck, der auch durch prominente Aktivsten mit PCI-Hintergrund wie Katia Bellillo, Pasqualina Napoletano, Roberto Musacchio, Fabio Mussi und Achille Occhetto verstärkt wird.

Diese Zusammenballung ehemaliger Eurokommunisten aus den verschiedensten Parteien könnte eine neue linke Gemengelage anzeigen, die vor allem darin besteht, dass die Gemeinsamkeiten post-eurokommunistischer und trotzkistischer Linken aufgebraucht sind bzw. dass die Möglichkeit, die Differenzen zwischen beiden Strömungen zu überbrücken, wie sie noch in der Ära Bertinotti vorhanden war, nicht mehr besteht.

Es könnte andererseits gerade angesichts der neuen Weltwirtschaftskrise auch ein Zeichen neugewonnenen linken Selbstbewusstseins bedeuten, dass man sich nicht mehr auf vorgebliche linke Wahrheiten und Fundamentalkritik zurückziehen mag, sondern relativ offensiv versucht, einen reformistischen Minimalkonsens zu formulieren.

Linke Sehnsüchte

Einen reformistischen Minimalkonsens hätten auch der sozialdemokratische Flügel der PD und die Gewerkschaft CGIL gern. Hier sehnt man sich insgeheim sehr nach einer funktionierenden Linkspartei, denn man hat keine Lust mehr auf die isolierte Linksaußenposition, die das parlamentarische Ausscheiden der Linksparteien und deren seit Monaten andauernde politisch-inhaltliche Lähmung hervorgerufen hat.

Gelegentlich scheint es allerdings, als ob Massimo D’Alema nach Jahren der staatstragenden und staatsmännischen Politik Spaß an der neuen Außenseiterrolle hätte und sich große Mühe gibt, zur öffentlichen Galionsfigur einer kritischen Linken zu werden und damit in Bertinottis Fußstapfen zu treten. Seit kurzem profiliert er sich nicht nur als Veltronis linker Gegenpart, sondern in außenpolitischen Fragen auch als eigentliche Stimme der linken Opposition. Als sich kürzlich, während Israels Gaza-Offensive, die italienischen Piazzas mit Friedensdemonstranten füllten, mahnte D’Alema nachdrücklich eine kritische Position seiner eigenen Partei an. Er nervte die Parteiführung so lange, bis diese die alten Beschlüsse zur Palästinafrage rauskramte und sich aufraffte, der Öffentlichkeit zu erklären, dass sie Israels Vorgehen nicht wirklich billige.

Danach attackierte D’Alema die Regierung und forderte sie auf, ihre traditionell gute Beziehung zu den arabischen Staaten zu nutzen, um einen Dissens zu dem wohlwollenden Schweigen der Amerikaner zu markieren, denn so D’Alema: Israels Gaza-Offensive sei kein Krieg, sondern ein Massaker. Woraufhin ihn nicht nur Berlusconi-Medien mit Vorwürfen bombardierten und als gefährlichen Linksaußen und Terroristenfreund – als Massimo Hamas D’Alema – darstellten, was er mit Schlagfertigkeit, Argumentationsvermögen und Standfestigkeit konterte. Als er daraufhin den Spieß umkehrte und der Mehrheit der italienischen Zeitungsredaktionen plumpe Propaganda und TV-Nachrichtensendungen das Verlesen der Pressemitteilungen der italienischen Regierung vorwarf, vergab ihm Il Manifesto sogar beinah sein Eintreten für die bewaffnete Intervention im Kosovo-Konflikt.

Spaltung für die Einheit

Ob das neugewonnene linke Selbstbewusstsein nur eine vorübergehende Stimmung ist oder ob sich tatsächlich eine weitergehende linke Neuformierung anbahnt, bleibt abzuwarten. Die Zeichen stehen jedenfalls günstig. Bei den letzten Wahlumfragen haben die Demoskopen bereits nach der Sinistra gefragt und immerhin 6% der WählerInnen haben sich für diese ausgesprochen, was angesichts der bislang rein virtuellen Existenz dieser Partei als bemerkenswert gilt und als weiteres Misstrauensvotum für Veltronis PD ausgelegt wird, die nur magere 25% Zustimmung erhielt.

Auf dem Spaltungskongress von Rifondazione per la Sinistra in Chianciano Terme am 24. und 25.1.2009 ging es entgegen aller Erwartungen weder dramatisch noch bitter zu. Hier fand im Juli 2008 der krawallige Rifondazione-Parteitag statt, auf welchem Vendola dem Hardliner Ferrero knapp unterlag. Diesmal wurde der Kurort zur Kulisse eines beinah fröhlich zu nennenden Neuanfangs. Die harten Worte überließ Vendola Ex-Parteichef Franco Giordano und dem Ex-Fraktionsvorsitzenden Gennaro Migliore. Er selbst profilierte sich vor allem inhaltlich und gab sich Rifondazione gegenüber versöhnlich, schließlich hatte er die Partei vor fast 20 Jahren selbst mitbegründet.

Vendolas wichtigster Beitrag war eine formidable Rede, wie man sie lange nicht mehr von einem führenden italienischen oder europäischen Linkspolitiker gehört hat. Er begründete den Entschluss zur Abspaltung als paradoxe Spaltung für die Einheit der Linken: Denn eine funktionierende und handlungsfähige Linkspartei brauche Italien gerade angesichts der wirtschaftlichen Krise. Unabdingbar sei es auch, die Protestbewegungen der Gewerkschaft CGIL und der Schüler- und Studentenbewegung angemessen zu unterstützen und den teilweise abgerissenen Diskussionsfaden schleunigst zu flicken.

Mit Gramsci, Togliatti und Berlinguer für die Linkspartei

Offenheit, Neugier, lebendige Diskussion und Interesse an gesellschaftlichen Wandlungen hält Vendola für unabdingbar. Rifondazione sei dagegen zum Geisterhaus geworden, in dem auf eine sich dynamisch wandelnde Realität mit einem liturgisch anmutenden Herunterbeten von linken Floskeln und vermeintlichen Wahrheiten reagiert werde. In diesem Zusammenhang erinnert er an Gramscis Kampf gegen den scholastisch verhärteten Materialismus, der das linke Denken am Anfang des 20. Jahrhunderts prägte. Gramsci, der in seinen Gefängnistagebüchern bei der Analyse, warum die Revolution im Westen nicht erfolgreich war, vor keinem Dogma des damaligen Marxismus-Leninismus haltmachte, wird als vorbildlich dargestellt. Ohne daraus eine billige Parallele zur gegenwärtigen Situation von Rifondazione zu konstruieren, porträtiert Vendola Gramscis Realitätsbezug, seine Fähigkeit zur Selbstkritik wie zum Selbstdenken, als theoretisches Leitbild. Auch Togliattis Konstruktion des PCI als Massenpartei neuen Typs, mit ihrem Bekenntnis zu Pluralismus, klassenübergreifender Einigkeit und Demokratie gehört in diese Ahnenreihe; nicht zuletzt wegen dessen eurokommunistischer Distanz zu Moskau und der damaligen Aufgeschlossenheit gegenüber den intellektuellen und künstlerischen Avantgarden. Diesbezüglich kann Berlinguer zwar kaum mithalten, gilt wegen seiner Distanz zum totalitären Kommunismus Moskauer Prägung trotzdem als wichtig.

Vendola nimmt den auf dem Müll der Geschichte liegenden Mantel des westlichen Marxismus italienischer Prägung auf und macht daraus das Gewand der neuen Linken. Dies wird auch in seiner außerordentlich dichten und differenzierten Analyse der politischen Landschaft Italiens deutlich. Was die Themen linker Politik betrifft, so stellt er die soziale Frage in den Mittelpunkt, ohne die anderen Themen, wie die Gleichstellung der Frauen sowie der ethnischen und sexuellen Minderheiten, unter- oder überzuordnen. Das kräftige Bekenntnis zu einer linken Politik, die sowohl der Freiheit wie der Gleichheit, d.h. dem Kampf gegen Diskriminierung, verpflichtet ist, unterscheidet ihn sicherlich von vielen anderen Linkspolitikern in Europa.

Vendolas Vorstellung hat die italienische Öffentlichkeit durchaus beeindruckt, das wird auch an den Reaktionen der anderen Linken deutlich. Rifondazione-Chef Ferrero beschuldigte ihn der Rechtsabweichung, verständlich, denn seine Partei wird es in Zukunft schwer haben, den Unterschied zu den vier anderen trotzkistischen bzw. maoistischen Parteien, die allesamt mit Hammer und Sichel antreten, deutlich zu machen. Die PD mit ihrer konturlosen Mitte-Links-Politik ist mindestens ebenso beunruhigt. Ihr Chef Veltroni denkt schon laut darüber nach, zusammen mit Berlusconi das Wahlgesetz zu ändern, um die linke Konkurrenz endgültig auszuschalten. Ob dieses Unterfangen Erfolg haben wird, und ob die Dynamik anhält, die die Gründung der Sinistra bislang entfaltet hat, werden die nächsten Wochen zeigen. Ein vielversprechender Anfang ist am 24. und 25. Januar in Chianciano Terme jedenfalls gemacht worden.

Christina Ujma arbeitet als Wissenschaftlerin und Autorin in Berlin. Sie schreibt in Sozialismus regelmäßig über Italien. Zuletzt erschien von ihr in Sozialismus 1/2009: Wetterfest und sturmerprobt – Die italienischen sozialen Bewegungen streiten gegen Berlusconi, die Linksparteien untereinander.

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