1. Mai 2006 Claudia Haydt

Bombendrohungen aus dem Glashaus

Es steht viel auf dem Spiel beim Iran-Uran-Konflikt. Es geht dabei, wie Claudia Haydt zeigt, nicht nur um die "zivile" oder militärische Nutzung von Atomtechnologie, nein, der Konflikt ist hoch angereichert.

Globale und regionale Machtpolitik spielen ebenso eine Rolle wie Sicherheitsfragen, die je nach Akteur verschieden definiert werden. Die immer dringlicher werdende Frage der Energiesicherheit trägt zur Konfliktkonstellation genauso bei wie die Problematik der Verbreitung von Massenvernichtungswaffen (Proliferation). Es geht um Wirtschaftspolitik, Währungsstabilität und Forschungspolitik und nicht zuletzt um persönlich-politische Ambitionen. Vor allem aber dreht sich der Konflikt um die Durchsetzung westlicher Ordnungsvorstellungen, die ohne Rücksicht auf geltendes Recht eine hierarchische Weltordnung zementieren sollen.

EU-3: Erpressen statt verhandeln

Der Iran-Konflikt eskaliert im Kontext einer globalen Renaissance der "zivilen" Atomenergie und des Wiederauflebens nuklearer Optionen in den Kriegsplänen der westlichen Welt. Die Höhe des Haushaltsansatzes für Atomforschung der EU wurde auf 3,1 Milliarden Euro verdoppelt. Die Entwicklung von "Mininukes" als Bunkerbuster in den USA oder in Frankreich sind hier genauso zu nennen wie die zugehörigen staatlichen Strategiepapiere: die Nuclear Posture Review aus Washington oder das European Defence Paper. Neben den dort mehr oder weniger ausführlich erwogenen Einsätzen atomarer Waffen stehen die offen angedrohten Nuklearschläge seitens zahlreicher US-Politiker, aber auch Jacques Chiracs atomare Muskelspiele, die von der deutschen Kanzlerin Merkel verständnisvoll verteidigt wurden.

Einer der wesentlichen Unterschiede zum Irak-Countdown ist die neue Rolle der EU, konkret der drei Hauptakteure, Deutschland, Frankreich und Großbritannien (EU-3). Durch ihre so genannten Vermittlungsversuche im letzten Jahr haben sie maßgeblich zur Eskalation des Konfliktes beigetragen. Sie sind mit einem "großzügigen" Angebot in die Verhandlungen mit iranischen Vertretern gezogen, das faktisch eine bedingungslose Unterwerfung unter europäischen Goodwill bedeutet hätte. Der Iran hätte nicht nur für alle Zeit auf Anreicherung verzichten müssen, sondern auf nahezu alle nuklearen Aktivitäten, mit Ausnahme des reinen Betreibens von Leichtwasserreaktoren. Was im Gegenzug angeboten wurde, war eine "Sicherheitsgarantie", die die realen Bedrohungen Irans nicht berücksichtigt. Die EU-3 versprachen lediglich, den Iran nicht mit französischen und/oder britischen Atomwaffen anzugreifen – eine Nichtangriffsgarantie mit konventionellen Waffen wurde nicht gegeben. Vor allem gab es keine Garantien gegen einen Einsatz US-amerikanischer oder israelischer (Atom-)Waffen, was aufgrund der regionalen Machtverhältnisse die wahrscheinlichere Bedrohung ist. Die Versprechungen, denen zufolge der Iran mit atomarer Technologie und vor allem Brennelementen versorgt werden sollte, waren so vage, dass sie kaum als ernsthaftes Angebot interpretiert werden konnten. Zudem ist der Zugang zu Atomtechnologie entsprechend des Nicht-Verbreitungs-Vertrags von Kernwaffen (NVV, u.a. Artikel IV) verbrieftes Recht jedes Mitgliedsstaates. Verhandlungen sind abhängig von der Glaubwürdigkeit der Partner. Sowohl Frankreich als auch Großbritannien besitzen Atomwaffen und haben diese Arsenale trotz entsprechender Vorgaben im NVV (Artikel VI und Präambel) bis heute nicht abgerüstet. Im Gegenteil fand durch neue Generationen von Atomwaffen und Trägersystemen faktisch eine "vertikale Proliferation" statt - ein Verstoß gegen den NVV.

Deutschland betreibt im industriellen Maßstab Uran-Anreicherung, also genau das, was dem Iran verweigert werden soll. Die Anlage des deutsch-britisch-niederländischen URENCO-Konsortiums in Gronau an der deutsch-niederländischen Grenze wurde sogar jüngst ausgebaut, und eine weitere Expansion ist geplant. Das alles findet statt trotz vorgeblichem Atomausstieg. In der Anlage ließe sich genauso einfach wie im iranischen Natanz durch eine Erhöhung der Anreicherungsdurchläufe waffenfähiges Uran produzieren. Im Forschungsreaktor in Garching wird mit hochangereichertem waffenfähigem Uran gearbeitet. Die EU-3 sind als Prediger atomarer Abstinenz nicht überzeugend, als Garanten für zuverlässige Brennstofflieferungen leider auch nicht. Bereits 1974 hatte sich der Iran mit 1 Mrd. $ in das französische Anreicherungskonsortium EURODIF eingekauft und bis heute weder ein Gramm angereichertes Uran erhalten noch die Investitionen erstattet bekommen. In einem Interview erklärte der iranische Verhandlungsführer Ali Larijani: "Der Baustopp des Bushehr Reaktors durch Siemens aus Deutschland, die Weigerung der französischen EURODIF, Uran zu liefern, und die Unterlassung der Vereinigten Staaten, ihre Verpflichtungen einzuhalten, Uran für den Teheraner Forschungsreaktor zu liefern ..., dies sind einige der Gründe, die unser Misstrauen dem Westen gegenüber verursacht und uns ermutigt haben, unser eigenes friedliches Nuklearprogramm zu vervollständigen."[1] Diese Argumentation trifft auf breite Zustimmung innerhalb der iranischen Bevölkerung, was in den zahlreichen und weitgehend unzensierten iranischen Weblogs gut nachvollzogen werden kann. Gerade weil Atomenergie ein fataler Irrweg ist, sollten die Gegenargumente seriös auf das im Folgenden erläuterte iranische Energiedilemma eingehen.

Das iranische Energieproblem

In einer technischen Entwicklung des Landes sehen viele Menschen im Iran die Chance, die momentane ökonomische Krise zu überwinden und an "alte Größe" anzuknüpfen. Fatalerweise verknüpfen viele die High-Tech-Euphorie mit der Entwicklung der "Spitzentechnologie" Atomtechnik; ein Irrtum, der leider nicht nur im Iran zu finden ist, dem allerdings auch ein reales Problem zugrunde liegt. Fast die gesamte iranische Gasproduktion sowie 3/8 des geförderten Öls wird im Land selbst verbraucht, täglich werden 1,4 Million Barrel Öl im Land verbraucht und 2,5 Millionen Barrel exportiert.[2] Bei stark wachsender Bevölkerungszahl ist in Zukunft mit einer steigenden Energienachfrage zu rechnen, während zugleich möglichst viele Rohstoffe exportiert werden sollen, um Devisen einzubringen. Der eigene Energiebedarf soll deswegen zukünftig möglichst weitgehend mit AKWs abgedeckt werden.

Der erste kommerzielle Reaktor soll in diesem Jahr in Bushehr ans Netz gehen, Milliardenverträge über den Bau weiterer Kraftwerke sind mit den russischen Partnern bereits vereinbart. Ohne gesicherten Zugang zu angereichertem Uran wären die geplanten AKWs im Krisenfall nicht in der Lage, die benötigte Energie zu produzieren. Um Erpressbarkeit und Abhängigkeit von anderen Staaten möglichst gar nicht entstehen zu lassen, sollen die Brennelemente in Natanz hergestellt werden.

Atomenergie ist kein Zukunftsmodell, weder ökologisch noch ökonomisch. Doch alle guten Argumente werden durch das Agieren der westlichen Staaten diskreditiert. Zum Jahrestag der islamischen Revolution im Iran erklärte Ahmadinejad am 12. Februar 2006: "Sie sagen uns, ihr braucht keine Atomenergie. Und wir sagen ihnen, wenn die Atomenergie schlecht ist, stellt sich die Frage, warum ihr sie für euch verwendet. Euer Ziel ist, dass Iran rückständig bleibt."[3] Ohne globale Initiativen für alternative Energiequellen, eine westliche Führungsrolle beim Ausstieg aus der Atomenergie und der Senkung des Energieverbrauchs wird das Problem nicht zu lösen sein, da es eben kein iranisches, sondern ein globales ist. Wenn nur eine iranische Sonderlösung erzwungen wird, dann liegt der Verdacht nahe, dass es um vorgeschobene Argumente geht, hinter denen sich geopolitische und ökonomische Interessen verbergen, konkret der Zugang zu Rohstoffen und auch die Form ihrer Vermarktung.

Öl und Währung

Schon im iranischen Entwicklungsplan 2000-2005 wurde angekündigt, zukünftig Öl und Gas nicht mehr nur über Dollar abrechnen zu wollen, sondern auch über Euro, und zu diesem Zweck einen eigenen Handelsplatz, die Iranian Oil Bourse (IOB), einzurichten. Die IOB sollte am 20. März 2006 die Pforten in der Freihandelszone Kish öffnen und allen interessierten Käufern und Verkäufern offen stehen. China und Indien haben Interesse bekundet, dort zukünftig Öl einzukaufen. Potenzielle Verkäufer wären etwa Venezuela oder auch Russland. Obwohl der geplante Termin für die Eröffnung der Börse zwischenzeitlich ereignislos verstrichen ist, gehen doch viele Beobachter davon aus, dass mit der Eröffnung der IOB in den nächsten Monaten zu rechnen ist. Zu den Beratern gehörte auch Chris Cook, der ehemalige Direktor der International Petroleum Exchange (IPE) in London. Die IPE ist neben dem New Yorker NYMEX bis jetzt der wesentliche Handelsplatz für Öl und Gas und beide basieren auf dem Dollar. Einige Experten sehen in Konkurrenz eines "Petroeuros" zum Petrodollar eine Gefährdung für den Dollar als Weltleitwährung und hierin wiederum die Hauptmotivation für die US-amerikanischen Kriegspläne gegen Teheran.[4]

Nachdem das Leistungsbilanzdefizit der USA 2005 auf über 800 Mrd. Dollar gestiegen ist, stellt sich die drängende Frage, wie lange dies noch durch ausländische Investitionen, Anleihen oder Aktienkäufe aufgefangen wird. Der Streit darüber, wie sich die IOB längerfristig auf das Währungsgefüge auswirken könnte, scheint gerade erst zu beginnen. In einem internationalen Finanzmarkt, in dem "Stimmungen" auf der Börse manchmal wichtiger sind als reale Wirtschaftsdaten, kann die IOB allein als Signal bereits Wirkung entfalten, und nach Einschätzung von Wirtschaftsexperten ist "die Finanzierung der Ertragsbilanzlücke der USA eine heikle Angelegenheit. Und jedes (!) Anzeichen, dass der Kapitalimport dazu nicht mehr ausreicht, könnte den Dollarkurs stark unter Druck setzen." (NZZ, 20.3.2006) An einem drastischen Verfall des Dollars und entsprechender Aufwertung des Euro hat auch die auf dem Euro basierende Exportwirtschaft, also besonders die deutsche, keinerlei Interesse. Was durchaus ein Grund für die auffällige Einigkeit im Kurs von EU-3 und USA sein könnte. Diese Überlegungen zur Währungsstabilität reichen als alleiniger Kriegsgrund sicher nicht aus, dürften aber in der Gesamtabwägung eine gewichtige Rolle spielen.

Iranische Ostorientierung

Im Rahmen der Neuaushandlung globaler Macht- und Marktpositionen spielt der Zugang zu Rohstoffen eine zentrale Rolle. Welches Gewicht zukünftig die USA, die EU, Russland, China oder auch Indien einnehmen, das ist nicht völlig unabhängig von der Entwicklung im Iran. Seine geografische Lage zwischen persischem Golf und Kaspischem Meer und den dort jeweils vorhandenen Öl- und Gasreserven macht die Frage, wer im Iran die Macht hat, zu einem geostrategisch brisanten Thema. Der wirtschaftliche Austausch mit den EU-Staaten, besonders mit Deutschland, verzeichnete in den letzten Jahren zweistellige Zuwachsraten. Wesentlich rasanter wächst jedoch der wirtschaftliche Austausch Richtung Osten. Mit seinem Nachbarn Pakistan und dessen Nachbarn Indien hat Iran ein 7 Mrd. Dollar schweres Abkommen über die Erstellung einer Gaspipeline abgeschlossen. Pakistan und Indien stehen seither unter massivem Druck der US-Regierung, dieses Projekt wieder aufzugeben. Die indisch-US-amerikanische Kooperationsvereinbarung, die faktisch eine Anerkennung von Indien als Atommacht bedeutet, kann auch unter dem Gesichtspunkt verstanden werden, Indien Energiesicherheit ohne Rückgriff auf iranische Ressourcen zu ermöglichen. Japans Ölversorgung wird zu ca. 16% aus iranischen Quellen gespeist. Das japanische Unternehmen Inpex Corp. schloss mit Iran einen Vertrag über 75% der Erschließungsrechte des Ölfelds von Asedegan, in denen Vorkommen von 26 Mrd. Barrel vermutet werden. Noch stärker ist China ökonomisch im Iran präsent, der mit einem Anteil von 14% Pekings zweitgrößter Öllieferant ist. Die chinesische Sinopec Group wird das iranische Yadavarn-Ölfeld erschließen. Dieses Geschäft im Umfang von 70 Mrd. $ sichert China 25 Jahre lang Lieferungen von iranischem Flüssiggas. Für die Ausbeutung der Vorkommen von Öl im Kaspischen Meer wird ebenfalls eine Kooperation angestrebt. Chinas Wirtschaft profitiert zudem von Aufträgen im Iran wie etwa von der Erstellung eines unterirdischen Schienennetzes in Teheran. Die Kooperation mit Russland bezieht sich schwerpunktmäßig auf das iranische Atomprogramm und auf Rüstungsgüter wie die Bodenluftraketen Tor M-1, die für ca. 700 Millionen $ in Russland erworben wurden. Die ökonomische und sicherheitspolitische Ostorientierung erzeugt auch bei traditionellen iranischen Handelspartnern wie der deutschen Regierung eine gewisse Besorgnis. Das "großzügige Angebot" der EU-3 im Sommer letzten Jahres kann auch als (gescheiterter) Versuch gesehen werden, den Iran mit einem Knebelvertrag stärker Richtung Westen zu orientieren. Dass deutsche Regierungsvertreter trotz (noch) guter Wirtschaftsbeziehungen mit dem Iran Embargos erwägen und konkret bereits die Hermeskredite für Geschäfte mit dem Iran zurückfahren,[5] macht deutlich, dass derzeit ein Paradigmenwechsel in der deutschen Iran-Außenpolitik stattfindet.

Die Kriegspläne liegen auf dem Tisch

Mit einem Bodenkrieg einschließlich Einmarsch, Sturz des Regimes und Auswechseln der Machthaber ist vorläufig nicht zu rechnen. Die US-amerikanischen und in letzter Konsequenz wohl auch die Pläne der EU-3 gehen von einem Luftkrieg aus, dessen Ziel vorrangig die Zerstörung der atomtechnischen Einrichtungen und der Trägersysteme für mögliche Atombomben sein dürften. Die Oxford Research Group (ORG) hat im Februar 2006[6] darauf aufmerksam gemacht, dass ein Luftkrieg bereits in einer ersten Welle zu Tausenden von Toten führen könnte. Wenn der Reaktor in Bushehr bei einem Angriff bereits in Betrieb ist und so eine unkontrollierte Kettenreaktion ausgelöst würde, dann wäre die gesamte Region um den Persischen Golf bis nach Kuwait betroffen. Insgesamt geht man von ca. 40 Anlagen etwa in Isfahan, Teheran, Natanz oder Arak und damit entsprechend vielen potenziellen Zielen aus. Um das Risiko für Flugzeugbesatzungen zu verringern, würde parallel versucht werden, so die ORG-Studie, wenigstens Teile des iranischen Verteidigungspotenzials zu zerstören. Damit verlängert sich die Liste der Ziele um Radareinrichtungen, Kommandozentralen und Luftwaffenbasen. Um mögliche Vergeltungsschläge auf Israel oder US-Stützpunkte zu verhindern, würden auch die iranischen Mittelstreckenraketen ins Fadenkreuz geraten. Da diese zum Teil von mobilen Abschussbasen aus einsatzbereit sind, dürfte das nur sehr unvollständig möglich sein, womit eine militärische "Lösung" die Gefahr für Angriffe auf Israel eher erhöht als verringert.

Die Frage danach, wann ein Krieg gegen den Iran beginnen könnte, muss leider mit "jederzeit" beantwortet werden. Ein Truppenaufmarsch ist nicht nötig, da alles benötigte Kriegsgerät bereits in der Region vorhanden ist. Die für Militärschläge nötige Aufklärung führen US-Militärs über Drohnen, elektronische Überwachung und Satelliten bereits seit längerer Zeit durch. Angriffe etwa mit Stealthbomberm aus Fairford (GB) würden auch von außerhalb der Region starten. Dabei stellt sich wie im Irakkrieg die Frage der Überfluggenehmigungen über Deutschland.

Tausende toter Soldaten und Zivilisten wären die ersten Opfer eines Irankrieges. Zerstörte Infrastruktur und verseuchte Regionen würden ein normales Leben in absehbarer Zeit unmöglich machen und den Hass gegen den Westen so steigern, dass das heutige Regime noch gestärkt würde. Die iranische Regierung würde mit großer Wahrscheinlichkeit das Atomprogramm sofort (wieder) aufnehmen sowie den NVV kündigen und damit alle heute noch vorhandenen Kontrollmöglichkeiten unterbinden. Militärische "Lösungen", selbst so genannte chirurgische Optionen, haben Konsequenzen, die sehr viel schwerwiegender sind als die Probleme, die damit gelöst werden sollen. Der Iran erlebt sich auch ohne diese direkte Kriegsoption als sicherheitspolitisch verletzlich. Er sieht sich umzingelt von den Atommächten USA, Israel und Pakistan – plus NATO-Atombomben in Incirlik/Türkei und eine massive US-amerikanische Militärpräsenz im Irak und in Afghanistan mit Basen, die teilweise dicht an den iranischen Grenzen liegen. Die US-Regierung unterhält zudem militärische Verbindungen, Abkommen und Stützpunkte in Ländern nördlich und östlich des Irans. Auch die israelische Armee ist hochgerüstet mit F16-Bombern und Bunkerbustern, beide aus US-Produktion. Mit (Atom-)Raketen, abgeschossen von Dolphin-U-Booten made in Germany, ist iranisches Territorium einfach zu erreichen. Die Angst in der israelischen Bevölkerung vor einer iranischen Regierung, die bis heute das Existenzrecht Israels nicht anerkannt hat und über Mittelstreckenraketen verfügt, die Israel treffen können, ist real und nachvollziehbar. Dass in beiden Ländern die Bedrohungsgefühle in teure Aufrüstungsprogramme kanalisiert werden, deren ökonomische Folgen die ohnehin wachsende arme Bevölkerung treffen, ist eine fatale Entwicklung ohne jedes Potenzial für eine wirkliche Lösung der Sicherheitsprobleme. In dieser Lage scheint es für das Verhältnis zwischen Israel und Iran drei Alternativen zu geben:

a) Ein unkontrolliertes Wettrüsten, das sowohl Israel als auch den Iran einem Kriegsrisiko näher bringt.

b) Eine militärische "Abrüstung" des Irans im Rahmen des oben beschriebenen unkontrollierbaren Eskalationsszenarios. Die Fronten würden dadurch noch unversöhnlicher.

c) Die Einleitung eines regionalen Abrüstungs- und Kooperationsprozesses, eventuell nach dem Vorbild der KSZE/OSZE, mit dem Ziel eines massenvernichtungsmittelfreien Mittleren Ostens. Alternativen zum Krieg brauchen eine Lösung des iranischen und des israelischen Sicherheitsdilemmas. Ein erster Schritt könnte die Anerkennung Israels durch den Iran im Gegenzug zu einer atomaren Nichtangriffsgarantie sein.

Müssen wir uns an doppelte Standards gewöhnen? Nukleare Apartheid?

Die Angst vor einem iranischen Atomprogramm ist begründet. Doch alle Gründe, die gegen das iranische Atomprogramm sprechen, sprechen auch gegen die Programme anderer Länder. Anreicherungsanlagen ermöglichen den Zugriff auf die Bombe. Plutonium, das im "normalen" Kraftwerksbetrieb anfällt, eröffnet die Bombenoption ebenfalls. Selbst ohne die technischen Risiken und Nebenwirkungen der "zivilen" Nutzung von Atomkraft setzt eine gefahrlose Nutzung auch politische Stabilität über Tausende von Jahren voraus. Wenn diese je in irgendeiner Region möglich sein sollte, dann ist es immer noch nötig, jegliche kriminelle Energie, die aus dem strahlenden Material eine Gefahr für zahllose Menschen machen könnte, zu kontrollieren. In letzter Konsequenz bedingt die Atomwirtschaft immer eine mehr oder weniger massive staatliche Sicherheitspolitik und kann jederzeit als Argument oder Vorwand für Repression benutzt werden. Wer nun aber die Gefahren der Atomenergie allein im Iran bekämpft, der sorgt faktisch dafür, dass aus dem ohnehin schon asymmetrischen NVV-Vertrag (mit seiner Unterscheidung zwischen Atomwaffenstaaten und Nicht-Atomwaffenstaaten) ein nukleares Apartheidsregime wird. Neben Staaten mit Atomwaffen, die ihre eigenen Abrüstungsverpflichtungen ignorieren, gibt es "zuverlässige" Staaten, die anreichern (und die Brennelemente verkaufen) können, und als unterste Stufe diejenigen, die lediglich AKWs betreiben dürfen (und abhängig von Lieferungen sind). US-Präsident George W. Bush schlug in einer Grundsatzrede im Februar 2004 genau dies vor.[7] Damit wird nukleares Faustrecht etabliert.

Der NVV ist reformbedürftig – oder besser durch einen neuen effektiven Abrüstungs- und Atomausstiegspakt zu ersetzen. Da der momentane NVV aber als Vorwand für einen Krieg gegen den Iran benutzt wird, sei hier noch einmal erwähnt, dass dem Iran bis heute kein Verstoß gegen den NVV nachgewiesen werden konnte. Die iranische Regierung hatte eine Reihe ihrer Programme und Anlagen nicht bei der IAEO gemeldet, doch "ähnliche Verstöße und Fehler sind auch von zahlreichen anderen Ländern bekannt geworden, ohne dass dies ... eine nennenswerte internationale Reaktion hervorgerufen hätte."[8] Seit dem Jahr 2003 hat der Iran seine Programme offen gelegt sowie am 18. Dezember 2003 ein freiwilliges IAEO-Zusatzprotokoll, das umfangreichere Inspektionen ermöglicht, unterzeichnet und dessen Anwendung sofort ermöglicht – obwohl es bis heute nicht ratifiziert ist. Das Anreicherungsprogramm wurde ausgesetzt und durch freiwillige Sondermaßnahmen die Kontrolle dieses Stopps überprüfbar gemacht. Nach dem Scheitern der Verhandlungen mit den EU-3 im Sommer 2005 hat die iranische Regierung diese freiwilligen (!) Zugeständnisse zurückgenommen. Der NVV verbietet die seit kurzem in Natanz betriebene Anreicherung auf 3,5% nicht. Das Dilemma besteht darin, dass bei einem zukünftigen weiteren Ausbau der Anlage eine Anreicherung bis zur Waffenfähigkeit (bei 90%) nicht ausgeschlossen werden kann. Im Kern geht es also um die Dual-Use-Problematik (das heißt die prinzipielle Verwendbarkeit einer Technik sowohl zu zivilen als auch zu militärischen Zwecken), die im Rahmen des NVV nicht ausreichend geregelt ist und ein grundsätzliches Problem von Nukleartechnologie darstellt. Einer tatsächlichen Lösung kommt man wohl nur näher, wenn das Iran-Quartett (USA und EU-3) an seiner eigenen Glaubwürdigkeit arbeitet, etwa indem die aus dem NVV resultierenden Verpflichtungen zum Abbau des eigenen Atomwaffenarsenals ernst genommen werden. Als Zwischenschritt zum notwendigen kompletten Ausstieg aus der Atomwirtschaft ist ein globaler Verzicht auf hochangereichertes Uran in Forschungsreaktoren und eine Internationalisierung aller Anreicherungsanlagen möglich.

Leider wird allein das Droh- und Kriegsszenario verfolgt. EU-Resolutionen, IAEO-Berichte und Involvierung der Vereinten Nationen gehören offensichtlich zum Eskalationsszenario. Seit dem 29. März 2006 läuft das 30-tägige Ultimatum des UN-Sicherheitsrates, wenn auch noch ohne Embargo- und Kriegsdrohung. US-Außenministerin Condoleezza Rice wirbt zur Zeit um Unterstützung für eine weitergehende Resolution, in der Irans Atomprogramm als "Gefährdung des Weltfriedens" eingestuft wird, um so Zwangsmaßnahmen (Embargo und/oder Militärschläge) nach Artikel 7 möglich zu machen. Für die abschließende Kriegsentscheidung ist es dann gar nicht mehr wichtig, ob der Sicherheitsrat als ganzer inklusive Russland und besonders China zustimmt. Wenn die Eskalation weit genug fortgeschritten ist (zwei verstrichene Ultimaten o.ä.), dann ist es auch denkbar, den Sicherheitsrat, wie vor dem Irakkrieg, als "handlungsunfähig" darzustellen und auf das Prinzip der Selbstmandatierung zurückzugreifen. Das Szenario einer unbeweglichen und veralteten UN lässt sich umso glaubwürdiger inszenieren, als diesmal keine kritischen Stimmen von EU-Staaten zu erwarten sind.

Gegen Krieg, Atomprogramme und Feindbilder

Das iranische politische System ist repressiv und autoritär. Die Einhaltung von Menschen- und Bürgerrechten ist nicht gewährleistet, streikende Busfahrer landen im Gefängnis und Pressezensur gehört zum Alltag. Dennoch: den Iran als totalitäres System zu bezeichnen ist irreführend, zu lebendig ist die Zivilgesellschaft, zu aktiv sind z.B. Frauenrechtlerinnen oder auch KünstlerInnen. Dass Frauen wie die Nobelpreisträgerin Shirin Ebadi trotz aller Widrigkeiten immer wieder auch erfolgreich für Menschenrechte kämpfen, zeigt, dass die politische Landschaft im Iran lebendig und Potenzial für nötige Reformen im Iran selbst vorhanden ist. Ein "Demokratieexport" bringt selten Verbesserung, stärkt repressive Tendenzen und zerstört gewachsene Basisstrukturen – siehe Irak. Nicht "der Iran" hat unsere Solidarität verdient, sondern die Menschen im Iran, die sowohl von ihrer eigenen Regierung als auch von USA und EU-3 quasi in Geiselhaft genommen werden.

Aufgabe einer kritischen Öffentlichkeit ist es, die Alternativlosigkeit von Drohungen, Sanktionen und Krieg zu hinterfragen. Das Signal, dass Krieg als Lösung nie akzeptiert werden wird, muss laut und deutlich wahrnehmbar sein. Die Demonstrationen gegen den Irak-Krieg wurden in den arabischen und islamischen Medien umfangreich gewürdigt. Dass nicht alle westlichen Regierungen sich offen für einen Krieg aussprachen aber vor allem, dass Millionen Menschen auf den Straßen gegen einen Krieg demonstrierten, machte die Frontenbildung gegen "den Westen" auch für militante Hardliner in islamischen Ländern schwer. Auf EU-Regierungs-Gegenstimmen gegen einen Irankrieg darf man dieses Mal wohl nicht hoffen. Umso dringender ist es, dass der Protest auf der Straße sichtbar und laut wird. Nur so kann auch Ahmadinejads plumper und gefährlicher Hetze der Boden entzogen werden, wenn er seiner Bevölkerung nicht mehr plausibel ein geschlossenes Feindbild präsentieren kann. Nicht "der Iran" ist das Problem. Die Probleme sind global und heißen: Atomare Ab- und Aufrüstung, Dual-Use-Problematik, Energiesicherheit, ökonomische Entwicklung, Feindbilder und Demagogie.

Claudia Haydt ist Religionswissenschaftlerin und Soziologin (MA) sowie Beirätin der Informationsstelle Militarisierung (IMI) e.V. Sie ist Mitautorin des von Tobias Pflüger und Jürgen Wagner herausgegebenen Buches Welt-Macht Europa. Auf dem Weg in weltweite Kriege. Hamburg 2006.

[1] Iran reaffirms that it has no intention of obtaining nuclear weapons. 16.2.2006; acdn.france.free.fr/spip/article.php3
[2] CIA World Factbook, "Iran"; www.cia.gov/cia/publications/factbook/geos/ir.html
[3] iran-report Nr. 3/2006 (Heinrich-Böll-Stiftung), S. 5; www.boell.de/de/04_thema/4061.html
[4] Vgl. diesbezüglich v.a. Clark, William, The Real Reasons Why Iran is the Next Target, 27 October 2004.
[5] iran-report Nr. 3/2006 ebenda.
[6] Vgl. zum Folgenden Rogers, Paul, "Iran: Consequences of a War", Oxford Research Group (February 2006); www.iranbodycount.org
[7] Remarks by the President on Weapons of Mass Destruction Proliferation, White House, February 11, 2004
[8] W&F/IPPNW, "Atomenergie: Zugriff zur Bombe", W&F Dossier 51, 1-2006, S. 7

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