1. Juni 2001 Joachim Bischoff

Bush: »Lass die Staaten in Konkurs gehen«

Nach wie vor absorbiert die unklare Konjunkturentwicklung in den USA einen Großteil der Aufmerksamkeit von Ökonomen, Finanzmanagern und Politikern. Die Mehrheit sieht trotz der schlechten Arbeitsmarktdaten die Weichen eindeutig in Richtung einer raschen Konjunkturerholung gestellt. Allerdings mehren sich in den letzten Wochen jene Stimmen, die die Gefahr eines Umschlags in eine rezessive Entwicklung noch nicht für erledigt halten. Die These lautet: der Konjunktureinbruch werde sich verstärken und dann angesichts des massiven Wertberichtigungsbedarfs bei Eigentumstiteln in eine längere Phase der stagnativen oder depressiven Entwicklung übergehen.

So verweist der Ökonom White von der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ) auf die Parallelen mit der japanischen Entwicklung: Auch Japan glänzte Ende der 80er Jahre – kurz vor dem Absturz in eine jahrzehntelange Stagnation – mit beeindruckend hohen Wachstums- und Produktivitätszahlen, einem boomenden Aktienmarkt, einer starken Währung und moderaten Inflationsraten. Zwar weise das US-Finanzsystem eine weitaus größere Stabilität auf als das japanische, aber die rasche Entwertung der Eigentumstitel könne die hohe Verschuldung von Unternehmen und Verbrauchern zu einem gefährlichen Hindernis machen. [1]

Vom Höhepunkt des Finanzbooms im Frühjahr 2000 bis Ende des ersten Quartals 2001 waren in den USA rund 5.000 Mrd. Dollar bei den börsennotierten Aktien abzuschreiben; der Verlust des vernichteten Aktienvermögens wird von White für diesen Zeitraum auf 28% des weltweiten Bruttoinlandsprodukts geschätzt. Durch die massiven Zinssenkungen der US-Notenbank und anderer Zentralbanken ist diese Entwicklung im 2. Quartal 2001 umgedreht worden. Insgesamt ist die Marktkapitalisierung der US-Aktien wieder um ca. 2.000 Milliarden gestiegen. Allerdings wird diese Erholung als »Zwischenhausse« aufgrund des billigen Notenbankgeldes interpretiert. Zumindest eine Minderheit der Experten hält daran fest, dass nach wie vor die Gefahr eines sich verstärkenden Abschwunges durch die Parallelität der Entwicklung in Nordamerika, Europa und Japan besteht. In diesem Falle dürfte die Zwischenhausse durch schlechte Unternehmensnachrichten in eine neue Baisse umschlagen und mit einem Ende der wirtschaftlichen Talfahrt wäre demzufolge erst im Jahr 2002 zurechnen.

Weniger Aufmerksamkeit findet die erneute Krisenentwicklung auf den internationalen Finanzmärkten. Unmittelbar vor der Jahrestagung von Weltbank und Internationalem Währungsfonds im Mai 2001 hat das Direktorium des IWF mit dem Finanzprogramm für die Türkei in Höhe von 10 Mrd. Dollar einen wichtigen Schritt zur Stabilisierung der internationalen Finanzmärkte getan. Eigentlich hatte man angesichts der massiven Kritik aus den USA auch eine Beteiligung des privaten Bankensektors an dem Rettungsprogramm erwartet. Vertreter der Bush-Administration wie Schatzsekretär O‘Neill und Wirtschaftsberater Lindsey stehen der Politik des Währungsfonds nach wie vor kritisch gegenüber. Da es sich bei der Türkei allerdings um ein wichtiges NATO-Mitglied handelt und die Situation im Nahen Osten als sehr kritisch einzustufen ist, wollte sich die Bush-Administration nicht gegen eine erneute Finanzspritze zur Unterstützung des Sanierungsprogramms in der Türkei stellen. IWF-Chef Köhler hatte zuvor betont: die Türkei braucht die zusätzlichen Mittel zur Rekapitalisierung des Bankensystems. »Das bedeutet nicht, dass Hilfe in dieser Form durch den IWF zum Regelfall wird, aber angesichts der fragilen Situation musste eine schnelle Lösung gefunden werden.« [2]

Der IWF will – so Köhler – seine Strategie umstellen; es könne künftig nicht mehr um die nationalen Interessen der Mitgliedsländer gehen, sondern es gehe um die makroökonomische Stabilität der globalen Ökonomie. »Die Stabilität der Wirtschaft und des Finanzsektors sind der Schüssel hierfür... Es geht nicht nur um konzeptionelle Arbeiten zur Finanzarchitektur, sondern auch um den ständigen Kontakt zu den Märkten«. [3]

In den USA hat die Kritik an den internationalen Institutionen und Abkommen an Stärke gewonnen. Unter Bush lautet die neue Orientierung: »Der amerikanische Lebensstil steht nicht zur Debatte«. Dies zeigt sich bei der Energiepolitik, dem Umweltschutz, der Reorganisation der Militärstrategie und der Korrektur der Politik gegenüber den internationalen Organisationen. Für den Finanzsektor heißt dies, der Internationale Währungsfonds soll künftig keine umfangreichen Kreditpakete für in Finanzkrisen geratene Länder mehr zusammenstellen, sondern neue Wege der Schuldenabwicklung einschlagen. Der entscheidende Grund dafür ist, dass nicht nur die Türkei, sondern eine ganze Reihe anderer Länder tief in einem Krisenprozeß stecken und dass Teile des US-amerikanischen Establishment den Eindruck haben, dass einem Teil der privatkapitalistischen Investoren mit öffentlichen Mitteln aus der Patsche geholfen werde, womit sich freilich die Konkurrenzbedingungen für US-Investoren verschlechtern.

In der Tat ist die Türkei gegenwärtig nicht das einzige Land, das sich vor einem Absturz in ein ökonomisch-finanzielles Chaos gestellt sieht. Auf der jüngsten IWF-Tagung waren Argentinien, Brasilien und Indonesien gleichfalls im Blickpunkt gespannter Aufmerksamkeit. Auch Argentinien signalisiert mittlerweile eine neue Übereinkunft mit dem IWF: ein Hilfspaket mit einem Volumen von 39 Mrd. Dollar. Weil das Haushaltsdefizit im ersten Quartal aufgrund der schlechteren wirtschaftlichen Entwicklung die vereinbarte Höchstgrenze massiv überschritten hatte, war die Auszahlung von bereits bewilligten Mitteln eingefroren. Jetzt sind die Kredite freigegeben worden und zusätzlich wurden der drittstärksten Volkswirtschaft Lateinamerikas 1,3 Mrd. Dollar bewilligt, um den laufenden Schuldendienst aufrecht zu erhalten. Argentiniens Probleme haben sich bereits auf Brasilien ausgewirkt, wo eine Zinserhöhung erforderlich wurde, um die Kapitalflucht zu bremsen.

Ausgesprochen dramatisch ist die Entwicklung in Indonesien. Die Flaute in der Weltkonjunktur verschärft die Abwärtsentwicklung. Internationale Unterstützungskredite sind angesichts der geringen Fortschritte im Land und der massiven Überschuldung zu vertretbaren Zinssätzen nicht mehr zu bekommen. Der galoppierende Währungsverfall macht aber den Schuldendienst auf die aufgelaufenen 141 Mrd. Dollar zur unlösbaren Aufgabe. Gegen den Notenbankchef wird ebenso wie gegen den Präsidenten wegen Korruption ermittelt, was nur ein Symptom des fortgeschrittenen Zerfalls ist. Der Finanzminister erklärte, dass das Land wegen der politischen Krise verstärkt in eine Finanzkrise hineinschlittere und nur noch Beten die Entwicklung aufhalten und umkehren könnte. Der IWF hat die Auszahlung einer Kreditrate von 400 Mio. Dollar aus dem laufenden Unterstützungsprogramm von rund 5 Mrd. Dollar von einer Stabilisierung der politischen Lage abhängig gemacht.

Die konservativen Kritiker in den USA und in Westeuropa werfen der Krisenpolitik der internationalen Institutionen vor, dass die Finanzkrisen nicht verhindert, sondern durch »Förderung von Selbstbedienungsmentalitäten« faktisch verallgemeinert würden. Demgegenüber verweisen die Finanzexperten von IWF, Weltbank und BIZ darauf: »Die letzten Jahre dagegen haben die Kehrseite dieses Systems der freien Entfaltung der Marktkräfte sichtbar gemacht... Selbst Finanzmärkte hoch entwickelter Industrieländer wurden in Mitleidenschaft gezogen, weil es auf den globalisierten Märkten zu Ansteckungseffekten über die ursprünglichen Krisenländer hinaus kam. Die sozialen Kosten der Krise waren verheerend.« [4]

Die Debatte über die Gründe für die Wiederkehr von Finanzkrisen ist längst nicht ausgestanden. Gleichwohl hat sich die politische Ausrichtung des IWF deutlich verändert. So will der Fonds stärker als bisher nur in Krisensituationen als Feuerwehr und Koordinator fungieren. Auf jeden Fall soll der privatkapitalistische Sektor künftig stärker in die Krisenbewältigung eingebunden werden. Die Ökonomieprofessoren Meltzer und Lerrick haben für die Kongressfraktion der Republikaner jetzt einen weitergehenden Vorschlag ausgearbeitet. Nach ihren Berechnungen sind in den vom IWF orchestrierten internationalen Rettungsaktionen in den letzten sechs Jahren Schulden gegenüber privaten Gläubigern in der Größenordnung von 250 Mrd. Dollar den öffentlichen Institutionen – also den Steuerzahlern – aufgebrummt worden. Dies soll radikal unterbunden werden. Künftig soll die Bedingung für eine Rettungsaktion des IWF darin bestehen, dass die Schuldtitel der privatkapitalistischen Gläubiger vom IWF mit einem deutlichen Abschlag zum Nennwert angekauft werden. Für Argentinien hieße dies: das Land schuldet privaten Investoren (Fonds, Banken etc.) rund 90 Mrd. Dollar. Der IWF dürfte nur neue Mittel bereitstellen, wenn die Gläubiger ihre Forderung auf 60% abschrieben.

Noch sind diese Vorstellungen bloß konzeptionelle Überlegungen der Bush- Administration. Die Zurückstutzung der Kompetenzen der internationalen Finanzinstitutionen wird die Tendenz zum häufigeren Ausbruch von Finanzkrisen nicht brechen können. Solange die Deregulierungspolitik und das Laisser-faire die Finanzmärkte bestimmt, solange werden sich die Regierungen der kapitalistischen Länder mit den Finanzkrisen auseinander setzen müssen. Abzuwarten bleibt auch, ob die Bush-Administration mit ihrem Konzept der Beteiligung von privaten Gläubigern bei der Sanierung von Finanzkrisen durchkommt. Bislang war auch die rechtskonservative US-Regierung froh, dass durch neue Kredite und Umschuldung möglichen Kettenreaktionen unter den nationalen Finanz- und Banksystemen vorgebeugt wurde. Bislang ergänzen sich Umschuldungsoperationen für Schwellenländer mit dem kontinuierlichen Kapitalstrom auf die US-Vermögensmärkte. Seit Mitte der 90er Jahre haben Ausländer für netto 460 Mrd. Dollar Wertpapiere in den USA gekauft, allein im Januar 2001 wurde das Nettovolumen für Wertpapierkäufe aus dem Ausland auf 42 Mrd. Dollar geschätzt. Der von den Rechtskonservativen angestrebte Umbau der internationalen Finanzarchitektur würde auch nicht ohne Rückwirkungen auf die US-Finanzmärkte bleiben.

Joachim Bischoff ist Redakteur von Sozialismus.

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