27. Oktober 2011 Hartmut Meine / Uwe Stoffregen: Gewerkschaftstag der IG Metall 2011

Demokratisierung der Wirtschaft

Seit ihrer Gründung im Jahr 1949 ist in der Satzung der IG Metall das Ziel der »Demokratisierung der Wirtschaft« verankert. Während über viele Jahre dieses Ziel eine vergleichsweise geringe Relevanz für die Formulierung von aktuellen Strategien der IG Metall hatte, sind spätestens seit der großen Finanz- und Wirtschaftskrise im Jahr 2008 Elemente einer Demokratisierung der Wirtschaft wieder stärker in die aktuellen Debatten der IG Metall eingeflossen.

Diskussionen der letzten Jahre, die unter den Stichworten Kurswechsel,[1] Wirtschaftsdemokratie[2] oder Strategiedebatte[3] geführt werden, schlugen sich auch in den Diskussionen und Positionen auf dem 22. ordentlichen Gewerkschaftstag der IG Metall im Oktober 2011 in Karlsruhe nieder.

So formulierte Berthold Huber, der wiedergewählte 1. Vorsitzende, in seinem Zukunftsreferat: »Deswegen müssen wir mehr Demokratie in der Wirtschaft wagen!«[4] Insbesondere in den Entschließungen 1 bis 3 und in zahlreichen Anträgen[5] finden sich Aspekte eines Konzepts zur Demokratisierung der Wirtschaft. Neben einer umfassenden kritischen Analyse des Neoliberalismus und des Finanzmarktkapitalismus werden Konzepte und konkrete Vorschläge für die Praxis dargestellt. »Denn ohne eine Demokratisierung der Wirtschaft ist der Einstieg in eine nachhaltige Ökonomie, die sich an langfristigen Investitionen, an qualifizierter Arbeit, an Innovationen und an ökologischen Zielen orientiert, nicht möglich.«[6]

Staat als ­ökonomischer Akteur

Leitgedanke einer Demokratisierung der Wirtschaft ist der Anspruch, die Ökonomie nicht allein den ungeregelten Märkten zu überlassen, sondern den Staat als makroökonomischen Akteur zu sehen, der aktiv in das Wirtschaftsgeschehen eingreift. Dazu heißt es: »Unser Ziel ist es, alle gesellschaftlichen und wirtschaftlichen Bereiche stärker zu demokratisieren. Das bedeutet, der Staat gewinnt seine Steuerungsfähigkeit zurück und nutzt sie als makroökonomischer Akteur. Er greift aktiv in das Wirtschaftsgeschehen ein, als Rahmensetzer und Investor und nicht zuletzt als Garant sozialer Demokratie.«[7]

Angesichts der dramatischen Auswirkungen von unregulierten Finanzmärkten auf die Realwirtschaft und damit auch auf die Arbeits- und Lebensbedingungen der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, wird eine Re-Regulierung der Finanzmärkte gefordert und mit detaillierten Forderungen ergänzt. Diese Forderungen zur Regulierung der Finanzmärkte bekamen angesichts der Aktivitäten der »Occupy Wall Street«-Bewegung eine besondere Aktualität.[8] In der Entschließung 2 heißt es dazu ausführlich:

»Durch die weitreichende Deregulierung der Finanzmärkte wurden gewaltige virtuelle Werte geschaffen, denen keine realwirtschaftliche Deckung entgegen stand. Deshalb waren platzende Finanzblasen und reißende Kreditketten unvermeidlich. Eine Wiederholung der umfangreichen Rettungsaktionen würde die Leistungsfähigkeit der Volkswirtschaften auf das Äußerste gefährden.

Die Erpressung ganzer Gesellschaften durch die Finanzmärkte und ihre Akteure ist ein Skandal und deren strenge Regulierung deshalb zwingend erforderlich. Solange dies nicht vollzogen ist, ist die Krise auch nicht überstanden.

Ein beherrschbares Finanzsystem muss das Spekulationssystem eindämmen und sich am Bedarf der Realwirtschaft und der Finanzierung von Beschäftigung orientieren. Deshalb fordert die IG Metall:

  • Geschäftsbanken, die die Einlagen normaler Kunden halten, müssen auf ihre legitime Funktion der Finanzierung von Unternehmen und Haushalten zurückgestuft werden;
  • der Bankensektor muss so umgebaut werden, dass keine Bank durch ihre Insolvenz die Funktionsfähigkeit des gesamten Finanzsystems gefährdet;
  • Investmentbanken und Risikokapitalfonds sollen Unternehmensgründungen und Expansionen finanzieren. Das auf dem Einsatz von hohem Fremdkapital beruhende Geschäftsmodell der Private-Equity-Firmen muss verboten oder unattraktiv gemacht werden;
  • das Treiben von Kapitalsammelstellen (Hedge-Fonds), deren Zweck allein darin besteht, unter Umgehung von Regulierungen extrem hohe Renditen für die Reichsten zu erzielen, muss durch gesetzliche Regelungen ausgehebelt werden;
  • Derivate wie Futures und Optionen müssen auf ihre sinnvolle Funktion zurückgestuft werden, realwirtschaftliche Unternehmen gegen Preisfluktuationen und Wechselkursschwankungen abzusichern. Der Spekulation dienende Produkte und Geschäfte über Verbriefungen (wie beispielsweise Credit Default Swaps) und hohe Kredithebel sowie Leerverkäufe müssen verboten werden;
  • die Krisenverursacher müssen zur Kasse gebeten werden. Deshalb brauchen wir eine Finanztransaktionssteuer, eine Bankenabgabe und eine gerechte Besteuerung von Vermögen und Erbschaften, um dem Vermögensmarkt überschüssiges Kapital zu entziehen bzw. in die Realwirtschaft umzulenken.

Ein solcher Neuzuschnitt des Finanzsystems ist auch Voraussetzung für die Zurückweisung des Shareholder Value- Ansatzes. Denn die maßlosen Renditeziele auf den Finanzmärkten wurden als Maßstab für die Realwirtschaft herangezogen, die kurzfristigen Renditeziele der Anteilseigner vor die langfristigen Bedürfnisse der Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer nach guter Arbeit und Teilhabe an dem unternehmerischen Erfolg gestellt.«[9]

Mitbestimmung

Die Erweiterung der bisherigen Mitbestimmung ist für die IG Metall ein entscheidender Eckpfeiler für die Demokratisierung der Wirtschaft. »Dabei geht es um:

  • den Abbau von Fremdbestimmung am Arbeitsplatz durch entfaltete Mitbestimmung;
  • eine Erweiterung der Mitbestimmungsrechte auf unternehmerische Entscheidungen wie Standortverlagerungen, Investitionsverhalten und den Einsatz von Leiharbeit – zum Beispiel im Rahmen eines Katalogs zustimmungspflichtiger Geschäfte;
  • die demokratische Kontrolle zentraler Bereiche der öffentlichen Daseinsvorsorge. (…)«[10]

Dabei gilt der Grundsatz einer ganzheitlichen Sichtweise der Mitbestimmung und der aktiven Interessenvertretung in den Betrieben und Konzernen. Der Bogen reicht von einer Beteiligung der Belegschaften und einer aktiven Vertrauensleutearbeit über die klassische Betriebsratsarbeit bis hin zum Euro-Betriebsrat und der Vertretung der Arbeitnehmerinteressen im Aufsichtsrat. Dazu heißt es in der Entschließung 3:

»Gewerkschaftliche Unternehmens- und Konzernpolitik muss mit der gewerkschaftlichen Politik im Betrieb verzahnt werden: Vom Betriebsrat bis zum Euro- oder SE-Betriebsrat und bis zum Aufsichtsrat ist gewerkschaftliche Betriebs- und Unternehmenspolitik aus einem Guss notwendig. Mitglieder, Vertrauensleute und Betriebsräte sind gemeinsame Träger dieser gewerkschaftlichen Betriebspolitik«.[11]

Dies wird ergänzt durch den einstimmig angenommenen Antrag der Verwaltungsstelle Wolfsburg: »Die Referenzfolie für zeitgemäße Gestaltungs- und Kontrollmechanismen müssen erweiterte Mitbestimmungsrechte sein, wie sie bei Volkswagen gelten. Teile der im VW-Gesetz enthaltenen Bestimmungen gilt es durch die Reform des deutschen Aktienrechtes zu verallgemeinern. Betriebsschließungen, Standortverlagerungen und Massenentlassungen sollen künftig nur mit 2/3-Mehrheit im Aufsichtsrat entschieden werden.«[12]

Gemischte Eigentumsformen

In einer Debatte zur Demokratisierung der Wirtschaft werden die Eigentumsverhältnisse häufig ausgeklammert und die Konzeption der Wirtschaftsdemokratie auf die »erweiterte Mitbestimmung« reduziert. Die IG Metall geht hier weiter und bezieht Position zu pluralen Eigentumsformen. Berthold Huber führte dazu in seinem Zukunftsreferat aus: »Mit der Schwarz-Weiß-Folie ›Privatunternehmen oder Staatsunternehmen‹ kommen wir nicht weiter. Die Mitbestimmungspraxis bei Volkswagen und in einigen Stiftungsunternehmen zeigt, wie die Position der Beschäftigten auch in privatwirtschaftlichen Unternehmen gestärkt werden kann.«[13]

In der Entschließung 2 heißt es dazu: »Notwendig sind deshalb (…) der Ausbau gemeinwirtschaftlichen Eigentums, wie z.B. Public Equity Fonds, Genossenschaften und öffentliche Unternehmen. Staatliches bzw. öffentliches Kapital sind dabei wichtige Bestandteile des Konzeptes der Wirtschaftsdemokratie.«[14]

Die Konflikte um die Privatisierung von öffentlichen Unternehmen und Dienstleistungen sind letztlich eine andere Erscheinungsform der Eigentumsfrage. Dazu positioniert sich die IG Metall eindeutig und fordert eine Stärkung der öffentlichen Güter: »Keine weitere Privatisierung von öffentlichen Unternehmen und Dienstleistungen. Bereiche wie Bildung, Gesundheit, Energie- und Wasserversorgung dürfen nicht nach dem Prinzip der Gewinnmaximierung, sondern müssen nach Kriterien, die sich am Gemeinwohl orientieren, in der Regie der öffentlichen Hände organisiert werden.«[15]

Abbildung 1 gibt einen Überblick über plurale Eigentumsformen in Deutschland.

Abbildung 1: Plurale Eigentumsformen von Unternehmern und Banken


Quelle: Meine, H./Stoffregen, U.: Wirtschaftsdemokratie als gewerkschaftliche Alternative zum Finanzmarktkapitalismus in: Meine, H. u.a. (Hrsg.), a.a.O., S. 31


Fazit: Der Gewerkschaftstag der IG Metall im Jahr 2011 hat damit stärker als in der Vergangenheit Konzepte der Demokratisierung der Wirtschaft hervorgehoben. Es wird jetzt darauf ankommen, die erarbeiteten Positionen innerhalb der IG Metall stärker zu verankern und konkrete Handlungsstrategien zu erarbeiten.

Hartmut Meine ist Bezirksleiter der IG Metall Niedersachsen/Sachsen-Anhalt; Uwe Stoffregen ist Pressesprecher der IG Metall Niedersachsen/Sachsen-Anhalt.

[1] Huber, B. (Hrsg.): Kurswechsel für Deutschland – Die Lehren aus der Krise, Frankfurt a.M. 2010.
[2] Meine, H./Schumann, M./Urban, H.J. (Hrsg.): Mehr Wirtschaftsdemokratie wagen!, Hamburg 2011.
[3] Ehlscheid, C./Pickhaus, K./Urban, H.J.: Die große Krise und die Chancen der Gewerkschaften, in: Sozialismus 06/2010.
[4] Huber, B.: Zukunftsreferat auf dem 22. ordentlichen Gewerkschaftstag der IG Metall in Karlsruhe, 3. Tag, 12. Oktober 2011.
[5] Beispielsweise wurden folgende Anträge als »Material« angenommen: A 1.001: »Für mehr Demokratisierung in Wirtschaft und Gesellschaft« (Verwaltungsstelle Alfeld-Hameln-Hildesheim); A 2.003: »Finanzmärkte regulieren – mehr Demokratie in Wirtschaft und Gesellschaft« (Verwaltungsstelle Frankfurt a.M., Verwaltungsstelle Wiesbaden-Limburg) sowie die beiden Anträge zur Wirtschaftsdemokratie (A 2.005 Verwaltungsstelle Salzgitter-Peine und A 2.007 Verwaltungsstelle Hannover); des Weiteren: A 2.008 Wirtschaftdemokratie (Verwaltungsstelle Nordhessen).
[6] Entschließung 2, Absatz 2.1.
[7]  Entschließung 1, Absatz 6.1.
[8] Vgl. Initiativantrag 1.I02 zur Entschließung 1.
[9] Entschließung 2, Absatz 2.1.
[10] a. a.O.
[11] Entschließung 3, Absatz 2
[12] Antrag 3.001.
[13] Huber, B., a.a.O.
[14] Entschließung 2, Absatz 2.
[15] Entschließung 2, Absatz 2.3.

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