1. Juli 2007 Redaktion Sozialismus

Dicke Luft, magere Ergebnisse

In der großen Koalition verschlechtert sich das Klima. Außen- wie innenpolitisch kommen kaum noch tragfähige Lösungen zustande. Christ- und Sozialdemokraten leisten nicht, was sie versprochen haben und die BürgerInnen von ihnen erwarten: in kleinen Schritten die Lösung der großen Probleme voranbringen. Zur Mitte der Wahlperiode hat sich der Ton verschärft.

Der SPD-Vorsitzende Kurt Beck wirft der Union "Neoliberalismus" und eine "Ideologie ohne Erdung" vor. Unions-Fraktionschef Volker Kauder stellt klar, dass die große Koalition nicht über die Bundestagswahl 2009 hinaus weitergeführt werden sollte. Die Bundesregierung wird im August auf einer Klausurtagung über das Arbeitsprogramm für die zweite Hälfte der Legislaturperiode beraten.

"Freiheit am Hindukusch", Bürgerkrieg in Palästina

Die Bundesrepublik ist tief in den Krieg in Afghanistan verstrickt. Spätestens mit der Entsendung der Tornado-Flugzeuge hat die Bundesregierung das Schwergewicht des Engagements am Hindukusch von Wiederaufbau und Stabilisierung hin zum militärischen Kampf verändert. Die Bundesbürger wollen – wie aktuelle Umfragen belegen – eine klare Perspektive für den Bundeswehreinsatz: Konkrete Ziele und einen überprüfbaren Zeitplan, notfalls auch für einen Abzug, wünschen sich 52% der Befragten. 42% sind dafür, mehr Geld zur Verfügung zu stellen, um den Wiederaufbau zu beschleunigen. Es gibt also immer noch eine beträchtliche Unterstützung für eine deutsche Beteiligung am Aufbau der wirtschaftlichen und zivilen Strukturen vor Ort.

Dieser verständliche Wunsch basiert allerdings auf einer unzureichenden Kenntnis der faktischen Situation. Als der Bundestag im Herbst 2006 mit deutlicher Mehrheit der Verlängerung des Mandats zustimmte, konnte man in einer für die Bundesregierung angefertigten Studie bereits lesen, dass sich in vielen Regionen Afghanistans "die Sicherheitslage deutlich verschlechtert" hatte. In der Bevölkerung mache sich "Enttäuschung" breit. Verglichen mit dem Jahr 2003, als "drei große Afghanistan-Konferenzen die Tür für einen politischen Neuanfang aufgestoßen" hatten, sei "der Optimismus dieser Aufbruchstimmung heute verflogen". Was die politische Klasse und der Großteil der Medien heute bewusst verschweigen: Afghanistan ist der weltweit größte Produzent von Opium, dem Grundstoff für Heroin. Die Drogenökonomie durchdringt Politik, Wirtschaft und Gesellschaft. Sie fördert soziale Unsicherheit und politische Destabilisierung, schwächt den Aufbau der öffentlichen Institutionen und blockiert den Wiederaufbau. Hinzu kommen negative volkswirtschaftliche Auswirkungen durch den hohen Anteil von Drogenproduktion und -handel am Bruttosozialprodukt (60%), die Förderung der Schattenökonomie und die massive Verzerrung der Zahlungsbilanz. Von einer zivilgesellschaftlichen Entwicklung, die durch internationale Militärkräfte abgesichert werden müsste, kann keine Rede sein. Wenn nicht ein sofortiger Rückzug der Besatzungsarmeen und der Übergang zu einem wirkungsvollen Rekonstruktions- und Entwicklungsprogramm erfolgt, wird die NATO in einen langwierigen Militärkonflikt ohne irgendwelche Friedensperspektiven verwickelt.

Gleichermaßen desaströs ist das deutsche und EU-Engagement im Palästina-Konflikt. Nach dem Ausbruch des Bürgerkrieges zwischen Fatah und Hamas haben die USA, Israel und Europa beschlossen, aktiv die Fatah und die durch Präsident Abbas eingesetzte Notstandsregierung zu unterstützen. Die europäischen Politiker erhoffen sich von der finanziellen und politischen Unterstützung der gemäßigten Palästinenser die Rückkehr zu einer politischen Verständigung mit Israel. Faktisch haben die israelischen Regierungen den in Oslo verabredeten Friedensprozess zerstört. Als die palästinensische Bevölkerung im Gaza-Streifen und im Westjordanland die korrupte Fatah-Bewegung aus den Selbstverwaltungsorganen abwählte, wurden der Autonomie-Behörde völkerrechtswidrig die Zoll- und Steuereinnahmen gesperrt. Jetzt halten Israel, Europa und Nordamerika die Konstellation für reif, um die Machtübernahme durch die gemäßigten Kräfte der Fatah und eine Ausrichtung der Politik an der Zweistaaten-Lösung durchzudrücken.

Die verfeindeten Parteien Fatah und Hamas gehen seit einiger Zeit mit einer Brutalität gegeneinander vor, die der Auseinandersetzung Züge eines Bürgerkrieges verleiht. Die Muslimbrüder distanzierten sich bereits früh von der 1965 gegründeten bewaffneten Fatah-Bewegung, die mit zahlreichen links-säkularen Milizen unter dem Dach der PLO von außerhalb des historischen Palästina den bewaffneten Kampf gegen Israel aufnahm. Nach den Friedensgesprächen der 1990er Jahre machte sich bald Ernüchterung über den Friedensprozess und die Fatah-Politik breit. Trotz weitgehender Konzessionen der PLO – Gewaltverzicht, Anerkennung des Existenzrechts Israels – zögerte Israel den zugesagten Rückzug aus Teilen der 1967 besetzten Gebiete heraus und forcierte den Siedlungsbau. Die aus dem Exil zurückgekehrten PLO-Funktionäre besetzten die wichtigsten Ämter des rudimentären palästinensischen Kleinststaates. Es entwickelte sich ein Klientelsystem mit Machtmissbrauch und überbordender Korruption. Der Gazastreifen wurde zum Armenhaus, in dem heute 80% der 1,5 Mio. Bewohner unter dem Existenzminimum leben. In diesem Versorgungs- und Machtvakuum erstarkte die Hamas, die in ihrer Sozial- und Erziehungsarbeit als professionell und unkorrumpiert gilt und sich auch um Arme und Marginalisierte kümmert. Die grundlegende Differenz zwischen Fatah und Hamas besteht in der Israelfrage: Die Hamas tritt für eine Zerstörung Israels und den Aufbau eines islamischen Gottesstaats ein. Bei den Parlamentswahlen Anfang 2006 wurde die Fatah vernichtend geschlagen. Die Hamas, die wie viele palästinensische Intellektuelle und Parteien den Ausverkauf palästinensischer Forderungen und die Korruption kritisiert hatte, war der eindeutige Sieger des Wahlgangs. Die USA, die EU und Israel verhängten einen Boykott gegen die Wahlsieger. Damit sollte der Hamas das Regieren unmöglich gemacht werden, um die Bevölkerung von ihr zu entfremden. Jetzt, nach dem Ausbruch des Bürgerkrieges erwecken die USA, Israel und die EU den Anschein, man könne die weitere Zerstückelung des palästinensischen Staatesgebietes rückgängig machen und zu einer Zwei-Staaten-Lösung zurückkehren. Ohne gesicherte Perspektive einer ökonomischen Reproduktion für die Mehrheit der palästinensischen Bevölkerung, die Aufhebung des Landraubs und die Wiederherstellung eines integralen Siedlungs- und Staatsgebietes wird es in Nahost keinen dauerhaften Frieden geben.

Richtungskämpfe

In der Innenpolitik mehren sich seit Wochen die Anzeichen, dass die große Koalition zur Halbzeit der Legislaturperiode auf einen Macht- und Richtungskampf zusteuert. Dabei geht es vor allem um eine Verstetigung des Konjunkturaufschwungs. Die Koalition will den Aufschwung nutzen – "ganz nach dem Motto: Reformiere in der Zeit, dann hast du in der Not." Mit bis zu 70 Mrd. Euro will Wirtschaftsminister Michael Glos in den nächsten fünf Jahren die Konjunktur stärken, die Bürger finanziell entlasten und die Haushaltssanierung vorantreiben. 2008 sollen knapp 20 Mrd. Euro in die Haushaltskonsolidierung und Investitionen fließen. 2009 will man der Senkung der Arbeitskosten sowie weiteren Investitionen mit einer Summe von 17 Mrd. Euro Vorrang geben. 2010 und in den zwei Folgejahren sollen Steuersenkungen und weitere Wachstumsimpulse dominieren. Dafür sind 34 Mrd. Euro vorgesehen. Die SPD-Fraktion ist empört. Zum wiederholten Male werde in den Reihen von CDU und CSU versucht, "die Deutungshoheit über die Gründe für die aktuell gute Wirtschaftslage in Deutschland zu gewinnen." Die Sozialdemokraten fürchten, dass weitere Steuersenkungen für Unternehmen sie noch weiter in Richtung eines 20%-Stimmenanteils drücken werden.

Entscheidend ist für die Sozialdemokratie: Wie kann die völlig unzureichende Beteiligung der Lohnabhängigen am Konjunkturaufschwung überwunden werden? Von den positiven Beschäftigungseffekten des Aufschwungs profitieren Langzeitarbeitslose und Geringqualifizierte bislang kaum. Die SPD forderte daher die Einführung eines Mindestlohns, mit dem die Lohndrückerei beendet und auch in "gewerkschaftsfreien Zonen" eine Beteiligung am gesellschaftlichen Wohlstand eingeleitet werden könnte. Aber: "Es wird keinen gesetzlich verordneten Mindestlohn geben", triumphiert der Wirtschaftsminister. Auch künftig wird der Gesetzgeber nicht für die Lohnhöhe zuständig sein. Die WählerInnen werden neben den Reförmchen in Sachen Mindestlohn vor allem die Auflösung der "Rentenformel" (Rente mit 67) in schlechter Erinnerung behalten. Auch bei der Reform der Pflegeversicherung kam nur ein Mini-Schritt zustande und damit dasselbe Ergebnis wie bei der zurückliegenden Gesundheitsreform: Die Einführung der Gesundheitsprämie erweist sich als verlorene Chance im Kampf gegen die Zwei-Klassen-Medizin. Weder die ungleiche Bezahlung von Ärzten für die Behandlung gesetzlich und privat Versicherter noch die Privilegien der privat Versicherten sind abgeschafft worden.

Könnten die WählerInnen diese Hauptpunkte in einer Abstimmung bewerten, müsste die Sozialdemokratie massive Stimmenverluste einstecken. Die große Koalition wird vermutlich auch noch die zweite Halbzeit halten. Ein Verbesserung der Arbeits- und Lebensverhältnisse der Mehrheit der Bevölkerung wird nicht herauskommen. Die Sozialdemokratie steht folglich mit dem Rücken zur Wand und kann sich darauf einrichten, dass ihr die bürgerlichen Parteien die WählerInnen der Mitte abspenstig machen und dass die Linke von der wachsenden Enttäuschung und vom gesellschaftlichen Protest der unteren sozialen Schichten profitiert.

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