1. Juni 2001 Helmut Woda

Die 35-Stundenwoche muss bleiben

Die IG-Metall Bezirksleitung Baden-Württemberg hat auf Drängen der Geschäftsführung der Robert Bosch GmbH eine Initiative ergriffen, die aller Erfahrung nach für alle Bosch Betriebe nicht ohne Auswirkung bleiben kann. Es geht um nicht weniger, als in wichtigen Bereichen die 35-Stunden-Woche zu kippen und die im Jahr 2003 anstehende Tarifbewegung zur Arbeitszeit von vornherein mit Zugeständnissen an die Arbeitgeberseite erheblich zu belasten.

Die 18%-Quote für 40-Stünder soll bei Forschungs- und Entwicklungsbetrieben durch einen Ergänzungstarifvertrag ersetzt werden. Darauf hat sich die IG Metall Bezirksleitung Baden-Württemberg mit der Geschäftsführung der Robert Bosch GmbH in einem Eckpunktepapier (siehe auch www. labournet.de) als Grundlage für diesen Ergänzungstarifvertrag verständigt. In den T6 Bereichen, im Bedarfsfall auch T5, und in den analogen K Gehaltsgruppen [1] wird de facto die 40-Stunden-Woche wieder eingeführt. Jeder, der den Praxisbezug nicht ganz verloren hat, weiß, dass damit eine Druck- bzw. Sogwirkung entsteht, die selbst bei dieser Grenze nicht halt machen wird.

Dass die Geschäftsführung dies will, ist nachvollziehbar, sie zieht alle Vorteile daraus. Die IG Metall Bezirksleitung Baden-Württemberg fällt aber der eigenen gewerkschaftlichen Argumentation in den Rücken, macht sich und die ganze Organisation unglaubwürdig. Wo bleiben denn die gewerkschaftlichen Ziele wie

  Kampf gegen Arbeitslosigkeit durch Senkung der Arbeitszeit in welcher Form auch immer?

  Recht auf Qualifizierung als tarifliche Errungenschaft, wobei die Kosten das Unternehmen zu tragen hat, das auch die Vorteile daraus zieht?

  Schutz vor Leistungsüberlastung?

Jetzt soll Arbeitszeitverkürzung z.B. durch

  Reduzierung der Arbeitszeit im Rahmen des Beschäftigungssicherungstarifvertrages,

  vorzeitigen Ruhestand,

  Ergänzung zur Altersteilzeit oder Bildungsmaßnahmen

  durch vorzeitige Ableistung von mehr Arbeitszeit

ausgeglichen werden, und zwar vorab als Vorschuss, als Kredit, bei dem eventuelle Zinsen erst mal langfristig bei der Firma bleiben.

Das bedeutet:

  kein Abbau der Arbeitslosigkeit durch Arbeitszeitreduzierung, – Weiterqualifizierung zugunsten des Betriebes nicht mehr als bezahlte Arbeitszeit, sondern die Zeit soll aus der vorgeleisteten Arbeit genommen werden.

Schutz vor Leistungsüberforderung?

Es ist klar, dass die Verlängerung der Arbeitszeit eine Ausdehnung der Leistungserwartung und Leistungsanforderung beinhaltet. Jeder kann sich ausrechnen, dass das absurd ist. Die Arbeitszeit wird verlängert, weil nur die Hälfte der Mehrzeit in einem Zeitguthaben landen soll, die andere Hälfte wird ausgezahlt, wohlgemerkt ohne Überzeitzuschläge.

Geht man davon aus, dass Kaufkraftverlust spätestens dann und in dem Maße bei Tarifbewegungen ausgeglichen wird, wenn für die Beschäftigten die Schmerzgrenze anfängt, schafft man durch die Neuregelungen zusätzliche Spielräume für die von den Metallunternehmen geforderten bescheidenen Lohnabschlüsse – von bescheidener Gewinnerwartung ist nie die Rede, vor allem nicht bei Bosch. Es greift hier ineinander eine arbeitszeitliche und eine materielle Umverteilung zuungunsten der Beschäftigten.

Zeitsouveränität

Wenn nun behauptet wird, das Modell sei trotz alledem attraktiv, weil es individuelle Zeitgestaltungsspielräume eröffnet, dann muss man sehen, dass auch in diesem Wein faules Wasser ist. Verschlechtert sich nämlich die Konjunktur, wird weniger Arbeitskraft gebraucht, setzt sofort die Tendenz ein, dass die Zeitsouveränität von den Beschäftigten auf das Unternehmen übergeht (siehe Vorruhestand oder Beschäftigungssicherungstarifvertrag). Diese Instrumente werden doch immer dann eingesetzt, wenn man Beschäftigte loshaben will und immer in einer Drucksituation, die Freiwilligkeit oder eigenes Bedürfnis der Betroffenen äußerst fraglich erscheinen lassen.

Erst recht ist die Zeitsouveränität von vornherein sehr beschränkt, wenn der Beschäftigte seine Zeit für etwas nehmen will, was nicht in das vorgegebene Schema passt (wie Reduzierung der Arbeitszeit ab 55, Vorruhestand, Bildungsmaßnahmen). Hier hängt sie nämlich von einer Vereinbarung mit dem Vorgesetzten ab.

Ausdehnung der 40 Stunden auf weitere Beschäftigte

Dass dieser Ergänzungstarifvertrag die Brechstange sein soll für die Ausdehnung auf weitere Bereiche geht schon daraus hervor, dass die neuen Regelungen auch bei Neueinstellungen von Fachhochschulabgängern und Absolventen von Berufsakademien, für Leitungssekretärinnen bzw. Leitungssekretäre und Ausbildungsmeister wirken können.

Es ist abzusehen, dass die Entwicklung selbst vor dem Arbeiterbereich nicht halt machen wird. Es ist doch unstrittig, dass sich die Qualifikationsgrenze zwischen hochqualifizierter Arbeiter- und Angestelltentätigkeit immer mehr verwischt.

Intelligente Tarifpolitik

Es ist in den letzten Jahren immer mehr die Rede von intelligenter Tarifpolitik, intelligenten Konfliktlösungen etc. Dieser Ergänzungstarifvertrag ist eine Karikatur. Ziele wie Arbeitszeitverkürzung, Schutz vor Überlastung, Recht auf Qualifizierung werden proklamiert, aber das Gegenteil wird vereinbart. Hauptsache, man kann außen ein Etikett drauf kleben, das den Anschein erweckt, es entspräche den proklamierten Zielen. Aber jeder Konsument weiß, dass es nicht auf das Etikett, sondern auf den Inhalt ankommt.

Die illegale Praxis einfangen

Häufig wird argumentiert, die Arbeitszeitrealität würde sowieso der Theorie des Tarifvertrages davonlaufen, deshalb müssten die Spielräume erweitert werden, um die rechtswidrige Praxis wieder einfangen zu können. Das ist ein Witz. Woher nehmen die, die dieses behaupten, den Optimismus zu sagen, an diese Regelung wird sich die Unternehmerseite halten, werden sich die Angestellten halten?

Nein, für die Einhaltung sind die Tarifparteien und die Betriebsräte zuständig – und nicht für die Durchlöcherung.

Bosch will mehr

Bliebe als letztes Argument die Erpressung. Im Eckpunktepapier zum Ergänzungstarifvertrag wird sie massiv angedeutet. Das klingt dann so: Bosch wird sich bemühen, freie Arbeitsplätze auch mit arbeitslosen Ingenieuren zu besetzen. Was »bemühen« bedeutet, sei dahingestellt. Tatsache ist, dass Bosch freie Arbeitsplätze mit beschäftigten Ingenieuren besetzen will, indem man ihnen immer mehr Arbeit aufdrückt.

Aber jeder wird mal älter, und dann zahlt er den Preis für das, was er sich in jungen Jahren hat aufdrücken lassen.

Zitat aus dem Eckpunktepapier von Bosch: »Die Robert Bosch GmbH sieht in diesem Ergänzungstarifvertrag die Voraussetzung, auch in Zukunft ihre Aktivitäten in Forschung und Entwicklung am Standort Deutschland in Betrieben mit Tarifbindung weiterzuentwickeln.« Dass der Konzern die Voraussetzung dafür sieht, ist erstens noch keine Garantie, und zweitens klingt das so, als wäre der Umkehrschluss berechtigt: ohne diesen Ergänzungstarifvertrag würde Bosch das nicht tun.

Eine weitere schwammige Formulierung lautet: »die Robert Bosch GmbH wird in Zukunft auch diese Betriebe im Rahmen der allgemeinen Personalentwicklung ausbauen und bestehende Strukturen modernisieren« – »auch« bedeutet, dass nicht tarifgebundene Betriebe ebenfalls darunter fallen können. So schütten wir Zugeständnis um Zugeständnis in ein Fass ohne Boden.

Wie weiter?

Was für den einzelnen Betrieb geprobt wird, geht jeden Bosch Betrieb, jeden Bosch Mitarbeiter und jede Mitarbeiterin etwas an. Wen noch? Im Eckpunktepapier heißt es: »Einziges Mitglied der Tarifgemeinschaft ist zunächst der Betrieb Schwieberdingen der Robert Bosch GmbH. Die Tarifgemeinschaft ist für einen späteren Beitritt weiterer vergleichbarer Betriebe oder Unternehmen offen; Voraussetzung ist ein Antrag des jeweiligen Betriebs oder Unternehmens, die Zustimmung der Vertragsparteien und der Nachweis einer geeigneten Insolvenzsicherung für Arbeitszeitguthaben.« Einige größere Betriebe und Unternehmen warten bereits darauf, dass der Ergänzungstarifvertrag abgeschlossen wird. Die Sogwirkung wird groß sein, so dass viele Teilnehmer in der Tarifgemeinschaft zu erwarten sind. Vor allem auch deshalb, weil im Unterschied zu anderen Versuchen, die Arbeitszeit aufzuweichen, hier mit einem Tarifvertrag die 35-Stunden-Marke auf 40 Stunden verschoben werden soll. Das öffnet nicht nur, das mobilisiert gegen die entsprechende Regelung im Manteltarifvertrag. Doch die Arbeitgeber sollen wissen, dass die Beschäftigten da nicht mitspielen wollen. Die IG Metall soll wissen, dass sie nicht an Vertrauen gewinnt – zumindest nicht bei den Beschäftigten, bei den Unternehmern vielleicht –, wenn sie ihre eigenen proklamierten Ziele konterkariert. Der raffinierte Versuch der Arbeitgeber, am kleinstmöglichen Punkt – nur ein Betrieb – und an der Schwachstelle des Organisationsgrades – Angestellte in Forschungs- und Entwicklungsbetrieben – die Messlatte für die Wochenarbeitszeit für alle hochzusetzen, darf nicht gelingen. Nicht deshalb, weil uns einzelne Formulierungen nicht gefallen, sondern weil die Richtung falsch ist.

Helmut Woda ist Betriebsrat bei der Robert Bosch GmbH in Schwieberdingen.

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