1. Februar 2007 Heinz Bierbaum

Die große alte Dame des italienischen Kommunismus

Rossana Rossanda gehört ohne Zweifel zu den prominentesten Vertretern der italienischen Linken, auch wenn sie selbst kein "Mythos" sein will, wie sie einleitend zu ihrer 2005 erschienenen Biographie schreibt.

Diese Autobiographie ist kein Geschichtsbuch, sondern ihre ganz persönliche, aus der Erinnerung geschriebene Geschichte – bewegt von der Frage, was es denn bedeutet, seit 1943 Kommunistin gewesen zu sein.

Rossana Rossanda wurde 1924 in Pola geboren, wo sie zunächst in einem großbürgerlichen, intellektuell geprägten Elternhaus aufwuchs. Nach dem wirtschaftlichen Niedergang verbrachte sie ihre weitere Jugend bei Verwandten in Venedig (Lido) und später dann in Mailand, wo sie das Gymnasium besuchte und Literatur und Philosophie studierte. 1943 schloss sie sich vermittelt über ihren Lehrer an der Universität Banfi, einem namhaften kommunistischen Intellektuellen, dem antifaschistischen Widerstand an und wurde so zur Kommunistin. In der Folge war ihr Leben untrennbar mit der kommunistischen Partei und der Politik verbunden. Ab 1947 war sie bis zu ihrem Ausschluss 1969 hauptamtlich für die Partei tätig, zunächst in Mailand und später dann in Rom, wo sie viele Jahre verantwortlich für die Kulturpolitik der KPI war.

Rossana Rossanda
La ragazza del secolo scorso
Torino 2005

In ihrer Biographie werden die verschiedenen Stadien der politischen Entwicklung Italiens und der KPI deutlich. Zuerst die Befreiung vom Faschismus und damit die Rückkehr der Kommunisten in die Legalität, dann aber auch die Niederlage in den Wahlen 1948, die die KPI wie ein Schock traf und weitergehende Hoffnungen zunächst einmal bremste. Sie beschreibt die Phase des kalten Krieges mit der Dominanz der Democrazia Cristiana, die zur Staatspartei wurde, und die Versuche, die Kommunisten zu isolieren und sie ins gesellschaftliche und politische Abseits zu drängen. Dies gelang nicht. Die KPI gewann zunehmenden gesellschaftlichen Einfluss und wurde nicht nur zur weitaus stärksten Kraft der italienischen Linken, sondern auch zur größten kommunistischen Partei außerhalb des Dominiums der UdSSR. Mit dem sich abzeichnenden Ende der Hochphase des kalten Krieges Ende der 1950er, Anfang der 1960er Jahre begann für sie die politisch interessanteste Zeit mit großen Hoffnungen auf revolutionäre Veränderungen, die die KPI jedoch eher bremste als beförderte, und die dann auch mit ihrer persönlichen politischen Niederlage mit dem Ausschluss aus der Partei 1969 endete.

Obwohl die KPI unter den kommunistischen Parteien ein relativ distanziertes Verhältnis zur KPdSU und zur kommunistischen Internationalen hatte, so war doch auch ihre Entwicklung stark durch diese Verbindung bestimmt. Für Rossanda war dies immer wie ein großer bedrohlicher Schatten. Eine erste Reise 1949 in die Sowjetunion, der dann auch keine weitere mehr folgen sollte, hinterließ bei ihr einen eher distanzierten Eindruck. Etwas besser verlief eine spätere Reise nach Prag und Budapest. Vor allem aber waren es die militärischen Interventionen 1956 in Ungarn, die Ereignisse in Polen und dann besonders der Einmarsch 1968 in der Tschechoslowakei, die sie nicht nur verurteilte, sondern in ihnen auch eine erhebliche Behinderung für die politische Entwicklung sah, von der sich auch die KPI nicht recht frei machen konnte. Mit 1956 zerbrach für sie das Bild einer Sowjetunion, die zwar immer auch eine Belastung darstellte, aber doch weitgehend "sauber" geblieben war. Die tiefgreifenden Widersprüche in der sowjetischen Entwicklung und deren repressive Seite lasteten fortan schwer auf ihr und ließen sie im Alter von erst 32 Jahren weißhaarig werden. Ihr Ausschluss aus der KPI 1969 war für sie auch ein Resultat ihrer Opposition gegen diese repressive Politik.

Auch das Verhältnis zu den anderen kommunistischen Parteien im Westen war nicht gerade besonders ausgeprägt. Eine längere Reise in das Spanien Francos mit Begegnungen des Widerstands weckte in ihr keine Hoffnungen auf politischen Aufbruch. Die KPF blieb ihr fremd, galt ihr als zu dogmatisch, als wenig progressiv. Ausnahme waren Strömungen wie die von Louis Althusser mit seinem programmatischen Aufruf "Lire Marx". Anders jedoch zu Kuba, das sie länger besuchte und wo sie ausgedehnte Begegnungen mit Fidel Castro hatte. Hier sah sie einen politischen Aufbruch, auch wenn sie rückblickend doch erhebliche Zweifel über den eingeschlagenen Weg und die Politik Fidel Castros hat.

Was die KPI selbst angeht, so prallten ganz unterschiedliche Kulturen aufeinander. Für sie aus Mailand waren Kommunismus und Modernität untrennbar miteinander verbunden. In Rom dagegen lernte sie den auch nationalen, konservativen Charakter der Partei kennen. Die KPI war eine disziplinierte Massenpartei mit allerdings durchaus sehr unterschiedlichen Strömungen. So standen sich die eher "rechte" Fraktion mit Giorgio Amendola als führendem Repräsentanten, die im Verlaufe der Entwicklung sehr stark auf eine Verbindung zu den Sozialisten orientierte, und die "linke" Fraktion mit Pietro Ingrao an der Spitze als Pole gegenüber, wobei aber die Einheit der Partei nie in Frage gestellt wurde. Rossanda selbst war eine sehr prominente Vertreterin der "Ingraiani", wie die linke Strömung innerhalb der KPI genannt wurde, – zusammen mit Aldo Natoli, Luigi Pintor, Lucio Magri, Luciana Castellina u.a., die spätere "Manifesto-Gruppe". Sie hatte immer eine enge politische Verbindung zu Ingrao, die bis heute anhält. Erinnert sei nur an das gemeinsame Buch "Verabredungen zum Jahrhundertende" (Hamburg 1996). Allerdings wird auch deutlich, dass Ingrao sich doch letztlich immer sehr stark der Parteidisziplin unterwarf, was sich denn auch darin äußerte, dass er 1969 für den Ausschluss Rossana Rossandas aus der Partei stimmte. Dies bezeichnete er später als seinen größten politischen Fehler (s. die Rezension seiner Autobiographie in: Sozialismus 12/2006). Obwohl sie es nicht so direkt ausdrückt, so wird doch deutlich, dass Ingrao ein Zauderer war, der in wichtigen politischen Situationen sich nicht entschied, sondern letztlich der Parteilinie folgte. Allerdings waren es seine Thesen – nicht nur mit der Forderung nach einer radikaleren politischen Linie, sondern auch nach mehr direkter Demokratie und dem Recht auf Dissens –, die den 11. Parteitag 1966 erschütterten. In der Folge wurde er selbst politisch an den Rand gedrängt und die "Ingraini", so auch Rossana Rossanda, ihrer politischen Ämter enthoben.

Deutlich wird aus ihrer Darstellung die große politische Autorität Palmiro Togliattis, der bereits relativ früh auf eine gewisse Distanz zur Sowjetunion ging, auch wenn er in der Dokumentation der Enthüllungen der stalinistischen Verbrechen nach dem 20. Parteitag der KPdSU 1956 zögerlich blieb. Gleichzeitig traute sie ihm aber auch zu, die KPI von der Belastung der Sowjetunion lösen zu können, wenn er nicht schon 1964 gestorben wäre. Der Bruch ("lo strappo") Enrico Berlinguers war für sie zu langsam und auch zu spät. Togliattis Nachfolger Luigi Longo wird als bloßer Übergangsvorsitzender charakterisiert. Das wird ihm kaum gerecht, hielt er doch die Partei zusammen und unternahm er entscheidende Schritte zur weiteren Autonomie der KPI und nahm so vieles von dem vorweg, was unter Berlinguer geschah. Sie sah die Partei stark bestimmt von den beiden Polen Amendola und Ingrao, zwischen denen sich auch entscheiden sollte, wer das Erbe Togliattis antreten würde. Aus Gründen der Einheit der Partei wurde es aber dann weder der eine noch der andere, sondern in noch recht jungen Jahren Enrico Berlinguer. Rossanda charakterisiert ihn als undogmatisch und offen, der den Dialog mit den linken Abweichlern suchte. Allerdings wirft sie ihm den "Historischen Kompromiss" ("compromesso storico") als politischen Irrtum vor, ohne sich selbst damit näher auseinanderzusetzen. Für sie war das eine verhängnisvolle Wende in der Politik der KPI, allerdings weit entfernt von der Liquidation, wie sie die spätere Entwicklung bezeichnete, die dann schließlich zur Auflösung der KPI führte. Dennoch ist ihre Beurteilung Berlinguers äußerst hart und auch politisch falsch und ungerecht, wenn sie schreibt, dass er nach der Ermordung seines christdemokratischen Gegenparts Aldo Moro durch die Roten Brigaden politisch mit leeren Händen da stand.

Die 1960er Jahre waren für Rossana Rossanda eine Zeit voller politischer und auch persönlicher Hoffnungen. In den Wahlen von 1963 erlitt die Democrazia Cristiana eine herbe Niederlage, während die KPI erheblich zulegte. Alles war offen. Doch die KPI begriff ihrer Auffassung nach nicht vollständig, welche Möglichkeiten sich sowohl in Italien als auch auf internationaler Ebene für eine Veränderung der politischen Kräfteverhältnisse boten. Sie selbst ging nach Rom, um die Sektion Kultur der Partei zu leiten. Damit begann für sie ein neuer Lebensabschnitt, der die Mailänder Zeit auch in persönlicher Hinsicht beendete. Es war eine politisch-kulturell äußerst bewegte Zeit, in der die Linke hegemoniale Positionen in der Kultur und in der Gesellschaft erlangte.

Die Hoffnungen waren vor allem an zwei Ereignisse geknüpft: die Studentenbewegung und der heiße Herbst 1969 mit gewerkschaftlichen Kämpfen und Fabrikbesetzungen. Durch die Studentenbewegung gab es einen Aufbruch der Jugend, von dem auch die KPI stark profitierte. Doch deren Hoffnungen enttäuscht sie. Noch schwerer wog, dass Rossanda zufolge die KPI sich nicht zum politischen Repräsentanten der Gewerkschaftskämpfe und der Fabrikbesetzungen aufschwang, sondern eher bremste und so letztlich die Arbeiter im Stich ließ und damit Chancen auf gesellschaftliche Veränderung vergab. Rossana Rossanda, die schon früh auch immer einen starken Bezug zur Gewerkschaft CGIL und dabei besonders zur FIOM (die Metallgewerkschaft) hatte, sah in den Formen der Selbstverwaltung, die sich im Laufe der Fabrikbesetzungen herausbildeten, ganz offensichtlich den Keim für eine Alternative zur kapitalistischen Organisation der Produktion.

Mit dem Ausschluss aus der Partei 1969 enden die autobiographischen Aufzeichnungen Rossana Rossandas. Das ist zunächst etwas erstaunlich, verstand sie sich doch weiterhin als Kommunistin und war auch weiterhin politisch aktiv, vor allem als politische Publizistin, die sie bis heute geblieben ist. Auf der anderen Seite ist dies aber auch verständlich, stellt doch gerade die Zeit in der KPI eine zentrale und prägende Phase ihres Lebens dar.

Die Zeit nach 1969 findet ihren Niederschlag nur in kurzen Bemerkungen – so zum "Historischen Kompromiss", den sie für einen fatalen politischen Irrtum hält. Zur wichtigen Phase des "Eurokommunismus" und den damit verbundenen Hoffnungen für einen anderen, vom "realen Sozialismus" sich absetzenden kommunistischen Weg findet sich kein Wort. Auch die Selbstauflösung der KPI ist ihr nur eine Randbemerkung wert. Für sie endet die KPI politisch offensichtlich bereits 1969, nachdem sie zwei ihrer Auffassung nach historische Chancen verpasst hatte: die Studentenbewegung und die gewerkschaftlichen Kämpfe und Fabrikbesetzungen. In beiden Fällen erwies sich die KPI zögerlich und konservativ und war nicht in der Lage, diesen gesellschaftlichen Umbrüchen politisch Ausdruck zu verleihen und sich damit an die Spitze dieser Bewegungen zu stellen.

Rossana Rossandas Autobiographie ist ohne Frage ein literarisch hochrangiges Buch. Beeindruckend ist vor allem die Darstellung ihrer Zeit als junge Funktionärin der KPI, in der ihr hohes persönliches Engagement, die Durchdringung von Politischem und Persönlichem sowie die politischen Hoffnungen zum Ausdruck kommen. Entscheidend war für sie immer die gesellschaftliche und kulturelle Verankerung der Kommunisten. Doch schon auf ihrem Höhepunkt in den 1960er Jahren sieht Rossanda auch Schwächen und einen Verlust an gesellschaftlicher Hegemonie, der sich bis heute in der Linken dramatisch zugespitzt hat. Auf der anderen Seite werden die 1960er Jahre rückblickend verklärt. Studentenbewegung und vor allem auch die Bewegung in den Fabriken 1969 werden politisch überschätzt. Der Einfluss der internationalen Lage wird dagegen unterschätzt; hier wird einseitig auf den hemmenden Einfluss der Sowjetunion abgehoben. Auch die ökonomischen Zusammenhänge bleiben außer Betracht.

Trotz aller Kritik am verhängnisvollen Einfluss der von der KPdSU dominierten Kommunistischen Internationalen ist dies alles andere als ein antikommunistisches Buch und setzt sich damit deutlich ab von den zum Teil peinlichen Distanzierungen mancher früherer politisch hoher KPI-Funktionäre wie z.B. von Piero Fassino, dem heutigen Vorsitzenden der DS. Es ist vielmehr ein Bekenntnis zu einem Kommunismus, der sich als progressive, in der Gesellschaft tief verankerte Bewegung versteht. Umso bitterer dann auch die Enttäuschungen, für die symbolhaft der Ausschluss aus der KPI steht. Diese sehr persönlich-politische Darstellung macht das Buch lesenswert. Eine eigentlich politische Analyse ist es allerdings kaum. Es bleibt jedoch die Botschaft der Notwendigkeit der gesellschaftlich-politischen Verankerung, ohne die linke Politik nicht erfolgreich sein kann.

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