1. Juni 2008 Joachim Bischoff

DIE LINKE als Flugsandpartei?

Der langjährige Marburger Politikwissenschaftler Fülberth, erklärter Marxist und langjähriger Anhänger der kommunistischen Partei, hat eine kritische Analyse der neuen Partei DIE LINKE vorgelegt.[1] Seine zentrale These: "Die Linke" entstand aus dem Zerfallsprozess von zwei Parteien: der SED und der SPD.

Dieser Zerfallsprozess gründet auf der Transformation von zwei Gesellschaftsformationen: des "realen Sozialismus" in der DDR und des auf ständigem schnellem Wachstum beruhenden Wohlstandskapitalismus in der Bundesrepublik.

Fülberth, der von der realkommunistischen Theorie und Praxis nach wie vor große Stücke hält, konstatiert mittlerweile lapidar: Noch sei der Kapitalismus so lebendig, dass in seinem Rahmen sich keine Gegengesellschaft entwickeln konnte. "Weil das so ist, konnte der Sozialismus dort, wo er versucht wurde, keine eigene Ökonomik entwickeln. Das, was in den sozialistischen Ländern versucht wurde, war nur ein Behelf: die Ersetzung des Marktes durch einen Typ der Planung, der noch nicht einmal die Vorteile des Kapitalismus hatte... Wer das System trotzdem beibehalten wollte – und sei es aus übergeordneten gleichsam geschichtsphilosophischen Gründen, um einen späteren Weg in den Sozialismus offen zu halten und bis dahin die Rückkehr des Kapitalismus zu verhindern –, war im höheren Maße auf administrative Strukturen und Zwang verwiesen als die meisten kapitalistischen Gesellschaften während ihrer Prosperi­tätsperioden." (18)

Aus "übergeordneten Gründen" – das ist das Geheimnis seiner Verbundenheit mit der realkommunistischen Partei und ihren Widersprüchen oder Kurswechseln. Aus dieser Warte betrachtet der Marxist jetzt auch die neueren Inszenierungen des politischen Karnevals.

Gleichermaßen oberflächlich wie die Betrachtung des Realsozialismus fällt die der neueren Geschichte des Kapitalismus aus. Der "Rheinische Kapitalismus" war eine Durchgangsperiode unter Ausnahmebedingungen. "Die Erosion des alten deutschen Korporatismus ist verbunden mit der Entstehung eines neuen... Die Auflösung des korporatistischen Gesellschaftsmodells in seiner bisherigen Form führte auch zu einer Transformation der bisherigen Volksparteien." (140) Auf die Oberfläche dieser dünnen theoretischen Suppe werden dann einige Fettaugen eingespült, die dem Leser die Chance eröffnen, sich ein tieferes Verständnis von Politik, Klassenstruktur und Ökonomik zu imaginieren. Die LINKE sei eine temporäre Flugsandpartei. (144)

Die Abwicklung der SPD war allerdings nur eine teilweise: Es blieb noch eine große Mitgliederzahl in der alten Partei und diese ist um ein Vielfaches größer als die LINKE. Und "Funktionäre hat sie in der Zeit der Niederlagen seit Schröder nicht viele verloren", denn von seiner geschichtsphilosophischen Warte sieht Fülberth hier einen letzten Reflex der Strömungskämpfe aus dem untergegangenen Jahrhundert der Extreme: "die Angst des Apparats vor einer Spaltung" (147). Für Fülberth ist die LINKE bislang "nur eine Art passiver Reflex" (150) auf diese Konstellation, in der die LINKE vorübergehend eine gewisse Bedeutung haben wird. Immerhin reichen die Brocken eines überzeitlichen geschichtsphilosophischen Standorts des marxistischen Beobachters kommunistischer Provenienz zur Distanzierung gegenüber den Spielen auf der politischen Oberfläche: "Die Diversifizierung des deutschen Parteiensystems seit Ende der siebziger Jahre ist Ergebnis eines Prozesses, das sich eine Ebene tiefer vollzieht: in der Sozialstruktur. Der Aufstieg der Intelligenz zu einer Massenschicht brachte die Grünen hervor." Der Aufstieg des Prekariats zur Massenschicht bringt die neue Flugsandpartei hervor.

Die frühen Grünen waren vielleicht aufregender, aber politisch uninteressanter, haben sie die SPD doch locker rechts überholt, damit man heute so etwas wie Ökostrom kaufen kann. Dagegen ist die nach Fülberth "zweite (neo)sozialdemokratische Partei" Ergebnis des Krieges, den die BRD seit 1989 nach innen wie außen führt. Die LINKE ist dabei vielerlei Projektionen ausgesetzt, die sich zwar widersprechen, "aber sie stärken insgesamt die Partei", die "in einer oppositionslosen Situation" den "linken Flügel des kapitalistisch Erlaubten" bildet. "Wer mehr oder Anderes will, ist nicht daran gehindert", analysiert Fülberth, mit dem man heute zum Beispiel die Frage diskutieren kann, ob die Summe kleiner sein kann als die zu addierenden Teile.

Die Originallektüre der Kurzanalysen des Parteienforschers Franz Walter bringt einen tieferen Einblick in die Transformation des bundesdeutschen Parteiensystems; aber die Präsentation der hessischen "Geschichten" über den Parteibildungsprozess zur Linkspartei hat auch einen Unterhaltungswert.

Der Leser wird mit einer Perspektive entlassen: "Die Auflösung des alten Wohlfahrtskapitalismus und des Realen Sozialismus endet nicht in einem Vakuum, sondern sie erzeugt einen neuen Zustand: Dies ist eine Gesellschaft mit mehr Ungleichheit als zuvor, mit einer stärker abgesunkenen Unterschicht und einem Parteiensystem, das dieser Realität in etwa entspricht. In ihm könnte (sic!) die LINKE für einige Zeit einen sichtbaren Platz finden. Allerdings wird die Summe aus SPD und ihrer Konkurrenzpartei zumindest auf absehbare Zeit kleiner sein als die sozialdemokratische Organisationswelt einst im Goldenen Zeitalter des Kapitalismus." (163)

[1] Georg Fülberth, "Doch wenn sich die Dinge ändern" – Die Linke; Neue Kleine Bibliothek Nr. 126; 169 Seiten; EUR 12,90; ISBN 978-3-89438-383-1

Zurück