26. Januar 2018 Christoph Butterwegge: Plädoyer für eine Alternative zur Demontage des Sozialstaates

Die solidarische Bürgerversicherung

Karikatur: Markus Grolik (dpa)

In den vergangenen Jahrzehnten haben Diskussionen zur Sozial- und Gesundheitspolitik nur ein Konzept hervorgebracht, das in der politischen und Fachöffentlichkeit auf nennenswerte Resonanz stieß, ohne Leistungskürzungen für Benachteiligte und/oder finanzielle Entlastungen für Besserverdienende zu beinhalten: die Bürgerversicherung.

Einem jüngeren Publikum wurde die Bürgerversicherung erstmals nach dem Scheitern der »Jamaika«-Verhandlungen bekannt, als sie im November/Dezember 2017 zur Kernforderung der SPD für Sondierungsgespräche mit CDU und CSU avancierte.

Obwohl die neuerliche Bildung einer Großen Koalition damals noch in weiter Ferne lag und die Chancen, der Union eine grundlegende Reorganisation des Gesundheitswesens abzutrotzen, gering waren, rief die Bürgerversicherung bei manchen Personengruppen hoch emotionale Abwehrreaktionen hervor: Privatpatient*innen fürchteten um ihre medizinische Vorzugsbehandlung, Chefärzt*innen um ihre Hauptverdienstquelle, Vorstände der Versicherungskonzerne um die Profite ihrer Aktionär*innen und Vertreter*innen dieser Unternehmen um ihre Provisionen.

Für kurze Zeit schien es, als könnte die SPD mit ihrer symbolträchtigen und breitenwirksamen Forderung nach einer Bürgerversicherung gegenüber der Union wieder in die Offensive gelangen. In der finalen Fassung des Papiers, auf das sich die Sondierer*innen am 12. Januar 2018 einigten, kam die Bürgerversicherung jedoch gar nicht vor. Dafür gestanden CDU und CSU ihrem designierten Koalitionspartner zu, dass die Krankenkassenbeiträge wieder zu gleichen Teilen von Arbeitgebern und Arbeitnehmer*innen geleistet werden sollen.[1]

Laut dem am 21. Januar 2018 gefassten Beschluss des Bonner Sonderparteitages zur Aufnahme von Koalitionsverhandlungen mit der Union will die SPD zwar »das Ende der Zwei-Klassen-Medizin einleiten«, wozu sich die Versorgung nach dem Bedarf der Patient*innen und nicht nach ihrem Versicherungsstatus richten müsse.[2]

Christoph Butterwegge ist Armutsforscher, Professor für Politikwissenschaft im Ruhestand an der Universität zu Köln, Mitglied der Forschungsstelle für interkulturelle Studien (FiSt). In Sozialismus 12/2017 schrieb er über »Neo­liberalismus – Standortnationalismus – Wohlstandschauvinismus. Kern­ideologeme des Rechtspopulismus«.

[1] Vgl. Ergebnisse der Sondierungsgespräche von CDU, CSU und SPD. Finale Fassung, 12.1.2018, S. 14 (http://www.portal-sozialpolitik.de/uploads/sopo/pdf/2018/2018-01-12_Sondierungsergebnis_PS.pdf; 20.1.2018).
[2] Siehe Außerordentlicher Bundesparteitag (der SPD) in Bonn am 21. Januar 2018, Beschluss Nr. 1, S. 2 (https://www.spd.de/fileadmin/Dokumente/Ausserordentlicher_Bundesparteitag_2018/B1_Aufnahme_von_Koalitionsverhandlungen.pdf; 22.1.2018).

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