29. August 2012 Vasco Pedrina: Mobilisierung für Alternativen in Europa
Ein europäischer Generalstreik?
Stabilitätspakt, Euro-Pakt, Sixpack[1] und Fiskalpakt haben den Rahmen für eine permanente Austeritätspolitik in der Europäischen Union geschaffen. Ihre institutionelle Festschreibung erzeugt jedoch nicht mehr Stabilität.
Umgekehrt: Mit der erneuten Vertiefung der Krisenprozesse wird zunehmend offensichtlich, dass diese Politik in eine Sackgasse geführt hat – am auffälligsten in den Südländern. Das »Projekt Europa« ist kein Hoffnungsträger mehr für sozialen und politischen Fortschritt. Im Gegenteil: Seit der Weltfinanzkrise wird das Programm eines Sozialen Europa zu Grabe getragen.[2] EZB-Präsident Mario Draghi hat es Ende Februar dem Wall Street Journal unverblümt erklärt: Das Europäische Sozialmodell ist tot. Vermeintlicher »Ballast« soll abgeworfen werden, um die Wettbewerbsfähigkeit gegenüber den USA und den BRIC-Staaten zu steigern.
Die ArbeitnehmerInnen sind daran, dies sehr teuer zu bezahlen. Die sozialen Einschnitte sind massiv; die Arbeitslosigkeit hat mit 25 Millionen einen historischen Höchststand erreicht (mit einer erschreckenden Jugendarbeitslosigkeit von über 50% in Spanien und Griechenland); die Löhne werden gesenkt und – was noch zu wenig wahrgenommen wird – die Angriffe gegen Arbeitnehmer- und Gewerkschaftsrechte massiv verstärkt. Das geht mittlerweile so weit, dass in der letzten »Conférence internationale du Travail« der International Labour Organization (ILO) nicht mehr nur die Diktaturen dieser Welt auf der Anklagebank saßen, sondern erstmals angesehene europäische Länder wie Griechenland, Spanien, Ungarn und Rumänien. Nicht einmal mehr die acht Grundnormen der ILO, die zu den Menschenrechten gehören, werden in diesen Ländern eingehalten. Demokratische Grundregeln sind in der EU in Gefahr, ausgehebelt zu werden – spätestens nach der Inkraftsetzung des Fiskalpakts.
Dagegen wäre ein europäischer Generalstreik eine geeignete und notwendige Antwort. Doch weshalb ist es dazu bislang nicht gekommen? Was kann man unternehmen, um in diese Richtung voranzukommen? Um diese Fragen zu beantworten, muss man einen Blick sowohl auf die rechtliche wie auf die politische Seite dieser Problematik werfen.
Das Streikrecht in Europa
Im Grunde sind wesentliche Gewerkschaftsrechte wie die Koalitionsfreiheit und das Streikrecht eine ausschließlich nationale Angelegenheit und die EU-Verträge schließen eine gesetzgeberische Kompetenz auf europäischer Ebene aus. Allerdings wird dieser Grundsatz zunehmend in Frage gestellt. Aber auch zahlreiche nationale Gesetzgebungen sind zweideutig. Sie schwanken einerseits zwischen der Anerkennung von Arbeitskämpfen – insbesondere des Streiks – als Grundrecht (u.a. gemäß ILO-Übereinkommen N° 87) und andererseits dem politischen Willen, diese Grundrechte zu begrenzen, damit sie Unternehmen und Staat nicht zu stark behindern.
Das Arbeitskampfrecht – und damit auch das Streikrecht – hängt im Wesentlichen ab von den nationalen Systemen der Sozialpartnerschaft. Eine Vergleichsstudie des ETUI (2008) für die EU27 zeigt, wie heterogen die rechtliche Lage ist:[3]
- Der Warnstreik ist – für eine bestimmte Zeit – erlaubt in Bulgarien, Zypern, Estland, Deutschland, Litauen, Polen, Rumänien.
- In den meisten Ländern sind politische Streiks verboten (mit Ausnahme von Dänemark, Finnland, Irland, Norwegen und Italien).
- Der Solidaritätsstreik ist unter bestimmten Bedingungen in zahlreichen Ländern legal (mit Ausnahme von Litauen, Luxemburg, Niederlande, Großbritannien). In Deutschland und Italien sind diese Bedingungen besonders komplex.
- Die »action de solidarité internationale« ist legal in Belgien, Griechenland, Irland, Italien, Luxemburg, Norwegen und Schweden. Für die meisten dieser Länder muss allerdings der Streik im Ursprungsland legal sein.
Trotz fortschreitender Globalisierung und Europäisierung von Wirtschaft und Gesellschaft sind die europäischen Gewerkschaften in einem ersten Schritt gezwungen, gemäß ihren nationalen gesetzlichen Vorgaben zu handeln: Erst in einem zweiten Schritt können sie versuchen, ihre nationalen Aktionen auf supranationaler Ebene zu koordinieren. Die zunehmende Einmischung der EU in nationale Kompetenzen wiederum fördert nicht die Weiterentwicklung des Streikrechts. Zwar wurde das Recht auf Verhandlungen und auf Arbeitskämpfe in der europäischen Charta der Grundrechte (als Bestandteil der Lissabonn-Verträge) verankert und damit auch das Streikrecht anerkannt. Aber dies erfolgt nur im Rahmen des Gemeinschaftsrechts und der nationalen Gesetzgebungen, was den Richtern große Spielräume in der Rechtsprechung belässt. Diese Spielräume wurden in den letzten Jahren vom Europäischen Gerichtshof (EuGH) bei den inzwischen berühmten Fällen Viking und Laval – nebst zwei weiteren (Rüffert und Luxemburg) – einseitig zu ungunsten der Arbeitnehmer und der Gewerkschaften genutzt und haben damit die Tore für Lohn- und Sozialdumping weit geöffnet.[4] Nach dem EuGH-Urteil in Fall Viking müssen die Gewerkschaften beweisen, dass sie Arbeitsbedingungen und Löhne nur mit einer Streikdrohung – die selbst noch dem Prinzip der »Verhältnismäßigkeit« (und damit den Urteilen der Gerichte) unterworfen ist – schützen können. Nach dem Laval-Urteil kann eine Gewerkschaft keine Kampfmaßnahmen mehr einleiten, um Entlohnungsbedingungen durchzusetzen, die über die gesetzlichen Standards hinausgehen. Im Fall Laval ging es um die Frage, ob lettische oder schwedische Löhne in Schweden bezahlt werden sollen.
Diese rechtlichen Auseinandersetzungen sind inzwischen in eine weitere Runde eingetreten:
- einerseits mit dem Euro-Pakt, dem Sixpack und dem Fiskalpakt, welche die Tarifautonomie der Sozialpartner in Frage stellen;
- anderseits mit der laufenden Diskussion über eine neue Monti II-Verordnung.
Um was es geht?
Auseinandersetzungen um das Arbeitskampfrecht in der EU
Als Antwort auf die scharfe Kritik der Gewerkschaften gegen die genannten EuGH-Urteile hat die EU-Kommission kürzlich einen Entwurf für eine neue so genannte Monti II-Verordnung vorgestellt und damit ihre Position noch einmal radikalisiert. Die Opposition des Europäischen Gewerkschaftsbundes (EGB) betrifft folgende Punkte:
- Der Entwurf begrenzt das Recht auf Arbeitskämpfe.
- Der Vorrang der sozialen Grundrechte gegenüber den wirtschaftlichen Marktfreiheiten wird nicht klargestellt, wenn es um Arbeitskämpfe geht.
- Verstärkt wird das Verhältnismäßigkeitsprinzip, das der EuGH im Fall Viking eingeführt hat; damit wird den Gerichten weiterhin überlassen, zu entscheiden, ob Arbeitskämpfe im konkreten Fall tatsächlich gerechtfertigt sind.
Zum Glück haben mehr als ein Drittel der nationalen Parlamente – zum ersten Mal – von der »Subsidiaritätsrüge« Gebrauch gemacht, was als »gelbe Karte« für die Kommission zu werten ist, die nun ihren Vorschlag überdenken muss. Das Positive am Ganzen ist, dass zum ersten Mal eine richtige Diskussion auf europäischer Ebene zum transnationalen Arbeitskampfrecht in Gang gekommen ist.
Rückblick: Arbeitskämpfe des »Euro-Syndikalismus«
Ein Rückblick auf die Geschichte der Arbeitskämpfe und die soziale Mobilisierung des »Euro-Syndikalismus«[5] zeigt, dass bisher nur wenige supranationale Streiks organisiert werden konnten – sei es in einem multinationalen Unternehmen oder auf Branchenebene. Auf der Ebene multinationaler Unternehmen sind u.a. folgende Fälle zu nennen:
- Bei Saint-Gobain (Chemie) kam es 1998 in Frankreich, Deutschland, Italien und den USA zur ersten transnationalen Streikaktion nach dem Zweiten Weltkrieg.
- Bei Renault (Automobilindustrie) gab es 1997 aus Anlass der Schließung der belgischen Niederlassung in Vilvorde für eine Stunde einen »Euro-Streik« in allen europäischen Unternehmensstandorten. In Belgien beteiligten sich alle 30.000 Arbeitnehmer dieser Industrie am Arbeitskampf.
- Bei Airbus gab es 2007 einen zweistündigen Streik und Demonstrationen in Frankreich, Deutschland, Spanien und Grossbritannien.
Auf Branchenebene sind zu erwähnen:
- Die Eisenbahner organisierten ihren ersten Euro-Streik am 27.10.1992 gegen die ersten europäischen Bestrebungen zur Liberalisierung der Eisenbahnnetze. Am zweiten Streik am 23.11.1998 gegen die erneuten Liberalisierungsbestrebungen waren hingegen nur drei Länder richtig beteiligt (Belgien, Frankreich, Griechenland).
- In den Häfen gab es einen »Euro-Streik« am 6.11.2001 und einen zweiten am 19.12.2002. Am 17.1.2003 streikten mehr als 20.000 Dockers in belgischen, finnischen, spanischen und portugiesischen Häfen. Diese Streiks verhinderten erfolgreich weitere Liberalisierungen in dieser Branche.
Was die interprofessionellen Mobilisierungen des »Euro-Syndikalismus« betrifft, unterscheiden A. Dufresne und C. Gobin vier Perioden:
a) die Jahre 1978-1983: Die Mobilisierungen in dieser Zeit waren die Antwort des EGB auf die neoliberale Welle, eingeleitet ab 1975 von Seiten der Arbeitgebervereinigungen in Europa und in der Folge mitgetragen von den EU-Behörden und von den nationalen Regierungen (früh und am prominentesten von der britischen Regierung unter M. Thatcher). Die erste europäische interprofessionelle Demonstration fand am 14.11.1975 statt. Verschiedene andere transnationale Demonstrationen folgten zwischen 1979 und 1983, blieben aber erfolglos. Nach einigen Jahren der Opposition kehrte der EGB ab 1984 zur Zusammenarbeit mit den EU-Institutionen im Rahmen des tripartistischen »Sozialen Dialogs« zurück.
b) die Jahre 1996/1997: Diese zweite Periode steht im Zusammenhang mit den sozialen Mobilisierungen als Antwort auf die Revision des Maastricht-Vertrages. Es ging um die Auseinandersetzung zwischen der Realisierung der Währungsunion und dem »freien« Binnenmarkt einerseits und einem sozialen Europa andererseits. Der Arbeitskampf in Vilvorde wurde ein Symbol dieser Auseinandersetzung.
c) die Jahre 2000-2003: Die dritte Phase ist im Zusammenhang einerseits mit der globalisierungskritischen Bewegung (mit den Demonstrationen in Seattle im Dezember 1999) und andererseits mit der Schaffung der »Konvention für eine europäische Verfassung«, geleitet vom ehemaligen französischen Präsidenten Valery Giscard d’Estaing (Laeken im Dezember 2001), zu sehen. Acht Euro-Demonstrationen folgten im Vorfeld der EU-Gipfel (die größte mit 300.000 Beteiligten beim Gipfel in Barcelona).
d) die Jahre 2005/2006: Die vierte Periode ist geprägt vom Kampf gegen den Bolkestein-Richtlinienentwurf (Liberalisierung der Dienstleistungen). Ein Teil der Bewegung mobilisierte in dieser Zeit auch gegen den Entwurf für eine europäische Verfassung. Dies führte zum Rückzug des Bolkenstein-Entwurfs. Interprofessionelle Streiks gab es aber auch diesmal nicht.
Arbeitskämpfe in Zeiten der Finanz- und Euro-Krise
Auf seinem Kongress 2006 in Sevilla beschloss der EGB, mit einer Lohnkampagne in die Offensive zu gehen. Zum ersten Mal in seiner Geschichte organisierte er u.a. eine große Demonstration (30.000) zur Lohnfrage in Lubljana im Frühling 2008. Die Weltfinanzkrise hat ein paar Monate später dieser Mobilisierung das Genick gebrochen. Der kurzen Phase der anti-zyklischen Programme folgte ab Anfang 2010 die der strikten Austeritätspolitik und des damit verbundenen Teufelskreises aus schnell steigender Arbeitslosigkeit, wachsender sozialer Ungleichheit und Armut sowie der Prekarisierung der Arbeitsverhältnisse. Gleichzeitig kam es zu massiven Angriffen im Namen der Flexibilisierung der Arbeitsmärkte und mit dem Ziel, die Arbeitskosten zu senken.[6] In der Tat: »Seit der Weltfinanzkrise wird das europäische Sozialmodell zu Grabe getragen«.[7]
In einem solchen Umfeld ist es nicht erstaunlich, dass seit 2009/2010 eine große – in diesem Ausmaß noch nie da gewesene – Welle von Protestaktionen feststellbar ist. Herausragend sind die 15 Generalstreikstage in Griechenland, die zwei Generalstreiks in Spanien (am zweiten haben sich mehr als vier Millionen beteiligt), die zahlreichen Massenproteste in Portugal und Italien sowie in einigen osteuropäischen Ländern. Ihre Wirkung war aber begrenzt. Nirgends konnte die neoliberale Dampfwalze gestoppt werden.
Gefehlt hat die europäische Vernetzung. Nicht einmal in den geplagten Südländern war die europäische Gewerkschaftsbewegung imstande, sich zu koordinieren. Andererseits waren die vier europäischen Aktionstage, die der EGB in den letzten drei Jahren organisiert hat, bei weitem nicht kräftig genug, um Eindruck zu machen. Demonstrationen mit 70.000 Teilnehmenden in Brüssel wie bei den Protesten gegen die Bolkestein-Richtlinie reichen nicht mehr; noch weniger EGB-Aktionstage – wie jene vom 29. Februar 2012 – mit nur symbolischem Charakter. Zur Illustration: Einzig die spanischen Gewerkschaftsbünde hatten an diesem Tag Massenveranstaltungen organisiert (mit 400.000 Teilnehmern). Der DGB hatte gerade mal eine Demonstration von 150 GewerkschafterInnen vor dem Sitz der EZB in Frankfurt zustande gebracht und der Beitrag der Schweden bestand darin, einen Protestbrief an ihre Regierung zu schreiben.
Weshalb diese Lähmung der europäischen Gewerkschaftsbewegung? Was kann getan werden, um wenigstens längerfristig aus der Sackgasse herauszukommen?[8]
Die Tendenz »nationaler Rückzüge« der Gewerkschaften ist eindeutig feststellbar – seit dem Ausbruch der Finanzkrise sogar verstärkt. Auf der einen Seite absorbieren auch Gewerkschaften ihre Energien und Ressourcen in nationalen Abwehrkämpfen. Auf der anderen Seite untergraben die stark ungleichen Entwicklungen zwischen den »Überschussländern« und den »Defizitländern« die Grundlagen von Solidarität. Hinzu kommen Divergenzen hinsichtlich der Forderungen als auch der Gewerkschaftskulturen und -traditionen, schließlich auch der Themen und Rhythmen einer Mobilisierung. Einige Organisationen kämpfen gegen Angriffe auf die Arbeitnehmerrechte, andere gegen die Erhöhung des Rentenalters und weitere gegen Privatisierungen.
Europäisierung sozialer Kämpfe
Der Ausweg aus dieser Sackgasse liegt in einer offensiven Strategie der Europäisierung der Sozialkämpfe und gemeinsamer politischer Aktionen. Die Zeit drängt, denn das Risiko ist groß, dass der Fiskalpakt ebenso wie die nationalen Sparpläne zu einem derartigen Anwachsen der Ungleichgewichte zwischen und innerhalb der Länder führen, dass die sozialen und politischen Spannungen unerträglich werden und schließlich den weiteren Aufstieg des Rechtspopulismus fördern.
Immerhin bewirken das offensichtliche Scheitern der neoliberalen Austeritätspolitik und die Verschiebung der öffentlichen Debatte hin zur Notwendigkeit einer neuen Wachstumsstrategie sowie der Sieg von Hollande in Frankreich und die starke Zunahme der Wähleranteile von neuen linken politischen Kräften wie Syriza in Griechenland eine Öffnung, die genutzt werden sollte. In diesem Kontext startete der EGB im Juni eine Offensive für einen »Sozialpakt für Europa«[9] als Alternative zum Fiskalpakt mit dem Ziel, das Soziale Europa wieder auf die politische Agenda zu heben.
Gelingen kann eine solche Politik des »Sozialpakts« aber nur, wenn sie mit der erwähnten »Vorwärtstrategie« verknüpft wird. Mehrheitsfähig ist sie in unserer Bewegung gegenwärtig noch nicht, aber die Diskussion darüber ist im Gange. Es geht eben um die Frage, wie sich die Kräfteverhältnisse verändern lassen. Zwei Instrumente stehen im Vordergrund und könnten sich gegenseitig ergänzen: Auf der politischen Ebene steht neu das Instrument der Europäischen Bürgerinitiative (EBI) zur Verfügung. Der Vorschlag steht im Raum, eine Kampagne gegen das sich verbreitende Lohndumping mit der Lancierung einer EBI zu verbinden, die das Ziel hätte, das Prinzip »Gleicher Lohn für gleiche Arbeit am gleichen Ort« in ganz Europa durchzusetzen. Sie wäre ein starkes Mittel für eine dezentralisierte Sensibilisierungsarbeit am Arbeitsplatz und auf der Straße sowie auch für eine breite gewerkschaftspolitische Aktion, die in ganz Europa für ein gemeinsames Ziel politischen Druck macht. In diesem Sinn kann sie dazu beitragen, die Dynamik des nationalen Rückzugs und des verbreiteten Gefühls der Machtlosigkeit zu brechen. Aber der Rückgriff auf eine EBI kann nur die Anstrengungen für eine echte Europäisierung der laufenden sozialen Kämpfe unterstützen, bestimmt nicht ersetzen.
Der EGB-Kongress 2011 hat zwar einen Vorschlag der spanischen Gewerkschaften CC.OO und UGT angenommen, der dazu aufrief, ernsthaft die Machbarkeit koordinierter Streiks oder gar eines Generalstreiks zu prüfen, aber das geschah ohne Überzeugung. Die Gewerkschaften UNI Europa (Dienstleistungen) und EFBH (Bau + Holz) haben auf ihren Kongressen im letzten Winter den Ball aufgenommen und die Idee einer dauerhaften Kampagne lanciert, die im Frühling dieses Jahres mit einem europäischen Aktionstag hätte beginnen sollen – gründend auf der Idee: Die europäischen Gewerkschaften geben ein lautes Alarmsignal! Die Forderungen würden sich auf die Slogans »Arbeit – Löhne – Rechte; Anstatt Spekulation und Spardiktate – Gleicher Lohn für gleiche Arbeit – Ja zu Europa, aber anders!« beziehen. Mit einer guten Vorbereitungsphase, so die Überlegung, sollte es möglich sein, zumindest teilweise die riesige Diskrepanz zwischen den großen Generalstreiks in Ländern wie Griechenland, Spanien und Portugal und der eher marginalen Aktivitäten in vielen anderen Ländern zu reduzieren.
Dazu wäre es nötig, dass alle Gewerkschaftsbünde sich für einen qualitativen Sprung in ihren eigenen Aktionen engagieren – selbstverständlich, indem sie dabei den nationalen Traditionen und ihrem effektiven Potenzial Rechnung tragen. Daraus entstand der Aktionstag des EGB vom 29. Februar. Die kurze Vorbereitungsfrist von vier Wochen hat es nicht erlaubt, den gewünschten qualitativen Schritt zu tun. Beim gegenwärtigen Stand der Debatte und Mobilisierung bräuchte es dafür mindestens vier bis sechs Monate. In Vorbereitung ist eine »Aufklärungs- und Aktionswoche« im Drei-Länderverbund von ver.di (Deutschland), gpa (Österreich) und Unia Anfang November 2012.
In der Sitzung des EGB-Vorstands vom 5./6. Juni sind die spanischen Gewerkschaften erneut in die Offensive gegangen. In Anbetracht des großen Risikos, dass die Krise in den Südländern – wie schon in Griechenland – außer
Kontrolle gerät, haben sie für europäische Streiks schon im nächsten Winter plädiert – für den Fall, dass die EU-Kommission und der Arbeitgeberverband »Businesseurope« nicht rasch positive Antworten auf die Forderungen des »Sozialpakts für Europa« geben. Es ist zu hoffen, dass ihr dringender Aufruf von den anderen Bünden, vor allem in den »Überschussländern« Mittel- und Nordeuropas, endlich gehört wird.
Vasco Pedrina ist Vertreter des SGB (Schweizer Gewerkschaftsbund) im Vorstand des Europäischen Gewerkschaftsbundes (EGB) und Vizepräsident der Internationalen Föderation der Bau- und Holzarbeiter (BHI). Bei diesem Beitrag handelt es sich um die überarbeitete Fassung einer Rede auf der Tagung der Robert-Grimm-Gesellschaft im Juni 2012.
[1] So werden sechs europäische Gesetzgebungsmaßnahmen genannt, die die Reform des Stabilitäts- und Wachstumspaktes begleiten. Der Sixpack trat am 13. Dezember 2011 in Kraft.
[2] Wolfgang Kowalsky: Zielloses Europa zwischen Auseinanderdriften, Rebellion und Kurswechsel: Die Austerität frisst ihre Kinder, in: Festschrift für F. Steinkühler, Marburg 2012.
[3] ETUI (Wiebke Warneck): La réglementation des grèves dans l’Union des 27 et au-delà – Synthèse comparative. Bruxelles 2008. ETUI, Working Paper (Kurt Vandaele): Sustaining or abandoning »social peace«? – Strike developments and trends in Europe since the 1990s, Bruxelles 2011.
[4] Vgl. Paul Rechsteiner: Verteidigung der ArbeitnehmerInnenrechte in Europa. Für eine gewerkschaftliche Offensive, in: Widerspruch Heft 57, 2009.
[5] Anne Dufresne/Corinne Gobin: L‘Euro-syndicalisme au début du 21ème siècle –Synthèse d’un movement syndical transnational en construction – Modules de formation syndicale, GRAID-Université libre de Bruxelles, 9,2008.
[6] ETUI, Working Paper (Stefan Clauwert/Issabelle Schömann): Arbeitsrechtsreformen in Krisenzeiten – eine Bestandsaufnahme in Europa, Bruxelles 2012.
[7] W. Kowalsky, a.a.O.
[8] Vasco Pedrina: Zwischen nationalem Rückzug und europäischer Gegenoffensive, in: Sozialismus, 5/2012.
[9] EGB: Ein Sozialvertrag für Europa/Contrat social pour l’Europe, Entschließung des EGB-Vorstands 6,2012.