1. Juni 2005 Armando Fernández Steinko

Ein Jahr Zapatero

Der Sieg des Sozialisten Zapatero bei den Wahlen in Spanien vor einem Jahr war das Resultat einer langen Kette von Massenmobilisierungen, vor allem – aber nicht nur – wegen des spanischen Beitritts in die Azoren-Koalition. Spanien ist, in der Tat, in eine neue Phase der politischen Auseinandersetzung eingetreten.

Die aktive Opposition gegen den Irak-Krieg, die für den Wahlausgang wesentlich war, ist nicht nur Ausdruck einer außerordentlich militanten Befürwortung einer internationalen Rechtsordnung, sondern muss innenpolitisch dechiffriert werden.

Das spanische Demokratisierungsmodell beruht auf einem Kompromiss zwischen Spätfrankismus und proatlantischer Sozialdemokratie. Dieser Kompromiss hatte das Land in den letzten Jahren strukturell nach rechts verschoben. Da dieser Kompromiss keinen Neuanfang auf der Grundlage einer neuen Staatsraison und einer neuen nationalen, föderalistischen Identität darstellte, blieb die so genannte nationale Frage, die in Spanien tiefe strukturelle Wurzeln hat, offen. Ein aktiver Bruch mit dem frankistischen Spanien hätte die politische Kultur des Landes nach links verschoben und den Hauptargumenten des peripheren Nationalismus (kulturelle Einförmigkeit, Opfer-Mentalität, kein wirklicher Bruch mit dem gehassten Diktator usw.) nicht so viel Aufwind gegeben.

Der Preis dieses politischen und damals im internationalen Establishment für sehr klug gehaltenen Pragmatismus, der eine rein administrative Dezentralisierung mit einschloss, aber eben kein neues, demokratisch-solidarisches Projekt war, das das gemeinsame multikulturelle und multilinguistische Erbe mit einbezog, war der ewige Konflikt zwischen zentralem und peripherem Nationalismus. Der ETA-Terrorismus ist ein radikaler Ableger dieses Konfliktes, aber er nährt sich im Wesentlichen vom kulturellen und auch politischen Kontinuismus der spanischen Demokratie. Postfrankistische und periphäre Nationalisten entwickelten so mehr und mehr sich ergänzende und verstärkende Diskurse im Sinne der "baskischen" oder "katalanischen Nation" gegen die einzige und ewige spanische Nation.

Diese Polarisierung, die von der ETA immer wieder sehr bewusst mit ihren Terroranschlägen genährt wurde, hat 1997 zum Sieg der konservativen Partido Popular in Madrid geführt. Dieser führte dann einen noch agressiveren, fast schon neofrankistischen rechten Diskurs. Es ist deshalb nicht verwunderlich, dass die baskischen Nationalisten 2001 Anti-Partido Popular-Stimmen im Baskenland gewinnen konnten und sich in ihren Abhängigkeitsbestrebungen radikalisierten. Die recht überraschende Entscheidung Aznars, den USA in den Irak-Krieg zu folgen, war ein Versuch, den Terrorismus als Vorwand zu nutzen, um eine Flucht nach vorn anzutreten, die autoritäre "Lösungen" unter der internationalen Schirmherrschaft der USA einschloss. Allerdings wurde seine Absicht, sich von demokratischen Formen und Methoden zu verabschieden, mit dem Lügenszenario nach dem 11. März 2004, dem Tag des Terroranschlags von Madrid, so evident, dass entgegen allen Erwartungen sogar ein Teil seiner WählerInnen, der vom Boom des Immobilienkapitalismus und der New Economy wirtschaftlich nicht unwesentlich profitiert hatte, den hegemonialen Block der PP (zunächst) verließ. Die baskische PNV antwortete auf Aznars neofrankistischen, aggressiven Diskurs mit einer entsprechend radikalen Initiative und legte einen De-Fakto-Sezessionsplan vor (Ibarreche-Plan). Die Strategie Aznars scheiterte: Die spanische Gesellschaft war für eine Militarisierung nicht zu gewinnen, und schon gar nicht für einen Bruch mit demokratischen Formen, die in Spanien sehr stark mit Westeuropa assoziiert werden und außerdem die einzige realistische Methode darstellen, die kulturelle Vielfalt des Landes zu managen.

Das größte Problem für Zapatero war deswegen nicht so sehr der Rückzug aus dem Irak, da dadurch eine Festigung der Beziehungen zum politischen Kern Europas zu erwarten war, die von großen Teilen der Bevölkerung befürwortet wird. Auch wenn in der spanischen Bevölkerung neue, strukturelle Trends unübersehbar sind (sehr hohe Wahlenthaltung im Verfassungsreferendum im Februar 2005, bis zu 80% Ablehnung [Enthaltung oder Nein] der Verfassung bei Jugendlichen), steht Spanien dem alten Europa viel näher als dem transatlantischen "Partner". Zapatero musste dennoch schnell reagieren, um der nationalistischen Pendelbewegung, die für die Annäherung der PSOE unter Felipe Gonzalez an den Postfrankismus mitverantwortlich ist, ein Ende zu bereiten. Dialogbereitschaft, eine größere Madrider Kompromissbereitschaft hinsichtlich anderer spanischer Sprachen und Kulturen und der konsequente Rückzug aus dem Irak haben der PSOE, eigentlich eher Zapatero selbst, ein neues, demokratisches und zivilisiertes Profil gegeben. Um die teuflische nationalistische Dynamik zwischen Vitoria und Madrid zu bremsen, musste er aber den strategischen Pakt mit dem Postfrankismus beenden und eine dezidierte Abwendung von neuklerikalen und konservativen Werten vollziehen.

Die recht konsequenten politischen Maßnahmen der letzten Monate, für die Zapatero die Unterstützung von Izquierda Unida und anderen linken Parteien braucht und bekommt (Legalisierung der Ehe zwischen Homosexuellen, Rücknahme der Privilegien der Kirche im Bildungswesen und andere Maßnahmen, die auf die Trennung von Staat und Kirche hinarbeiten, Gender Politik, Förderung der Autonomie der öffentlichen Massenkommunikationsmittel, Legalisierung von ausländischen Arbeitern, Anerkennung noch lebender Republikaner, die zum ersten Mal nach 25 Jahren offiziell als Demokraten und nicht nur einfach als "eine der beiden Seiten" anerkannt werden, usw.), sind in der Tat teilweise nur symbolische Akte. Aber sie haben dazu beigetragen, den Sinn von Links und Rechts wieder zu beleben, den Felipe Gonzalez in den 1980er und 1990er Jahren regelrecht zerstört hatte. Dies hat die Linke insgesamt ideologisch gestärkt. Um auf Distanz zu der sehr starken Rechten, aber auch zur katholischen Kirche gehen zu können, wird dieser linke Rückenwind gebraucht.

Zapatero hat es zunächst einmal geschafft, bei den Wahlen im Baskenland das nationalistische Pendel abzuschwächen: Sowohl die baskischen wie die Nationalisten des PP mussten Stimmenverluste hinnehmen und der Ibarreche-Plan wurde fürs Erste zu den Akten gelegt. Zapatero versucht sich von der PP auch in Sachen Terrorismusbekämpfung zu distanzieren und neue, breitere Koalitionen auf die Beine zu stellen. Die Reaktion der Rechten ist regelrecht hysterisch, maximalistisch und fast vorkonstitutionell. Sie wittert mit Recht einen historischen Bruch mit dem politischen Geist der transicion, der sie strategisch schwächt und in die Defensive wirft, da eine Mehrheit der SpanierInnen in weltanschaulicher Hinsicht immer fortschrittlicher war als die meisten Meinungsmacher und pragmatischen Mitte-Links-Politiker der letzten 20 Jahre.

In der Wirtschaftspolitik aber besteht die Große Koalition fort. Der spanische Immobilienkapitalismus, der schon in den 1980er Jahren von der PSOE erprobt und in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre vom Partido Popular radikalisiert wurde, hat seine Hegemoniefähigkeit nicht verloren.[1] Wirtschaftsminister Pedro Solbes und sein Nachfolger als EU-Kommissar, der Sozialist Joaquin Almunia, haben als EU-Wirtschaftskommissare bewiesen, dass sie strategische Alliierte des europäischen Finanzkapitals sind, und der eher graue Technokrat Pedro Solbes ist der Minister mit der besten Bewertung innerhalb des PSOE-Kabinetts. Wie sollte denn auch der Immobilienkapitalismus seine Hegemoniefähigkeit verlieren, wenn der Bausektor weiterhin boomt (Spanien verbraucht mehr Zement als Frankreich und Deutschland zusammen) und der Konsum recht hoch bleibt? Innerhalb der EU ist Spanien das Land mit dem höchsten Anteil von Wohnungsbesitzern (über 85% der Familien haben eine eigene Wohnung, davon sind 70% schon voll bezahlt) und der Immobilienboom hat auch für Teile der subalternen Klassen die Möglichkeit der privaten Verschuldung erweitert. Ahnlich wie New Labour trifft Zapatero marktsozialdemokratische Maßnahmen,[2] die weder eine Umverteilung von oben nach unten durch Steuerreformen einschließen noch den Markt bändigen sollen. Der Preis ist eine wachsende negative Handelsbilanz, eine weitere und immer radikalere Zerstörung von Landschaften und Dörfen und ein leerer, rein rhetorischer Nachhaltigkeitsdiskurs. Wie sollte es auch anders sein? Durch den Kampf gegen Schattenwirtschaft versucht die Regierung nicht etwa den Arbeitsmarkt zu regulieren, sondern die Sozialkassen zu füllen. Es geht ums hier und jetzt, aber in 15 Jahren wird, demografisch und politisch bedingt, ein dramatischer Einbruch stattfinden. Spanien ist heute das Land in der EU, in dem die 20- bis 40-Jährigen die anteilsmäßig größte Bevölkerungsgruppe stellen. Im Jahr 2040 wird es dann aber das Land mit dem weltweit größten Bevölkerungsanteil an älteren Menschen sein. Diese demographische Zeitbombe ist auch ein Preis der Liquidierung der Arbeitsgesellschaft in den 1980er Jahren, da der Hauptgrund für die tiefste Geburtenrate der Welt der kulturell und ideologisch bedingte Wunsch der spanischen Frauen ist, im Land mit dem prekärsten Arbeitsmarkt erwerbstätig zu werden. Die OECD warnt immer wieder vor den Risiken des spanischen Weges, aber das Land ist groß und es gibt noch viel zu zerstören. Das Schwarzgeld aus Europa will gewaschen werden und die Profite im spanischen Bausektor ziehen weiterhin vagabundierendes Kapital aus der ganzen Welt an. Wie lange noch?

Armando Fernández Steinko lehrt Soziologie an der Universidad Complutense in Madrid.
[1] A. Fernández Steinko (2003): Fordismus und Neoliberalismus in Spanien. In Bischoff, J. u.a. (Hrsg.), Klassen und soziale Bewegungen, Hamburg.
[2 Siehe O. Nachtwey (2005): Sozialpolitische Konturen der Marktsozialdemokratie. In: Sozialismus Heft 5.

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