24. Februar 2011 Sybille Stamm: 100 Jahre Internationaler Frauentag

Eine unendliche Geschichte?

Keine Klagemauer - aber das verfassungsrechtliche Gebot der Gleichstellung von Mann und Frau fordert entschiedene Verwirklichung. Es gibt einen 23prozentigen Entlohnungsabstand, Frauen kommen in Führungspositionen kaum vor, sind besonders Betroffene prekärer Arbeitsverhältnisse, sind immer noch »doppelt-belastet« mit Beruf und Familie und Zweidrittel sind - auf sich selbst gestellt - von Altersarmut Betroffene oder Bedrohte.

Was also ist in den vergangenen hundert Jahren passiert und was muss geändert werden?
Auf Initiative von Clara Zetkin beschlossen Frauen aus 17 Nationen im August 1910 auf der 2. Internationalen sozialistischen Frauenkonferenz in Kopenhagen, jährlich einen Frauentag »mit internationalem Charakter« zu veranstalten. Vorrangig ging es damals um das Frauenwahlrecht. Am 19. März 1911 demonstrierten in Deutschland, Österreich, der Schweiz und den USA hunderttausende Frauen für ihre Rechte; 1912 kamen Frauen aus Russland, Frankreich, der Tschechoslowakei, Holland und Schweden hinzu. Für das Frauenwahlrecht, besseren Arbeits- und Mutterschutz und den 8-Stunden-Tag.

Seither - unterbrochen und verboten von den Nationalsozialisten, die den »Muttertag« einführten -, wird der Internationale Frauentag in vielen Ländern mit Veranstaltungen, Festen, Demonstrationen und Frauenstreiks, wie 1994 in Deutschland und Frankreich, begangen. Die Themen und Schwerpunkte waren und sind entsprechend der aktuellen politischen Rahmenbedingungen gesetzt: Anfang des 20. Jahrhunderts ging es um das Frauenwahlrecht, besseren Arbeitsschutz, gegen Faschismus und Krieg, für die Abschaffung des Abtreibungsparagraphen, später in Deutschland und Europa gegen Frauendiskriminierung in den Betrieben und in der Gesellschaft, gegen Gewalt und Unterdrückung von Frauen, prekäre Arbeitsverhältnisse und für gleichen Lohn für gleiche Arbeit. Immer war und ist der Internationale Frauentag am 8. März aber auch ein Raum für utopisches Denken, für die Idee einer Gesellschaft ohne Unterdrückung und Ausbeutung werbend, in der Frauen ökonomisch und psychisch vom Mann unabhängig, selbstbestimmt leben und die gesellschaftlichen Angelegenheiten gleichberechtigt mitbestimmen und entscheiden können.

Der Kampf um den Internationalen Frauentag in der BRD

Ursprünglich von Sozialistinnen international initiiert, gab es mit der Spaltung der Arbeiterbewegung in der Weimarer Republik jeweils zwei Frauentage - einen sozialdemokratischen und einen sozialistischen. Mit Gründung zweier deutscher Staaten, der DDR und der BRD, wurde der Internationale Frauentag in der DDR zum »Feiertag« der Frauen, in der BRD blieb er lange Zeit vergessen, diskriminiert und umstritten. Dank linker Frauen in den Gewerkschaften und in der SPD, ist er heute wieder »hoffähig«. Aber es hat lange gedauert. Noch 1979 beschloss der DGB-Bundesvorstand, dass der Internationale Frauentag ein »kommunistischer« Tag sei und verbot den DGB-Gliederungen, ihn durchzuführen oder sich daran offiziell zu beteiligen. Damals riefen die IG Metall-Frauen in vielen Verwaltungsstellen zum Internationalen Frauentag auf. In der Verwaltungsstelle Nürnberg trafen sich am 8. März 1979 über 300 Frauen und Männer im Gewerkschaftshaus; es ging um mehr Gleichberechtigung, gegen den § 218 und gegen die drohende Raketenstationierung.

Bundesweit eroberten sich die Gewerkschaftsfrauen im Bündnis mit autonomen Frauenorganisationen »ihren« Internationalen Frauentag zurück. Aber es ging in der Frauenbewegung nicht ohne Kontroversen und grundlegende Widersprüche ab.

Die Geschichte vom Haupt- und Nebenwiderspruch

»Der erste Klassengegensatz, der in der Geschichte auftritt, fällt zusammen mit der Entwicklung des Antagonismus von Mann und Weib in der Einzelehe, und die erste Klassenunterdrückung mit der des weiblichen Geschlechts durch das männliche« (Friedrich Engels, Vom Ursprung der Familie, des Privateigentum und des Staates, MEW 21: 68).

Die linke gewerkschaftliche und die sozialistische Frauenbewegung setzten sich Anfang der 1980er Jahre heftig mit der Frage auseinander, ob die patriachalische Unterdrückung von Frauen nur ein »Nebenwiderspruch« sei. Die DKP-orientierten Frauen vertraten vehement, dass der Klassengegensatz von Kapital und Arbeit der Hauptwiderspruch und damit das erste und wichtigste Ziel für Frauen und Männer sei, den Kapitalismus zu überwinden. Dann wäre der Weg frei für wirkliche Geschlechtergleichstellung. Die »feministische Fraktion« der Frauen in Gewerkschaften und autonomen Frauenorganisationen stellten diesen Automatismus infrage und stritten - dialektisch und unter Berufung auf Engels - für die Gleichrangigkeit beider Ziele: die Frauenunterdrückung und den Kapitalismus abzuschaffen. »Frau« verwies auf die Entwicklung in den männerdominierten sozialistischen Staaten; damals wurde erstmals über die These »Geschlechterverhältnisse sind Produktionsverhältnisse« reflektiert und viele Gewerkschaftsfrauen erlebten in Tarifverhandlungen, dass die »Frauenforderungen« nach Streichung oder Anhebung der unteren Lohngruppen oder Festgelderhöhungen immer wieder unter den Tisch fielen. Der männliche Facharbeiter war eben wichtiger. Diese realen Erfahrungen und die tagtäglichen Diskriminierungen von Frauen im Betrieb, aber auch in der eigenen Organisation, bildeten den Hintergrund für die Quotierungsforderungen der Gewerkschaftsfrauen in den 1980er Jahren. Eine wichtige mediale, emotionale und organisatorische Verbreitungsplattform war der Internationale Frauentag am 8. März.

Quotierung als Weg, nicht als Ziel

Die Forderung nach stärkerer Beteiligung von Frauen in den Organisationen der Arbeiterbewegung ist so alt wie die Frauenbewegung selbst. Aber bis heute muss sie immer wieder neu verteidigt oder erkämpft werden.

In einer Vereinbarung des SPD-Parteivorstandes mit den Genossinnen von 1908 heißt es bereits in Punkt 4: »Die weiblichen Mitglieder sind im Verhältnis zu ihrer Zahl im Vorstand vertreten«. Und die Kompromissformel, die die Frauen in Parteien und Gewerkschaften auch im 20. Jahrhundert nur allzu gut kennen, lautete bereits vor mehr als 100 Jahren: »doch muss diesem mindestens eine Genossin angehören« (Protokoll des SPD-Parteitages in Nürnberg vom 13.-19.9.1908: 547).

Wir müssen radikaler werden - das war die Losung der feministisch orientierten Gewerkschaftsfrauen in den 1980er Jahren. Und es ging wieder um die »angemessene« Beteiligung von Frauen in den Führungsgremien der Gewerkschaften. Anfangs nannte es sich »Frauenförderung« - ein harmlos daherkommender Begriff, den die Gewerkschaftsfrauen nicht geprägt hatten. Im Gegenteil: Auf vielen Frauentagsveranstaltungen am 8. März betonten sie: »Frauen sind genauso qualifiziert wie Männer. Frauen müssen nicht gefördert werden. Es reicht schon aus, wenn sie nicht mehr behindert werden.« Oder: »Frauen haben das gleiche Recht, eine Null zu sein wie Männer.« In der IG Metall kulminierte die Auseinandersetzung auf der bundesweiten Frauenkonferenz 1986 in Frankfurt. Franz Steinkühler, gerade aus Südafrika mit vorzeigbaren Erfolgen gegen die Apartheid bei Daimler im Gepäck zurückgekehrt, hielt das Grundsatzreferat. Es war wunderbar links und politisch klug. Außer in der Frauenfrage. Da hieß es sinngemäß: Die wichtigen Leute müssen in den gewerkschaftlichen Führungsgremien vertreten sein. Das sind die Betriebsratsvorsitzenden und das sind nun mal Männer. Eine Totalabsage an alle Quotierungsforderungen der IG Metall-Frauen. Diese reagierten souverän und effektiv: Kein Applaus brandete auf, aber tausende Seifenblasen schwebten durch den Saal. Wer in der Frauenfrage nicht richtig tickt, hat keinen Applaus verdient - das war die selbstbewusste Botschaft der Frauenkonferenz.

In der Frauenbewegung galt immer der Satz: »Stillstand bedeutet Rückschritt.« Wie wahr. Nachdem die Frauenstrukturen in der IG Metall vor Jahren bereits abgeschafft wurden, beweist sich das erneut durch die neue Vorstands-«Betreuung«: Rechtzeitig zum 100. Internationalen Frauentag wird nun wieder ein Mann, der 2. Vorsitzende der IG Metall, zuständig für Frauenarbeit. Peinlicher geht es fast nicht mehr.

Verlässliche Frauenstrukturen und Politisches Mandat

Der Beschluss der 2. Sozialistischen Frauenkonferenz 1910 in Kopenhagen, jährlich international einen Tag für die Demonstration von Frauen gegen Unterdrückung und Diskriminierung auszurufen, bietet bis heute weltweit eine inhaltliche und organisatorische Plattform, einen festen Punkt im Jahr, auf den hin mobilisiert wird. Natürlich läuft dieser Tag mancherorts ähnlich wie der 1. Mai Gefahr, ritualisiert zu werden. Er ist jedoch Teil einer wichtigen Struktur der Frauenbewegung. In der Vorbereitung des Internationalen Frauentages werden Bündnisse geschmiedet, Netzwerke geknüpft, Ideen entwickelt und mit viel Phantasie frei- und umgesetzt. Kurzum: Die Geschichte der Frauenbewegung zeigt: Frauen brauchen verbindliche und verlässliche Strukturen in Parteien, Gewerkschaften und Organisationen. Sie brauchen einklagbare Rechte, feste Quoten und natürlich auch Finanzen, um offensiv und radikal handeln zu können. Wichtig sind außerdem informelle nationale und internationale Netzwerke, um die vielen guten, mobilisierenden Ideen umzusetzen.

Teil der bereits zitierten »Vereinbarung des Parteivorstandes mit den Genossinnen » von 1908 waren im Übrigen verlässliche Frauenstrukturen. Es heißt im Punkt 6: »Das Zentralbüro der Genossinnen bleibt bestehen. Die Vertreterin der Genossinnen darin wird dem Parteivorstand angegliedert«. Aber auch um diese strukturellen Erfolge der sozialistischen Parteifrauen musste 100 Jahre später erneut gestritten werden.

Während der Auseinandersetzung um die Frauenstrukturen in der IG Metall zu Beginn des 21. Jahrhunderts gab es von einem großen Teil der ehrenamtlichen Vorstandsmitglieder die Forderung nach einem »politischen Mandat« der Frauen und Jugend in der Gewerkschaftsorganisation - ein Wahlmandat, wie es z.B. in der IG Medien praktiziert worden war: Dort wurden die Frauensekretärin und die JugendsekretärIn auf den Gewerkschaftstagen gewählt und waren Mitglieder des Hauptvorstandes.

Zeit als zentrale Perspektive

Der Kampf um Zeit - Arbeitszeit und Lebenszeit - steht, seit es den Internationalen Frauentag gibt, immer im Mittelpunkt der Agitation und Forderungen. So heißt es im Aufruf zum ersten Internationalen Frauentag am 19. März 1911, der in 17 Ländern verteilt wurde: »Die gesetzliche Verkürzung der Arbeitszeit ist ohne Zweifel für die erwerbstätige Frau notwendiger als für den Mann. Einmal hat die Frau neben der Erwerbsarbeit durchweg noch die Hausarbeit zu leisten… Zweitens hat die erwerbstätige Frau noch die Lasten der Mutterschaft zu tragen und jede Gesundheitsschädigung der Mutter trifft fortwirkend auch das Kind. Im Interesse der eigenen Gesundheit und der kommenden Generation würde also sicher die Frau ihr Wahlrecht nutzen, um eine starke Verkürzung der Arbeitszeit … durchzusetzen« (Flugblatt, abgedruckt in: Dokumente und Materialien zur Geschichte der deutschen Arbeiterbewegung, Bd. IV, Berlin 1967: 342-347).

Als 1984 in der Metall- und Druckindustrie für die 35-Stunden-Woche gestreikt wurde, ging es vorrangig um die Umverteilung der Arbeit - alle sollten ein Recht auf einen Arbeitsplatz haben. Es ging aber um noch mehr. Für die streikenden Frauen ging es um die geschlechterdemokratische Umverteilung der bezahlten Erwerbsarbeit und um die gerechte Verteilung der Haus- und Sorgearbeit wie die Erziehung der Kinder. Es ging »um das ganze Leben«, das sich nicht in bezahlter Erwerbsarbeit erschöpft. Die baden-württembergischen Frauen haben im Arbeitskampf die Losung »Mehr Zeit zum Leben, Lieben, Lachen« entwickelt und manchmal wurde noch ein »Lernen« angehängt, denn auch dafür wollten sie mehr Zeit. Weil diese Sichtweise heimlicher Kernpunkt des Arbeitskampfes war, ging es um mehr als um Arbeitszeitverkürzung. Es ging um die Hegemonie über die Zeit. »Wem gehört die Zeit«, so lautet ein Lesebuch zum 6-Stundentag, das die Arbeitskämpfe begleitete.

Ein bekanntes Plakat - der 35-Stunden-Wochen-Zug von Gertrude Degenhardt - zeigt ganz vorn einen kleinen Trommler, der die Zahl 30 auf seiner Trommel trägt. Der 6-Stunden-Tag war das Ziel von Gewerkschaftsfrauen, um zu einer annähernd gerechten Verteilung der gesamten anfallenden Arbeit zu kommen: der Erwerbsarbeit, der Reproduktionsarbeit und der zivilgesellschaftlichen Arbeit.

Dass die Kraft nicht ausreichte, um den 6-Stundentag durchzusetzen, macht die gesellschaftliche Konzeption nicht obsolet. Gerade weil es derzeit keine Perspektive für eine radikale Umgestaltung der Arbeitsgesellschaft und des Sozialstaates gibt, streiten wir über bedingungsloses Grundeinkommen oder entwickeln Frauen rückwärtsgewandte Vorschläge wie das Erziehungsgeld, das allenfalls geeignet ist, das Recht der Frauen auf Erwerbsarbeit zu verletzen. Auf dem ersten großen Arbeitszeitkongress der sich neu gründenden Gewerkschaft ver.di formulierte Brigitte Stolz-Willig 2001 in Frankfurt: »Eine demokratische Weiterentwicklung moderner Arbeitsgesellschaften kann nicht jenseits der Erwerbsarbeit liegen. Eine Erneuerung zivilgesellschaftlichen Engagements kann nicht an die Bevölkerungsgruppe adressiert werden, denen die Integrationschancen in den Arbeitsmarkt verweigert werden. Vielmehr muss das Beschäftigungssystem mit den Zielen der Neuverteilung von Arbeit und Einkommen und gleichberechtigter Teilhabe von Männern und Frauen an Erwerbs-, Familien- und öffentlicher Arbeit umgebaut werden.«

Frigga Haug hat diesen Anspruch in der »Vier-in-Einem-Perspektive« neu formuliert: Frauen und Männer sollen ein Recht auf bezahlte Erwerbsarbeit bekommen, sich gleichberechtigt Sorge- und Familienarbeit teilen, gleichberechtigt Zeit haben, um Politik zu machen und - viertens - Zeit für sich selber haben, eben mehr Zeit zum Leben, Lieben, Lachen, Lernen.

Als Kompass schlägt Frigga Haug vier mal vier Stunden vor, also vier Stunden bezahlte Erwerbsarbeit, die existenzsichernd sein muss, vier Stunden Reproduktionsarbeit, vier Stunden Zeit, um partizipativ Gesellschaft und Politik mitgestalten zu können, und vier Stunden für sich selbst. Die vier »Zeiten« sollen gleichberechtigt sein, bedingen sich gegenseitig, bilden gemeinsam sozusagen die »Zentralperspektive«. Eine reale Utopie der radikalen Umgestaltung der Arbeitswelt, des Sozialstaates und der gesamten Gesellschaft.

Dieser neue »Gesellschaftsvertrag« hat drei Voraussetzungen: das Leben als Ganzes denken, radikale Geschlechterdemokratie und Zeit als die wichtigste Dimension im Leben begreifen.

Frauen können das.

Ein solches Konzept könnte - wie im Arbeitskampf 1984 - heimliche Richtschnur, also eine Art Kompass für die Frauenbewegung und den Internationalen Frauentag 2011 sein.
Bleibt zu hoffen, dass für die Durchsetzung nicht erneut 100 Jahre erforderlich sind.

Sybille Stamm war von 1980-1990 Tarif- und Frauensekretärin in der Bezirksleitung Stuttgart der IG Metall. Von 1990-94 war sie Leiterin der Tarifabteilung der IG Medien und von 1994 bis 2001 Landesvorsitzende der IG Medien in Baden- Württemberg. Nach der Gründung der Vereinigten Dienstleistungsgewerkschaft war sie ver.di-Landesbezirksleiterin bis 2007. Sie ist heute Landessprecherin der LINKEN in Baden-Württemberg.

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