23. Mai 2017 Joachim Bischoff / Björn Radke: Die Eurozone als »Greater Germany«?

Europa im Anti-Establishment-Zeitalter

Die Europäische Union steht aktuell vor der größten Bewährungsprobe seit ihrer Gründung vor 60 Jahren. Der angestrebte Konvergenzprozess verlief in den einzelnen Ländern nicht gleichmäßig und auch nicht durchgehend. Vor allem infolge der Wirtschaftskrise, die im Jahr 2008 einsetzte, kehrte sich die Konvergenz in eine Divergenz um. Die Krise der Eurozone und der europäischen Ökonomien ist bei Weitem nicht überwunden.

Die wirtschaftlichen und politischen Eliten haben mit Banken- und Konjunkturpaketen nur die Symptome der großen Krise bekämpft, ihre systemischen Ursachen blieben unberührt. Die schwierigste Phase der Überwindung der großen Krise haben die Eurozone und die EU noch vor sich. Die Ziele einer Rückkehr zu einem befriedigenden Wirtschaftswachstum, einer zukunftsorientierten Wirtschaftspolitik und eines stabilen Finanzsystems liegen nach wie vor in weiter Ferne (siehe Abbildung 1). Die wachsende soziale Spaltung in den Krisenländern und zwischen den Mitgliedstaaten  bedroht längst den gesamtstaatlichen Prozess der politischen Willensbildung. Sparpolitik, Lohn- und Pensionskürzungen und die Zerschlagung kollektivvertraglicher Lohnbildung zerstören in Südeuropa die unvollständigen Fundamente des »Europäischen Sozialmodells«.

Auf der Grundlage seiner wirtschaftlichen Stärke übt die deutsche Regierung erheblichen Druck auf die anderen Staaten der Europäischen Union aus, damit diese das deutsche vermeintliche  Erfolgsrezept übernehmen. Der deutsche Finanzminister Wolfgang Schäuble hat diese Politik massiv vorangetrieben. Im Vergleich zu den schon jetzt oder absehbar von politischen Turbulenzen und massiven Umgruppierungen betroffenen europäischen Ländern, ist die Position der ökonomischen und politischen Eliten beim europäischen Hegemon, Deutschland, noch relativ stabil. Aber beim politischen Establishment der europäischen Hegemonialmacht ist die Unruhe groß über die Konsequenzen der wachsenden Ungleichheit in Europa (Brexit und die wachsende Zustimmung für die »moderne Rechte«).

Joachim Bischoff ist Mitherausgeber, Björn Radke ist Redakteur von Sozialismus.

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