25. April 2015 Harald Wolf

Europa nicht den Neoliberalen und Rechtspopulisten überlassen!

»Den neoliberalen Zauber … zu brechen heißt heute, den europäischen Raum als Feld des Kampfes, des Experimentierens und der politischen Erfindung wiederzuentdecken: … auf europäischer Ebene zu kämpfen, das hätte die Möglichkeit, die neue kapitalistische Akkumulation direkt zu treffen. Und schon jetzt kann man nur auf europäischer Ebene die Fragen von Lohn und Einkommen, die Festlegung von Rechten und des Umfangs des Sozialstaats, das Thema der Verfassungsänderungen innerhalb der einzelnen Länder und der Frage der europäischen Verfassung aufwerfen. Heute gibt es außerhalb dieses Feldes keinen politischen Realismus.«
Sandro Mezzadra/Toni Negri: Den neoliberalen Zauber brechen: Kampffeld Europa[1]


Mit dem Wahlerfolg von Syriza und der Bildung der neuen griechischen Regierung verbinden sich Hoffnungen auf einen Durchbruch gegen die Vorherrschaft des Neoliberalismus in Europa. Aber bereits die ersten Wochen nach der Bildung der Regierung Tsipras haben deutlich gemacht, mit welchen massiven Widerständen und Schwierigkeiten Syriza konfrontiert ist. Das Programm, mit dem Syriza die Wahlen gewonnen hat, ist zwar bei genauerem Hinsehen wenig radikal: Bekämpfung der humanitären Katastrophe und eine Abkehr von der durch die Troika verordnete Austerität, um eine wirtschaftliche Erholung zu ermöglichen. Aber so bescheiden die­se Ziele sind, sie stellen den gesamten Rahmen der neoliberalen Krisenbearbeitung in Europa und den damit verbundenen institutionellen Rahmen infrage. Damit ist Solidarität mit Syriza mehr als die Unterstützung der Kämpfe in einem fernen »anderen Land«.

Allzu oft hat die deutsche Linke Solidarität als abstrakte Identifikation mit den Kämpfen anderer missverstanden oder sich gar in die Apologie vorgeblich »sozialistischer Vaterländer« geflüchtet. Was Syriza begonnen hat, ist mehr als die Auseinandersetzung einer nationalen Regierung mit der Troi­ka, der man Solidarität »von außen« schuldet. Syriza hat den Neoliberalismus in Europa herausgefordert, hat eine offen politische Auseinandersetzung über die Austeritätspolitik und die »marktkonformen« postdemokratischen europäischen Verhältnisse eröffnet. Diese Auseinandersetzung findet auf dem »Kampffeld Europa« statt und sie wird nur europäisch, nicht national gewonnen werden können. Mit anderen Worten: Das Ringen findet im »europäischen Inland« statt und die europäische und deutsche Linke muss verstehen, dass sie integraler Bestandteil dieses Kampfes sein muss, dass es um mehr gehen muss als um die äußerliche Bekundung von Solidarität.

Die Bundesregierung und die »Institutionen« sind sich bewusst, dass diese Auseinandersetzung europäisch entschieden wird. Mit den spanischen Wahlen im Herbst und einem möglichen Erfolg von Podemos droht ein weiteres Land aus dem neoliberalen Konsens auszubrechen. Das ist der Grund, weshalb die »Institutionen« und allen voran die Bundesregierung alles daran setzen, Griechenland zu disziplinieren, auf die »Erfüllung der eingegangenen Verpflichtungen« zu pochen – obwohl jeder, der nur einigermaßen bei ökonomischem Verstand ist, weiß, dass Griechenland insolvent ist, seine Schulden nicht bedienen kann und die Umsetzung des »Memorandums« Griechenland nur weiter in den Abgrund und die Verschuldung reißt. An Griechenland soll ein Exempel statuiert werden, um andere von der Versuchung abzuhalten, ebenfalls den neoliberalen Konsens aufzukündigen.

Dies zeigt sich im Konflikt um die Interpretation der Vereinbarung zwischen den »Institutionen« und Griechenland vom Februar 2015. Der Kompromiss war diplomatisch-vage formuliert, er eröffnete die Möglichkeit, bisher zwischen Griechenland und der Troika vereinbarte Maßnahmen durch andere zu ersetzen. Das absurde Ziel eines 4,5%igen Primärüberschusses wurde relativiert. Seitdem erleben wir die permanenten Versuche insbesondere von Finanzminister Schäuble und den von linken Parteien bedrohten Regierungen etwa in Portugal und Spanien die Vereinbarung so umzuinterpretieren, als ob es diesen Kompromiss nicht gegeben hätte. Stattdessen wird von Griechenland die Einhaltung der von der abgewählten Vorgängerregierung eingegangenen Verpflichtungen verlangt. Die griechische Regierung ist dabei in der schwächeren Position: Es fehlt die notwendige Liquidität angesichts der anstehenden Rückzahlung von Krediten und der Weigerung der EZB, griechische Staatsanleihen als Sicherheiten zu akzeptieren. Das ganze wird innenpolitisch flankiert von einer beispiellosen Pressekampagne des »Griechenland-bashing« von der BILD-Zeitung bis zum Spiegel (vgl. Detje/König in Sozialismus 4/2015). Gelegentliche Stimmen der ökonomischen Vernunft sind die Ausnahmen, die die Regel bestätigen.


Die Eliten provozieren den Grexit …

Für die griechische Regierung kann es in dieser Situation nur darum gehen, sich Handlungsspielräume zu erhalten und zu erkämpfen, die es ihr ermöglichen, die humanitäre Katastrophe in Griechenland zu bekämpfen und die Unterstützung der Bevölkerung und der sozialen Bewegungen nicht zu verlieren. Aber die letzten zwei Monate haben klargemacht: Die Märkte werden nicht so bald nach griechischem Takt tanzen, wie es Alexis Tsipras noch im Wahlkampf ankündigte. Die Auseinandersetzung wird eine langwährende sein. Der Neoliberalismus wird nicht in einem Sturmlauf, im »Bewegungskrieg«, überrannt werden, sondern wir werden uns auf einen längeren »Stellungskrieg« mit ungewissem Ausgang einstellen müssen. Auch ein »Grexit« ist in diesem Prozess nicht auszuschließen, wenn die »Institutionen« unter Führung der deutschen neoliberalen Dogmatiker mit einer Politik der brutalen Erpressung Syriza vor die Alternative stellen, entweder zu kapitulieren und ihr Programm mit dem sie die Wahl gewonnen hat, vollständig aufzugeben oder die Eurozone zu verlassen – mit allen desaströsen Folgen, die das aller Voraussicht nach hätte.

Die notwendigen Handlungsspielräume wird Syriza nur erringen können, wenn sie Verbündete in dieser Auseinandersetzung findet. Es geht um Machtfragen – und deshalb braucht die griechische Regierung auch Verbündete, die »über politische Macht verfügen«,[2] wie Michael Krätke in einem Beitrag für die »Blätter für deutsche und internationale Politik« feststellte. Er verweist dabei auf die Differenzen innerhalb des herrschenden Blocks in Europa und in und zwischen den verschiedenen Institutionen. Nun ist z.B. Jean-Claude Juncker sicher kein strategischer Verbündeter im Kampf gegen den Neoliberalismus in Europa – aber die Vertreter der Kommission haben anders als der deutsche Finanzminister in den Verhandlungen über den Februar-Kompromiss eine konziliantere Haltung vertreten. Die sozialdemokratischen Parteien in Europa sind zwar Bestandteil des neoliberalen Konsenses in Europa, sie haben aber kein Interesse an einem Grexit und den damit verbundenen unkalkulierbaren Risiken.

Nicht nur Syriza steht vor einem Dilemma, sondern auch der herrschende neoliberale Block in Europa: Angesichts der deflationären Entwicklung und anhaltend schwächelnden Wirtschaft setzt sich zumindest in Teilen die Erkenntnis durch, dass Europa neue Wachstumsimpulse braucht und spekulatives Kapital in Realinvestitionen umgelenkt werden muss. Bei aller notwendigen Kritik am »Juncker-Plan« ist er ein Ausdruck dieser Entwicklung – nicht ohne Grund stieß er auf das Missfallen Angela Merkels. Auf der anderen Seite droht bei allzu weitgehenden Zugeständnissen an die griechische Regierung der Funke von Griechenland überzuspringen und das gesamte neoliberale Projekt in Gefahr zu bringen. Gleichzeitig birgt eine allzu harte und unversöhnliche Haltung gegenüber Syriza, die Gefahr einen Grexit zu provozieren mit der Folge unkontrollierbarer wirtschaftlicher und politischer Turbulenzen in Europa.


… die Linke muss europäischer und internationaler werden

Aufgabe der deutschen und europäischen Linken muss es sein, diese Brüche und Widersprüche im herrschenden Block zu vertiefen. Denn Syriza wird kaum umhinkommen, mit den Institutionen einen Kompromiss zu suchen, will sie der Alternative Kapitulation oder Grexit entkommen. Das mag jene enttäuschen, die die illusionäre Hoffnung hegten, mit dem Wahlsieg von Syriza würde alles anders, die neue griechische Regierung könne sich mit einem Schlag von der Abhängigkeit von den Geldgebern durch einen Schuldenschnitt befreien und mit dem neoliberalen Spuk in Europa aufräumen. Nein – »einen mächtigeren Gegner kann man nur unter größter Anspannung der Kräfte und nur dann besiegen, wenn man … jeden, selbst den kleinsten ›Riss‹ zwischen den Feinden, jeden Interessengegensatz zwischen der Bourgeoisie der verschiedenen Länder, zwischen den verschiedenen Gruppen oder Schichten der Bourgeoisie innerhalb der einzelnen Länder als auch jede, selbst die kleinste Möglichkeit ausnutzt, um einen Verbündeten unter den Massen zu gewinnen, mag das auch ein zeitweiliger, schwankender, unsicherer, unzuverlässiger, bedingter Verbündeter sein.«[3]

Die Kohärenz des herrschenden Blocks und sein Projekt der neoliberalen Integration Europa ist aber nicht nur von links, von Parteien wie Syriza in Griechenland, Podemos in Spanien und Sinn Féin in Irland, bedroht. Die europäische Krise und die damit verbundene Delegitimierung der etablierten politischen Kräfte hat zu einem Aufschwung rechtspopulistischer Formationen geführt. Der Front National in Frankreich mit seiner antieuropäischen, nationalistisch-rassistischen Haltung droht die Sozialisten zu überrunden, und in Großbritannien ist die nationalistische UKIP im Aufwind. Angesichts dieses nationalistischen Drucks hat Cameron für 2017 ein Referendum über einen Verbleib Großbritanniens in der EU ankündigt. In Deutschland ist mit der AfD eine neue nationalistische, rechtspopulistische Formation aufgetaucht, die den Manövrierspielraum der Regierung Merkel – auch angesichts der Opposition in der eigenen Partei – einschränkt. Die Kombination von ökonomischer Krise divergierenden politischen Entwicklungen in den einzelnen EU-Staaten, verbunden mit einer zunehmenden Delegitimierung der etablierten politischen Kräfte, wird zu einer weiteren krisenhaften Zuspitzung der Widersprüche und dem Anwachsen zentrifugaler Tendenzen in der EU führen.

Die Eurokrisenpolitik und die Krise der neoliberalen europäischen Integrationspolitik (einschließlich der geopolitischen Veränderungen – Stichworte: Russland/Ukraine und TTIP) wird damit mehr und mehr zu einem herausragenden innenpolitischen Thema werden. Die gegenwärtige Debatte in Deutschland über die Griechenlandpolitik und der Versuch, einen nationalen, chauvinistischen Schulterschluss gegen die »dreisten und unverschämten Griechen« herzustellen, sind ein erstes Beispiel dafür. Die Politik der LINKEN muss daher europäischer und internationaler werden. Dass die LINKE die Eurokrise sowohl in den Bundestagswahlen als auch in ihrer Kampagne zur Europawahl weitgehend dethematisiert hat, zeigt, wie schwer es war und ist, gegen den nationalen Mainstream anzugehen, wonach »wir gut durch die Krise gekommen sind« und die Südeuropäer endlich ihre »Hausaufgaben« machen müssen. DIE LINKE wird dieser Auseinandersetzung aber nicht ausweichen und nicht darunter hinwegtauchen können. Ohne diesen wohlstandschauvinistischen Konsens in Deutschland anzugreifen und aufzubrechen wird es keine Veränderung der Kräfteverhältnisse nach links in der europäischen Hegemonialmacht Deutschland und in Europa geben können.


Die Eurokrise verläuft zwischen »oben« und »unten«

Es gilt also der Umdeutung der Eurokrise als Konflikt zwischen Nationen entgegenzutreten und den wahren Charakter als Konflikt zwischen »oben« und »unten« deutlich zu machen. Chancen dazu bieten sich überall da, wo sich Unmut, Protest und Widerstand gegen die Auswirkung der sozialdemokratisch moderierten neoliberalen Politik der Regierung Merkel artikulieren. Es ist die gleiche Politik, die zur humanitären Katastrophe in Griechenland geführt hat und in Deutschland mit dem sturen Festhalten an der Ideologie der »schwarzen Null« die Finanznot der Kommunen verschärft und einen zunehmenden Verfall der öffentlichen Infrastruktur bewirkt – mit konkreten Auswirkungen vor Ort: wegen Baufälligkeit gesperrte Brücken und marode Straßen, Schließung von Bädern, Sozial- und Kultureinrichtungen, Privatisierungen, Krankenhäuser, die vor der Insolvenz stehen, Leistungsverdichtungen bei den öffentlich Beschäftigten.

Prekarität wird mehr und mehr kennzeichnend für alle Lebensbereiche. Ungesicherte Arbeitsverhältnisse, eine ungewisse teilprivatisierte und damit den Risiken der Finanzmärkte ausgelieferte Altersversorgung, sinkende Qualitität der Krankenversorgung, explodierende Mieten eines den Marktkräften und Immobilienhaien ausgelieferten Wohnungsmarktes – all das sind Realitäten, die die Menschen in Deutschland alltäglich erleben und den Glauben, dass wir »gestärkt aus der Krise gekommen sind« brüchig werden lassen. Gleichzeitig entwickelt sich ein zunehmendes Bedürfnis in der Gesellschaft aus der »Zuschauerdemokratie« herauszutreten und selbst auf die Gestaltung der eigenen Lebensumwelt und -verhältnisse Einfluss nehmen zu können. Die wachsende Zahl von Volksentscheiden gegen Privatisierung, für Rekommunalisierungen, für eine andere Mietenpolitik, wie gegenwärtig in Berlin, macht dies deutlich. Eine nur legitimatorische »Bürgerbeteiligung« wird mehr und mehr abgelehnt, stattdessen werden Formen wirklicher Mitentscheidung und Einflussnahme gefordert und wo sie existieren – wie im Falle von Volksentscheiden – auch genutzt. Hier werden »marktkonforme«, postdemokratische Verhältnisse infrage gestellt und durchbrochen – eine Entwicklung, die sich auch im Widerstand gegen TTIP zeigt, dessen Verhandlungen unter Ausschluss der Öffentlichkeit geführt werden und das die Privatisierung der Gerichtsbarkeit im Interesse der Investoren forciert.

All diese Auseinandersetzungen stehen im Gegensatz zum vermeintlich so erfolgreichen deutschen »Geschäftsmodell«: durch eine Politik der Lohnmoderation und des Abbaus öffentlicher Investitionen und Dienstleistungen die deutsche Wettbewerbsfähigkeit auf Kosten der europäischen Nachbarn und der Mehrheit der deutschen Bevölkerung zu erhöhen – mit der Konsequenz, dass sich das Ausland in immer größerem Ausmaß verschuldet.

Es gehört zu den Aufgaben einer politischen Partei wie der LINKEN, nicht nur in all diesen Initiativen und Bewegungen präsent zu sein, sie zu unterstützen und sich mit ihnen zu verbinden, sondern auch den europäischen Zusammenhang dieser Kämpfe deutlich zu machen, dass Politik der »Lohnmoderation« und der Deregulierung der Arbeitsmärkte, des Sozialabbaus und der »schwarzen Null« die Hauptursache für die Krise des Euroraums und die »Schuldenkrise« in den südeuropäischen Ländern ist.

Kurz: es geht um »Solidarität im Eigeninteresse« (Mario Candeias). Die Kampagne der LINKEN »Das muss drin sein« bietet hier eine gute Plattform.

»Solidarität im Eigeninteresse« braucht aber Bündnispartner und die lokalen Einzelkonflikte und Bewegungen müssen miteinander verbunden werden. Der Aufruf der Vorsitzenden des DGB und der deutschen Einzelgewerkschaften, unterstützt von vielen Vorsitzenden europäischer Gewerkschaften »Griechenland nach der Wahl – keine Gefahr, sondern eine Chance für Europa« böte eigentlich eine gute Grundlage für ein breites Bündnis gegen die Austerität und eine andere, soziale und solidarische Europapolitik. Bislang steht dieser Aufruf aber lediglich auf dem Papier, politische Mobilisierung war damit noch nicht verbunden.


Für eine gemeinsame Plattform zur politischen Mobilisierung

Wäre es nicht an der Zeit für eine politische Initiative wie den »Erfurter Appell« im Jahre 1997, mit dem Gewerkschafter, Sozialdemokraten, Grüne, Kulturschaffende, WissenschaftlerInnen, KirchenvertreterInnen und viele andere nicht nur ihre Forderungen für einen Politikwechsel und ein Ende der Regierung Kohl formulierten, sondern auch zur gemeinsamen politischen Aktion und Mobilisierung aufriefen? Nun ist Geschichte nicht einfach wiederholbar, aber an einer gemeinsamen Plattform gegen die neoliberale Politik in einem breiten Bündnis in Deutschland und Europa zu arbeiten, scheint mir dringend geboten. Die Autoren der »Aprilthesen« (in Sozialismus 4/2015) haben Recht, wenn sie schreiben: »Weil ein Wandel nicht ohne Änderung der Kräfteverhältnisse in den einzelnen Mitgliedstaaten zu erreichen sein wird, sind ein Politikwechsel in Deutschland und die Ablösung der Merkel-Regierung Schlüsselfragen der europäischen Entwicklung insgesamt.« DIE LINKE muss zum Katalysator einer solchen Bewegung für einen Politikwechsel werden, der mit dem neoliberalen Konsens bricht.

1997, als der »Erfurter Appell« begann, für einen Regierungs- und Politikwechsel zu mobilisieren, waren SPD und Grüne in der Opposition. Heute sind die Mehrheitsströmungen beider Parteien aber Bestandteil des neoliberalen Mainstreams und die SPD mit der CDU in einer großen Koalition. Eine Mobilisierung für einen Politikwechsel und der Versuch einer Bündelung der Gegenkräfte zur neoliberalen Politik richten sich damit auch gegen die gegenwärtige Politik der SPD und erhöhen den Druck auf Sozialdemokraten und Grüne, aus dem neoliberalen Konsens auszubrechen. Dabei ist es müßig darüber zu spekulieren, ob ein Regierungs- und Politikwechsel 2017 möglich ist. Gegenwärtig spricht mehr dagegen als dafür. Es geht aber darum, einen maximalen gesellschaftlichen Druck durch die Verbindung der unterschiedlichen Kämpfe und Initiativen vor Ort, Bewegungen und Gewerkschaftern, kritischen Sozialdemokraten, Grünen und der LINKEN herzustellen, um die gesellschaftlichen Kräfteverhältnisse nach links zu verschieben und die Risse im neoliberalen Konsens und im herrschenden Block im Europa zu vertiefen und so auch den Handlungsspielraum für Syriza, Podemos und den Widerstand gegen die Austerität in Europa zu erweitern.

Damit ist auch die Messlatte für einen wirklichen Politikwechsel formuliert – er muss einen Bruch mit der bisherigen Krisenpolitik in Europa markieren. Ein öffentliches Zukunftsinvestitionsprogramm für einen sozialökologischen Umbau, Umverteilung von oben nach unten und eine Abkehr von der Austerität in Europa sind unverzichtbare Eckpfeiler. Ohne einen solchen Politikwechsel wird die ökonomische, soziale und politische Krise in Europa sich weiter vertiefen. Europa käme in Gefahr, wieder in einen Strudel nationalistischer Konfrontation und irrationaler politischer Bewegungen zu geraten. Syriza hat die Auseinandersetzung um ein anderes Europa aufgenommen – es wird Zeit, dass die deutsche und europäische Linke sich den damit verbundenen Herausforderungen in ihrer ganzen Dimension stellt und das »Kampffeld Europa« nicht den Neoliberalen und Rechtspopulisten überlässt.

Harald Wolf ist Abgeordneter der Partei DIE LINKE im Berliner Abgeordnetenhaus und Mitglied des Parteivorstands der LINKEN. Von 2002 bis 2011 war er Senator für Wirtschaft, Technologie und Frauen und einer der beiden Stellvertreter des Regierenden Bürgermeisters von Berlin.

[1] Den neoliberalen Zauber brechen: Kampffeld Europa, von Sandro Mezzadra und Toni Negri, in nd-online: www.neues-deutschland.de/artikel/923335.kampffeld-europa-den-neoliberalen-zauber-brechen.html
[2] Michael Krätke, Die griechische Machtprobe, in: Blätter für deutsche und internationale Politik 4/15, www.blaetter.de/archiv/jahrgaenge/2015/april/die-griechische-machtprobe
[3] W.I. Lenin, Der »linke Radikalismus« – Kinderkrankheit im Kommunismus, in: W.I. Lenin, Ausgewählte Werke, Bd. 5, Berlin 1971, S. 522.

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