1. Juni 2010 Manfred Lauermann

Gegendiskurs in Theorie und Praxis

Spät, sehr spät wurde die herausragende Rolle und Leistung von Ludwig von Friedeburg im Frankfurter Institut für Sozialforschung (IfS) anerkannt. In der nützlichen Sammlung von Schlüsseltexten der Kritischen Theorie, die Friedeburg zum 80. Geburtstag gewidmet ist, analysiert der gegenwärtige Direktor des Instituts, Axel Honneth, einen zentralen Gegenstand des Jubilars: die Bildungsreform.

Vielfach als Bildungssoziologe firmiert, hat Friedeburg ab 1969 fünf Jahre die Chance, in der Praxis als SPD-Kultusminister in Hessen die Bildungsreform voranzutreiben. Sein Lieblingsbegriff ist der der Aufklärung, die er materialiter als aktuelles politisches Programm interpretiert. Versteht man darunter mit einer glücklichen Formulierung von Johanna Klages (2009: 37) die "Verwissenschaftlichung von Gegen-Diskursen", dann kommt man dem Gemeinten nahe. Honneth (2006: 140) macht darauf aufmerksam, das Friedeburgs Studie unter allen Schriften der Kritischen Theorie heute die größte politische Aktualität besitzt. Die diskontinuierlichen Demokratisierungsschübe, die das bürgerliche Bildungsprivileg egalisieren, um immer größere Bevölkerungsteile wie die unteren Schichten sukzessive in den Bildungsprozess zu inkludieren, werden regelmäßig blockiert, so "dass sich als Ursachen für die gegenläufigen exkludierenden Maßnahmen am Ende stets wieder die handfesten Interessen ausmachen lassen, die die herrschenden Klassen an der Wahrnehmung ihres Monopols auf kulturelle Macht besessen haben" (ebd. 141). Methodologisch arbeitet Friedeburg in seinen fast 50 Jahren im IfS mit einer brillant gehandhabten Technik der empirischen Sozialforschung. Der nunmehr edierte Briefwechsel von Horkheimer/Adorno beweist, dass Friedeburg seit seiner Anstellung im Institut 1955 – eigentlich seit dem Praktikum als Freiburger Psychologiestudent 1951 am IfS, mit einer Zwischenstation 1954 am Institut für Demoskopie in Allensbach bei Noelle-Neumann –, vor allem verstärkt seit seiner Habilitation in Frankfurt 1960 über Soziologie des Betriebsklimas (veröffentlicht 1963) und während seiner Zeit als Direktor 1966 bis 1997 bzw. als geschäftsführender Direktor eines Kollegiums bis 2001 von vornherein höchste Anerkennung durch die "Väter" der Kritischen Theorie erfuhr und somit eine im Institut seltene Autonomie besaß. Sein stets nachgefragtes Urteil galt gleichermaßen wie das von Horkheimer und Ador­no, nicht nur einmal musste er auf Bitten Horkheimers empirische Projekte nachbessern. Die Fortführung des Direktoriums nach Adornos Tod 1969 war daher im Sinne der klassischen Theorie, die Horkheimer bekanntlich als materialistisch bezeichnet hat, um die Einheit von Theorie und Empirie hervorzuheben. Es ist ganz unverständlich, wie stiefmütterlich in der Standardliteratur[1] diese empirische Seite be–, eher misshandelt wird. Der merkwürdig akzentuierte Positivismusstreit wird gewissermaßen auf die empirische Produktion des Instituts, in der sich theoretischer Entwurf und Einzelerfahrung dialektisch durchdringen, zurückprojiziert. "Die Besprechung empirischer Forschungsmethoden gehörte nach der Rückkehr sogleich zum Lehrangebot. Damit begann die Soziologie wieder den Anspruch zu vertreten, der sie in den zwanziger Jahren ... ausgezeichnet hatte, kritische gesamtgesellschaftliche Reflexion mit von ihr angeleiteter Forschung zu verknüpfen, um der soziologischen Erkenntnis weiterzuhelfen." (Friedeburg, Geschichte: 8) Adorno bemerkt zu den IfS-Diskussionen in der Erarbeitungsphase von Student und Politik: Schließlich haben unsere Studierenden "versucht, etwas zu leisten, was wir immer von ihnen verlangten: theoretische Motive, die sie von uns empfingen, wie immer auch vorläufig und insuffizient, mit dem empirischen Zeug zusammenzubringen" (Brief an Horkheimer 15.3.1960, Briefwechsel 620). Solche Hinweise können jetzt systematischer entfaltet werden, wie neuere Arbeiten zeigen, zum einen für die Zeit im amerikanischen Exil (Ziege 2009) und zum anderen für die Zeit des Instituts unter der Mit-Direktion von Gerhard Brandt 1972-1983, dem frühen Mitarbeiter von Friedeburg, der vor allem die industriesoziologischen Aspekte Friedeburgs weiterführt (Lauermann 2008). Ein spätes Echo mag man daran erkennen, dass im FAZ-Nachruf für Friedeburg vom 21.5.2010 neben den IfSlern und SPD-Politikern die Industriesoziologen die größte Gruppe darstellen.

Versuchen wir, die Funktion der empirischen Sozialforschung für die Kritische Theorie und damit ausdrücklich die Bedeutung Friedeburgs in den Termini von Gramsci zu beschreiben. Der herrschende politische Block, der hegemonial über die Ideologie verfügt, in der die Wirklichkeit eingefärbt ist, da nach Marx/Engels (Deutsche Ideologie) die Gedanken der Herrschenden die herrschenden Gedanken sind, wird von normaler soziologischer Empirie zumeist schlicht widergespiegelt. Diesen Vorgang der Affirmation meint Adorno mit dem unglücklichen Begriff "Positivismus". Kritisch hingegen wäre die Möglichkeit einer anderen Hegemonie, einer von unten, zu bedenken. In und unterhalb von Hegemonie also sind die Gegendiskurse zu entdecken, zu "dekonstruieren", die als unterdrückte, verbotene Diskurse latent vorhanden bleiben, oder die andererseits die gesellschaftlichen Widersprüche, Veränderungen von Kräfteverhältnissen im politischen Feld (Bourdieu) antizipieren. Gerade die in Frankfurt praktizierte Einheit von quantitativen und qualitativen Methoden ist geeignet, Risse, Brüche in der Wirklichkeit aufzuspüren, die perspektivisch eine soziologische Aufklärung der Akteure denkbar machen. In der frühen Fassung des Materials der Studie über Betriebsklima bei Mannesmann 1955 und in der Untersuchung zur Montanindustrie 1957, beide eher von der Anlage her affirmativ gedacht, erkennt Friedeburg das sprengende Moment des Entlohnungsdiskurses, der tieferliegende Interessengegensätze zischen Kapital und Arbeit verzerrt ausdrückt, die Tiefenstruktur jedoch verschiebt. Ein ähnlicher Widerspruch weist der Staat auf, dessen linke Hand Daseinsvorsorge und Bildung garantiert, dessen rechte Hand Militär und Bürokratien destruktiv reproduziert (Klages 2009: 164ff.), sodass ein institutionelles Kräftefeld seine Wirkungen je nach Macht- und Gegenmachtoperationen entfaltet. Aufklärung wird durch Anpassung konterkariert, so Friedeburg – und was politisch realisierbar ist, muss aus der konkreten Konstellation, aus den Potenzialen demokratischen Handelns eruiert werden. Zu der Bourdieuschen Staatsformel ist für Friedeburg anzumerken, dass er vor allem als Kultusminister die linke Hand gestärkt hat; umso interessanter ist seine Beschäftigung zuvor mit der rechten Hand.[2]

Die Wahrnehmung von Gegendiskursen war der Sinn von "Student und Politik" (1961) sowie der Textsammlung zur Jugendsoziologie von 1965. Es gilt als journalistischer Gemeinplatz, dass auch die Frankfurter nicht im geringsten die Studentenbewegung ab 1967 vorweggesehen hätten. Unbezweifelt ist eine längere Inkubationszeit während der 1950er Jahre, auf die Friedeburg wie andere verweisen, die Halbstarkenkrawalle etwa oder frühe Protestformen (Friedeburg 1963: 192f.). Es ist bereits ein Mechanismus zu konstatieren, der auch nach 1970 umso stärker greifen wird: "Die Protestbedürfnisse Jugendlicher werden ebenso kanalisiert und verwertet wie ihr Integrationseifer." (ebd. 181) Der Terminus "Integrationseifer" spielt ironisch mit der Dauerpräsenz von Konsumangeboten und wird übertragen auf ein Demokratieangebot, welches sich dem ökonomischen Markt mit seinen Wahlhandlungen anähnelt, kaum dagegen als ein Feld politischer Partizipation.

Genau hier liegt das Problem mit der Studentenuntersuchung. Reicht das Kriterium eines politischen Interesses aus? Kann nicht vielmehr unpolitische Abstinenz als eine Kritik an bloß formaler Demokratie gelesen werden? Was also auf den ersten Blick apolitisch erscheint, ist Indikator eines politischen Gegendiskurses; demzufolge ist politische Beteiligung kein Wert an sich (Friedeburg u.a. 1961: 13ff.), sondern kann die Form einer Scheinbeteiligung annehmen (ebd. 73f.). Reagiert wird hier auf ein Wesenselement des Parlamentarismus, das Habermas in Anlehnung an Carl Schmitt charakterisiert: "Das Parlament wird dadurch zu einer Stätte, in der sich weisungsgebundene Parteibeauftragte treffen, um bereits getroffene Entscheidungen registrieren zu lassen." (ebd. 29). Im Gegensatz zu einer Scheinbeteiligung kann die Studie die Minderheit von 9% engagierter Studenten ausmachen (und 29% reflektierte Staatsbürger) (ebd. 74), oft korreliert mit Herkunft aus nicht­akademischen Schichten mit niedrigem Einkommen (ebd. 212f.). Daraus ergeben sich zwei Schlussfolgerungen: 1) Wenn das bürgerliche Bildungsprivileg gebrochen, der Zugang zur Hochschule erweitert, eine konsequente Bildungsreform in Gang gebracht wird, dann kommen quantitativ erheblich mehr Studierende aus den unteren Schichten, somit erhöht sich die Zahl der Engagierten. 2) Die 9% können als kritische Masse angesehen werden, die bei Zuspitzung von gesellschaftlichen Widersprüchen als Provokationselite, wie ein späterer Begriff lautet, funktionieren kann, sollte es gelingen, den Begriff des Politischen subkulturell zu erweitern. Die Möglichkeit ist Thema bei Friedeburg in seinem Reader zur Jugendsoziologie.[3] Wenn Jugend als Teilkultur begriffen werden kann, dann wirkt eine spezifische Nachahmung massenhaft, falls eine Minderheit Ausdrucksformen entdecken wird, die das Politische transzendieren: Sie bilden sich in den Vereinigten Staaten ab Mitte der 1960er Jahre heraus und werden vom SDS, dem Sozialistischen Deutschen Studentenbund, importiert, etwa die so genannte direkte Aktion und die Protestformen von Sit-ins, Laufdemonstrationen etc., die allesamt der Neigung von Jugendlichen zu körperlich-expressiven Darstellungsweisen entgegenkommen. Auffällig ist, dass die Lektüre der Studie bei den Aktivisten des SDS beide Konsequenzen als politische Optionen zur Organisation von Gegendiskursen zumindest anregen sollte, wie die luzide Analyse von Demirovic (1999: 240ff., bes. 259-263) belegt, laut Friedeburg wurde die Studie als Aufschrei in der stickigen Atmosphäre der Adenauer-Ära empfunden (ebd. 258).

Es versteht sich von selbst, allein Bewusstseinsveränderungen hätten für 68' nicht genügt, die Kritische Theorie war darin marxistisch, dass objektive Widersprüche "hinzukommen" müssen. Friedeburg nahm 1962 einen Ruf an die FU Berlin an, wo er bis 1966 verblieb, als Resultat seiner dortigen Forschungen entstand eine weitere Studie zum politischen Potenzial von Studenten. "Dass die Anstrengung einer anfangs verschwindend kleinen radikal-demokratischen Minderheit nicht erfolglos blieb, dass sie zunächst in der Studentenschaft der Freien Universität, später auch bei Studenten westdeutscher Universitäten, bei Schülern und berufstätigen Jugendlichen Rückhalt fand, dass die Intention des Protestes bei allen Vorbehalten gegenüber seinen Ausdrucksformen von kritischen Professoren und Publizisten unterstützt wurde und schließlich von verantwortlichen Politikern beachtet wurde, lässt sich nur vor dem Hintergrund der gesellschaftlichen und politischen Entwicklung in der Bundesrepublik wie in der Welt erklären. Die Diskussion um Notstandsgesetze, große Koalition und Wahlrechtsreform machte die Tendenzen zur Verselbständigung politischer Administration, das Versanden demokratischer Willensbildung deutlich, das Ende des Wirtschaftswunders, die Grenzen des ökonomischen Systems." (Friedeburg u.a. 1968: 17-18)[4]

Die beiden Studien, Student und FU ermöglichen sehr schön, das Entstehen und den Bewegungsverlauf eines Gegendiskurses zu rekonstruieren. Parallel dazu veränderte sich die Lage in den Universitäten. War Friedeburgs Habilitation noch mit den für die als marxistisch verrufenen Frankfurter üblichen Problemen verbunden gewesen (Brief Adorno an Horkheimer 24.9.1959, Briefwechsel 588ff.), so wird Adorno 1964 Vorsitzender der DGS und Friedeburg sein Stellvertreter – die Hegemonie kippt nach links. Symptom ist auch die Tatsache, dass u.a. mit Friedeburg als Initiator als erste selbständige Sektion in der DGS diejenige der Industriesoziologie gegründet wird, wo doch Industriesoziologie zumindest Einfallstor der Marxschen Theorie ist wenn nicht gleich ihre heimliche Verkleidung im akademischen Diskurs. Vergessen wir nicht, neben der Aufklärung ist der Marxismus ein weiterer wissenschaftlicher Gegendiskurs! Adorno und Friedeburg schlagen auch das Thema für den 16. Soziologentag in Frankfurt für April 1968 vor: Spätkapitalismus oder Industriegesellschaft? Es versteht sich, dass Adorno ein brillantes Hauptreferat halten wird und Friedeburg bescheiden als einfacher Protokollant in Erscheinung tritt. Diese Figuration illustriert das Verhältnis Adorno-Friedeburg recht genau. Weil er Adorno bewundert, kommt Friedeburg 1966 nach Frankfurt zurück, wobei er in die Strudel der Besetzung des Instituts durch den SDS und andere Studierende gerät. Am 31. Januar 1969 ruft er, um es räumen zu lassen, die Polizei. Während aber die anderen Autoritäten Adorno und Habermas den Hass der Studenten auf sich ziehen, nach der Logik der minimalen Differenz (Freud), wird "Lou" von Friedeburg bestenfalls mittels einer Karikatur bestraft – von ihm, dem Empiriker, hatte der SDS eh' nichts anderes erwartet.[5] Seine intellektuelle Verehrung von Adorno, wovon auch sein Interview über Adorno zeugt (Lauermann 2008: 213), zeigt sich auch nach dessen Tod in der Herausgabe – mit einer kleinen Vorrede – einer deutschen Erst=Teilübersetzung von Authoritarian Personality zum 70. Geburtstag Adornos 1973 – und hatte nicht Adorno auf dem Frankfurter Soziologentag, von Friedeburg protokolliert, just diese Arbeit auffällig herausgehoben? Zum 80. Geburtstag veranstaltet er mit Jürgen Habermas eine Adorno-Konferenz, die er unter diesem Titel mitherausgeben wird. Für Friedeburg ist symptomatisch, dass er sich auf der Konferenz mit der Leitung einer Sektion begnügt. Die Vorfälle in Frankfurt, der Tod Ador­nos erleichterten einen Karrierewechsel, der in gewissem Sinne normal für einen Admiralssohn und für den jüngsten U-Boot-Kommandanten der Wehrmacht im Sinne einer Elitenkontinuität bereits in den 1960er Jahren gewesen wäre. Er wird Minister. Allerdings im klaren Unterschied zur bürgerlichen Eliten-Normalität mit der bewussten Intention, die Gegendiskurse aus der Wissenschaft und den Gegenmachtversuchen der Studentenbewegung aufzunehmen und auf Dauer zu stellen. Als Minister in einer SPD-Regierung, die 1966 die absolute Mehrheit in Hessen mit 51% innehatte und die mit immerhin 45,9% 1970 auf eine sozialliberale Koalition angewiesen war, amtierte er 1969 bis 1974. Vielleicht könnte man ohne den sonst berechtigten Spott hier in diesem einen Fall von einem erfolgreichen Marsch durch die Institutionen sprechen?[6]

Literatur
Adorno, Theodor W./Horkheimer, Max (2006): Briefwechsel Bd. IV: 1950-1969, Frankfurt a.M.
Demirovic, Alex (1999): Der nonkonformistische Intellektuelle. Die Entwicklung der Kritischen Theorie zur Frankfurter Schule, Frankfurt a.M.
Honneth, Axel (2006): Zu Ludwig von Friedeburg: Bildungsreform in Deutschland. Geschichte und gesellschaftlicher Widerspruch, in: ders. (Hrsg.): Schlüsseltexte der Kritischen Theorie, Wiesbaden, S. 140-144
Klages, Johanna (2009): Meinung, Macht, Gegenmacht. Die Akteure im politischen Feld, Hamburg
Lauermann, Manfred (2008): Gerhard Brandt – der letzte Horkheimer-Schüler, in: Faber, Richard/Ziege, Eva-Maria (Hrsg.): Das Feld der Frankfurter Kultur- und Sozialwissenschaften nach 1945, Würzburg, S. 205-231.
Ziege, Eva-Maria (2009): Antisemitismus und Gesellschaftstheorie. Die Frankfurter Schule im amerikanischen Exil, Frankfurt a.M.

Ludwig von Friedeburg (Auswahl)
Wikipedia: Eintrag, aktualisiert 21. Mai 2010. Für Wikipedia makelloser Eintrag, ergänzbar wäre der Selbstmord von Friedeburgs Vater, dem Generaladmiral von Friedeburg im Alter von 49 Jahren am 23. Mai 1945, eine ebenso beachtliche wie seltene Tat eines führenden Vertreters der NS-Elite.
Ein Literaturverzeichnis der Schriften von Friedeburg findet sich in den "Mitteilungen des Instituts für Sozialforschung Frankfurt am Main", Heft 12, September 2001, S. 69-79
(1961): Student und Politik (mit J. Habermas, C. Oehler, F. Weltz), Neuwied/Berlin/Darmstadt (gewissermaßen eine Nullserie der später berühmten und weit verbreiteten Soziologischen Texte bei Luchterhand!)
(1963): Das Verhältnis von Jugend und Gesellschaft (zuerst in Festschrift Adorno 1963), in: ders. (Hrsg.): Jugend in der modernen Gesellschaft, Köln/Berlin 1965, S. 176-190. (Dieser Band der so genannten gelben Reihe von Kiepenheuer & Witsch gehört zu den frühen Texten der 68 einflussreichen Neuen Wissenschaftlichen Bibliothek.)
(1968): Freie Universität und politisches Potential der Studenten. Über die Entwicklung des Berliner Modells und den Anfang der Studentenbewegung in Deutschland (mit W. Schumm u.a.), Neuwied/Berlin/Darmstadt
(1989): Bildungsreform in Deutschland. Geschichte und gesellschaftlicher Widerspruch, Frankfurt a.M.
(1994): Bildung zwischen Aufklärung und Anpassung. Erfahrungen mit der Bildungsreform in der Bundesrepublik, Frankfurt a.M.
(2009): Die Rückkehr des Instituts für Sozialforschung, in: Boll, Monika/Gross, Raphael (Hrsg.): Die Frankfurter Schule und Frankfurt. Eine Rückkehr nach Deutschland, Göttingen, S. 40-46Geschichte des Instituts für Sozialforschung, http/www.ifs.uni-frankfurt.de/institut/geschichte htw

Manfred Lauermann, Dr. phil., Soziologe, Mitglied der Deutschen Gesellschaft für Soziologie sowie der Ferdinand-Tönnies-Gesellschaft, Hannover. Letzte Veröffentlichung: Behrens, Marx und die bundesdeutsche 68er-Bewegung, in: Fritz Behrens, "Man kann nicht Marxist sein, ohne Utopist zu sein..." Texte von und über Fritz Behrens, hrsg. v. G. Krause/D. Janke, Hamburg 2010.

[1] Gemeint sind: Dubiel 1978, Jay 1981, Wiggershaus 1986, Albrecht u.a. 1999. Ausnahmen sind Demirovic 1999, der implizit die Bedeutung der Empirie materialiter nachzeichnet, und explizit Bonß 1982, Die Einübung des Tatsachenblicks – Nachweise in Ziege 2009.
[2] Ich denke an die Zweite Folge der von G. Picht herausgegebenen Studien zur politischen und Gesellschaftlichen Situation der Bundeswehr mit den Beiträgen von Friedeburg, bes. Zum Verhältnis von Militär und Gesellschaft in der Bundesrepublik, Witten und Berlin 1966, S. 10-65 sowie in der Dritten Folge von seinem IfS-Kollegen G. Brandt die Abhandlung über Rüstung und Wirtschaft in der Bundesrepublik. Ich möchte hier gern mit Honneth von größter politischer Aktualität sprechen, auch wenn zugegeben sei, dass diese Texte nicht zum Traditionszusammenhang der Kritischen Theorie zu zählen sind.
[3] Bei Talcott Parsons – US-amerikanische Soziologie ist überhaupt konstituierender Bestandteil der Frankfurter Soziologieausbildung – ist die Rede von Anomie, von einer Gärung innerhalb der amerikanischen Studierenden mit einer von der Erwachsengesellschaft abweichenden Sinnsuche jenseits der Konsumzwänge (Friedeburg 1963: 150ff.), einer Sehnsucht nach dem Romantischen. Georges Lapassade bekommt antiautoritäre Rebellen ohne Grund in den Blick, Erik H. Erikson diskutiert die Chancen alternativer Identitätsbildung und Heinrich Popitz konstatiert noch einmal die harten Fakten der Ungleicheit der Chancen im Zugang zur höheren Schulbildung. – Gerade unwahrscheinlich ist, dass beinahe 40 Jahre später Friedeburg erneut extreme Chancenungleichheit feststellen muss, nach einer Reformzwischenphase, m.a.W. nunmehr einer Hegemonieverschiebung nach rechts: "was aus erreichter Chancengleichheit und sozialer Gerechtigkeit wird, deren Stand in so vielen Jahren mühsam errungen wurde, wenn unter Modernisierung nur noch Deregulierung und unter Reform nur noch Marktunterwerfung verstanden wird." Ludwig von Friedeburg: Soziale Ungleichheit im Bildungswesen. Geleitwort in: Mägdefrau, J./Schumacher, E. (Hrsg.), Pädagogik und soziale Ungleichheit, Bad Heilbrunn 2002, S. 10
[4] Neben den Publizisten/Schriftstellern von Augstein bis Martin Walser war einer der "kritischen Professoren" Friedeburg selbst, außerdem aus dem Umkreis des IfS Adorno, H. Becker, Habermas, Mitscherlich – siehe die Erklärung zu Polizei und Studenten, Die ZEIT, 9.6.1967.
[5] J. Zoller (Hrsg.), Aktiver Streik. Dokumentation zu einem Jahr Hochschulpolitik am Beispiel der Universität Frankfurt am Main, Darmstadt 1969, S. 261. Dass Friedeburg dort als "Prototyp des gutaussehenden Faschisten" denunziert wird, gehört zum Zeitgeist, der generell Theorie zu seinem Fetisch machte und Empirie grandios verachtete. Vgl. M. Lauermann: Vierzig Jahre 1968. Ein Literaturüberblick, in: Berliner Debatte Initial 20 (2009), S. 111-149.
[6] Friedeburg hat die Möglichkeit, als Wissenschaftler seine Arbeit als Politiker zu analysieren, trefflich genutzt; vgl. sein Buch Bildungsreform (1989). – Zu den berüchtigten Hessischen Rahmenrichtlinien (ebd. 449ff.). Die Gegenreformation gegen die Gegendiskurse, kurz die erneute Hegemonieverschiebung illustriert Friedeburg an einem Punkt: "Ungeachtet ihrer reformistischen Grundposition und der erklärten Absicht, den neuen Ansatz zur Diskussion zu stellen, suchte die oppositionelle Kritik sie als Instrument des Klassenkampfes zur Indoktrination der Heranwachsenden darzustellen. Umstritten war besonders die Rolle, die gesellschaftliche Konflikte als Lerngegenstand spielten, vor allem, wenn es sich um Probleme im Familienleben oder in der Arbeitswelt handelte." (ebd. 456)

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