1. Februar 2009 Redaktion Sozialismus

Globale Krise und die politische Linke

Die globale Finanzkrise hat die kapitalistische Gesellschaftsordnung in den Grundfesten erschüttert. Aber damit erweist sich die gegenwärtige Weltwirtschaftskrise noch keineswegs als "Stunde der Linken" und radikaler Bewusstseinsveränderungen. Bei aller Skepsis einer Mehrheit der Bevölkerung gegenüber den "Rettungsschirmen" und "Konjunkturprogrammen" gelingt es bislang dem bürgerlichen Lager, durch "vertrauensbildende Maßnahmen" größeren Systembrüchen im gesellschaftlichen Alltagsleben vorzubeugen.

Das wahre Ausmaß, Tiefe und Dauer der Krise sind bei vielen Menschen noch nicht angekommen. Noch funktioniert die krisenhafte Reproduktion kapitalistischer Produktionsverhältnisse zugunsten der wirtschaftlichen Eliten und der politischen Klasse.

Für die USA illustrieren John Bellamy Foster und Fred Magdoff diesen Zusammenhang von Bruch und Kontinuität in den kapitalistischen Verhältnissen und verdeutlichen dabei zugleich die politischen Dimensionen einer solchen Akteurskonstellation: "Finanzminister Paulsons Antrag vor dem Kongress im September 2008 auf 700 Milliarden Dollar, um dem Finanzsystem aus der Klemme zu helfen, könnte in der allgemeinen Erkenntnis des und der Empörung über das ökonomische Problem einen Wendepunkt darstellen und so zum ersten Mal seit vielen Jahren das Thema einer politischen (Herv. d.A.) Ökonomie zur Sprache bringen. Für die gesamte Bevölkerung wurde sofort offensichtlich, dass die entscheidende Frage in der Finanzkrise und der sich herausbildenden tiefgreifenden wirtschaftlichen Stagnation war: Wer bezahlt das? (Herv. d.A.) (...) Aber der Kapitalismus nutzt soziale Trägheit (Herv. d.Red.) aus und verwendet seine Macht zur ausgemachten Plünderung, wenn er sich nicht einfach auf 'normale' Ausbeutung verlassen kann. Ohne einen Aufstand von unten wird die Bürde schlicht den untersten Schichten auferlegt werden. All dies macht einen sozialen und wirtschaftlichen Massenaufruhr notwendig (...) einschließlich der Wiederbelebung von Gewerkschaften und sozialen Massenbewegungen aller Art – der die durch die Verfassung zugebilligte Macht zur Veränderung nutzt und sogar so weit geht, das gegenwärtige Duopol des Zweiparteiensystems zu bedrohen."[1]

Auch wenn die gegenwärtige Krise das Potenzial enthält, den "Schein der Selbständigkeit" (Marx) der Formen kapitalistischen Wirtschaftens einschließlich der bisherigen neoliberalen Marktideologie aufzulösen, steht die Linke vor einer mehrfachen politisch-ideologischen Herausforderung: Was bedeutet die globale Finanzkrise für die bisherige ideologische Hegemonie des Neoliberalismus und die weitere Kapitalismusanalyse? Wie lassen sich die weiteren Entwicklungstendenzen des Alltagsbewusstseins großer Teile der (Wahl-)Bevölkerung differenziert einschätzen und dabei auch die "soziale Trägheit" in Rechnung stellen? Kann sich die Linke auf eine Antikrisenpolitik verständigen, die sich zugleich als Beitrag zur Bildung eines neuen historischen Blocks versteht?

Neoliberalismus und Finanzkrise

Der Neoliberalismus war die Ideologie des entfesselten Kapitalismus und bildete die ideologische Grundlage der finanzmarktgetriebenen Kapitalakkumulation. Er zielte auf die Legitimation der Vormachtstellung der Reichen – der reichen Nationen und der reichen Klasse der kapitalistischen Hauptländer. Wie jede Ideologie war auch der Neoliberalismus darauf angelegt, die von ihm legitimierten Interessen und politischen Handlungsvorgaben als dem Gemeinwohl entsprechend, im Interesse aller liegend zu deklarieren.

Mit dem in der Krise offenkundig gewordenen Scheitern der finanzmarktgetriebenen Kapitalakkumulation ist nun auch dem Neoliberalismus die gesellschaftliche Geschäftsgrundlage entzogen. Die Mächtigkeit dieses ideologischen Diskurses, der nun in einer sichtbaren Diskrepanz zur ökonomischen Grundlage und zum Alltagsbewusstsein steht, ist gebrochen. Und diese Diskrepanz wird sich weiter vertiefen, auch wenn Teile der politischen Klasse nach wie vor mit neoliberalen Topoi operieren.

Das Ende der Finanzkrise und der Rezession der Globalökonomie ist zu Beginn 2009 noch nicht absehbar.[2] Wie sollte es auch: Wir haben es mit einer Jahrhundertkrise zu tun. Seit Mitte des Jahres 2008 ist offenkundig: Die Krise kann nicht mehr aufgehalten, sondern bestenfalls abgemildert werden. Verhindert werden kann allerdings, dass sich aus der schweren Rezession eine langjährige Depression – vergleichbar der Weltwirtschaftskrise im ersten Drittel des 20. Jahrhunderts – entwickelt.

Die Mehrheit der politischen Klasse ist gleichsam blitzartig von der über Jahrzehnte vertretenen Deregulierungs-, Privatisierungs- und Flexibilisierungspolitik zu einem Staatsinterventionismus zurückgekehrt. Aber die für den Neoliberalismus charakteristische Geschichtsblindheit hat sich nicht verflüchtigt. Insofern hat der Nobelpreisträger für Wirtschaft, Paul Krugman, Recht: "Wir zahlen jetzt den Preis für unsere vorsätzlich Amnesie. Wir haben es vorgezogen, zu vergessen, was in den 30er Jahren passiert ist. Und weil wir uns geweigert haben, aus der Geschichte zu lernen, wiederholen wir sie jetzt."

Die Jahrhundertkrise der vermögensgetriebenen Akkumulation eröffnet die erforderliche Korrektur der verselbständigten Prozesse: Die Ansprüche auf künftig zu produzierenden Reichtum haben sich weit von den realen Wertschöpfungs- und Verwertungsprozessen entfernt. Die entscheidende Frage ist also nicht, wann nach einer Phase der Abschwächung (Rezession) der untere Wendepunkt erreicht ist und ein neuer Konjunktur- oder Wirtschaftszyklus eröffnet wird. Die Frage ist, in welchem Umfang die unverzichtbare Entwertung der übersteigerten Eigentumstitel vorgenommen wird oder die hohen Preise von Wertpapieren korrigiert werden und damit eine Ankoppelung an das Potenzial des realwirtschaftlichen Verwertungsprozesses möglich wird. Grundsätzlich gilt für die Kritik der politischen Ökonomie: Es sind die Krisen, die dem Schein der Selbständigkeit der verschiedenen, gegeneinander verknöcherten Elemente des gesellschaftlichen Wertschöpfungsprozesses ein Ende bereiten.

Zunächst geht es in der aktuellen Krise um die Vermeidung eines Kollapses der nationalen Bankensysteme, des Überschlagens in einen Abwertungswettlauf unter den Währungssystemen sowie die Verhinderung von faktischer Handlungsunfähigkeit im Zustand eines Staatbankrotts. Diese kurzfristige Stabilisierung der Finanz- und Währungsverhältnisse muss mit weiterreichenden Veränderungen sowohl im Bereich Kredit und Währung als auch der Realökonomie einhergehen. Entscheidend wird sein, ob es gelingt, in den Vernichtungsprozess von Wertpapieren oder Anweisungen auf gesellschaftlichen Reichtum steuernd einzugreifen oder ob sich der Entwertungsprozess weiterhin naturwüchsig vollzieht. Das globale Anlagevolumen der Finanzmärkte hatte in den letzten 20 Jahren enorm zugenommen. Institutionelle Anleger wie Banken, Pensionsfonds, Versicherungen, Hedge-Fonds und Private-Equity-Gesellschaften verwalten nicht nur ein riesiges Volumen von Eigentumstiteln, die der Sache nach alle Ansprüche auf künftig zu produzierenden gesellschaftlichen Reichtum darstellen. Die enorm gewachsene Rolle institutioneller Anleger und Vermögensverwalter drückt sich heute in einem Umbau der Unternehmenslandschaft aus.

Der Ausweitung des Anteils von leistungslosen Einkommen am gesellschaftlichen Reichtum korrespondiert der Rückgang der Anteile bei Arbeits- und Sozialeinkommen. Vor dem Hintergrund dieser veränderten Machtverhältnisse in den Unternehmen und der Verteilung der Wertschöpfung kann die Krise im Immobilien- und Kreditbereich nur durch eine umfassende Entwertung von Eigentumstiteln auf eine neue Grundlage gestellt werden. Die Verteilung der Verluste wird sich noch eine ganze Zeitlang hinziehen.

Sicherlich werden die aktuellen Interventionen mit der Zielsetzung verbunden, die massive Entwertung von Eigentumstiteln abzuschwächen, um nach einer Übergangszeit den Anschluss an die finanzmarktgetriebene Kapitalakkumulation wiedergewinnen zu können. Dies wird sich als Illusion herausstellen, denn die Stichworte von einem neuen New Deal, einem zweiten Bretton Woods, einer neuen Architektur des globalen Finanzsystems machen klar, dass es um weit mehr als bloße Reparaturen eines heißgelaufenen Systems geht.

Kapitalismusanalyse(n)

Die globale Finanzkrise ordnet sich in eine lange Periode struktureller Überakkumulation ein und markiert damit das krisenhafte Ende der Auflösung des Fordismus. Mit der gegenwärtigen Krise klären sich auch offene Fragen in den bisherigen innerlinken Kapitalismusanalysen. Die Zeitdiagnose einer einigermaßen stabilen und entwicklungsfähigen postfordistischen Formation – sei es als Hightech-Kapitalismus (Haug), als neoliberale Produktionsweise (Candeias) oder als sozial regulier- und gestaltbarer Aktionärskapitalismus (Neue Sozialdemokratie) – hat sich als nicht tragfähig erwiesen. Halbherzig wird eingeräumt: "Die Reserven des nach wie vor dominierenden Neoliberalismus als organisierende Ideologie im Übergang zur informationstechnologischen transnationalen Produktionsweise sind jedenfalls erschöpft."[3]

Dagegen schlägt Joachim Hirsch zu Recht den Bogen zurück zur Fordismusdebatte: "Bekanntermaßen gehören Krisen zum Kapitalismus, und hin und wieder kommt es auch zu ziemlich großen, wie derzeit. Ihre Abfolge scheint sich indessen zu beschleunigen. Von der großen Depression in den 70er Jahren des 19. Jahrhunderts bis zur ersten Weltwirtschaftskrise des zwanzigsten dauerte es über fünfzig Jahre. Der darauf folgende Fordismus währte bis Mitte der 70er Jahre des 20. Jahrhunderts, also nur noch knapp fünf Jahrzehnte. Auf seine Krise folgte die als Globalisierung bezeichnete Etablierung des neoliberalen Finanzkapitalismus, auch Postfordismus genannt. Der ist nun, etwas über dreißig Jahre später, ebenfalls am Ende und wieder verschieben sich damit die globalen ökonomischen und politischen Machtverhältnisse. Bei diesen raschen Veränderungen ist natürlich nicht ganz leicht zu erkennen, mit welchem Kapitalismus man es gerade zu tun hat. Das hat sich auch daran gezeigt, dass es keine Einigkeit darüber gab, wie seine eben zu Ende gehende Form genannt werden sollte und ob es sich dabei überhaupt um eine eigenständige Phase oder eher um ein sich Dahinschleppen der Fordismus-Krise gehandelt hat. Der Begriff 'Postfordismus' war jedenfalls eher eine Hilfsbezeichnung. Das ist nun deutlicher geworden. Beim neoliberalen Finanzkapitalismus handelt es sich durchaus um eine eigene historische Formation des Kapitalismus, die auch eine spezifische Krisendynamik aufweist. Die aktuelle Krise unterscheidet sich daher ganz wesentlich von der des Fordismus oder auch der der dreißiger Jahre des letzten Jahrhunderts, auch wenn dazu jetzt häufig Parallelen gezogen werden... Es handelt sich also um einen spezifischen Fall der kapitalistischen Überakkumulationskrise. Nachdem diese Spekulationsblase geplatzt ist, gehört auch der Postfordismus der Vergangenheit an. Die Art und Weise, wie die Krise des Fordismus bewältigt wurde, hat also die Wurzeln dafür gelegt, dass der globale Kapitalismus heute knapp vor dem Zusammenbruch steht."[4]

Jetzt wird sich der Streit darum drehen, was für einen Kapitalismus wir mit der "Rückkehr des Staates" in den Kapitalkreislauf haben oder bekommen werden und was an linken Alternativen möglich ist. Die Krise war seit längerem vorhergesagt worden. Nicht nur aus den Reihen der Linken, sondern auch im bürgerlichen Lager gab es kritische Beobachter der Schuldenökonomie und auch dezidierte Kritiker des Shareholder-Kapitalismus bezogen auf seine Innovationsfähigkeit und die Nachhaltigkeit seiner Produktivkraftentwicklung.

Genau genommen wurde diese Entwicklung schon seit den 1980er Jahren in bestimmten krisenhaften Zwischenphasen immer wieder auf die Zwischenkriegszeit und die Krise 1929ff. zurückbezogen. Es ist daher kein Wunder, dass der aktuelle Verlauf der Krise sofort mit einem Diskursumfeld einhergeht, in dem diese historischen Bezüge hergestellt werden. Das Handeln der Akteure aus der politischen Elite, aber auch die Kritik aus den anderen politischen Lagern ist reflexiv gebrochen. Dabei fällt auf, dass historische Referenzpunkte, die gemeinhin zum Kernbestand linkskritischer Historiographie über 1929ff. gehören, von bürgerlicher Seite selbst besetzt wurden: Der historische Fehler einer Deflationspolitik à la Brüning ist (bisher) vermieden worden.

Die führenden Repräsentanten der politischen Klasse – zuvor mehrheitlich glühende Verfechter des Neoliberalismus – erweisen sich als äußerst wendig. Viele von ihnen setzen darauf, nach einer möglichst kurzen Zeit staatlich-regulativer Notprogramme zu einem gefestigten status quo ante zurückkehren zu können. Aber aufgrund ihres begrenzten Ansatzes und ihrer begrenzten Reichweite haben sich die bisherigen Antikrisenprogramme als wenig nachhaltig erwiesen. Zwar konnte eine Kernschmelze des Finanzsystems bislang verhindert werden, aber die Abschreibungsbedarfe der Banken steigen weiter an und die Unternehmen geraten zunehmend in eine Kreditklemme.

Akteurskonstellationen

Das bürgerliche Lager hierzulande sieht sich durch sein bisheriges Agieren in der Krise gestärkt und geht von einer schwarz-gelben Regierungsmehrheit bei der Bundestagswahl im Herbst 2009 aus.[5] Diese "Selbstbetäubung" verkennt nach wie vor bestehende Schwächen für eine strukturelle Mehrheitsfähigkeit. Merkels "vertrauensbildende Maßnahmen" treffen auf eine Bevölkerung, von der 75% die gegenwärtige Krise nicht verstehen und einordnen können und daher durch Skepsis und Misstrauen gegenüber den Interventionsmöglichkeiten der Politik geprägt sind.

Dieses Unverständnis der Krise gilt aber auch für das bürgerliche Lager selber: Ein Teil der Akteure täuscht sich über die Schwere der ökonomischen Verwerfungen hinweg und Vertreter aus Kultur und Publizistik mahnen an, dass die desaströse Politik des Neoliberalismus die Legitimation und Werteordnung des bürgerlichen Lagers grundlegend zerstört habe. Hinzu kommt, dass die neugeschaffenen Institutionen wie Soffin (Sonderfonds Finanzmarktstabilisierung) u.a. mit ihrer ökonomischen Machtzusammenballung keiner parlamentarischen Kontrolle unterliegen und dadurch demokratische Legitimierung beschädigen.

Die Synthese aus "sozialdemokratisierter" Christdemokratie und marktradikaler FDP bildet keine tragfähige Hegemonie. Demgegenüber steht die Sozialdemokratie gegenwärtig ohne jedes gesellschaftliche Projekt und politische Botschaft da. In dieser Konstellation können diese politischen Akteure mögliche weitere Desillusionierungsprozesse bei Teilen der Bevölkerung nicht auffangen.

Die politische Linke hatte schon in der Einschätzung über Stabilität oder krisenhaftes Zerstörungspotenzial des neoliberalen Finanzmarktkapitalismus sowie über die Einordnung dieser Entwicklungsphase des Kapitalismus seit Ende der 1970er Jahre keinen Konsens. Das zeigt sich wieder bei den gegenwärtigen Krisendiagnosen und Gegenvorschlägen. Auch mentalitätsmäßig differiert das linke Lager. Teile rangieren die Krise nach wie vor unter kapitalistische Normalität und verharren so fast schon in Attentismus oder setzen in naiver Weise darauf, dass erst eine weitere Verschärfung des Krisenprozesses die "Stunde der Linken" bringen wird. Andere Strömungen sehen sich in Positionierungen der kommunistisch-sozialistischen Linken aus dem "Jahrhundert der Extreme" bestätigt und revitalisieren einfache Verstaatlichungsoptionen.

Vertreter der Interventionistischen Linken sehen in der gegenwärtigen Krise die Möglichkeit, an die während des Neoliberalismus "verdrängte subversive Subjektivität der Weltgeschichte" in der erfolgreichen "Welle von Klassenkämpfen der 1960er und 1970er Jahre"[6] wieder anzuknüpfen. Dabei bleiben u.E. aber die Folgewirkungen des Neoliberalismus als einer "passiven Revolution" der Einbindung von Teilen der Lohnabhängigen und ihrer gewerkschaftlichen Organisationen für Politik und Bewusstsein unterbelichtet.

Der "Autonomietheoretiker" K.H. Roth beweist hier mehr Gespür für die Ambivalenzen des Alltagsbewusstseins als so mancher "Bewegungskämpfer" aus der Linken und hält angesichts der gegenwärtigen Weltwirtschaftskrise "einen revolutionären Prozess nur für möglich, wenn eine radikale Reform in Gang kommt. Alleine aus Zeitgründen. Es ist völlig illusorisch, dass Menschen, die jahrzehntelang so geduckt gingen, dass sie kaum eigene Gedanken zu entwickeln gewagt haben, innerhalb kürzester Zeit in der Lage wären, ein revolutionäres Programm in Gang zu bringen. Es braucht Zeit und Erfahrung, das geht nur über eine radikale Reform. Nur so kann ein qualitativer Sprung stattfinden."[7]

Angesichts des bevorstehenden länger anhaltenden Krisenprozesses mit weiteren Entwertungsprozessen, widersprüchlichen Staatsinterventionen und unzureichenden Strukturreformen von Seiten der (wirtschafts)politischen Eliten muss die Linke die Offenheit dieser Situation in Rechnung stellen und sich um eine differenzierte Einschätzung der Entwicklungstendenzen des Alltagsbewusstseins großer Teile der (Wahl)Bevölkerung bemühen.

Mit Blick auf die gesellschaftliche Verunsicherung und das latente Angstpotenzial ist die Diffamierung einer binnenmarktorientierten Antikrisenpolitik als "national sozial" von Seiten der Sozialdemokratie (Müntefering) wie aus der politischen Linken heraus gleichermaßen fatal: "Wenn es noch eines Nachweises bedurft hätte, zeigt sich jetzt überdeutlich, dass die parlamentarische Linke nichts erreichen kann (zum Teil auch will) als einen moralischen und national verpflichteten, staatlich regulierten Kapitalismus."[8] Das zeugt von Geschichtsvergessenheit.

Auf parlamentarischer Ebene könnte die LINKE gegen die politische Kurzsichtigkeit des bürgerlichen Lagers und in Kritik an der sozialdemokratischen Schrumpfversion sozialer Gerechtigkeit die Notwendigkeit großflächiger Strukturreformen als Transformationsperspektive verdeutlichen: Ausbau der Bedingungen des Konsums für die unteren Schichten, Investitionen in allgemeine gesellschaftliche Sektoren wie Gesundheit (vgl. USA) und Infrastruktur; Transformation der gegenwärtig außerkraftgesetzten Zinsregulierung in gesellschaftlich bewusste und demokratisch legitimierte (staatliche) Investitionssteuerung; die Notwendigkeit weiterer Arbeitszeitverkürzung.

Alle diese Maßnahmen erlauben den Einstieg in eine schrittweise Reorganisation gesellschaftlicher Produktionsprozesse und damit die Zurückdrängung von Prekarisierung zugunsten sozialer Inklusion. Damit würde der sozialstrukturellen Heterogenität von Teilen der Lohnabhängigen, RentnerInnen und Hartz IV-BezieherInnen innerhalb der LINKEN Rechnung getragen. Als Bestandteil eines großflächigeren linken Bündnisses und historischen Blocks könnte darüber ein Beitrag zur Überwindung der "Passivitätskrise" (Sennett) der politischen Willensbildung geleistet werden.

[1] John Bellamy Foster/Fred Magdoff, Implosion des Finanzmarkts und Stagnation. Zurück zur Realwirtschaft, Supplement der Zeitschrift Sozialismus 2/2009, S. 31/32.
[2] Siehe dazu in diesem Heft: Joachim Bischoff, Wirtschaftskrise 2009, Konjunkturprogramme und linke Alternativen
[3] Mario Candeias, Krise im oder des neoliberalen Finanzmarktkapitalismus?, in: diskus, Januar 2009, S. 18.
[4] Joachim Hirsch, Weltwirtschaftskrise 2.0 oder der Zusammenbruch des neoliberalen Finanzkapitalismus, Oktober 2008,
www.links-netz.de/K_texte/K_hirsch_finanzkrise.html
(26.1.2009)
[5] Siehe dazu Joachim Bischoff/Richard Detje, Wahlen in Krisenzeiten in diesem Heft.
[6] Christian Frings, Klassenkampf und Krise: Futures and Options, in: Texte für den Antikapitalistischen Ratschlag, Frankfurt/M.,
turbulence.org.uk/turbulence-4/global-capitalism-futures-and-options/
futures-des-kapitalismus/ (25.1.2009); vgl. auch Olaf Bernau, Unter den Rädern des Ökonomismus. Neoliberalismus und Finanzkrise bleiben ohne soziale Kämpfe unverstanden, in: ak 535, 16.1.2009.
[7] "Es wird zu einem Zyklus neuer Kämpfe kommen", Interview mit Karl Heinz Roth zur aktuellen Krise und ihren Folgen, in: ak 534, 19.12.2008; siehe auch den demnächst erscheinenden neuen Text von Roth "Globale Krise – Globale Proletarisierung – Gegenperspektiven" (Hamburg 2009).
[8] Heinz Steinert, Die Chancen der Krise, Januar 2009,
www.links-netz.de/K_texte/K_steinert _chancen.html (26.1.2009).

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