1. Oktober 2007 Christina Ujma

Gramscis verschleudertes Erbe

Der Tod des italienischen Gewerkschaftsführers Bruno Trentin am 23. August 2007 ist zu einem hochsymbolischen Ereignis geworden. Denn mit ihm wurden diverse Traditionen der italienischen Arbeiterbewegung und des eurokommunistischen PCI zu Grabe getragen.

Ein durchaus folgerichtiger Vorgang angesichts der Tatsache, dass die PCI Nachfolgepartei DS (democratici di Sinistra, Linksdemokraten) am 14. Oktober 2007 mit der linkskatholischen Mar­gherita zur Demokratischen Partei (PD) fusionieren wird. Diese ist noch nicht einmal unbedingt der europäischen Sozialdemokratie zuzurechnen, sondern eher am amerikanischen Vorbild orientiert.

Ciao Bruno

Es war ein Abschied im Stil der alten italienischen Arbeiterbewegung, mit einem Meer von roten Fahnen und einem Massenaufgebot von Mitkämpfern, Gewerkschaftern und linken Aktivisten der verschiedensten Strömungen. Bei Trentins laizistischer Trauerfeier trat zum letzten Mal der alte PCI in Erscheinung, d.h. die Protagonisten der Nachfolgeparteien gaben sich angesichts des traurigen Ereignisses ausnahmsweise einmal geeint. Die Regierung Prodi war fast geschlossen anwesend und alle Minister stimmten, wenn gelegentlich auch mit verkniffenen Gesichtern, in das alte Partisanenlied Bella Ciao ein. Walter Veltroni, der favorisierte Kandidat für den Vorsitz der PD, huldigte dem ehemaligen Vorsitzenden der CGIL und PCI-Politiker Trentin als Arbeiterführer und Intellektuellen, unterließ es aber taktvollerweise hinzuzufügen, dass die neue Partei weder für das eine noch für das andere Verwendung hat. In den Trauerreden drängte sich die Erinnerung an eine Zeit auf, als die Linke noch die Welt verändern wollte und ihr manchmal auch der eine oder andere Sieg gelang, an eine Zeit, als die Linke nicht nur eine lose Karriere- und Interessengemeinschaft war, sondern ein Kampf- und Schicksalsbündnis auf Lebenszeit und darüber hinaus, denn Trentin hat seine letzte Ruhestätte neben Enrico Berlinguer und Luciano Lama gefunden.

Peinliches Pantheon

Berlinguer, Gramsci und die gesamte eurokommunistische Tradition gerieten im Frühjahr dieses Jahres in die Kontroverse. Es ging um die Symbole und Traditionen, auf die sich die PD einigen wollte, etwas italienischer ausgedrückt: um das Pantheon der neuen Partei, in dem die Hausheiligen und Identifikationsfiguren versammelt werden sollten. Brüsk wurden da von Seiten der DS-Führung der Eurokommunismus, Gramsci und Berlinguer rausgeschmissen, während Parteichef Fassino eine Ekelfigur wie Bettino Craxi, der wegen Korruption mehrfach verurteilt wurde, rehabilitierte und fürs Pantheon vorschlug.

Nicht nur die Nobilitierung Craxis, der Symbolfigur der Tangentopoli-Republik schlechthin, erweckt den Anschein, als möchte die DS/PD lieber heute als morgen zurück in die klientelistischen und korrupten 1980er. Einige ihrer Politiker aus der zweiten Reihe sind bereits in ein paar mindere Skandale verwickelt, was die Basis durchaus verärgert. So gelang es dem Komiker Beppo Grillo mit seiner Antikorruptionskampagne am 8. September ohne nennenswerten Apparat 50.000 vorwiegend linke Demonstranten auf Bolognas Piazza Maggiore zu bringen. Grillos Petition für ein korruptionsfreies Parlament ist bereits hunderttausendfach unterschrieben worden. Die Piazza rebelliert, linke WählerInnen gehen immer häufiger gegen die Prodi-Regierung auf die Straße und sorgen dabei für mächtig Zoff in der disparaten Koalition. Der neueste Regierungsstreit ging nicht etwa um die Inhalte der Sozialpolitik, sondern darum, ob die linken Minister am 20. Oktober gegen die Sozialpolitik ihrer eigenen Regierung demonstrieren dürfen oder ob sich das nicht gehört. Es scheint so, als ob die Regierung wirklich keine Peinlichkeit auslässt und sich mit Vorliebe um Symbole streitet.

Wer nichts macht, kann nichts falsch machen?

Angesichts der sozial- und rechtspolitischen Verheerungen, die die Berlusconi-Jahre in Italien angerichtet haben, scheint die Fixierung der Regierung auf interne Neuformierung und Symbole höchst befremdlich. Das sieht auch die Wählerschaft so, die der Regierung schlechte Wahlumfragen beschert. Die­se würden vermutlich noch verheerender ausfallen, wenn die einzige Alternative nicht Berlusconis Rückkehr an die Macht wäre. Gegenwärtig disziplinieren die schlechten Wahlumfragewerte Prodis fragiles Bündnis ungemein, denn ein Zerbrechen der disparaten Regierungskoalition und Neuwahlen wären vor allem für die kleinen Linksparteien ein Debakel, deren Basis ihnen die Beteiligung an der wenig sozialen Prodi-Politik übel nimmt, aber vermutlich über eine von diesen verschuldete Rückkehr Berlusconis noch verstimmter wäre. Koalitionserhalt um jeden Preis scheint das erklärte Ziel Prodis zu sein und dieser Maxime ist vermutlich auch der Mangel an Aktivität zuzuschreiben. Wenn die­se Strategie auch vor potenziell koalitionssprengenden Kontroversen schützt, lässt sie Prodi nun schon zum zweiten Mal nach 1996-1998 als einen ausgesprochen schwachen Regierungschef erscheinen, über dessen Abgang bereits spekuliert wird. War es 1998 der damalige DS-Vorsitzende Massimo d’Alema, der Prodi stürzte und es in seiner einjährigen Regierungszeit schaffte, es sich mit allen, vor allem aber den eigenen Wählern zu verderben, wird diesmal Walter Veltroni als starker Mann gehandelt.

Veltroni Superstar?

Von den Medien, aber auch von George Clooney, der anlässlich der venezianischen Filmfestspiele mit Veltroni zusammentraf, wird er zum zukünftigen Premierminister erklärt. Der Freund von Amerika, Bill Clinton und Hollywood gibt sich große Mühe, sich von Gramsci und der eigenen eurokommunistischen Vergangenheit zu distanzieren. Wohl deshalb ist er ein würdiger Repräsentant der neuen Partei, die sich genau wie er durch wenig programmatische Substanz auszeichnet. Ein bisschen Soziales, ein wenig Kultur, eine große Portion Familienpolitik und Steuersenkungen sind die wenigen erkennbaren Programmpunkte, mit denen Veltroni antritt. Als ideenarm und gedankenlos hat Rossana Rossanda diese Politik unlängst in Il Manifesto bezeichnet.

Kein Wunder, dass angesichts der freiwilligen ideologischen Abrüstung des alten linken Feindes die katholische Kirche Morgenluft wittert und flugs eine Abtreibungsdebatte angezettelt hat.

Angesichts der neuentdeckten Liebe zur Familie und zum (Links)Katholizis­mus sind von der PD und der jetzigen Regierung wenig Fortschritte in Sachen Frauenrechte oder Minderheitenschutz zu erwarten. Die Einführung eingetragener Lebenspartnerschaften, vulgo Homo-Ehe, wurde nach heftigen Protesten und Demonstrationen der katholischen Kirche, an der sich auch Regierungsmitglieder beteiligten, schnell von der Regierungsagenda gekickt.

Law and Order als Politikersatz

Gesellschaftlichen Liberalisierungsbemühungen steht die Regierung Prodi wenig positiv gegenüber, davon zeugt die neu entdeckte Liebe zur inneren Sicherheit. Was hochtrabend als eine neue politische Kultur der Legalität angekündigt wird, entpuppt sich bei näherer Betrachtung doch als gemeine Schikane gegen Roma, Migranten, Illegale, fliegende Händler und Lavavetri (Autoscheibenputzer), bei der sich besonders DS-Bürgermeister hervortun. Das Prinzip könnte sich die Prodi-Regierung von der Hartz-SPD abgeschaut haben: Wenn zum Kampf gegen die Armut der politische Wille oder der Mut fehlt, dann kann man immer noch die Armen bekämpfen, denn deren Möglichkeiten zur Gegenwehr sind begrenzt. Die drängenden sozialpolitischen Probleme wie Armut, Arbeitslosigkeit, mangelnde soziale Absicherung und massenhaft verbreitete prekäre Beschäftigungsverhältnisse werden von der italienischen Regierung nur zögerlich oder überhaupt nicht angegangen.

Auf dem Weg zu einer italienischen Linkspartei?

Eine der interessantesten politischen Strömungen der europäischen Arbeiterbewegung steht damit plötzlich ohne Nachfolge da. Die potenziellen Erben scheinen wenig Lust zu haben, sich in eine linkssozialdemokratische Volkspartei zu verwandeln, obwohl die Verhandlungen zwischen Rifondazione Comunista, den Grünen und den abgespaltenen Linken der DS über die Bildung einer geeinten Linkspartei laufen. Vermutlich wird dabei bestenfalls ein Wahlbündnis herausspringen. Denn Rifondazione scheint sich in der Rolle einer kleinen Linkspartei sichtlich wohl zu fühlen, und die PD/DS-Abspaltung Sinistra Democratica unter ihrem glanzlosen Vorsitzenden Fabio Mussi lässt sich wenig vielversprechend an. Sie ist bisher kaum durch interessante Ideen oder programmatische Entwürfe aufgefallen. Wie überhaupt die einst europaweit bewunderte bzw. gefürchtete Spezialität der gramscianisch geprägten Linken, die intellektuelle Durchdringung der gesellschaftlichen Realität und daraus abgeleitete intellektuelle und soziale Hegemonie- und Bündnisbestrebungen kaum noch aufzufinden sind. Aber wenn man grundlegende Gesellschaftsveränderung nicht mehr auf der Agenda hat und das Bestehende entweder nur kritisieren oder etwas anders administrieren möchte, dann gibt es keinen Grund für neue Interpretationen, Strategiedebatten oder Bündnisoptionen.

Diese Entwicklung bedeutet, dass die Tradition von Labriola, Gramsci, Togliatti, Berlinguer und Trentin politisch verwaist ist. Sie wird höchstens noch theoretisch von einigen Intellektuellen im Umkreis der Zeitung Il Manifesto gepflegt. Aber Italien wäre nicht Italien, wenn sich nicht über kurz oder lang eine politische Nachfolgeformation bilden würde – der europäischen Linken wäre es jedenfalls zu wünschen!

Christina Ujma arbeitet seit 1994 als Hochschuldozentin am Department of European and International Studies an der Loughborough University, GB.

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