25. Juni 2014 Michael Schlecht

GroKo: Stärkung der Tarifautonomie?

In den letzten Jahren sind die Löhne wieder gestiegen, auch preisbereinigt. Jedoch ist dies nur eine Mini-Korrektur der dramatisch schlechten Lohnentwicklung seit 2000.

Produktivität und Preise – der verteilungsneutrale Spielraum – sind seit 2000 um 40% gestiegen, die Bruttoverdienste bzw. Effektivlöhne hinken mit 22% hinterher – eine Lücke von 18 Prozentpunkten. Dies entspricht einem aufsummierten Umverteilungsverlust von 1,2 Billionen Euro. Auch die Tariflöhne bleiben mit 34% um sechs Prozentpunkte zurück.

Die Ursachen liegen auf der Hand: Es gibt immer mehr Beschäftigte, die prekär arbeiten müssen, nachdem Rot-Grün die Schutzzäune im vergangenen Jahrzehnt niedergerissen hat. Mit Leiharbeit, Werkverträgen und Befristungen werden Löhne gedrückt. Mittelbar wird gleichzeitig der Stammbelegschaft verdeutlicht, dass billigere Arbeitskräfte ihre Arbeit übernehmen können (ausführlicher unter www.michael-schlecht-mdb.de). Disziplinierend wirkt schon immer die Angst vor Arbeitslosigkeit. Diese ist mit der Einführung von Hartz IV massiv verschärft worden, was die Durchsetzungschancen der Gewerkschaften massiv geschwächt hat. Die Agenda 2010 ist zentral verantwortlich für das verschärfte Lohndumping in den letzten zehn Jahren.

Die Kritik an der ungenügenden (Tarif-)Lohnentwicklung wurde von der Regierung, aber auch von SPD und Grünen immer mit dem Argument abgewehrt, dass man damit nichts zu tun habe. Es gelte ja die Tarifautonomie! Die LINKE hat dies stets kritisiert und auch deshalb auf Rückabwicklung der Agenda 2010 gedrungen, damit die Gewerkschaften wieder bessere Durchsetzungschancen haben.

Jetzt legt die Große Koalition ein Gesetz zur »Stärkung der Tarifautonomie« vor. Unter dieser Überschrift sollen u.a. der Mindestlohn eingeführt und die Allgemeinverbindlichkeit verbessert werden. Wörtlich heißt es in der Begründung zu dem Gesetz: »Die Ordnung des Arbeitslebens durch Tarifverträge ist in den letzten Jahren deutlich zurückgegangen. – Dies hat den Tarifvertragsparteien die ihnen durch Artikel 9 Absatz 3 des Grundgesetzes überantwortete Ordnung des Arbeitslebens strukturell erschwert.« Damit hat die Regierung zum ersten Mal eingestanden, dass die politisch verschlechterte »Ordnung des Arbeitslebens« – gegenwärtig muss man eher von einer Unordnung sprechen – zentral dafür verantwortlich ist, dass gewerkschaftliches Handeln erschwert wurde.

Zentral geht es um drei Schwerpunkte:

(1) Allgemeinverbindlichkeit: Die Möglichkeit, Tarifverträge allgemeinverbindlich zu machen, wird in homöopathischer Dosis verbessert. Der Antrag auf Allgemeinverbindlichkeit soll nicht mehr davon abhängen, dass in der jeweiligen Branche mindestens 50% der Beschäftigten unter den bestehenden Tarifvertrag fallen. Vielmehr soll die Allgemeinverbindlichkeit möglich sein, wenn sie »im öffentlichen Interesse geboten erscheint«.

Allerdings ist weiterhin ein gemeinsamer Antrag der »Spitzenorganisationen der Arbeitgeber und der Arbeitnehmer« erforderlich. Damit erhält die Spitzenorganisation der Arbeitgeber, die BDA, ein Vetorecht. Wenn der jeweilige Arbeitgeberverband, der den Branchentarifvertrag mit einer Einzelgewerkschaft abgeschlossen hat, zur Allgemeinverbindlichkeit bereit ist, kann dies sabotiert werden. Aber selbst wenn die­se Klippe genommen ist, kann die Allgemeinverbindlichkeit von der Gewerkschaftsseite nicht gegen die Arbeitgeber erzwungen werden.

Für einige Branchen kann die geplante Neuregelung ein Fortschritt sein. Bei ver.di geht man davon aus, dass dies zu einem allgemeinverbindlichen Tarifvertrag zumindest für den Einzelhandel und das Wach- und Sicherheitsgewerbe führen kann, da man erwartet, dass sich die Unternehmensseite nicht querstellt.

DIE LINKE fordert, dass der Antrag einer Tarifvertragspartei, also in der Regel einer Gewerkschaft, hinreichend ist, um die Allgemeinverbindlichkeit eines Tarifvertrages zu erreichen.

(2) Mindestlohn: Auch die Einführung des gesetzlichen Mindestlohns mit 8,50 Euro ist Teil des Gesetzes zur »Stärkung der Tarifautonomie«. Union und SPD wollen ihn ab 2015 einführen. Im Grundsatz ein begrüßenswerter sozialpolitischer Fortschritt.

Die Hauptkritikpunkte: Der Mindestlohn kommt viel zu spät, der Betrag ist zu niedrig und er soll frühestens ab 2018 (!) erhöht werden. 10 Euro ist das Mindeste. Nimmt man den verteilungsneutralen Spielraum für Erhöhungen der 10-Euro-Forderung, dann müsste der Mindestlohn 2015 11,50 Euro und 2018 12,50 Euro betragen. Aber was hat der Mindestlohn eigentlich mit der »Stärkung der Tarifautonomie« zu tun? Faktisch wird ja genau das Gegenteil gemacht. Der Tarifautonomie wird mit staatlichem Gesetz Handlungskompetenz entzogen. Für die Gewerkschaften war und ist die Forderung nach dem Mindestlohn schwierig, da damit eingestanden wird, dass für immer größere Bereiche die Tarifmacht weggebrochen ist.

Mit den Hartz-Gesetzen im März 2003 war absehbar, dass durch Fortfall des Zumutbarkeitsschutzes beim Arbeitslosengeld der freie Fall der Löhne eingeleitet wurde. In dieser Situation wurde ver.di und später dem DGB die Forderung nach einem gesetzlichen Mindestlohn faktisch aufgezwungen. Insofern ist der gesetzliche Mindestlohn eher eine Notwehrmaßnahme. Es ist gut, wenn er jetzt kommt. Zur Stärkung der Tarifautonomie kann der gesetzliche Mindestlohn insofern beitragen, da damit für die gesamte, tariflich zu verhandelnde Lohnstruktur ein unterer Sockel eingezogen ist.
Jedoch bleibt es schon etwas zynisch, dass die Einführung des Mindestlohns unter dem Titel »Stärkung der Tarifautonomie« firmiert. Notwendiger ist in der Tat die Stärkung der gewerkschaftlichen, tarifpolitischen Handlungsmöglichkeiten. Hierzu muss die prekäre Beschäftigung beendet werden. Wir brauchen eine neue Ordnung in der Arbeitswelt. Sie muss wieder auf die Füße gestellt werden.

(3) Stop von Prekarisierung und Lohndumping. Hierzu gehören verschiedene Einzelmaßnahmen.

Leiharbeit verbieten: Die GroKo hat in ihrer Koalitionsvereinbarung Korrekturen bei der Leiharbeit in Aussicht gestellt, diese jedoch noch nicht in das Gesetz zur »Stärkung der Tarifautonomie« integriert. Notwendig wäre dies aber. Denn auch mit Leiharbeitern sind Arbeitskämpfe und ordentliche Lohnerhöhungen kaum möglich.

Ohnehin will die GroKo die Leiharbeit nicht konsequent regulieren. Jedes zweite Leiharbeitsverhältnis endet nach drei Monaten. Was nützt da die Begrenzung der Leiharbeit auf 18 Monate? Was nützt da die Durchsetzung von gleicher Bezahlung nach neun Monaten? Bei Leiharbeit muss der Grundsatz gleicher Bezahlung zuzüglich einer Flexibilitätsprämie durchgesetzt werden sowie weitere Regulierungen. Perspektivisch ist Leiharbeit zu verbieten.
Befristung: Aufgrund der Unsicherheit scheuen befristet Beschäftigte in der Regel davor zurück, sich konsequent für ihre Interessen einzusetzen oder gar zu streiken. DIE LINKE will, dass befristete Arbeitsverhältnisse nur in eng begrenzten, sachgrundbezogenen Ausnahmefällen zulässig sind.

Werkverträge: Der Missbrauch von Werkverträgen zum Lohndumping muss unterbunden werden. Entscheidend ist dabei, dass die Mitbestimmungsrechte der Betriebsräte ausgeweitet werden. Werkverträge, die die Unternehmensleitung vergeben will, müssen von Betriebsräten genehmigt werden.

Minijobs müssen von der ersten Stunde an in voll sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze umgewandelt werden. Ziel muss sein, dass Teilzeitarbeit nicht unter 18 Stunden in der Woche geleistet wird.

Verbandsklagerecht: Die gewerkschaftlichen Handlungsmöglichkeiten müssen zusätzlich gesetzlich gestärkt werden. Hierzu gehört die Einführung eines Verbandsklagerechts. Dann könnten Gewerkschaften die Einhaltung von Tarifverträgen gerichtlich durchsetzen.

Stopp der Tarifflucht bei Betriebsverkauf: Auch der Schutz von Beschäftigten bei einem Betriebsübergang ist zu gewährleisten. Bei Wechsel des Inhabers eines Betriebs sollten die alten Tarifverträge in ihrer jeweils gültigen Fassung unbefristet geschützt bleiben.

Hartz IV: Das Sanktionsregime von Hartz IV bzw. der Zwang zur Aufnahme jedes noch so mies bezahlten Jobs muss beseitigt werden. Er ist nicht nur unsozial, sondern führt auch zur Einschüchterung der Beschäftigten. Mit der Angst vor Arbeitsplatzabbau sind diese erpressbar. DIE LINKE fordert als Sofortmaßnahmen eine bedarfsorientierte repressionsfreie Grundsicherung in Höhe von 500 Euro zuzüglich Kosten der Unterkunft. Dies würde die Lebenslage der Betroffenen deutlich verbessern.

Michael Schlecht ist wirtschaftspolitischer Sprecher der Fraktion DIE LINKE im Deutschen Bundestag.

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