1. Oktober 2008 Redaktion Sozialismus

''Heißes Herz'' und ''Klare Kante''

Angesichts der weltweiten Finanzmarktkrise nutzte die CDU-Chefin und Kanzlerin Angela Merkel einen Auftritt bei einer Wahlkampfveranstaltung der Österreichischen Volkspartei, um für härtere Regulierungen der Finanzmärkte zu plädieren und dies auch von der amerikanischen Politik einzufordern, die sie rückblickend für die Krise mit verantwortlich macht.

Was den sozialen Protestbewegungen anlässlich des G8-Gipfels in Heiligendamm im zurückliegenden Jahr nur in Ansätzen gelang, hat nun die wirkliche ökonomische Entwicklung selbst der politischen Klasse als Agenda aufgeherrscht.

Vor Jahren hatte sich der damalige SPD-Vorsitzende Franz Müntefering als Spielverderber im Mainstream der Schönredner des Finanzmarktkapitalismus mit seiner "Heuschrecken-Rede" einen Namen gemacht. Die Rückkehr auf seine alte Position hat er nicht mit einer vergleichbaren Positionierung verbunden, sondern es vorerst bei einem "charismatischen" Auftritt im Landtagswahlkampf der bayerischen SPD belassen. Überhaupt dürfte es der designierten SPD-Führung gar nicht so leicht fallen, eine überzeugende Positionierung zu den aktuellen ökonomischen Verwerfungen zu beziehen, waren es doch gerade Vertreter wie Frank-Walter Steinmeier, Peer Steinbrück und letztlich auch Müntefering, die die gesetzlichen Grundlagen für Marktöffnungsprozesse des Finanzsektors unter Gerhard Schröder vorangetrieben hatten. Auch im vermeintlich links-verschobenen Hamburger Programm noch unter Kurt Beck bleiben die Gefährdungspotenziale des Finanzmarktkapitalismus eher unterbelichtet und wird dieser als "innovativ" und "zukunftsfähig" bewertet.

Die ökonomische Krise dieses Finanzmarktkapitalismus überlagert nun den angeblichen Befreiungsschlag der SPD, der noch vor kurzem die politische Aufmerksamkeit der Republik auf sich zog. Zugleich legt diese Krise den Maßstab frei, an dem sich Münteferings "heißes Herz" und "klare Kante" für die zukünftige SPD-Politik werden messen lassen müssen und mit dem das Hamburger Wochenblatt der Kapitalismuskritiker Helmut Schmidt und Marion Gräfin Dönhoff titelte: "Zivilisiert den Kapitalismus!"[1]

Dafür stand die SPD im "sozialdemokratischen Jahrhundert", und auch die SPD-Analysen in "Sozialismus" versuchten, die sozialistische Linke jenseits der Sozialdemokratie immer wieder dazu anzuhalten, auszuloten, wieweit die "realexistierende" Sozialdemokratie diesen Zivilisierungsprozess des Kapitalismus politisch noch mitbefördert. Dazu gehörte unabdingbar eine Politik sozialer Inklusion. Aber im Strukturwandel des nachfordistischen Kapitalismus und hierzulande im Auflösungsprozess der Deutschland AG kappte die Sozialdemokratie in einem sich beschleunigenden Transformationsprozess immer mehr die­se politisch-kulturelle und sozialstrukturelle Verankerung. Der Parteienforscher Franz Walter bilanziert: "Schon seit einem halben Jahrzehnt etwa hat man dabei den Eindruck, dass sich die SPD nach hartem inneren Ringen auch programmatisch zu dem bekennt, was sie sozial, kulturell und politisch längst geworden ist: eine Partei der Gewinner der ersten Bildungsreform, also die parlamentarische und gouvernementale Vertretung einer selbst geschaffenen ›neuen Mitte‹. Partei der unteren Schichten sind die Sozialdemokraten kaum noch. Und auch die sozialpatriarchalische Formel von der 'Schutzmacht der kleinen Leute' ist ... ganz aus der Rhetorik der SPD verschwunden."[2]

Nicht nur die SPD, die europäische Sozialdemokratie hat sich in den letzten Jahrzehnten langsam aber kontinuierlich von einer Politik der Bändigung oder Zivilisierung des Kapitalismus verabschiedet. Heute muss sich die SPD vom neuen "Arbeiterführer" Jürgen Rüttgers im hauseigenen Theorieorgan sagen lassen: "Der große Erfolg der sozialen Marktwirtschaft ist, dass ihr ökonomischer Erfolg nicht mit zu hohen Kosten erkauft wird... Vielfältige Kompromisse zwischen Markt und sozialen Reformen waren es, die in der westlichen Welt starkes Wachstum und sozialen Frieden sicherten."[3] Durch die Entfesselung des Kapitals konnte sich die Herrschaft der Finanzmärkte und der Vermögensbesitzer entfalten. Nachdem der Rheinische oder regulierte Kapitalismus durch Deregulierung und Privatisierung in den anderen kapitalistischen Metropolen angegriffen war, hat die bundesdeutsche Sozialdemokratie in einer als historisch gefeierten Operation den Anpassungsprozess an die "Blasenökonomie" vollzogen. Ganz dem britischen Vorbild folgend haben die sozialdemokratischen Verfechter eines Neoliberalismus light in mehreren vermeintlichen Reformprojekten auch den bundesdeutschen Kapitalismus auf die abschüssige Bahn befördert.

Die SPD "im Herbst ihrer Geschichte"

Dieser Transformationsprozess hat den langjährigen Niedergang der Sozialdemokratie beschleunigt. Eine Politik der sozialen Ausgewogenheit oder sozialen Gerechtigkeit hat schon seit längerem keine Heimat mehr in der realexistierenden SPD. Die offenkundige Abkoppelung von den subalternen Klassen und der Verlust des Charakters der Volkspartei treiben die Parteiführung zu immer hektischeren Manövern, mit denen keine Trendwende erreicht wurde, aber zu beträchtlichem Verschleiß des Führungspersonals führen. Die Proklamation von Außenminister Steinmeier zum SPD-Kanzlerkandidaten für die Bundestagswahl im September 2009 ist Ausdruck der tiefgreifenden organisationspolitischen, personellen und konzeptionellen Krise einer Regierungspartei, die mit Kurt Beck den vierten Parteivorsitzenden innerhalb von fünf Jahren abgeschoben hat.

Auch wenn jene Recht haben sollten, die in den SPD-Führungszirkeln einen Hort politisch-taktischen Intrigantentums sehen, so ist doch festzuhalten, dass sich letztlich alle als Getriebene – zum Aufstieg und Absturz – erwiesen haben. Ein Steinmeier, der nun entgegen sorgfältig geplanter Kandidateninszenierung über ein Jahr als Dauerwahlkämpfer durch die Republik tingeln muss und dabei viel vom Glanz des Außenamtes verlieren wird. Ein Beck, dessen Versuch einer kommunikativen Integration der Partei gescheitert ist. Ein Müntefering, der erst im November 2005 "das schönste Amt neben Papst" nach einer missliebigen Personalentscheidung hingeschmissen hatte. Und Parteikader, die erst wie unlängst im Mai beim Nürnberger Zukunftskonvent zu politischer Willensbildung einberufen, und kurze Zeit später in amerikanischem Stil via Fernsehen vor neubeschlossene politische Tatsachen gestellt werden.

Der SPD steht nun am 18. Oktober ein Sonderparteitag ins Haus, auf dem die Delegierten erneut "Hoffnungsträgern" – die sich selbst als Zentrum sehen – akklamieren dürfen, den Blick starr in die Zukunft gerichtet. Was sagen uns diese abrupten personellen Rochaden?

Steinmeier und Müntefering, das neue Retter-Führungsteam, verkörpern die Politik der Agenda 2010 und markieren somit einen leichten Rechtsschwenk der Sozialdemokratie – "leicht", weil die Korrekturen, die der Parteivorsitzende Beck an der Agenda 2010 vornahm (im Widerspruch zum damaligen Arbeitsminister und Vizekanzler Müntefering) sowohl bei der Verlängerung des ALG I für ältere Arbeitslose wie bei der "flexibleren" Handhabung der Rente mit 67 äußerst bescheiden waren. Sie reichten vorerst allerdings aus, zermürbte Kreis- und Landesverbände bei der Stange zu halten, die arrivierte Parteilinke um die Aufsteiger Andrea Nahles, Niels Annen, Florian Pronold und Björn Böning zu integrieren und vorsichtige Diskussions- und Kooperationsangebote an die Gewerkschaften zu senden.

Der Kompromiss einer leichten Korrektur der Agenda-Politik auf dem Höhepunkt einer konjunkturellen Erholung erwies sich aber mit der Zeit als immer weniger tragfähig. Am Ende des Konjunkturzyklus, dem Umschlag in eine schrumpfende Ökonomie und die fatalen Auswirkungen der globalen Finanzmarktkrise vor Augen, drängen relevante Kräfte der bundesdeutschen Gesellschaft – artikuliert über Funktionseliten mit prominenten Zugängen zu den Massenmedien – und damit auch Strömungen in der Partei auf eine Fortsetzung des Agenda 2010-Kurses.

Die Debatte über eine "Nachbesserung" bei Sozialtransfers im Falle von Langzeiterwerbslosigkeit, Kinderarmut, Altersarmut etc. ist erneut umgeschlagen in eine massive Stimmung gegen vermeintliche "Sozialschmarotzer". Statt einer Erhöhung der Regelsätze von 351 auf 420 Euro, die Sozialverbänden als längst überfällig bezeichnen, reagiert die politische Öffentlichkeit geschockt auf die hierfür erforderlichen Ausgabenerhöhungen von rund 45 auf 55 Mrd. Euro. Populär hingegen sind die Thesen eines neoliberalen Mitläufers an der Universität Chemnitz, der eine Kürzung der Regelsätze weit unter 200 Euro vorschlägt. Prompt reagiert das Arbeits- und Sozialministerium mit dem anpassungsfähigen Olaf Scholz an der Spitze und kündigt härtere Kontrollmaßnahmen im ALG II-Bereich an.

Der zurückgetretene Parteivorsitzende Beck wollte – um den Agenda 2010-Fanatiker Müntefering abzuwehren – angeblich Scholz zum neuen Parteivorsitzenden gekürt sehen. Dies wäre nun wahrlich darauf hinausgelaufen, den Bock zum Gärtner zu machen. Da kommt die Alternative Müntefering mit seiner Botschaft von "klarer Kante" (die Richtung ist wichtig, auch wenn es weiter auf den Abgrund zugeht) der unter der Führungslosigkeit leidenden Mehrheit der Sozialdemokratie doch mehr entgegen. Der "Hoffnungsträger" Müntefering soll die Sozialdemokratie wieder nach vorne bringen durch das wenig originelle Versprechen einer Kombination von wirtschaftlicher Leistungsfähigkeit und sozialer Gerechtigkeit ("fördern"), sofern diese durch eigene Arbeit unter Beweis gestellt wird ("fordern").

Das wird aber als (sozial)politische Konzeption der SPD nicht ausreichen angesichts sozialer Verwerfungen, die durch die Folgelasten der Finanzkrise noch verschärft werden dürften. Insofern ist Franz Walter zuzustimmen: "Ein bisschen mulmig kann einem schon werden, wenn man (diese) Manifestationen der 'neuen Sozialdemokraten' mit ihrer Philosophie von der durchnormten Tüchtigkeits- und Anstrengungsgesellschaft liest. Es sind Texte allein für die Leistungsfähigen, Produktiven, Wettbewerbsgeeigneten, Eigenverantwortlichen, die Nutznießer der Formel 'Intelligence and effort together make up merit'. Sozialdemokraten, heißt es daher in dem von den 'I+E=M'-Sozialdemokraten Platzeck, Steinbrück und Steinmeier verfassten Buch Auf der Höhe der Zeit: Soziale Demokratie und Fortschritt im 21. Jahrhundert, ›sollten überall die Ersten sein‹ und Deutschland einen 'technologischen Vorsprung' vor dem Rest der Welt verschaffen. Aber gerade in der deutschen Gesellschaft der kommenden vier Jahrzehnte wird es mehr und mehr Menschen geben, die Nachsicht brauchen, Hilfe benötigen, zudem Pflege und Zuwendung."[4] Darüber hinaus sieht sich die "soziale Mitte" in Deutschland selbst unter Druck und es geht ihr gar nicht mehr um weiteren Aufstieg, sondern um Stabilisierung und Sicherung ihrer jederzeit prekären Position – nicht zuletzt gegen Ansprüche von "unten". An diesem Spannungsverhältnis zerbröselt die SPD immer mehr und die sich abzeichnende einfache Fortschreibung einer "Aufstiegs- und Mobilitätsphilosophie" durch die neue Parteiführung markiert keine politische Lösung.

Zeitgeist charismatischer Politik

Aber die einfache These vom programmierten Scheitern des Rechtsschwenks der SPD würde zu kurz greifen. Der Kanzlerkandidat Steinmeier sollte nicht unterschätzt werden. Der eigentliche personelle "Hoffnungsträger" für die Bundestagswahlen 2009 hat in den letzten Jahren eine besondere Geschmeidigkeit gezeigt. Aus dem Chefarchitekten der Agenda 2010, der durch die Politik der "Kommissionen zu zentralen gesellschaftlichen Problemen" eine weitgehende Selbstentmachtung des Parlaments durchsetzte, ist ein beliebter Außenpolitiker geworden, der immerhin den grünen Politstar Joschka Fischer aus dem öffentlichen Bewusstsein verdrängen konnte. Steinmeier, oberster Strippenzieher im Schröder-Lager, hat ganz im Geiste seines langjährigen Chefs mit verhindert, dass Russland wegen der verwickelten Kaukasus-Konflikte an den Pranger der weltpolitischen Öffentlichkeit gestellt wurde.

Steinmeier verfügt über das Maß an politischer Klugheit, dass ein innerparteilicher Konfrontationskurs kontraproduktiv ist. Große Anstrengung bedarf es hier ohnehin nicht. Die arrivierte Linke hat dem Kanzlerkandidaten ihren Glückwunsch ausgesprochen, während die 60 Funktions- und Mandatsträger, die sich wenige Tage vor der Führungsklausur mit einem Positionspapier unter dem Titel "Reichtum nutzen, Armut bekämpfen, Mittelschicht stärken" an die (Partei-)Öffentlichkeit gewandt hatten, in den Führungskreisen der Partei isoliert sind. Beck hatte zunächst noch positive Aufmerksamkeit signalisiert, wurde dann aber von den Kleingeistern des rechten Seeheimer Kreises und den kontur- wie profillosen "Netzwerkern" genötigt, diese Intervention zu einem wenig aufregenden Beitrag in der anstehenden Programmdebatte zurückzustufen. Eine Glanzleistung an Führungsfähigkeit von Beck war dies nicht, auch wenn diese Distanz zu "klare Kante" gesellschaftspolitisch immerhin sympathisch ist. Steinmeier hat das machiavellistische Machtbewusstsein, um den kleinen Haufen der Restlinken durch symbolische Operationen zu beständigen Träumen ihrer einstigen Größe anzuregen.

Das zeigt allerdings nur, wie geistig unprätentiös die über viele Jahre intellektuell durchaus vitale Linke mittlerweile geworden ist. Bei Ottmar Schreiner stößt man noch darauf, aber sein neuerliches Plädoyer für einen "Pakt für soziale Gerechtigkeit"[5] ist nicht mehr an eine Analyse der Durchsetzungschancen in der eigenen Partei zurückgebunden. Damit wird die Subalternität von Strömungen oder Arbeitsgemeinschaften für die innerparteiliche politische Willensbildung – Schreiner ist selbst Vorsitzender der sozialdemokratischen Arbeitsgemeinschaft für Arbeitnehmerfragen – verlängert. Die wenigen Mitglieder in diesen Kreisen kommunizieren vorwiegend untereinander. Damit wird sich der Auszehrungsprozess innerparteilicher Demokratie und gesellschaftlich-öffentlicher Diskursfähigkeit nicht umkehren lassen. "Dabei gehörte der programmatische Streit stets zum historischen Kern der Sozialdemokraten; er war der Partei gleichsam wesenseigen. Etwas pathetisch formuliert: Die offene Kontroverse war vielleicht der wertvollste Beitrag der SPD zur Einübung der Demokratie im lange obrigkeitsstaatlich geprägten Deutschland."[6] An die Stelle politischer Diskursfähigkeit treten konzeptionelle Leerformeln und banale Personalintrigen von Hamburg bis Frankfurt, was selbst noch der zurückgetretene Parteichef Beck durch seinen stummen und der demokratischen (Partei)Öffentlichkeit gegenüber kommentarlosen Abgang sinnbildlich dokumentiert.

Die personelle Frage mag durch den "Befreiungsschlag" – so bezeichnen die meisten SPD-Funktionäre die schließliche Auflösung einer Superintrige – entschieden sein. Doch ein "Befreiungsschlag" aus dem politischen Niedergang der Regierungspartei ist das noch nicht. Beck war als Parteivorsitzender offenkundig mit der Bündelung der Strömungen und personellen Eitelkeiten im sozialdemokratischen Lager überfordert gewesen. Das redliche und engagierte Bemühen, zu einer halbwegs tragfähigen politisch-strategischen Konzeption für die Sozialdemokratie zu kommen, wird man ihm nicht abstreiten können. Welche Rolle die Sozialdemokratische Partei unter dem Zentrum Steinmeier, Müntefering, Steinbrück und der kooptierten Nahles spielen wird, ist offen. Die beiden erstgenannten sind klug genug zu wissen, dass man die immer noch vielen ehrenamtlichen Funktionäre in den Kreis- und Landesverbänden "mitnehmen" muss, auch wenn man einen medial inszenierten Wahlkampf mit US-amerikanischen Anleihen macht.

Aber Müntefering steht für einen autoritären Integrationsprozess, der sich durch top-down-Kommunikation auszeichnet. Demgegenüber verkörpert Steinmeier das Profil einer effizient arbeitenden Regierungspartei, assistiert von einem Finanzminister, für den Haushaltskonsolidierung das sozialdemokratische Projekt erster Güte ist, für die er zumindest Teile der deutschen "Funktionseliten" mit ins Boot holen will (die dafür etwas Erbschaft- und Vermögenssteuer zahlen, gleichzeitig aber von "Sozialabgaben" entlastet werden sollen).

Im Blick haben sie die Reaktivierung jener Wählerkreise, die sich von der SPD abgewandt haben, ohne zu den Unionsparteien überzulaufen (die bislang nicht vom Niedergang der Sozialdemokratie profitiert haben). Doch das, was noch gemeinsam von Steinmeier und Beck als Eckpunktepapier für die Wahlkämpfe 2009 formuliert worden war, unterstreicht nur mehr den Anspruch, "Deutschland im internationalen Wettbewerb aufzustellen", reicht aber bei weitem nicht aus, für die Sozialdemokratie eine in die Gesellschaft breiter ausstrahlende Rolle zu finden. Die SPD leistet damit keinen Beitrag zur aktiven Überwindung der Krise demokratischer Repräsentationsstrukturen und es steht ihr auch nicht an, die politische Linke jenseits der SPD, die weitergehende Schritte gegen die Deformationen eines entgrenzten (Finanzmarkt)Kapitalismus fordert, des "Populismus" zu bezichtigen. Es zeugt von moderner sozialdemokratischer Geschichtsvergessenheit, wenn der Chefredakteur der Theoriezeitschrift der SPD kapitalismuskritische Gestaltungsvorschläge nur auf den "Rahmen der Triade Markt, Sozialstaat und demokratische Regulation" beschränkt sehen will.[7] Diese Zeitdiagnose wird in der Dynamik und den Gefährdungen durch den Finanzmarktkapitalismus nicht bestehen können.

Mag sein, dass "heißes Herz" und "klare Kante" Formeln sind, mit denen die von Chaos gebeutelte sozialdemokratische Mitgliedschaft zu beeindrucken ist. Die SPD ordnet sich damit ein in den Zeitgeist der charismatischen Politik. Die Suche nach dem optimalen bundesdeutschen Klon eines Sarkozy oder Berlusconi entspricht möglicherweise dem Ungeist der Zeit, ist aber keine Antwort auf die massiven Herausforderungen für eine gesellschaftspolitische Erneuerung des vom neoliberalen Kapitalismus zerstörten Gemeinwesens.

[1] Die Zeit vom 18.9.2008.
[2] Franz Walter, Soziale Demokratie jenseits der Arbeiterbewegung, in: ders., Baustelle Deutschland, Frankfurt/M. 2008, S. 68.
[3] Jürgen Rüttgers, Für die Soziale Marktwirtschaft – Gegen den Turbokapitalismus, in: Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte, 9/2008, S. 31f.
[4] Franz Walter, Soziale Demokratie..., a.a.O., S. 78f.
[5] Ottmar Schreiner, Die Gerechtigkeitslücke. Wie die Politik die Gesellschaft spaltet, Berlin 2008, S. 223ff.
[6] Franz Walter, Soziale Demokratie..., a.a.O., S. 54.
[7] Thomas Meyer, Zwischenruf. Marxismus als Populismus, in: Neue Gesellschaft/Frankfurter Hefte, 9/2008, S. 47.

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