1. März 2000 Rolf Sieber

Hillary Clinton – »Geschlechterkampf« um New York

Im Wahljahr 2000 geht es in den USA am 7. November um den neuen Präsidenten und seinen Vize, sowie um 33 Senatoren, alle 435 Mitglieder des Repräsentantenhauses und eine Reihe der Gouverneursposten. Beim gegenwärtigen Stand der Vorwahlen scheinen in den beiden großbürgerlichen Parteien die führenden Positionen klar vergeben zu sein: bei der Republikanischen Partei an den texanischen Gouverneur George W. Bush und den Senator von Arizona John McCain und bei der Demokratischen Partei an den gegenwärtigen Vizepräsidenten Al Gore und den ehemaligen Senator Bradley. Nach den vorgezogenen Vorwahlen am 7. März, dem so genannten »Super-Tuesday« (in 15 Bundesstaaten wählen Parteimitglieder gleichzeitig ihren Präsidentschaftsfavoriten), werden besonders durch die Abstimmungen in den beiden Bundesstaaten Kalifornien und New York die Würfel im Auswahlverfahren gefallen sein. Spannend bleibt es im Wahlkampf um die freiwerdenden Senatorensitze, vor allem um den Sitz des Bundesstaates New York, den die First Lady Hillary Rodham Clinton anstrebt.

Die First Lady

In den Medien wird Hillary Clinton übereinstimmend als hochintelligent, scharfzüngig, humorvoll, redegewandt, ehrgeizig, zäh und mit brillantem Verstand ausgestattet geschildert. Mehr als 20 Jahre lang hat sie sich als eine erfahrene Wahlkämpferin erwiesen: 1972 in der Kampagne für den Präsidentschaftsbewerber George Mc Govern, dann für ihren Ehemann bei seinen Bewerbungen als Abgeordneter und Gouverneur von Arkansas und schließlich zweimal als Präsident der USA sowie bei den Zwischenwahlen 1998 für den in New York wirkenden demokratischen Abgeordneten Charles Schumer. Letzterer hatte sich entschlossen, in eine Wahlschlacht gegen den seit 18 Jahren im Senat tätigen Republikaner Alfonse D’Amato zu ziehen. In mehreren Wahlkampfveranstaltungen war Hillary Clinton für Schumer aufgetreten und hatte mit dafür gesorgt, dass Senator Alfonse D’Amato geschlagen wurde. Dabei ist von Interesse, dass sich D’Amato in den letzten Jahren besonders massiv für die Untersuchungen gegen die Clintons im so genannten Whitewater-Skandal eingesetzt hatte. Schlagartig veränderte sich die politische Landschaft in dem großen und wichtigen Bundesstaat New York.

Ohne jeden Zweifel ist Hillary Clinton die politischste und einflussreichste Hausherrin des Weißen Hauses in der Geschichte der USA. Im Wahlkampf 1992 hatten beide Clintons versprochen, im Falle eines Sieges grundlegende Änderungen auf dem Gebiet der Krankenversicherung anzustreben. Wenige Tage nach Übernahme des Präsidentenamtes beauftragte Bill Clinton eine Kommission mit der Ausarbeitung einer Reform des Gesundheitswesens der USA. An die Spitze von rund 500 Experten berief er seine Ehefrau. Innerhalb von nur sieben Monaten verfasste die Kommission einen Abschlussbericht, in dem vorgeschlagen wurde, in den USA während eines Zeitraumes von zehn Jahren eine allgemeine Krankenversicherung einzuführen. 1993 besaßen rund 40 Mio. US-Staatsbürger überhaupt keine Krankenversicherung. Gegen den Reformvorschlag rannten alle nur möglichen Gegner massiv an: Ärzteorganisationen, die Pharmaindustrie, die großen Versicherungen, einige Kongressmitglieder und nicht zuletzt einflussreiche Lobbyisten des US-Gesundheitswesens. Das Fiasko war für die Clintons nicht mehr aufzuhalten. Hillary erklärte, sie sei zu »naiv und dumm« herangegangen. Für ihre künftigen Pläne wird sie jedoch hinreichend Erfahrungen gesammelt haben.

Niemand in den USA bezweifelt die Kompetenz von Hillary Clinton zur Bewältigung eines hohen politischen Amtes. Dies wird insbesondere vor dem Hintergrund ihres während der letzten acht Jahre gestiegenen öffentlichen Images als First Lady der USA belegt. Die Autorin Gail Sheehy und der Watergate-Starjournalist Carl Bernstein, die an einer Biografie der Präsidentengattin arbeiten, beschreiben das so: Hillary habe ihren eigenen politischen Ehrgeiz bisher befriedigt, indem sie die erfolgreiche Karriere ihres Mannes konzipierte. Präsident Clinton sei ihr Geschöpf, denn sie habe vor langer Zeit das Potential dieses ungeschliffenen, brillanten, emotional beschädigten und narzistischen Kindes mit dem guten Herzen erkannt und aus diesem Rohstoff einen politischen Star geformt, der ihre Träume transportieren konnte. Jetzt sei der Zeitpunkt erreicht, aus der bisherigen Rolle, der politischen Karriere ihres Ehemannes Priorität einzuräumen, durch die Ausübung eines eigenen Senatorenamtes herauszuwachsen. Dies gilt übrigens auch für andere moderne First Ladies, so beispielsweise für Cherie Blair (bekannt als einflussreiche Top-Anwältin in Großbritannien) und für Sylviane Jospin (Professorin für Philosophie und in französischen Medien als Intellektuelle mit Charme charakterisiert).

Ihr Parteifreund Charles Rangell, demokratischer Kongressabgeordneter in New York, stellte fest: »Hillary Clinton hat alles – die Erfahrung, den Instinkt und die Unterstützung der breiten Öffentlichkeit«. Sie könne problemlos die für den Wahlkampf nötigen Sponsoren auftreiben und im Falle ihres Sieges die Position der Demokratischen Partei in einem der wichtigsten US-Bundesstaaten deutlich stärken.

Rechte Verschwörer und enttäuschte Liberale

Ganz sicher sind diejenigen in den USA zu den Gegnern von Hillary Clinton zu zählen, die von ihr seit Januar 1999 als »Verschwörer der Rechten« charakterisiert wurden. Darunter fallen sowohl die echten Gegner als auch deren Trittbrettfahrer. Ihr gemeinsames Ziel war es, Präsident Bill Clinton mit Hilfe einer »breit angelegten politisch rechten Verschwörung« zu stürzen. In Vorbereitung und während des Impeachmentverfahrens gegen Präsident Clinton machten vor allem konservative republikanische Kongressmitglieder, aber auch ganze Institutionen wie beispielsweise das Rutherford-Institut (finanzierte das Paula-Jones-Verfahren) und rechte Finanziers konservativer Magazine, Verlage und Redaktionen, keinen Hehl aus ihrer Clinton-Feindschaft. Sie stellten Gelder in Millionenhöhe für Recherchen über bekannt gewordene Clinton-Skandale zur Verfügung. In diesem Zusammenhang machte Hillary Clinton darauf aufmerksam, dass es in der bisherigen Geschichte der USA kein ähnlich brachiales Vorgehen gegen einen amtierenden Präsidenten der USA gegeben habe. Nun könnte es der Präsidentengattin als Bewerberin für den New Yorker Senatorenposten durchaus passieren, dass aufgrund des erfolglosen Impeachmentverfahrens gegen ihren Ehemann mancher Weiße-Haus-Skandal der letzten Jahre wieder aufgewärmt wird. Man wirft speziell ihr vor, alle Karrieresprünge ihres unsteten Mannes mitgeplant, ihn zum Gouverneur und Präsidenten gemacht, seine Wahlkämpfe geklont, seine Reden redigiert und seine Eskapaden ignoriert zu haben.

Als die drei Missgriffe der First Lady gelten in den USA: Erstens der Whitewater-Skandal. Im Mittelpunkt steht ein fehlgeschlagenes und teils illegal finanziertes Grundstücksgeschäft in Arkansas mit einem Schaden von 47 Millionen Dollar, in das Hillary verwickelt war. Zweitens der Travelgate-Skandal. Auf Befehl der First Lady sollten sieben Angestellte aus dem Reisebüro des Weißen Hauses entlassen werden, um Platz für Freunde von Hillary zu machen. Drittens der Filegate-Skandal. Das Weiße Haus sammelte Dutzende von FBI-Geheimakten über potentielle Clinton-Gegner. Auch hier soll Hillary im Hintergrund die Fäden gezogen haben.

Hillary Clinton muss ebenfalls mit enttäuschten Liberalen der 68er Generation rechnen. Diese ehemaligen Anhänger der Clintons fühlen sich in ihren Idealen verraten. Mancher hat geschworen, sich für die erwiesene Untreue zu rächen. Dies zu bekämpfen oder gar rückgängig zu machen, könnte nur dann erfolgreich sein, wenn sie in ihrem konkreten Wahlprogramm entsprechende Zielsetzungen verankert und in ihren Reden überzeugend begründet.

Besonders wichtig für Hillary Clinton sind in New York die bis jetzt bekannten beiden republikanischen Gegenkandidaten, nämlich der Abgeordnete im Repräsentantenhaus Lazio (41, vom Wahlkreis Long Island) und der gegenwärtige Bürgermeister der Stadt New York, Giuliani. Letzterer soll, wie das sein Amtsvorgänger Koch ausgedrückt hat, seine »Boxhandschuhe« für die bevorstehende »Schlammschlacht« zurechtgelegt haben: »Giuliani wird den gemeinsten Feldzug führen, den man sich denken kann. Er kennt keine Skrupel, schreckt vor nichts zurück. Er wird alles tun, um zu gewinnen.« In verschiedenen jüngsten Umfragen liegt Giuliani einige Prozentpunkte vor Hillary. In Europa wird Giuliani wegen seines »Law and Order«-Kurses für die Stadt New York fälschlicherweise für einen Rechten gehalten; in der Tat setzt er sich für das Recht auf Abtreibung, für mehr Kontrolle beim Schusswaffenverkauf, für Schutzrechte der Homosexuellen und für eine integrative Einwanderungspolitik ein.

Hillarys Wahlkampf

Nach Beendigung des Impeachmentverfahrens gegen Bill Clinton setzte sich unter weiterdenkenden politischen Analysten und Journalisten, ja selbst unter einflussreichen Politikern, die Überzeugung durch, dass Hillary Clinton den Versuch wagen sollte, im Jahr 2000 in den Kampf um den freiwerdenden Senatorensitz für den Bundesstaat New York einzusteigen. Viele trauen ihr zu, in der Geschichte der USA die erste First Lady mit einem Sitz im Kapitol zu werden. Einige ihrer enthusiastischsten Anhänger organisierten sich bereits 1998 im »Hillary Clinton Defense Forum« und im »Hillary for President Council« in der festen Überzeugung, dass sie nicht nur als dream-girl zu betrachten sei, sondern als die künftige Präsidentin der USA. Das eher als zurückhaltend geltende Nachrichtenmagazin »Time« hatte im Herbst des gleichen Jahres wissen lassen: »Sie ist heute die mächtigste politische Persönlichkeit Amerikas.«

Anfang Juli 1999 richteten Vertraute von Hillary Clinton ein Schreiben an die Bundeswahlkommission der USA, in dem sie die Gründung des »Hillary Rodham Clinton Erkundungskomitees für den USA-Senat« bekannt gaben. Zu den Aufgaben dieses »exploratory committee« gehörte es, herauszufinden, welche Chancen im Bundesstaat New York bestehen, den Wahlkampf um den freiwerdenden Senatorensitz zu gewinnen, und das dafür notwendige Geld von Sponsoren einzutreiben; denn nach Schätzung von Wahlkampfexperten sind 20-25 Mio. Dollar im Wahlkampf erforderlich. Wenige Tage später beendete die First Lady eine viertägige Rundreise durch den Bundesstaat New York auf dem Landsitz des scheidenden Senators Moynihan mit einer so genannten »Zuhör-Fahrt«. Man wollte ausloten, auf welche konkreten Bedingungen und Umstände sie sich im Wahlkampf einstellen muss. Von dem Tross aus 200 Presseleuten wurde zwar auch über »Unebenheiten« ihrerseits berichtet (sie brachte Städtenamen im Umfeld von New York durcheinander, vergrätzte einige Landstriche wegen Kritik an zu vielem Ungeziefer, verhielt sich kritisch zu Positionen der Clinton-Regierung in Fragen der Gesundheits- und Landwirtschaftspolitik), aber insgesamt erkannten die Journalisten an, dass sie sich als New York-Lehrling klug verhalten habe.

Am 5. Februar 2000 gab Hillary Clinton in New York offiziell ihre Kandidatur für den US-Senat bekannt. In ihrer Rede setzte sie sich vor allem für Verbesserungen im Bildungs- und Gesundheitswesen ein. Sie trete für höhere Mindesteinkommen, mehr Rechte der Patienten und für schärfere Waffenkontrollen ein. Ihre Feststellung, sie führe den weiteren Wahlkampf als »neue Demokratin«, wurde in verschiedenen Medien so ausgelegt, als wolle sie sich von einem bei vielen New Yorkern vorhandenen zu liberalem Image distanzieren. Ob diese Auslegung tatsächlich stimmt, wird die Zukunft zeigen.

Die Stärken der republikanischen Konkurrenten sind auf keinen Fall zu unterschätzen. Bekannt wurde zum Beispiel, dass verschiedene republikanische Gruppen im Bundesstaat New York zu den für den Wahlkampf nach ihrer Meinung notwendigen 25 Mio. Dollar zusätzlich 10 Mio. Dollar sammeln wollen, um Stimmung gegen Hillary Clinton organisieren zu können: »Es gibt nichts, was wir nicht tun würden, um Hillary Rodham Clinton vom Amt eines Senators im Bundesstaat New York fernzuhalten.«

Im Bundesstaat New York leben fünf Millionen eingeschriebene Demokraten und drei Millionen Republikaner. Hillarys Wahlchancen stehen nicht schlecht. Besonders unter Frauen zwischen 18 und 39 Jahren genießt sie aus vielerlei Gründen Wertschätzung und Unterstützung. Im Staat New York gibt es mehr weibliche Wähler als männliche. Schon wird die bevorstehende Senatorenwahl als »Geschlechterkampf« tituliert. Mancher politische Gegner von Hillary Clinton ist nervös geworden. Der Vorsitzende der Republikanischen Partei des Bundesstaates Alabama schrieb an seine Parteifreunde in New York: »Stellt Euch vor, in vier Jahren heißt es: ›Hillary for President‹. Zum Fürchten, oder?«

Rolf Sieber lebt in Berlin.

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