27. März 2012 Franz Segbers

Jakob Moneta (1914-2012) – Jude, Gewerkschafter, Sozialist

Am 3. März 2012 ist Jakob Moneta im Alter von 97 Jahren im Frankfurter jüdischen Altersheim verstorben. Er war Gewerkschafter, ein Bewunderer von Trotzki und Internationalist. Ein langer übervoller Lebensweg durch ein »Zeitalter der Extreme« (Eric Hobsbawm) ist zu Ende gegangen.

Im Nachruf haben Freunde und Kollegen über Jakob Moneta gesagt: »Er war ein Kämpfer in der Welt von heute für ein besseres Morgen. Er ließ nicht nach in der Hoffnung auf eine sozialistische Zukunft.«


Jüdische Herkunft

Geboren wurde er am 11. November 1914 als Sohn eines Textilfabrikanten im westgalizischen Städtchen Blasow, als dieser Teil Polens damals noch zu Österreich gehörte. Er entstammte einer streng gläubigen chassidischen Familie. Der Vater war aus Frankfurt gekommen, um zu heiraten. Als kleiner Junge lernte er schon im Alter von drei Jahren hebräisch in einer Cheder, einer Talmudschule. In seine frühen Kindheitserinnerungen haben sich Erfahrungen mit einem Pogrom festgesetzt. Er musste mit ansehen, wie ein Nachbar seinen Vater mit einem Gewehr niederschlug. So floh die Familie nach Deutschland, dem Land, aus dem Jakobs Vater stammte. Erst hier lernte er deutsch, war doch seine Muttersprache jiddisch. In Köln besuchte er ein jüdisches Reformgymnasium und nachmittags wieder die Talmudschule, wie es sich für eine chassidische Familie gehörte.

Diese jüdische Prägung blieb Zeit seines Lebens lebendig und formte einen unverzagten Glauben an eine Utopie einer gerechten Welt, der ohne einen tief verankerten jüdischen Messianismus nicht zu verstehen ist. Diese Mischung wirkte nicht nur bei ihm, sondern bei vielen anderen aus diesem Milieu wie eine kulturelle und revolutionäre Dynamik. Sie wird auch dann noch politisch wirksam, wenn sie ihr religiöses Gewand ablegt.

Jakob Moneta war einer der letzten Überlebenden: Zeuge einer einzigartigen geistigen Synthese, die der Welt Karl Marx und Heinrich Heine, Ernst Bloch und Walter Benjamin und viele weitere bedeutende Sozialisten geschenkt hat. Doch diese Generation wurde ausgelöscht in der Shoa, konnte nur vereinzelt im Exil überleben. »Unheilbare Utopisten« hat sie Michael Löwy, ein Freund Jakob Monetas, in seinem Buch über »Jüdischen Messianismus und libertäres Denken« genannt.1

In Westeuropa war der Typ des revolutionären Juden praktisch nicht existent. Hier waren die Juden national und kulturell assimiliert. Doch im osteuropäischen Judentum gab es immer auch die Hoffnung, aus dem Elend des Schtetl, dem Ghetto, erlöst zu werden. Manche mögen in Demut und Passivität die Erlösung erwartet haben, doch andere wurden zu Revolutionären, zu »Beschleuniger des Endes« (hebräisch: dohaqei ha-qets), wie es in der talmudischen Tradition heißt. Jakob Moneta gehört zu diesen unverzagten Hoffnungsmenschen, voller Sehnsucht nach einer Welt, die Platz für alle hat. Diese Spannkraft findet seinen Ausdruck im hebräischen Begriff tikkun olam. Auf einer Tagung in der Evangelische Akademie Friedewald, zu der Befreiungstheologen, PDS-Mitglieder und linke Christen eingeladen waren, hat er über diese ausschauhaltende Hoffnung in einer für viele säkulare Linken fremden Sprache gesprochen: »An uns liegt es, zu entscheiden, ob wir zurück zur veralteten Bibel oder vorwärts zur modernen Kapitallogik wollen. – Und wenn Sie mich fragen, wieso ich mich als orthodoxer Atheist auf die Bibel berufe, kann ich Ihnen nur die gleiche Antwort geben wie Fidel Castro auf einer Konferenz mit Befreiungstheologen in einer Kirche von Havanna: ›Wenn es einen Gott gibt, dann muss er ein Gott der Gerechtigkeit, des Friedens und der Gleichheit sein.‹ Dafür allerdings finden wir genug Beweise im Alten und im Neuen Testament.«2 So kommt von weit her ein widerständiger Widerspruch gegen den unaufhaltsamen Siegeszug des Kapitalismus, der aus einer Quelle stammt, die das ganze lange, fast hundertjährige Leben Jakob Monetas zu nähren vermochte.

Aus welchen Quellen Jakob Moneta trotz aller Niederlagen seine Zuver­sicht in den Sozialismus speist, hat er selber erklärt: »Die Befreiung Algeriens, Vietnams ist nur ein Teil der Antwort. Ein anderer Teil liegt in der Hoffnung, die jene vernichtete, in Gaskammern erstickte jüdische Arbeiter­klasse Osteuropas bis zum letzten Atemzug, bis in ihrem Todesgesang aufrecht erhalten hat. Die Hymne des ›Bund‹3 hatte in seltsam geheimnisvoller Weise einiges davon vorweggenommen, vorausgeahnt. In freier Übersetzung beginnt sie:
›Vielleicht bau ich in der Luft nur meine Schlösser.
Vielleicht ist mein Gott überhaupt nicht da.
Im Traum wirds leichter mir, im Traum wird es mir besser.
Im Traum ist der Himmel blau und völlig klar.‹
Wer nicht im KZ ermordet, nicht in den Gaskammern umgebracht wurde, wer nicht in imperialistischen Kriegen gefallen ist, hat kein Recht dazu, den Kampf für den Sozialismus aufzugeben.«4

Gestorben ist Jakob Moneta an einem Schabbat, nach jüdischem Verständnis ein Tag, an dem die andere Welt schon mitten in jene hineinscheint, wie sie ist. Der Schabbat ist die Vorwegnahme der messianischen Zeit. So spannt sich ein vielsagender Bogen über das Leben von Jakob Moneta, den der Rabbiner bei der Beisetzung angesprochen hat: »Jakob Moneta ist an einem Schabbat verstorben. Am Schabbat ist die Hölle versperrt. Jakob ist direkt in den Himmel gekommen.« Liebevoll hatte der Rabbiner mit jiddischem Akzent Jakob Moneta als den bezeichnet, wie ihn alle kannten: »› a bissele Kommunischt war er scho‹.« Er fand seine Ruhe auf dem jüdischen Friedhof neben dem Grab einer Familie Marx.

In Palästina

Jakob Moneta schloss sich der Jugendorganisation SJV, dem Sozialistischen Jugendverband der »Sozialistischen Arbeiterpartei« (SAP) an. Zugleich war er Mitglied des »Haschomer Hazair« (»Der jungen Wächter«), einer zionistisch-sozialistischen Jugendorganisation, die in der Auswanderung nach Palästina den einzigen Weg sah, um den Folgen des von den Nazis gepredigten Antisemitismus und Rassenhasses zu entgehen. Da er Adolf Hitlers »Mein Kampf« gelesen hatte, wurde dem jungen Abiturienten 1933 klar, was Deutschland bevorstand. Er ging nach Palästina und schloss sich einer Kibbuz-Bewegung an, die für einen binationalen Staat für Juden und Araber eintrat. »Das war eine begeisternde Erfahrung, obwohl wir damals in Zelten wohnten, schwer arbeiteten, uns nicht eben üppig ernähren konnten und von Malaria gepeinigt wurden.« Ein neuer Mensch, der sich von seiner Hände Arbeit ernährt, den Boden bebaut, solidarisch und gemeinschaftlich lebt – das war das Leitbild, das auch Jakob Moneta geprägt hat: »Würde man mich fragen, woher meine unverrückbare Zuversicht stammt, dass Menschen Habsucht, Jagd nach Geld, Konkurrenzneid, Selbstsucht, Unterwürfigkeit – jene zum großen Teil vom Kapitalismus mühsam anerzogenen ›menschlichen‹ Eigenschaften – ablegen können; würde man mich fragen, wo die tiefste Wurzel meines Glaubens daran liegt, dass Menschen ohne jeden äußeren Zwang als Gleiche und Freie im Kollektiv ihr Leben selbst gestalten können, ich würde antworten: Das hat mir meine Erfahrung in der Praxis des damaligen Kibbuz bewiesen. … Ich habe die Geburtswehen, die gesellschaftlichen Experimente, die großartigen Versuche zur Herstellung neuartiger Beziehungen zwischen Mann und Frau, zur Eingliederung von Alten und körperlich Behinderten, das Leben in Zelten, durch die nachts Schakale liefen, wie die Legende es vom Tempelplatz erzählte, das Leben in Baracken, Malariaanfälle, die oft unmenschlichen Arbeitsbedingungen in den Orangenplantagen, in denen wir Lohnarbeiter waren, ehe der Kibbuz Siedlungsland erhielt, fünfeinhalb Jahre lang nicht etwa nur ›ertragen‹. Mir war bewusst, an einem großen Abenteuer mitzuwirken, das einmal zur Schaffung des sozialistischen Menschen führen wird.«

Der palästinensische Widerstand in den Jahren 1936 bis 1939 hatte ihm die Augen über das wahre Anliegen des Zionismus geöffnet: »Einige von uns im Kibbuz begannen damals Fragen zu stellen über unsere ›Feinde‹. Wir kamen zu dem Ergebnis: Diesen Menschen (den Arabern, F.S.) geschieht unrecht. Wir, die wir selber Opfer Hitlers sind, verüben an ihnen Unrecht. Wenn wir es ernst meinen mit unserem Internationalismus, müssen wir einen Weg suchen zu diesen arabischen Massen.«

Jakob Moneta blieb Zeit seines Lebens ein entschiedener Antizionist. Auf einer Tagung mit jüdischen und palästinensischen Israelis im Jahr 1996 hat er sich zum Erschrecken der jüdischen Israelis so vorgestellt: »Ich bin ein palästinensischer Jude. Ich gehöre einem Volk an, das seit 2000 Jahren verfolgt wird. Deshalb stehe ich heute auf der Seite der unterdrückten und verfolgten Palästinenser.« Da Jakob Moneta sich vom Zionismus getrennt hatte, verlor er im Palästina der britischen Mandatszeit auch seine Existenzberechtigung. Er wurde – übrigens gemeinsam mit Moshe Dayan5 – in der Festung Akko über zweieinhalb Jahre interniert.


Hoffnung auf einen Neubeginn in Deutschland

Während abertausende Juden nach 1945 Deutschland in Richtung Palästina/Israel verließen, ging Jakob Moneta mit seiner Frau Martha, einer Jüdin aus Duisburg, die er in Palästina geheiratet hatte, den entgegengesetzten Weg. Ihm war klar, dass die Teilung Palästinas permanenten Krieg bedeuten würde. Er kehrte 1948 zurück nach Köln, nicht aber nach Ostdeutschland wie viele andere Remigranten, da dort die Stalinisten an der Macht waren. Doch die Hoffnung auf ein sozialistisches Deutschland zerbrach jäh im Kalten Krieg. Als der Kalte Krieg begann, arbeitete er zunächst als Journalist für die SPD-nahe Rheinische Zeitung, die unter der Chefredaktion von Willi Eichler und Heinz Kühn stand. Seine Rückkehr nach Deutschland aus Palästina beschreibt er im Rückblick als eine historisch-tragische Verkehrung: »1933 war ich als Jude in das arabische Palästina gekommen. Als ich 1948 das Land verließ, waren die Araber zu Juden geworden. Ich kehrte im November 1948 als überzeugter Internationalist nach Deutschland zurück. In der falschen Hoffnung, die Geschichte würde dort weitergehen, wo sie nach der Revolution von 1918 unterbrochen worden war.«6

 

Sozialattaché in Paris

Auf Empfehlung des damaligen DGB-Vorsitzenden Rosenberg wurde Moneta Sozialreferent in der deutschen Botschaft in Paris. Von 1951-1962 konnte er als Sozialattaché die politischen Ereignisse in Frankreich nicht nur beobachten, er unterstützte auch insgeheim tatkräftig die algerische Befreiungsbewegung (FLN). Für dieses Engagement erhielt er 2004 im Namen des algerischen Botschafters Hocine Meghar eine Auszeichnung zur »Anerkennung und Bewunderung für die Unterstützung der algerischen Sache«. Bei der Verleihung der Urkunde schilderte Jakob Moneta sein vielfältiges Engagement als revolutionärer Internationalist für die Befreiungsbewegung; doch seine Hoffnung, dass Algerien eine sozialistische Demokratie werde, hatte sich nicht erfüllt. In der Zeit als Sozialattaché hat er sich mit der Zukunft der Sowjetunion und ihren Entwicklungsperspektiven befasst und ist zu dem Urteil gekommen, dass der Stalinismus und seine Methoden historisch überholt seien. Noch vor Stalins Tode und der endgültigen Absage der KPdSU an den Stalinismus hatte er bereits 1953 über den »Aufstieg und Niedergang des Stalinismus«7 geschrieben. Sowohl innerhalb als auch außerhalb der Sowjetunion würden die Bedingungen heranreifen, die den Sturz des Stalinismus unausweichlich machten. Bei der Geburtstagsfeier anlässlich seines 92. Geburtstages nahm er noch einmal ausdrücklich auf diese Veröffentlichung Bezug. »Die Ausbeuterrolle der Bürokratie ist nicht ano­nym im Gegensatz zu der des Kapitals. Ihre Antreiberrolle, ihre widerrechtliche Aneignung eines großen Teils des Volksvermögens ... lassen sich nicht verbergen. Ein offener Konflikt zwischen dem Volk und dem neuen Despotismus ist deshalb unvermeidlich. Stalins Regime ist zum Untergang verurteilt.«

 

Chefredakteur der IG Metall-Zeitung

Von 1962-1978 leitete er die monatlich erscheinende Metall-Zeitung, die unter seiner Ägide eine Auflage von 2,2 Millionen erreichte. Er verstand die Gewerkschaftszeitung als eine politische Publikation. Seiner Initiative ist es zu verdanken, dass Günter Wallraff Industriereportagen veröffentlichen konnte. Jakob Moneta war 1976 maßgeblich daran beteiligt, dass Wolf Biermann zu dem berühmten »Kölner Konzert« eingeladen wurde, das zu dessen Ausbürgerung aus der DDR führte. Biermann verbrachte auch die Zeit nach seiner Ausbürgerung im Hause Monetas.

Die soziale und wirtschaftliche Lage der Arbeitnehmer verbesserte sich enorm. Löhne stiegen, die Arbeitszeit wurde verkürzt, der Sechs-Wochen-Urlaub erkämpft, die Dynamisierung der Rente durchgesetzt. »All das hat auch zu der Illusion geführt, wir würden in der Epoche einer permanenten Reform leben. Wir Linken haben immer gesagt: Diese Epoche geht zu Ende, der Kapitalismus wird weitere Krisen hervorbringen. Das hat man uns nicht geglaubt, solange die Reformphase des Kapitalismus anhielt.«8

Ein Genuss ist Monetas Gefecht mit Norbert Blüm, damals Sozialminister unter Helmut Kohl und IG Metall-Mitglied. Unter dem Titel »Herz-Jesu Marxist oder kapitalistischer Propagandist?«9 nimmt er die Irrungen und Wirrungen bloßer rhetorischer Kapitalismuskritik auf. »Norbert Blüm, der davon träumt, die Allmacht zu besitzen, um die unüberwindbaren Gegensätze zwischen Arbeit und Kapital durch einen Scheinkonsens, durch verbale Kraftakte zu beseitigen, ist dazu verurteilt, als Bundesarbeitsminister dieser Regierung seine praktische Ohnmacht unter Beweis zu stellen. Es bleibt uns immer noch die Hoffnung, ihn als Kollegen im gemeinsamen Kampf zu gewinnen, wenn er seinen Ministerposten verloren hat.«10

Nach der Beendigung der Arbeit in der IG Metall bereiste er mit seiner zweiten Frau Siggi, die ein gewerkschaftliches Reisebüro leitete, viele Länder, u.a. Kuba, Usbekistan, Sibirien, USA, auch wieder Israel und die besetzten palästinensischen Gebiete. Er litt an der unsäglichen Politik der israelischen Regierungen und der fortwährenden Unterdrückung der Palästinenser. Wenn es ein Recht des jüdischen Volkes auf einen eigenen Staat gäbe, dann nur in einem binationalen Staat, wo jüdische und arabische Menschen gemeinsam leben können. 1997 trat er auf einer vielbeachteten Gegenveranstaltung zum hundertsten Jahrestag des Ersten Zionistenkongresses in Basel auf und hielt als Jude ein Referat über den »Zionismus – Programm der Vertreibung«.

Als 1989 der reale Sozialismus zusammenbrach, entwickelte Jakob Moneta wieder verstärkt konkrete politische Aktivität. Die SED hatte ihm, dem staatsgefährlichen Trotzkisten, ein Einreiseverbot bis zum Jahr 2000 auferlegt. In den letzten Monaten der DDR durfte er wieder einreisen, engagierte sich in der »Initiative ostdeutscher Betriebs- und Personalräte«. Man wusste ihn zu schätzen, da er an den Irrwegen des Sozialismus gelitten hatte und doch Sozialist geblieben war. Er litt mit den Betriebsräten an der Zerstörung der Betriebe, an der Brutalität und Gnadenlosigkeit, mit der der Westen den Osten übernahm.

Als führendes Mitglied der »Gruppe Internationale Marxisten« (GIM), dann der »Vereinigten Sozialistischen Partei« (VSP) gehörte er gleichwohl viele Jahrzehnte der SPD an. Als er auf einer Veranstaltung der PDS einen Vortrag gehalten hatte, wurde er mit einer bloß dreizeiligen Mitteilung aus der Partei ausgeschlossen. Er schloß sich der PDS und der LINKEN an, wurde Mitglied des Parteivorstandes und engagierte sich in Gewerkschaftsgremien der Partei. Moneta hat bis ins hohe Alter in zahlreichen antiimperialistischen Kampagnen der Linken ebenso mitgearbeitet wie in der Ostermarsch- und in der Anti-Atom-Bewegung. Seine Hoffnung richtete sich auf eine neue Internationale, jenseits der bisherigen Zerklüftungen und Spaltungen in verschiedene politische und weltanschauliche Richtungen.

 

Nicht nachlassende Hoffnung auf den Sozialismus

Am Ende einer Darstellung seines langen Lebens soll Jakob Moneta noch einmal zu Wort kommen. Immer wieder hat Jakob Moneta sein Leben in der historischen Spannung des »Zeitalters der Extreme« begriffen: »Überlebt habe ich sie alle: Die Hitlers, die Stalins und die Adenauers. Ich möchte hundert Jahre alt werden, da ich den Sozialismus erleben möchte.« Dass Jakob Moneta doch so kurz vor dem erhofften Ziel verstorben ist, steht für diese Dynamik, die nicht nachlässt, unverzagt daran zu glauben, bald am Ziel angekommen zu sein. Es ist genau diese Dynamik, welche die Geschichte weitertreibt. Angesichts der Barbarei des Kapitalismus ist es sein Vermächtnis, dafür zu kämpfen, dass die Großen Erzählungen Europas von der Freiheit, Gerechtigkeit und Würde für alle nicht in Vergessenheit geraten, sondern fortgeschrieben werden. Es steht nämlich noch etwas aus. Dieser Glaube wirkt als Gegengift gegen alle Bürokratien, wo immer sie sich ausbreiten mögen. Darauf hinzuweisen, war Jakob Moneta bei seinem 85. Geburtstag ein großes Anliegen:

 »Ich komme aus der jiddischen Kultur; ich kannte den Leiter der linken Poale Zion11… Er hat auf Jiddisch etwas sehr Schönes gesagt: ›Der Mensch ist asoj klein, wie der klejnste wejtuk in sein kleinen Finger.‹ Auf Deutsch: Der Mensch ist so klein, wie der kleinste Schmerz in seinem kleinen Finger. ›Und asoj grojs wie di Fuhn fun de Revolutie‹ – und so groß wie die Fahne der Revolution.«12

Dr. Franz Segbers ist Professor für Sozialethik an der Universität Marburg.

1 Michael Löwy, Erlösung und Utopie. Jüdischer Messianismus und libertäres Denken, Berlin 1997, S. 10.
2 Jakob Moneta, Marx, die Bibel und der Gott der Gerechtigkeit, in: Willibald Jacob/Jakob Moneta/Franz Segbers (Hrsg.), Die Religion des Kapitalismus. Die gesellschaftlichen Auswirkungen des totalen Marktes, Luzern 1996, S. 124.
3 Osteuropäische jüdische Arbeiterbewegung
4 In: Inprekorr Nr. 396/397 – Internationale Pressekorrespondenz (November/Dezember 2004).
5 Moshe Dayan war später einer der einflussreichsten Militärs und Politiker bei der militärischen Durchsetzung des Staates Israel, Mitglied der Mapai und der Haganah und ab 1968 Mitglied der »Israelischen Arbeitspartei«; von 1953-58 Generalstabschef, leitete den Sinaifeldzug; 1968-74 Verteidigungsminister, 1977-79 Außenminister.
6 Inprekorr Nr. 396/397 (Internationale Pressekorrespondenz), Frühjahr 1978.
7 Jakob Moneta, Kommentar zum Kurzen Lehrgang der Geschichte der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (Bolschewiki). Aufstieg und Niedergang des Stalinismus, Köln 1953.
8 Esther Schapira/Peter Scherer, Ein Jahrhundert wird besichtigt, in: Jürgen Hinzer/Helmut Schauer/Franz Segbers (Hrsg.), Perspektiven der Linken. Ein kämpferisches Leben im Zeitalter der Extreme, Hamburg 2000, S. 119.
9 Jakob Moneta, Herz-Jesu Marxist oder kapitalistischer Propagandist, Frankfurt 1985.
10 Ebd., S. 155.
11 Poale Zion (»Arbeiter von Zion«) eine marxistisch-zionistische Bewegung, die eine Zeit lang der Dritten Internationalen angehörte und wegen ihres Zionismus ausgeschlossen wurde; sie waren Jiddischisten, d.h. sie kämpften dafür, dass man in Palästina Jiddisch spricht und nicht Hebräisch. Hebräisch war für sie eine Kunstsprache, jiddisch aber die Sprache des Volkes.
12 Esther Schapira/Peter Scherer, a.a.O., S. 120

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