1. Mai 2001 Redaktion Sozialismus

Koalition der »Neuen Mitte« ohne Mehrheit?

Die Renaissance der FDP ist das bemerkenswerte aktuelle Phänomen des Parteiensystems. In den letzten Landtagswahlen hat die Partei die Fünfprozent-Klausel deutlich übertroffen, ohne allerdings das ihr von den Demoskopen zugetraute zweistellige Resultat zu erreichen. In der jüngsten Umfrage aus Allensbach rangiert die Partei bei leicht über 10%.

Die letzten Personalrochaden - Auswechselung des Parteivorsitzenden Gerhard durch den bisherigen Generalsekretär Westerwelle, Aufrücken der stellvertretenden Bundesvorsitzenden Pieper in die Funktion der Generalsekretärin und (möglicherweise) Einbindung des Parteiquerulanten Möllemann als stellvertretenden Bundesvorsitzenden - werden diese Aufwärtsbewegung verstärken. Zwar hält außer einem Teil der FDP-Führung kaum jemand die Einlösung des Wahlzieles von 18% in der Bundestagswahl 2002 für reali-stisch, aber die Freidemokraten haben durchaus Chancen, (wieder) zur dritten politischen Kraft in der Berliner Republik aufzurücken.

Zudem wachsen die Aussichten, dann auch erneut als Regierungspartei fungieren zu können, weil die Bündnisgrünen ihrem selbstgesteckten Ziel - »Neuerfindung« der Grünen und damit Beendigung der Tendenz eines nachhaltigen Rückganges in der WählerInnenzustimmung - kaum näher gekommen sind. Nach jüngsten Meinungsumfragen hätte die rot-grüne Koalition bei Neuwahlen keine Mehrheit der Stimmen und damit vermutlich auch keine der Parlamentsmandate. Es ist also keine bloße Spekulation, die FDP erneut in der Rolle des Koalitionspartners - jetzt an der Seite der Sozialdemokratie - zu sehen.

Die FDP richtet Programmatik und Personal darauf aus, für eine Koalition mit der modernisierten Sozialdemokratie offen zu sein. Die SPD verfolgt in ihrer »Reform«-Politik durchaus eine Linie, mit der sich die Freidemokraten arrangieren könnten und die modernisierte Sozialdemokratie hat reichlich Signale gesendet, dass sie sich eine Fortsetzung der Regierungsarbeit auch ohne ihren Wunschpartner »Bündnisgrüne« vorstellen kann.

In der politischen Wiederauferstehung der Freien Demokraten bündeln sich mehrere Entwicklungslinien im politischen System der Bundesrepublik:

  Die Christdemokraten haben sich auf einem Niveau von 32-35% der Wählerstimmen stabilisiert. Es ist den Unionsparteien bislang nicht gelungen, die von der Parteivorsitzenden Merkel betriebene »Neue Soziale Marktwirtschaft« zum politischen Symbol für eine grundlegende Erneuerung des bürgerlichen Lagers zu machen. Immer noch franst die CDU/CSU zum rechten Rand hin aus, sei es in der Frage der Migration, einer sozialstaatlichen Mindestsicherung oder der Familienideologie. Das dem zugrunde liegende, in allen westlichen Ländern zu findende, Dilemma des bürgerlichen Lagers, dem wachsenden Gewicht rechtspopulistischer Stimmungen und Parteien durch Integrationsangebote nach rechts Rechnung tragen zu müssen und damit an Integrationskraft in die Mitte zu verlieren, hat zuletzt die Wahl in Baden-Württemberg verdeutlicht. Die Absorption eines Teils der Wählerklientel der Republikaner und damit die Sicherstellung der konservativen Hegemonie in diesem Bundesland gelang nur durch die Aktivierung nationalistischer Stimmungen, für die der grüne Umweltminister Jürgen Trittin mit seiner »Anti-Skinhead-Attacke« gegen CDU-Generalsekratär Meyer die Vorlage geliefert hatte.

  Die modernisierte Sozialdemokratie hält ihren Stimmanteil um die 40%. Sie hat Teile des Unternehmerlagers für ihre »Reform«politik gewinnen können und scheut - wie die Kampagne »Fördern und Fordern« in Sachen sozialer Ausgrenzung zeigt - auch vor rechtspopulistischen Ausfällen nicht zurück.

  Die Meinungsumfragen sehen die Bündnisgrünen bei einer Zustimmung zwischen 6-8%. Die Umbesetzung der Spitzenämter hat sich nur kurzzeitig als Chance entpuppt. Konsumentenminis-terin Künast hat ihre Ankündigung einer radikalen Neuorientierung der Landwirtschaftspolitik an Umwelt- und Verbraucherinteressen nicht in eine kontinuierliche Politik umsetzen können.

Führende Politiker der Partei räumen ein, dass die Grünen heute wirtschaftspolitisch eine andere Orientierung vertreten als in den Gründerjahren. Die politisch gewollte Transformation von einer linken Protestpartei zur linksliberal, neokonservativ-bürgerlichen Regierungspartei ist nur von einem kleineren Teil des Stammwählerklientels nicht goutiert worden. Die Strategie der »Fischer-Gang«, durch populäre Figuren sich eine erweiterte WählerInnenbasis zuzulegen, ist allerdings bislang nicht aufgegangen. Entgegen der Vorstellung, dass in der Mediengesellschaft politisch-strategische Optionen hauptsächlich über Personen vermittelt werden, lässt sich die These vertreten, »dass gerade Wahlchancen kleinerer Parteien weitaus mehr von inhaltlichen und strategischen Aspekten bestimmt werden als von der Popularität ihrer Spitzenpolitiker (...) Die Wähler kleiner Parteien geben ihre Stimme nicht primär unter dem Aspekt, einzelne Minister zu stützen; sie wählen in der Regel ein Programm oder eine Mehrheitskonstellation.« [1]

An diesem Widerspruch von Programm und populären Politikern laboriert gegenwärtig auch die PDS. Seit dem Rücktritt ihrer Spitzenpolitiker Bisky und Gysi aus der ersten Reihe im Herbst 2000 hat sich die Partei in der Wählergunst erstaunlich stabil gehalten. Auch diese Entwicklung deutet darauf hin, dass die kleineren Parteien, zumal des linken Spektrums, vom Stimmbürger auch wegen ihrer programmatischen Ausrichtung gewählt werden. Dieses heißt im Umkehrschluss freilich nicht, dass die politischen Köpfe, die diese inhaltliche Option repräsentieren, weitgehend nebensächlich sind. In der innerparteilichen Auseinandersetzung der PDS orientieren sich einige Tendenzen und Strömungen an dieser Botschaft. Die Auseinandersetzungen über die programmatische Weiterentwicklung werden dabei soweit in den Vordergrund gerückt, dass die Gefahr besteht, in eine Beschädigung der Personen umzuschlagen. Angesichts der Neigung der Sozialdemokratie, bei entsprechender politischer Konstellation den Koalitionspartner »Bündisgrüne« durch die Freidemokraten zu ersetzen, hat eine sozialistische Oppositionspartei günstigere Bedingungen, die Wichtigkeit und Bedeutung ihrer Exis-tenz dem Wähler zu verdeutlichen. Allerdings muss sich die PDS auf den zu erwartenden Appell einstellen, gegenüber allen sozialistischen Oppositionsexperimenten die Stimme für die rotgrüne Politik einzusetzen.

Die Parteien werden in den nächsten Monaten ihre Positionen für die Bundestagswahlen beziehen. Entscheidend für die politischen Auseinandersetzungen wird der weitere Gang der ökonomischen Entwicklung sein. Sollte die Bundesrepublik Deutschland von der Abschwächung der Globalökonomie voll erfasst werden, wird die den Sozialdemokraten zugeschriebene Wirtschaftskompetenz dahinschmelzen wie der Schnee in der Frühjahrssonne. Die Sozialdemokratie will die politische Führung für eine weitere Legislaturperiode behaupten, indem sie die Aufhebung der gesellschaftlichen Blockaden als ersten Schritt verkauft. Die eigentlichen Reformen, die das Land für das 21. Jahrhundert fitt machen sollen, so die Botschaft, liegen noch vor uns. Die SPD verspricht einem Großteil der Bevölkerung für diesen weiteren Schritt zur internationalen Konkurrenzfähigkeit »Sicherheit im Wandel«. Sollte freilich die leichte Tendenz zur Verminderung der Arbeitslosigkeit infolge einer rezessiven Entwicklung umschlagen, und wegen größere Finanzlöcher in den öffentlichen Haushalten und Sozialkassen erneut die Auseinandersetzung um die Relationen in den Verteilungsverhältnissen voll ausbrechen, dürfte diese Konzeption nicht durchzuhalten sein.

Die Freidemokraten werden auch weiterhin von der politischen Absetzung gegenüber den Unionsparteien deutlich profitieren. Es zeichnet sich in Deutschland so wenig wie in den anderen europäischen Ländern ab, dass die bürgerlichen Parteien sich in einem hegemonialen Block sozialer Kräfte neu aufstellen können.

Die personalpolitischen Rochaden der FDP zielen neben einer deutlichen Profilierung im bürgerlichen Lager auch auf die Beseitigung der Defizite in Ostdeutschland. Wie die Bündnisgrünen hat die FDP in Ostdeutschland bislang erhebliche Mühe, die Fünf-Prozent-Sperrklausel zu überwinden. Es ist deshalb gewiss kein Zufall, dass CDU und FDP mit Frau Merkel und Frau Pieper deutliche Signale zur Erweiterung des Stimmpotenzials in den neuen Bundesländern gesetzt haben. Die PDS muss sich durch diese Ankündigung einer verschärften Konfrontation nicht in Unruhe versetzen lassen. Nahezu alle Bilanzen über den Angleichungs- und Aufbauprozess Ost seit der »Wende« weisen aus, dass wir von einer stabilen, sich selbsttragenden ökonomischen Entwicklung weit entfernt sind. Die designierte FDP-Generalsekretärin Pieper pocht ausdrücklich darauf, dass der Solidaritätszuschlag von ihrer Partei für den absehbar nächsten Entwicklungsabschnitt nicht mehr in Frage gestellt wird. Im Prinzip sind sich alle staatstragenden Parteien daher jetzt einig, dass die Transferzahlungen für Ostdeutschland für eine weitere Periode verlängert werden.

Allerdings steht auch fest: Unbeschadet der konzeptionellen Unterschiede zwischen SPD, Bündnisgrünen, CDU und FDP - es wird mit diesen politischen Konzeptionen keine grundlegende Verbesserung der Lage in den neuen Bundesländern geben. Diese leiden unter einem erheblichen Wanderungsverlust vor allem der jüngeren Generationen, der durch eine niedrige Geburtenrate noch verschärft wird. Damit ist für die sozial-kulturelle Infrastruktur dieses Teils der Berliner Republik ein Anpassungsprozess programmiert, der weitere Belastungen mit sich bringt und Mittel absorbiert, die eigentlich für eine Ausweitung von Investitionen und entsprechender Infrastruktur dringlich gebraucht werden.

Die PDS hat also trotz des Wechsels in ihrem Führungspersonal gute Chancen, sich als gesamtdeutsche sozialistische Partei behaupten zu können. Allerdings muss auch sie bis zum Jahresende ihre beiden Hausaufgaben erledigen: zum einen ohne Selbstzerfleischung und Ausgrenzung eine Neubestimmung der Kritik am gegenwärtigen Kapitalismus zu entwickeln, auf deren Grundlage konkrete Alternativen zur herrschenden Politik verdeutlicht werden können. Ohne Erledigung dieser Schulaufgabe wird die Verankerung im Westen nicht vorankommen; zum anderen muss sie die Perspektivlosigkeit der »Chefsache Ost« herausstellen und für das nächste Jahrzehnt alternative Zielsetzungen definieren.

Zurück