25. März 2015 Heinz Bierbaum

Kuba – ein Land im Umbruch

Am 17. Dezember letzten Jahres verkündeten die Präsidenten der USA und Kubas, Barack Obama und Raúl Castro, dass die Beziehungen zwischen den beiden Ländern »normalisiert« werden sollen. In Kuba selbst wird dies als ein historisches Ereignis gewertet, das dem Land auch eine neue Rolle im panamerikanischen Dialog zuweist.

So wird Kuba im April zum ersten Mal an dem seit 1994 stattfindenden panamerikanischen Gipfel in Panama teilnehmen. Die angekündigte Aufnahme diplomatischer Beziehungen bedeutet allerdings noch keineswegs das Ende der Wirtschaftsblockade, unter der Kuba weiterhin stark leidet. Dies zeigt sich insbesondere an dem eingeschränkten Zugang zu den Finanzmärkten und im Bereich Telekommunikation.

Ein erstes greifbares Ergebnis der »Normalisierung« ist die endgültige Freilassung der »Cuban Five«,[1] womit die letzten drei zu lebenslanger Haft Verurteilten frei kamen. In Kuba wird das enthusiastisch gefeiert. Die Freilassung war das Ergebnis einer langjährigen, weltweiten Solidaritätskampagne.

Ansonsten hat die Ankündigung der Normalisierung der Beziehungen noch keine Auswirkungen auf das Alltagsleben. Hintergrund der Entscheidung Obamas ist ein zunehmender Druck auch in den USA selbst. Dieser betrifft sowohl die amerikanischen Unternehmen, die Geschäfte mit Kuba machen wollen, als auch die amerikanische Bevölkerung, die in Kuba Urlaub machen will, was ihr bisher verwehrt ist. Und schließlich hat sich auch das Verhalten der Exilkubaner in Florida verändert, an deren Stimmen Obamas Demokratische Partei interessiert ist. Die Reaktionen aus Europa sind widersprüchlich. Einerseits wird die Aufhebung der Blockade verlangt – so kürzlich der ehemalige Ministerpräsident Spaniens, Zapatero –, andererseits wird der auf Druck der USA zustande gekommene »Gemeinsame Standpunkt« der EU, der ein Haupthindernis in den Beziehungen zu Kuba darstellt, immer noch nicht aufgegeben.

Schwieriger Umbau der Wirtschaft

Auch wenn die Behinderungen durch die Blockade die Entwicklung Kubas beeinträchtigen, so ist doch auch klar, dass das Land sich im Umbruch befindet. Nach der außerordentlich schwierigen Zeit nach dem Zusammenbruch der Sowjetunion in den 1990er Jahren – ein Zeitraum, der als Sonderperiode (»período especial«) bezeichnet wird – wurde die Entwicklung der Wirtschaft durch Zulassung eines Privatsektors angekurbelt. Dies betraf zunächst den Tourismus, der heute einen wesentlichen Beitrag zum Bruttoinlandsprodukt leistet. Neben den Touristikzentren, die nach wie vor eine Art Ghetto bilden, betrifft dies inzwischen vor allem auch die private Vermietung von Zimmern, den »Casas Particolares«, und private Restaurants (»Paladares«). In einer Touristenstadt wie Trinidad findet man in der Innenstadt kaum ein Haus, das nicht das dafür typische Zeichen eines blauen Ankers aufweist. Inzwischen geht aber die Öffnung für private wirtschaftliche Aktivitäten wesentlich weiter. Neben der Gastronomie wurden der Handel und Transportsektor, Dienstleistungen und Kleingewerbe für Genossenschaften und auf eigene Rechnung arbeitende Selbständige geöffnet. Die Zahl dieser »Cuentapropistas« beträgt inzwischen fast eine halbe Million. Bestandteil des neuen Kurses ist ferner die Erlaubnis, sowohl Wohnungen als auch Autos kaufen und verkaufen zu können.

Da Kuba immer noch das meiste Geld für Lebensmittelimporte ausgibt, soll die Landwirtschaft gestärkt und damit der Grad der Selbstversorgung erhöht werden. Eine der wesentlichen Maßnahmen stellt die Übergabe von brachliegendem Land an Kleinbauern und Genossenschaften dar. Auch wird die Wirtschaft zunehmend für ausländische Unternehmen geöffnet. Für die Tätigkeit ausländischer Investoren wurde ein eigenes Gesetz erlassen. Zu nennen ist in diesem Zusammenhang vor allem die Sonderwirtschaftszone in Verbindung mit dem Neubau des Hafens von Mariel, 45 km westlich von Havanna. Diese Investition in Höhe von rund einer Milliarde US-Dollar wird mithilfe Brasi­liens realisiert. Durch die Bereitstellung moderner Infrastruktur und auch durch Steuervorteile sollen ausländische Investoren gewonnen werden. Gleichzeitig soll diese Investition dazu beitragen, die Ausfuhren Kubas zu steigern.

Der Außenhandel befindet sich im Aufschwung und spielt eine zunehmend wichtige Rolle. Größter Handelspartner ist Venezuela, dessen Hilfe für Kuba von existenzieller Bedeutung ist. Danach folgt China. Dies ist auch im Alltag wahrnehmbar, sind doch die meisten öffentlichen Busse chinesischer Bauart. Das Straßenbild Havannas wird neben den auffälligen alten amerikanischen Straßenkreuzern durch chinesische Mittelklassewagen bestimmt. Auch Kanada, woher im Übrigen der Großteil der Touristen kommt, Spanien, Brasilien und die Niederlande spielen als Handelspartner eine herausgehobene Rolle und trotz Blockade sind die Importe aus den USA von Bedeutung. Allerdings ist man sehr auf die Eigenständigkeit bedacht. Man will nicht in die gleiche Abhängigkeit wie zuzeiten der Sowjetunion gelangen. Im Hinblick auf die Exporte Kubas kommt der pharmazeutischen Industrie neben Nickel, dem wichtigsten Exportgut, und den traditionellen Produkten Zucker und Tabak eine wachsende Bedeutung zu.

Die zentrale wirtschaftliche Herausforderung ist die Effizienzsteigerung der Staatsbetriebe. Sie sind nach wie vor das beherrschende Element der kubanischen Wirtschaft; der nichtstaatliche Bereich (Genossenschaften und »Cuentapropistas«) hat einen Umfang von 30%. Im Rahmen der Effektivierungsmaßnahmen sollen insbesondere auch Produktivität und Entlohnung ins Verhältnis gesetzt werden. Die Folge ist, dass im staatlichen Bereich ein erheblicher Arbeitsplatzabbau stattfindet, der durch Beschäftigung im privaten Sektor kompensiert werden soll.

Eine wichtige Rolle bei der Neuausrichtung der wirtschaftlichen Entwicklung im Rahmen eines bis 2030 reichenden strategischen Planes stellt die Energiepolitik dar. So sollen die erneuerbaren Energien gefördert und ihr Anteil an der Energieerzeugung von gegenwärtig vier auf 30-35% gesteigert werden.

Was bleibt von den »Errungenschaften der Revolution«?

Der neue wirtschaftspolitische Kurs geht vor allem auf die Beschlüsse des VI. Parteitages der Kommunistischen Partei Kubas im Jahr 2011 zurück, auf dem die von Raúl Castro angekündigten Reformen beschlossen worden waren. Ziel ist eine deutliche wirtschaftliche Belebung. So soll 2015 das Wirtschaftswachstum über 4% betragen, nachdem es in den Vorjahren deutlich hinter den Erwartungen zurückgeblieben war. Bei aller Öffnung für private und ausländische Wirtschaftstätigkeit soll jedoch der staatliche und damit der gesellschaftliche Einfluss auf die wirtschaftliche Entwicklung erhalten bleiben. Unter anderem geschieht dies dadurch, dass etwa bei ausländischen Unternehmen die Arbeitskräfte durch staatliche Arbeitsagenturen gestellt werden, die auch die Arbeitsbedingungen bestimmen. Außerdem soll die Tätigkeit ausländischer Unternehmen wesentlich in Form von »joint ventures« mit einer Mehrheitsbeteiligung des Staates erfolgen. Letztlich wird jedoch die durch die privatwirtschaftliche Öffnung ausgelöste Dynamik nur beherrschbar sein, wenn es gelingt, die staatlichen Betriebe zu reformieren und damit die angestrebte Effizienzsteigerung zu realisieren. Dies ist auch notwendig, um der durchaus gesehenen Gefahr wachsender sozialer Unterschiede zu begegnen. Gleichzeitig ist dies die Voraussetzung für die Schaffung der angestrebten einheitlichen Währung. Gegenwärtig gibt es neben dem kubanischen Peso (CUP) den an den Dollar-Kurs gebundenen konvertiblen Peso (CUC), mit dem u.a. die Touristen zahlen.

In dem Bestreben, die Errungenschaften der Revolution beizubehalten und gleichzeitig Reformen in Richtung stärkerer privatwirtschaftlicher Tätigkeit zu unternehmen, also insgesamt den sozialistischen Kurs fortzuführen, kommt dem Einbezug der Bevölkerung entscheidende Bedeutung zu. So betont beispielsweise der Leiter der Abteilung der Internationalen Beziehungen des Zentralkomitees der PCC, José Ramón Balaguer, die Notwendigkeit der Unterstützung durch die Massen. In diesem Prozess der »consulta popular« zur Veränderung der Wirtschaftspolitik waren nach Angaben von Vertretern der Wirtschaftsabteilung beim ZK der PCC rund acht Millionen Kubaner einbezogen. Eine große Rolle spielen dabei die Massenorganisationen. Dazu zählen neben der rd. 600 Tausend Mitgliedern zählenden kommunistischen Partei vor allem die Komitees zur Verteidigung der Revolution, aber auch die Frauenorganisation, die Landarbeiterorganisation und die Gewerkschaften. Der Gewerkschaftsbund CTC (Central de Trabajadores de Cuba) hat mit 3,5 Millionen Mitgliedern einen sehr hohen Organisationsgrad. Auch die Selbständigen, die »Cuentapropistas«, sind mehrheitlich gewerkschaftlich organisiert. Die Beteiligungsrechte der Gewerkschaften sind durch das neue Arbeitsgesetz gestärkt worden. Es gibt ein sehr enges Netz von Beteiligungsstrukturen auf betrieblicher und auch auf territorialer Ebene. Die Neufassung des Arbeitsgesetzes war jedoch in erster Linie durch die veränderte Wirtschaftspolitik notwendig geworden. Gleichzeitig ist man bemüht, die Qualität der »consulta popular« zu verbessern. Dies geschieht zum einen dadurch, dass die jeweiligen Massenorganisationen eine größere Autonomie erfahren, zum anderen vor allem aber durch Maßnahmen zur Verbesserung der Diskussionskultur, um so zu einem wirklichen, auch kontrovers geführten Meinungsaustausch zu kommen. Oscar Martínez zufolge, dem stellvertretenden Leiter der Abteilung für Internationale Beziehungen, wird ein »qualitativer Sprung« in der Debattenkultur angestrebt.

Dass Kuba ein Land im Umbruch ist, zeigt sich schließlich auch in der Verwaltungsstruktur und in der Steuerpolitik. Bislang zahlten die Kubaner praktisch keine Steuern. Doch die privatwirtschaftliche Tätigkeit unterliegt der Steuerpflicht. Dazu wurde ein neues Gesetz erlassen.

Der neue Kurs ist mit nicht zu unterschätzenden Risiken verbunden. Es besteht die reale Gefahr sozialer Polarisierung. Auch wandern qualifizierte Arbeitskräfte in den privaten Sektor ab – insbesondere im Tourismusbereich. Es stellt sich die Frage, ob die Dynamik des privaten Sektors politisch beherrscht werden kann. Jedenfalls ist man fest entschlossen, keine unkontrollierte Entwicklung zuzulassen. Dabei kommt der Neuausrichtung des staatlichen Sektors und der Restrukturierung der staatlichen Betriebe eine Schlüsselrolle zu. Nur wenn deren Erneuerung mit deutlichen Produktivitätssteigerungen gelingt, ist auch die Basis für die Anhebung des Lebensstandards gegeben und lässt sich der sozialistische Kurs mit der Zielsetzung eines »blühenden und nachhaltigen Sozialismus« (»socialismo próspero y sostenible«) fortsetzen. Von eminenter Bedeutung ist dabei die breite Beteiligung der Bevölkerung. Dies gilt zum einen für die wirtschaftliche Tätigkeit selbst – etwa im Rahmen von Genossenschaften, die sich bislang allerdings wesentlich auf die Landwirtschaft konzentrieren, allerdings auf andere Bereiche ausgeweitet werden sollen. Dies gilt zum anderen für den gesamten Prozess der Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik selbst. Dafür stellt die »consulta popular« eine gute Grundlage dar.

Kuba bedarf aber weiterhin der Solidarität. Man ist sich bewusst, dass man ohne die Unterstützung durch die Länder vor allem Lateinamerikas und den verschiedenen regionalen Zusammenschlüssen wie etwa ALBA (Alianza Bolivariana para los Pueblos de Nuestra América) oder CELAC (Comunidad de Estados Latinoamericanos y Caribenos) kaum überlebt hätte. Auch eine Organisation wie die bei der deutschen LINKEN angesiedelte Cuba Sí leistet eine zwar bescheidene, doch durchaus wirksame und relevante Hilfe.

Heinz Bierbaum, Mitherausgeber von Sozialismus, ist Vorsitzender der Internationalen Kommission beim Parteivorstand der LINKEN und parlamentarischer Geschäftsführer der Linksfraktion im Landtag des Saarlandes.

[1] Die »Cuban Five« waren 2001 unter skandalösen Umständen wegen Spionage gegen Anti-Castro-Gruppen in Florida verurteilt wurden und saßen seitdem in US-Gefängnissen ein. Vgl. Otto König/Richard Detje: »No es facil« – Es ist nicht einfach. Versuch einer Annäherung USA-Kuba. Sozialismus aktuell, 27.12.2014.

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