25. Januar 2015 Ralf Kronig: Die Maßlosigkeit bei der SAP nimmt zu: hohe Renditen und Arbeiten ohne Ende

Kulturbruch beim Software-Giganten

Der Softwarekonzern SAP wird sich in den kommenden Jahren »grundlegend ändern« (Bill McDermott, CEO) und zum führenden Cloudanbieter aufsteigen. Dazu wurde zuletzt ein halbes Dutzend Unternehmen zugekauft und die digitale Infrastruktur erneuert. Allerdings: Gewinnspannen von 30% und mehr wird es in der Cloud nicht mehr geben – was die Börse mit erheblichen Kursverlusten abstrafte. Dabei war 2014 erneut ein Rekordjahr: mit einem um Sonderfaktoren bereinigten Betriebsergebnis von 5,64 Mrd. Euro bei einem Umsatz von 17,6 Mrd. Was es für die Beschäftigten heißt, wenn Aktionäre diese Zahlen nicht überzeugen, zeigt der Beitrag des stellvertretenden Betriebsratsvorsitzenden von SAP.

Das deutsche Unternehmen SAP SE wurde im Jahr 1972 gegründet. Es stellt Unternehmenssoftware her und beschäftigt aktuell weltweit über 74.000 ArbeitnehmerInnen. In den vergangenen beiden Geschäftsjahren erreichte SAP SE eine Gewinnmarge von über 32%. Im Jahr 2014 wurde der teuerste Kauf eines US-Unternehmens mit über 4.200 Beschäftigten zu einem Kaufpreis von mehr als 6,5 Mrd. Euro getätigt.


»Simplify & Optimize« oder »Hire & Fire«

Im Frühjahr 2014 begannen Gespräche zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber über ein Restrukturierungskonzept unter dem Motto »Simplify & Optimize«. Beteuert wurde, dass es sich um »keine Kostensparmaßnahme« handele. Beschäftigte sprachen deshalb zunächst davon, dass mal wieder eine »Sau durch’s Dorf getrieben wird«. Doch zeitgleich wurden außerhalb Deutschlands SAP-Beschäftigte – laut einem Spiegel-Bericht in einer Größenordnung von 1.500 – entlassen oder per Auflösungsvertrag abgefunden. Hintergrund der Maßnahme war ein Vorschlag vom Unternehmens-Controlling, an den Personalkosten zu sparen, da andere »Cost-Cutting«-Potentiale ausgeschöpft seien. Ein Beispiel personalpolitischer Methodik nach dem Prinzip von »Hire & Fire«. Hintergrund dafür sind unter anderem, wie sich später herausstellte, Planungen über milliardenschwere Firmenkäufe mit Tausenden von neuen Beschäftigten.

In der Presse war zu lesen, dass der US-amerikanische SAP-Vorstandsvorsitzende Bill McDermott, der auch zugleich Arbeitsdirektor ist, sofort seine »Duftmarken« beim deutschen Vorzeigeunternehmen SAP SE setzen würde. Beispielhaft wurde dies unter Federführung der Personalabteilung mit der Schließung von Standorten und der »Freisetzung« von Teams außerhalb Deutschlands umgesetzt. »Simplify & Optimize« kann daher – entgegen besänftigenden Ankündigungen – sehr wohl als ein radikales Kostensparprogramm bezeichnet werden.

Trotzdem wurden externe Einstellungen vorgenommen. Wie passt das zusammen? Zum einen wohl dadurch, dass – wie manche beobachtet haben – ein Abbau von »älteren«, erfahrenen Beschäftigten stattfindet, ebenso von Schwerbehinderten und teilzeitarbeitenden Frauen. Hinzu kommt, dass in Asien massiv Personal aufgebaut und seit Jahren Arbeit in Billiglohnländer verlagert wird. Auch der Aufsichtsratsvorsitzende setzt sich des Öfteren für Neueinstellungen von »jungen, unverbrauchten« Fachkräften ein und versteht die deutschen Mitbestimmungs- und Kündigungsschutzregelungen nicht, nach denen Stammpersonal gesetzlich geschützt wird. Sein letztjähriger Spruch gegenüber den SAP-Beschäftigten bleibt unvergessen: »Manchmal will ich die Walldorfer Entwickler packen und schütteln und anschreien: ›Bewegt euch schneller!‹«

Die von der SAP angekündigten Restrukturierungsmaßnahmen sollen möglichst geräuschlos über die Bühne gehen. In Deutschland sind gut 300 der etwa 18.000 Beschäftigten betroffen. Sie sollen vorwiegend andere Jobs bekommen. Allerdings spricht man auch erstmals von betriebsbedingten Kündigungen.
Angekündigt wurde der Personalabbau mit den euphemistischen Worten: »Unser Ziel ist es, betroffene Mitarbeiter fair und respektvoll zu behandeln.« Höchste Priorität habe die bestmögliche Unterstützung der Mitarbeiter, um eine neue Aufgabe zu finden – wenn immer möglich innerhalb der SAP. Allerdings fragen sich viele: Ist es respektvoll und fair, wenn ein Unternehmen ohne wirtschaftliche Not drei Prozent der Belegschaft abbauen will?

Als im Spätsommer 2014 der teuerste Kauf in der Firmengeschichte angekündigt wurde, reagierten Analysten: »zu teuer« für ein Unternehmen mit Verlustvortrag und mäßigem Umsatzwachstum. Aber Geld spiele keine Rolle, wiegelte der US-CEO gelassen ab. Wobei bei der nächsten Gehaltsrunde, die jährlich zwischen Betriebsrat und Arbeitgeber verhandelt wird, keine Gelassenheit herrscht. SAP hat keinen Tarifvertrag und wahrscheinlich steht für viele Beschäftigte wieder eine geringe Gehaltserhöhung auf dem Gehaltszettel. Jährlich stellt der SAP-Vorstand ein Gehaltsbudget zur Verfügung. Davon erhalten die Beschäftigten zum Beispiel einen Sockelbetrag von einem Prozent ihres Grundgehalts. Den Rest verteilt der Teammanager nach seinen »Leistungskriterien« an die jeweiligen Mitarbeiter_innen, also nach Gutdünken.


Autoritärer Führungsstil

In Deutschland gibt es seit acht Jahren einen Betriebsrat, dessen auf IG Metall-Initiative hin erfolgte Gründung im Jahr 2006 auf härteste Art und Weise von Aufsichtsrat, Vorstand und Kapitalgebern bekämpft wurde. Unterstützung erhielten sie damals auch von Beschäftigten, die sich in den Betriebsrat wählen ließen, die aber zu »gelben Gewerkschaften« und arbeitgebernahen Listen zu rechnen sind.

Über den im Konzept »Simplify & Optimize« vorgesehenen Stellenabbau wurde monatelang zwischen Arbeitgeber und Betriebsrat verhandelt. Das Verhalten des Arbeitgebers zeigte, dass er keinen Verhandlungsspielraum von »oben« erhielt. Deshalb traf man sich in einer Einigungsstelle, allerdings ohne eine Einigung zu erzielen.

Der Betriebsrat hatte beschlossen, dass keine betriebsbedingten Kündigungen und keine Änderungskündigungen ausgesprochen werden dürfen, und dass alle Betroffenen eine adäquate Weiterbeschäftigung auf einem gleichwertigen Arbeitsplatz am Standort und erforderliche Qualifizierungsmaßnahmen erhalten sollten. Dies lehnte der Arbeitgeber strikt ab. Der US-CEO meinte vor Führungskräften, dass seine Strategie nicht »in Frage« gestellt werden dürfe, Kritik sei unerwünscht: »Während es sich anfühlt, als wäre es Zeit für eine kurze Pause, beginnt jetzt jedoch die harte Arbeit … Da ist kein Platz für Ablenkung.« Das Führen qua Befehl und das alleinige Ziel einer extremen Gewinnmaximierung bestimmen den Führungsstil. Bei der jüngsten Mitarbeiterbefragung stagnierte das Vertrauen in das »Management Board« bei den Kolleg_innen in Deutschland auf einem sehr niedrigen Niveau.


Ab jetzt immer auf Bewährung

Erstmals will SAP »betriebsbedingte Kündigungen« aussprechen. Dies ist in Anbetracht der guten wirtschaftlichen Situation von SAP ein kaum nachvollziehbarer Akt. Deshalb sind viele SAP-Beschäftigte fassungslos und halten dies für eine weitere Episode der »Amerikanisierung«.

Nachweislich nimmt die Unsicherheit bei den Beschäftigten in Deutschland extrem zu. Von den MitarbeiterInnen werden unter anderem folgende Fragen gestellt:

  • Wieso wird ohne wirtschaftliche Not so respektlos mit uns umgegangen?
  • Was denken die SAP-Firmengründer über diesen rabiaten Kulturwandel?
  • Wohin führt dieser Managementstil und Kulturbruch? Wie sind unsere Zukunfts- und Jobaussichten?
  • Wozu braucht SAP eine so extrem hohe Gewinnmarge von über 30%? Wieso will ein Unternehmen bei einer so hohen Marge betriebsbedingte Kündigungen aussprechen?
  • Kann man dem US-CEO unter diesen Bedingungen überhaupt noch Vertrauen schenken?


Und die Beschäftigten?

All dies hat Folgen: Bei der SAP existiert ein Regime des permanenten Drucks. Den Beschäftigten wird eine ungeheure Flexibilität und Veränderungsbereitschaft abverlangt. Es herrscht ein Arbeiten unter permanentem Zeit-, Termin- und Wettbewerbsdruck vor. Zugleich werden die Beschäftigten für die zu hohen Zielvorgaben und Ergebnisse verantwortlich gemacht, jedoch dafür nicht angemessen bezahlt. Unbezahlte Überstunden und Leistungsverdichtung mit langen, hochkonzentrierten Arbeitszeiten und langen beruflich bedingten Arbeitswegen gehören zum Alltag.  Zusätzlich wird Kostensparen als dauerhafter Optimierungs- und Unsicherheitsprozess eingesetzt.

Dies hat Auswirkungen auf die Gesundheit: In den deutschen Betrieben von SAP gibt es jährlich ca. 1.000 Neufälle von Langzeitkranken im Rahmen des betrieblichen Eingliederungsmanagements. Bei einem Durchschnittsalter der Belegschaft von ca. 42 Jahren ist dies eine erschreckende Entwicklung und keineswegs Ausdruck einer »guten digitalen Arbeit«. All dies negiert das Management des Gesundheitswesens, wenn es die psychische Gesundheit als »gut« bezeichnet. Wir beobachten eine andere Realität: Beschäftigte brechen zusammen, täglich fahren Krankenwagen vor, Schwerbehinderte bangen um ihren Arbeitsplatz, langjährige Fachkräfte erfahren von der Führungskraft auf dem Weg zur Kaffeemaschine, per Telefon oder per E-Mail, dass sie nicht mehr gebraucht werden, Tränen fließen, Wut kommt auf …

Zugleich rollt auf die SAP-Beschäftigten eine neue Welle der Rationalisierung und Beschleunigung zu. Dazu schrieb der US-CEO kürzlich in einer Mail an alle MitarbeiterInnen: »Das Tempo wird von jetzt an nur noch schneller werden.« Und er erklärte zum wiederholten Mal, dass »jeder Einzelne im Unternehmen hart dafür arbeiten« muss. Also droht weiterhin »Arbeiten bis zum Umfallen«.
Und wo fließen die so erwirtschafteten Gewinne hin? Nur einige Fakten:

  • Jährlich gibt es Dividendenzahlungen von jeweils über 100 Mio. Euro für die SAP-Unternehmensgründer.
  • 2013 gab es für die Vorstandssprecher über 20 Mio. Euro mit der Aussicht auf weitere Erhöhungen.
  • 2015 soll es für das Top-Management Euro 100 Mio. extra geben. Die Belegschaft geht leer aus.

Auf einer SAP-Fachtagung sprach ein Podiumsteilnehmer von einer »Geldmafia«, die SAP als »Geldmaschine« benutzt.

Ralf Kronig, Diplom-Ökonom, Bankkaufmann, ist stellvertretender Betriebsratsvorsitzender SAP SE.

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