24. Februar 2012 Frank Deppe: Lisa Abendroth (27.2.1917-4.2.2012)

Leben im »Zeitalter der Extreme«

Lisa Abendroth starb am 4. Februar 2012, wenige Tage vor ihrem 95. Geburtstag. Der Schlaganfall, der zum Tode führte, traf sie Anfang Januar. Bis zu diesem Zeitpunkt war Lisa – wie man so sagt – relativ gut dabei, klar im Kopf, obwohl sie in den letzten Jahren schlechter hörte, das Gehen und dann auch das Lesen schwerer fielen.

Sie war auch bei der Politik, bei der Linken und bei den inzwischen ebenfalls sehr alt gewordenen Freunden und Schülern der Abendroths. Sie war informiert, neugierig, immer auch streitlustig – nicht wenige verließen mit gesenktem Blick ihr Appartement in der Waldschmidtstraße, und das war – ebenso wie ihr Lachen – doch ein gutes Zeichen. Dabei ging es meist auch um die Pflege des wissenschaftlichen und politischen Erbes von Wolfgang Abendroth! Lisa verstand ihre Aufgabe immer auch darin, Wolf zu schützen. Damit wollte sie – mehr als 25 Jahre nach seinem Tod – eine Aufgabe vollenden, die ihr Leben mit diesem Mann vom Zeitpunkt ihres Kennen­lernens im Jahr 1942 bis zu seinem Tode 1985 und darüber hinaus bestimmt hatte.

Lisa kannte und schätzte Eric Hobsbawm, den großen kommunistischen Sozialhistoriker. Seine Weltgeschichte des 20. Jahrhunderts – das »Zeitalter der Extreme« – und seine danach veröffentlichte Autobiographie (»Gefährliche Zeiten«) fassen schon im Titel Erfahrungen zusammen, die auch das Leben der 1917 in Bremen geborenen Lisa Hörmeyer bestimmen sollten. Extreme Erfahrungen und Widersprüche – das waren nicht allein die Erfahrungen von Weimar, Faschismus, Krieg, Nachkriegszeit, Kalter Krieg, die das Leben der Menschen in Deutschland und Europa im 20. Jahrhundert prägten. Es waren insbesondere die Widersprüche und Erfahrungen im Leben einer jungen Frau, die in einem kleinbürgerlich, katholischen Haus aufgewachsen war, und nach dem Abitur und dem Arbeitsdienst 1938 zum Studium der Geschichte, Germanistik und Philosophie nach Marburg (unterbrochen von je einem Semester in Berlin und in Innsbruck) ging. Sie wollte Lehrerin werden. Lisa war nicht politisch bzw. im Widerstand engagiert – schon gar nicht in der Linken. »Kommunisten und Sozialdemokraten kamen in unserer Familie nicht vor«, sagte sie selbst – immerhin in Bremen, einem der Zentren des linken, revolutionären Flügels der deutschen Arbeiterbewegung.

Sie war bildungshungrig, belesen, hatte sich moralisch früh vom faschistischen Regime entfernt, obwohl sie – um studieren zu können oder um ein Stipendium zu erhalten – Anpassungsleistungen (z.B. im BDM) erbringen musste. Vor allem das Studium der Philosophie, die Beschäftigung mit der Vernunftphilosophie des deutschen Idealismus, schärfte ihr kritisches Verständnis der herrschenden Unvernunft, vor allem in der Zeit des Krieges. Sie war eine der Lieblingsstudentinnen des Marburger Kantianers Julius Ebbinghaus. Ein Antifaschist, erster Rektor der Universität Marburg nach 1945, der sich 1951 ganz entzückt zeigte, als sein Fakultätskollege Wolfgang Abendroth ihm seine Frau – das ehemalige Fräulein Hörmeyer – vorstellte. Natürlich hat ihr Verlobter – noch in Feldpostbriefen aus Griechenland, von der Strafdivision 999 – ihr zur Vertiefung ihrer philosophischen Kenntnis nachdrücklich das Studium der Dia­lektik empfohlen, wohl wissend, dass damals unter den Marburger Neokantianern der Name Hegel als geradezu »Unaussprechliches«  markiert war.

Lisa promovierte im April 1945 mit einer Arbeit über den »Volksbegriff« in der deutschen Publizistik zwischen 1913 und 1819. Ihr Doktorvater war Wilhelm Mommsen, Enkel des großen Theodor Mommsen und der Vater der beiden berühmten Zwillinge Hans und Wolfgang Mommsen, der 1945 vom Dienst suspendiert wurde. Immerhin fand – wie sie erzählte – das Rigorosum zu jener Stunde statt, in der amerikanische Truppen in die Stadt Marburg einrückten – der Hauch eines Wimpernschlags des Weltgeistes wehte über dieser Prüfung.[1]

Das Leben in den Extremen und Widersprüchen dieses Jahrhunderts veränderte sich radikal, nachdem sich Wolf und Lisa 1942 in Marburg kennen gelernt, verlobt und schon 1943 das Aufgebot bestellt hatten. Die Heirat kam nicht zustande, denn Wolf wurde vorher zur Strafdivision eingezogen. Erst 1946 – nach der Rückkehr Wolfs aus der englischen Kriegsgefangenschaft – konnten die beiden heiraten. Seit der ersten Begegnung mit Wolf spielte die Angst in Lisas Leben eine zentrale Rolle. Die praktische Bewältigung dieser Angst macht die Größe dieser Sozialistin aus, die sich nicht passiv in ihr Schicksal fügte, sondern höchst aktiv an der Lebensbewältigung ihrer Familie, aber damit auch an der Geschichte des Linkssozialismus in der Bundesrepublik beteiligt war:

  • Zunächst die Angst um das Leben des 999ers, die Ungewissheit über sein Schicksal.
  • Nach 1946 die Ungewissheit über die Zukunft und wieder die Angst vor Verfolgung in der damaligen SBZ, die sie vor Jahren in einem Artikel für die Zeitschrift »Sozialismus« beschrieben hat.[2]
  • Ängste um den Mann und die Familie in den Hochzeiten des Kalten Krieges: z.B. im Zusammenhang mit dem Agartz-Prozess 1957.
  • Auch (bis in die 1960er Jahre, um einmal etwas Unpolitisches hinzuzufügen) berechtigte Ängste um Mann und Familie, wenn dieser mit dem Auto unterwegs war.
  • Ängste nach dem Ausschluss von Förderergesellschaft und SDS aus der SPD. Denn links von der SPD begann das KPD-Verbot, da verlief – so zitierte Jürgen Seifert später einmal den Juristen Erich Klug – die »Trennlinie«, die »Grenzlinie des Verfassungsschutzes« – bis heute!
  • In diesem Zusammenhang müssen auch die Ängste einer Frau erwähnt werden, die mit der Diskriminierung der Familie in einer – bis in die 1960er Jahre – überaus konservativen Klein- und Universitätsstadt verbunden waren. Der prominente Vater hatte darunter (subjektiv) oftmals weniger zu leiden als die Kinder und die eigene Frau!
  • Ängste vor einem möglichen Berufsverbot für die eigenen Kinder in den 1970er Jahren.
  • Und schließlich – vor allem in den letzten Jahren in Frankfurt – die Sorge um den Gesundheitszustand von Wolfgang Abendroth, den nur sie wirklich kannte. Es waren nicht nur der Verlust der Sehfähigkeit, der ihn mehr und mehr behinderte, sondern die Folgen von Haft und Folter, die ihm gelegentlich die Sprache verschlugen oder ihn umwarfen! Ohne den Schutz von Lisa – so hat er uns immer wieder gesagt – hätte er in diesen Jahren seine Aktivitäten gegen die Berufsverbote und für die Friedensbewegung, seine Auftritte bei Gewerkschaften (einschließlich der Lehrtätigkeit an der Frankfurter AdA), aber auch seine wissenschaftlichen und publizistischen Arbeiten niemals bewältigen können. Lisa konnte die Aufgabe dieses lebensnotwendigen Schutzes nur erfüllen, indem sie die vielfältige Inanspruchnahme von Wolfgang Abendroth kontrollierte und auch reduzierte. Das führte notwendig zu Konflikten; einigen erschien sie als durchaus abweisende Wächterin. Aber diese Rolle war – als eine Art Lebensversicherung für Wolf – unverzichtbar.

In diesem Zusammenhang soll eine zweite Dimension dieser Schutzfunktion erwähnt werden. Gerade angesichts der permanenten politischen Angriffe, aber auch, weil sie mit dem Staatsrechtslehrer und Politikwissenschaftler Abendroth verbunden war, setzte sie sich dafür ein, dass dessen wissenschaftliches Werk – zu seinen Lebzeiten, aber vor allem auch nach seinem Tode – nicht an den Rand und in Vergessenheit gerät und vollständig von dem Bild des »roten Agitators« überlagert wird.[3] Sie hatte sich immer gewünscht, dass Wolf die Geschichte des Widerstandes im Dritten Reich vollendet, dass er – im Anschluss an Paschukanis – eine materialistische Rechtssoziologie schreiben würde. In diesem Sinne hat sich Lisa in den letzten Jahren sehr dafür eingesetzt, dass im Offizin-Verlag in Hannover eine Werk­ausgabe seiner Schriften erscheinen kann (bisher sind zwei Bände erschienen). Auch auf diesem Felde musste sie gelegentlich hart auftreten und es kam zu Kontroversen, auch zu Verletzungen.

Allerdings musste sie auch zu Lebzeiten ihres Mannes diesen immer wieder – mit einer gewissen Strenge – drängen, wissenschaftliche Projekte nicht zu vernachlässigen. Immerhin fällt auf, dass zwischen 1961 und 1968 (also nach dem Ausschluss aus der SPD) wichtige Schriften von Abendroth verfasst wurden: »Aufstieg und Krise der deutschen Sozialdemokratie«, die »Sozialgeschichte der europäischen Arbeiterbewegung«, das »Grundgesetz«, die Aufsatzsammlung »Antagonistische Gesellschaft und politische Demokratie« sowie die Einführung in die politische Wissenschaft (als Herausgeber mit Kurt Lenk). Bei all diesen Texten spielt Lisa – redaktionell wie konzeptionell – eine zentrale Rolle.[4]

Die Historikerin Lisa Abendroth pochte stets auf die genaue, historisch konkrete Analyse; im legendären Oberseminar, an dem sie teilnahm, war sie berühmt dafür, wie sie die hochtheoretischen Debatten der Nachwuchsleute immer wieder – mit äußerster Strenge – auf den »Boden der Tatsachen«  zurückholte. Dass Wolfgang Abendroth so häufig das Adjektiv »realhistorisch« (neben »realsoziologisch«) verwendete, war ohne Zweifel auch auf die Historikerin an seiner Seite zurückzuführen! Wir wissen, dass sie das Spätwerk von Peter Weiss, die »Ästhetik des Widerstandes«, besonders schätzte und dass sie mit Wolf zusammen darüber geschrieben hat! Nicht nur der Widerstand der Arbeiterbewegung nach 1933 sondern auch der von Weiss entwickelte zentrale Gedanke der notwendigen Einheit von Sozialdemokraten und Kommunisten – gleichsam das Leitmotiv des politischen Wirkens von Abendroth seit dem Ende der Weimarer Republik – hat sie dabei besonders fasziniert!

In dem Maße, wie Lisa seit der zweiten Hälfte der 1960er Jahre einen größeren Einfluss auf die Arbeiten ihres Mannes nahm, wurden ihr freilich auch Defizite und Widersprüche ihrer eigenen Rolle bewusst. Es war die Zeit der Auf- und Umbrüche, die wir mit dem Jahr 1968 verbinden. Dazu gehörte auch der Aufbruch der neuen linken Frauenbewegung, die es als selbstverständlich ansah, dass sich die Frauen aus ihrer subalternen Rolle – auch gegenüber den prominenten linken Männern – befreien, dass sie selbständig arbeiten können und so auch anerkannt werden. Lisa gehörte mit Wolf einer Generation von SozialistInnen und KommunistInnen an, die die Zeit der Verfolgungen, der permanenten Bedrohung der Existenz, der Angst erlebt hatten – für die deshalb auch der Gedanke des Schutzes untereinander und des Schutzes der Kinder an erster Stelle stehen musste. Dennoch hat es Lisa bis an ihr Lebensende immer wieder mit Bitterkeit vermerkt, dass es ihr nicht mehr gelungen ist, noch einmal selbständig als Historikerin der Arbeiterbewegung arbeiten zu können – und dass auch Wolf und seine Schüler, um deren berufliche Zukunft sich die beiden stets gekümmert haben, dabei versagt haben.

So sehr ihr Leben mit dem wissenschaftlichen und politischen Werk von Wolfgang Abendroth verbunden ist, so war Lisa doch eine höchst eigenständige Person. In der Frankfurter und Hessischen SPD, die sie erst im Jahr 2001 verließ, war sie eine hochgeschätzte Genossin. Ihr Auftritt auf dem Parteitag der Hessen-SPD in Baunatal im Jahr 1992, als es um den Asylartikel des Grundgesetzes ging, wurde sie – nach Presseberichten – mit Ovationen bedacht. Sie hatte gegen den damals amtierenden Ministerpräsidenten (und Abendroth-Schüler) Hans Eichel die Mehrheit der Delegierten davon überzeugt, dass der Artikel 16 des GG nicht geändert werden soll. Die »Grand Old Lady der hessischen Sozialdemokratie«, schrieb die taz, sagte u.a.: »Ich habe erfahren, was es heißt, politisch verfolgt zu sein. Und die Genossinnen und Genossen, die nicht in andere Länder fliehen konnten, wurden von den Nazis ermordet. Was würden die Verfolgten von damals zu der Asyldebatte unter Sozialdemokraten heute sagen?«  Diese – so die taz weiter – »unter die Haut gehende Rede Lisa Abendroths war der Höhepunkt der knapp fünfstündigen engagierten Debatte«. Solche Auftritte hatte Lisa immer wieder – ich selbst erinnere mich an ein Abendroth-Forum bei der IG Metall in Nürnberg, bei der sie mit einer ebenfalls fulminanten Rede den damaligen Bundesgeschäftsführer der SPD, Peter Glotz, ziemlich schwach aussehen ließ.

Die Begründung ihres Austritts aus der SPD im Jahr 2001 – nach 50 Jahren – ist ein bemerkenswertes Dokument des Linkssozialismus in Deutschland; denn sie betont, dass sie meist von links gegen die herrschende Linie in der Partei opponiert habe (Wiederbewaffnung, Godesberg, Ausschluss von SDS und Wolfgang Abendroth; Notstandsgesetze, Berufsverbote usw.). Nunmehr habe sie jedoch angesichts der Außenpolitik und der Wirtschafts- und Finanzpolitik der rot-grünen Regierung die Hoffnung aufgegeben, dass ihre Partei noch die Interessen der Arbeitnehmer ernst nimmt. Sie wollte es nicht akzeptieren, dass Deutschland wieder bei Kriegen in der ganzen Welt (oder auch nur am Hindukusch) dabei ist.

Und noch eine typische Episode – zusammen mit Wolf. Reinhard Schwitzer, 1. Bevollmächtigter der IG Metall in Hannover, hat darüber auf der Tagung aus Anlass des 100. Geburtstages von Wolfgang Abendroth im Haus der IG Metall in Frankfurt berichtet. Wolf sprach – in den späten 1970er Jahren – im Freizeitheim Hannover-Linden bei einer Versammlung gegen die Berufsverbote. Er nannte dabei die prominenten Opfer der Politik der Berufsverbote in Deutschland seit dem Sozialistengesetz. Als er – unter Beifall – das Rederpult verlassen hatte, fragte er sogleich Lisa (deutlich im Saal zu verstehen), ob seine Ausführungen denn richtig gewesen seien. Lisa: »Ja, Wolfgang! Nur, Du hast den Carl von Osszietzky vergessen!« Daraufhin stöhnte Abendroth mehrfach: »Um Himmels willen, ich habe ja den Ossietzky vergessen!« So waren sie!

Mir liegt ein umfangreiches, handschriftlich ausgearbeitetes Vortragsmanuskript von Lisa zum 60. Jahrestag der Machtübertragung an Hitler und den Faschismus vor – also zum 31. Januar 1993. Am Ende dieses Referats macht sie eine »persönliche Bemerkung«, die ich zum Abschluss zitieren möchte: »Ich habe anfangs gesagt, dass ich nicht im Widerstand war, dass ich genauso wie die Mehrheit des Volkes zu allem geschwiegen habe, zuerst aus Unwissenheit, später – als mir die ganze Unmenschlichkeit des Regimes bewusst wurde – aus Angst, aus Feigheit. Das empfinde ich auch heute noch als meine Schuld. Ich habe mir 1945 vorgenommen, mich nie wieder so schändlich zu verhalten, zu protestieren, wenn Bürgerrechte eingeschränkt und Menschenrechte missachtet werden. Deshalb bin ich heute hier!«

Das war Lisa Abendroth, eine große Sozialistin! Wir danken ihr und wir werden sie nicht vergessen!

Frank Deppe ist em. Professor für Politikwissenschaften an der Universität Marburg, Mitherausgeber von Sozialismus und Autor von »Politisches Denken im 20. Jahrhundert« (insgesamt fünf Bücher in vier Bänden, erschienen im VSA: Verlag Hamburg).

[1] Von ihrem Doktortitel hat Lisa erst wieder Gebrauch gemacht, als sie nach dem Tod von Wolf in das Wohnstift in der Frankfurter Waldschmittstraße zog. Sie sagte einmal, der Dr. sei hilfreich, um notwendige Distanz zu schaffen. Immerhin lebte sie dort unter AltersgenossInnen, von denen viele sich im Dritten Reich durchaus wohl gefühlt hatten und mit dem Namen Abendroth sowie mit den Begriffen Sozialismus und Kommunismus extrem negative Urteile und Ausgrenzungen verbanden. Im Essensraum des Stifts wurde »Frau Dr. Abendroth« einmal mit der lauten Frage konfrontiert, wie es denn möglich gewesen sei, dass ihr Mann, der doch immerhin vier Jahre im Zuchthaus gesessen habe, noch Professor in Deutschland geworden sei. Es gehört vielleicht zur Ironie der Geschichte, dass sie ihre letzten Tage im Stift mit jenem CDU-Politiker verbrachte, der noch in Marburg (später wurde er u.a. Hessischer Ministerpräsident) eine Kampagne in der örtlichen Presse gegen den »kommunistischen Agitator« Wolfgang Abendroth u.a. mit dem Argument eröffnete, dieser sei 1937 von einem »ordentlichen deutschen Gericht«, von »deutschen  Berufsrichtern« wegen »kommunistischer Wühltätigkeit« zu vier Jahren Zuchthaus verurteilt worden.
[2] Dieser Artikel erscheint übrigens wieder in einem – u.a. von Andreas Fischer-Lescano herausgegebenen – Sammelband über Wolfgang Abendroth in der Reihe »Staatsdenker« des Nomos-Verlages.
[3] Der Marburger Jurist Erich Schwinge, der Anfang der 1950er Jahre mit allen Mitteln versuchte, die Berufung von Abendroth nach Marburg zu verhindern, fügte seinen posthum erschienenen Lebenserinnerungen (in denen er seine Schriften zur NS-Militärjustiz, die Todesurteile, die er als Kriegsrichter verhängt hatte und seine Tätigkeit als Verteidiger von Nazi-Kriegsverbrechern rechtfertigte) ein Kapitel über »Wolfgang Abendroth« und eines über die »68er Bewegung« hinzu. Abendroth wurde dort als kommunistischer Agitator verteufelt, der angeblich über die Fähigkeit verfügte, bei seinen Schülern »Gehirnwäsche« zu betreiben.
4 An dieser Stelle will ich gerne eine persönliche Erinnerung hinzufügen. Es war Ostern 1966; ich war Mitarbeiter am Institut und wollte an einem der Feiertage eine Unterlage aus dem Institut holen. Ich bemerkte, dass Wolfgang Abendroth in seinem Arbeitszimmer – bei offener Tür – saß. Er schrieb in seiner kleinen Schrift an einem Text und begann sofort zu klagen. »Lisa hat mich ins Institut geschickt. Ich darf nicht zurückkommen, bevor nicht das Manuskript für das ›Grundgesetz‹ endlich fertig wird; der Verleger Neske sitzt Lisa im Nacken!« Wie das Vorwort zu dieser Schrift von Ende April 1966 beweist, war die­se sehr praktische Aktion durchaus erfolgreich.

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