1. November 2005 Martin Dieckmann

Markt Macht Meinung

Turbulente Zeiten in der Medienpolitik: Die EU-Kommission greift den öffentlich-rechtlichen Rundfunk in Deutschland an, Verlagskonzerne rütteln am Kartellrecht. Und nun kündigt Axel Springer die Übernahme der Sendergruppe ProSiebenSat.1 an. Wohlweislich gelassen zeigt sich Bertelsmann (RTL-Gruppe). Denn Bertelsmann darf nun einen gut bekannten Wettbewerbspartner auf Augenhöhe erwarten. Die Medienwirtschaft scheint auf dem Weg zum "Duopol", und die Kontroverse darüber ist, wenn auch auf kleiner Flamme, entbrannt. Sie durchkreuzt bislang alle parteipolitischen Lager. Martin Dieckmann fragt, was dabei auf dem Spiel steht und worin der Einsatz der Linken bestehen könnte.

Die Reaktionen auf den angekündigten Deal reichen von apathischer Resignation – namentlich in linken Kreisen – bis hin zu plötzlicher Aufgeregtheit und auch nachhaltiger Kritik, insbesondere von Gewerkschaften, aber auch von orthodoxen Wirtschaftsliberalen. Nicht zu vergessen die geteilten Meinungen bei Konkurrenten im Zeitungsgeschäft. Ausgerechnet Guido Westerwelle handelte sich einen geharnischten Brief des einflussreichen Kölner Verlegers Alfred Neven DuMont ("Kölner Stadtanzeiger", "express") ein. Hatte nicht maßgeblich die FDP die Deregulierung des Kartellrechts für Zeitungsverlage mit verhindert? Und nun darf ausgerechnet der Zeitungsriese Axel Springer auf dem Fernsehmarkt zulangen? Dass die Fronten kreuz und quer durch die politischen Lager gehen, hat auch damit zu tun, dass hier gleichermaßen Kartellrecht wie Medienrecht berührt werden. Wirtschaftsliberale pochen aufs Kartellrecht ("Grundgesetz der Marktwirtschaft"), vornehmlich kritische Medienpolitiker aufs Medienrecht (Begrenzung von "Meinungsmacht"). Ob und wie Kartell- und Medienrecht ineinander greifen, wird zur Schlüsselfrage für die Medienkonzentrationskontrolle.

"Shalom" – eine riskante Operation

In unternehmerischer Perspektive liegt die Operation "Shalom", wie Springer-intern das Übernahme-Projekt genannt wurde, ganz in der Entwicklungslogik der Medienkonzern-Strategien, nicht nur von Axel Springer. Die Konzeption eines integrierten Medienkonzerns wurde bereits seit Einführung des Privatfernsehens Mitte der 1980er Jahre verfolgt. Freilich handelte es sich dabei vorrangig um reine Expansion bei wenig klar geordneten Kerngeschäftsfeldern. Im Gefolge des Kriseneinbruchs, erst der so genannten NewMedia auf den neuen Märkten, dann in der gesamten Medienwirtschaft ab Sommer 2001, waren die Medienkonzerne dazu übergegangen, eine Neuordnung ihrer "Portfolios" vorzunehmen und damit ihre Kerngeschäfte neu zu bestimmen und abzusichern.[1] Damit verbunden waren teilweise dramatische Eingriffe in den Unternehmen – zur Konsolidierung, Restrukturierung, in einigen Fällen bis hin zur Sanierung.

Axel Springer war früher als andere Medienunternehmen, und zwar noch in Boom-Zeiten, in eine strategische Schieflage geraten. Ebenfalls früher als anderswo setzte ein drakonisches Konsolidierungsprogramm ein. Der Abbau von Arbeitsplätzen ging einher mit einer Neuausrichtung der Geschäftsfelder, mit der Folge, dass der Konzern hervorragende Zahlen ausweisen kann. Nicht nur die Erlöse sind glänzend, auch die Erlösstrukturen sind außerordentlich stabil. Man kann also wieder auf inneres und äußeres Wachstum setzen – und dies auf einer vergleichsweise sicheren Basis.

Aber wo und wohin "wachsen"? Im Inland ist weder auf den Zeitungs- noch den Zeitschriftenmärkten mit größerem Wachstum zu rechnen. Die Auslandsgeschäfte von Axel Springer expandieren weiterhin, auch hierbei handelt es sich vorrangig um Zeitungen und Zeitschriften. Die Entscheidung, in den inländischen Fernsehmarkt zu investieren, und dies bei ProSiebenSat.1, wo Axel Springer bislang schon Minderheitengesellschafter ist, liegt in der Logik dieser unternehmerischen Entwicklung. Ähnlich hatte sich bereits die Heinrich Bauer Verlagsgruppe für ProSiebenSat.1 als zusätzliches Geschäftsfeld interessiert.

Dennoch birgt die Operation für Axel Springer große Risiken. Auch ProSiebenSat.1 hat einen längeren Prozess von Restrukturierungen hinter sich gebracht und kann erstmals schwarze Zahlen vorweisen. Die Prognosen der weiteren Entwicklung gehen aber ins Ungewisse, insbesondere durch die heftigen Erschütterungen des Werbemarktes als bislang vorherrschender Erlösquelle des Privatfernsehens.

Axel Springer hat einen exorbitant hohen Preis für ProSiebenSat.1 zahlen müssen – und glaubt sich diese Hypothek auch leisten zu können. Die Erwartungen gründen jedoch auf einem fortschreitenden mittleren Einnahmeniveau auf den Werbemärkten. Größere finanzielle Reserven muss man für die Abwehr beziehungsweise Übernahme des Geschäfts mit Gratiszeitungen bereithalten. Auf weitere und nachhaltige Friktionen etwa auf den Werbemärkten ist man damit nicht hinreichend eingestellt. Das macht das Unternehmen insgesamt unbeweglich und in der Zukunft womöglich auch angreifbar. In Krisenzeiten wären dann Verkäufe angesagt. Von so genannten Nebengeschäften hat sich Axel Springer aber weitgehend getrennt, Verkäufe müssten dann die bisherigen Kernbereiche treffen.

Ein Medien-"Duopol" Axel Springer-Bertelsmann?

Schon heute stellen die beiden Sendergruppen ProSiebenSat.1 und RTL-Group faktisch ein Duopol im Privatfernsehen dar. Zusammen verfügen sie über Zweidrittel der Zuschaueranteile am Privatfernsehen, und den Fernseh-Werbemarkt dominieren beide überragend mit zusammen 80% aller Einnahmen. Legt man die Zuschaueranteile am privaten Fernsehen zugrunde, berühren beide Unternehmensgruppen längst die einschlägigen Grenzwerte von Marktbeherrschung. Dies gilt freilich nicht unter Berücksichtigung der Zuschaueranteile am gesamten bundesweiten Fernsehen, also einschließlich der öffentlich-rechtlichen Programme, die bundesweit auf immerhin 40% der Zuschaueranteile kommen. Der für das Fernsehen relevante Rundfunkstaatsvertrag hat – im Übrigen mit Billigung des Bundesverfassungsgerichts – ein solches Duopol in Kauf genommen, sofern die Balance zwischen privatem und öffentlich-rechtlichem Fernsehen gewahrt bleibt. Dass zwei derart starke Marktmächte sowohl Wettbewerb als auch Kooperation pflegen, ist nicht bloße Wettbewerbstheorie. Erst kürzlich haben beide Unternehmensgruppen mit dem Kartellamt über ein Joint-Venture zur Abwehr von Wettbewerbern im digitalen Fernsehen beraten.

Übernimmt nun Axel Springer die ProSiebenSat.1-Gruppe, verstärkt sich einerseits dieses Duopol erheblich, andererseits wirkt sich dieses massiv auf andere Medien, vor allem die Printmedien aus, aber auch die so genannten vor- und nachgelagerten Märkte. Axel Springer ist Europas größter Zeitungskonzern, die BILD-Zeitung allein ist absolut marktbeherrschend auf dem Massenmarkt der Boulevard-Zeitungen in Deutschland. Täglich erreicht die BILD-Zeitung weitaus mehr als das Doppelte ihrer Käufer, nämlich insgesamt über 10 Millionen Menschen. Das macht mehr als 20% der gesamten Reichweite aller Tageszeitungen aus. Dazu kommen noch die anderen Titel der BILD-Gruppe. Bertelsmann, das die RTL-Gruppe mehrheitlich besitzt, kontrolliert über ihre Tochterunternehmen (bei den Zeitschriften vor allem Gruner + Jahr [G+J], Europas größter Zeitschriftenkonzern) große Teile des Zeitschriftenmarktes, dazu noch Buchmärkte. Der "Stern", führende Zeitschrift von G+J, verfügt über eine Reichweite von 8 Millionen Lesern, wenn auch nur bei wöchentlichem Erscheinen. Bertelsmann mitsamt G+J und Axel Springer kooperieren zudem durch das Gemeinschaftsunternehmen Prinovis (Tiefdruckereien). Wie eng sich Machtstrukturen in Form einer Konkurrenz durch Kooperation verzahnen, ist hinlänglich bekannt. So wundert es nicht, dass eben diese Verflechtungen namentlich orthodoxe Wirtschaftsliberale und die Kartellbehörde auf den Plan rufen.

Kritik, Bedenken und – leider nur schwacher – Protest richten sich aber vorrangig auf die Potenziale, die in der Verbindung von Privatfernsehen insbesondere mit der BILD-Zeitung vermutet werden. Deren Kampagnenbereitschaft und Kampagnenfähigkeit ist hinlänglich bekannt. Medien- und Kommunikationswissenschaftler kennen zur Genüge die Bedeutung des so genannten Agenda-Settings, also der Macht, Themen nicht nur zu besetzen, sondern regelrecht zu setzen. Dabei muss es sich nicht um explizit politische Themen handeln, die zeitgeistgerechte Verpackung medialer Leitbotschaften gehört zum professionellen Handwerk insbesondere auf dem Boulevard.[2] Beschwichtigende Erklärungen des Axel-Springer-Vorstandes, niemand wolle politische Richtungen vorgeben, entbehren zum einen der Überprüf- und Belegbarkeit, zum anderen sorgen sie dafür, die Prägungen sozial-kultureller Haltungen, Ressentiments usw. zu unterschätzen. Richtig ist allerdings, dass es nicht der Ausweitung der so genannten Unternehmensgrundsätze weltanschaulicher Art, denen bislang Print-Redakteure bei Axel Springer unterliegen, auf Fernsehredaktionen bedarf. Die keineswegs verborgenen Mechanismen der Meinungsmacht durchbrechen schon heute wirksam auch Bereiche, wo formell für innere Presse- und Rundfunkfreiheit (etwa durch Redaktionsausschüsse oder Redaktionsstatute) gesorgt sein sollte.

Eine Medienmacht, wie sie sich in einem Duopol Bertelsmann-Axel Springer formieren würde, entfaltet ihren Einfluss aber nicht nur über die eigenen Medien. Schon als reine Markt- und Wirtschaftsmacht wird eine derartige Medienmacht zu einem politischen Faktor, bedenkt man allein den Einfluss, den Medienunternehmen bereits heute auf sämtlichen Ebenen von Wirtschafts- und Gesellschaftspolitik nehmen. Beide Konzerne sind in allen Arbeitgeber- und Wirtschaftsverbänden aller Mediensparten vertreten. Und nach wie vor gilt die Medienwirtschaft – wie auch immer begründet – als bevorzugtes Objekt von Wachstumswünschen gerade aus den Kreisen der Politik, die Medienpolitik systematisch zu reiner Standortpolitik heruntergewirtschaftet hat.

Kartell- und medienrechtliche Regulierung – Kontroversen mit Perspektiven

In der öffentlichen Darstellung und Diskussion geraten nun immer wieder zwei Regulierungsebenen der Konzentrationskontrolle durcheinander, was insbesondere die beiden entscheidenden Instanzen, das Kartellamt und die Kommission zur Ermittlung der Konzentration im Medienbereich (KEK), betrifft. Das Kartellamt untersucht und entscheidet auf der Grundlage des Kartellrechts (Gesetz gegen Wettbewerbsbegrenzung), die KEK hat auf der Grundlage des Rundfunkstaatsvertrages zu entscheiden. Kartellrechtlich geht es einzig und allein um Marktstellungen, medienrechtlich, nach dem Rundfunkstaatsvertrag, geht es explizit um die Begrenzung von "Meinungsmacht".

Das Kartellamt hat nicht nur nichts mit "Meinungsmacht" zu tun, es darf sich darum auch gar nicht kümmern. Etliche Situationen sind denkbar, in denen Meinungsmacht bei kartellrechtlich unbedenklichen Situationen entsteht. Und umgekehrt sind durchaus Situationen möglich, in denen keine vorherrschende Meinungsmacht, wohl aber Marktbeherrschung droht. Aufmerksam wird nun die Entscheidung des Kartellamtes erwartet, weil erstmals so genannte cross-mediale Marktmacht untersucht wird. Das Kartellamt prüft intensiv, wie weit das Fernsehen marktverstärkende Rückwirkungen auf die BILD-Zeitung haben kann. Diese müssen aber belegbar sein. Außerdem prüft es, wie weit Axel Springer mit der Fusion in die Lage versetzt wird, Werbekunden wettbewerbsverzerrende Sonderangebote zur Doppelverwertung – in Zeitungen und Fernsehen – zu machen. Hier sind Verhaltensauflagen möglich, wenn auch schwierig zu definieren und noch schwieriger zu kontrollieren. Erwartet werden zudem Auflagen für das gemeinsame Geschäft von Bertelsmann und Axel Springer im Tiefdruckbereich (und möglicherweise die Aufforderung, sich aus dem Geschäft ganz zurückzuziehen).[3]

Erheblich komplizierter und daher auch kontroverser stellt sich der Sachverhalt in medienrechtlicher Hinsicht dar. Der Rundfunksstaatsvertrag lässt bei einem bundesweiten Zuschaueranteil von 30% "vorherrschende Meinungsmacht" vermuten. Dieser Vermutungstatbestand soll auch schon bei 25% bundesweitem Zuschaueranteil gelten, wenn das betreffende Unternehmen auf anderen, verwandten und medienrelevanten Märkten eine Stellung einnimmt, die einem Zuschaueranteil von 5% entspricht. Kontrovers wird nun zweierlei diskutiert. Erstens erreicht ProSiebenSat.1 bislang nur ca. 22% der bundesweiten Zuschaueranteile. Die KEK ist allerdings der Ansicht, dass die Prüfung von "Meinungsmacht" auch schon vorher einzusetzen hat. Dann wären Auflagen bis hin zur Programmentflechtung denkbar. Das bestreitet Axel Springer natürlich energisch. Zweitens ist aber auch höchst kontrovers, wie denn "Meinungsmacht" auf anderen Märkten – vorrangig Zeitungen, Zeitschriften und Radio, aber auch Internet, CD und Video – ermittelt und mit Meinungsmacht im Fernsehen verglichen werden soll. Wie auch immer die einzelnen Stellungnahmen ausfallen – hier ist die Schlüsselfrage cross-medialer Konzentrationskontrolle aufgeworfen worden. Und es liegt auf der Hand, dass die Gegner einer Meinungsmacht begrenzenden Konzentrationskontrolle nuanciert jedes Detail in weitere Details zerlegen wollen, um die Anzahl der Teufel darin zu multiplizieren. Bis alle am Ende erschöpft aufgeben?

Dabei kann und darf es gar nicht um ein fachwissenschaftlich detailliertes und am Ende nicht mehr handhabbares Verfahren gehen. So genannte Aufgreifschwellen, Grenzwerte und allgemeine Schwellenwerte, wie sie in der Konzentrationskontrolle üblich sind, werden immer Ergebnis von politischen Aushandlungs- beziehungsweise Durchsetzungsprozessen bleiben. Auch die Schwellenwerte, wie sie für den privaten Rundfunk gelten (25 beziehungsweise 30% Zuschaueranteile), sind Ergebnis von fragwürdigen Kompromissbildungen, die namentlich die Handschrift von Bertelsmann und auch der SPD-Standortpolitik tragen. Hier gilt halt die Regel von Klotz und Keil: Durch Kapitalkonzentration nicht nur im Medienbereich zugemutete Grobheiten sind auch nur entsprechend grob zu begrenzen. Schließlich gelten in anderen Staaten, etwa den USA, viel strengere Regeln für cross-mediale Fusionen. Entsprechend grob ist ja auch die gesetzliche Bestimmung, oberhalb von 25% Meinungsmacht auf anderen Märkten prüfen zu lassen. Dieser Passus kam maßgeblich über den Streit, welcher Schwellenwert denn angemessen (oder den Unternehmen wie RTL-Bertelsmann zuzumuten!) sei, zustande. Ob man seinerzeit schon daran dachte, es käme ernsthaft zur Diskussion über ein entsprechendes Prüfverfahren?

In der öffentlichen Diskussion völlig unbeachtet, ist jetzt entscheidend geworden, dass Meinungsmacht und Meinungseinfluss nunmehr quer über alle Medien ermittelt werden sollen. Dies gilt, dem Gesetz nach, natürlich nur mit dem Ziel, Meinungseinfluss im Fernsehen zu begrenzen. Wenn aber Meinungsmachtverstärkung im Fernsehen über Meinungsmacht in Printmedien geprüft werden kann, dann gilt auch die Umkehrung. Man hätte dann – und das wäre in der Tat ein medienpolitisches Novum – ein Verfahren gefunden, Medienkonzentration im Printbereich nicht nur kartellrechtlich, also rein auf Marktanteile bezogen, einzugrenzen.

Medienpolitik – strategisches Aktionsfeld für die Linke

So wird der "Fall" Axel Springer zum Brennpunkt für eine längst überfällige Diskussion, die freilich forciert werden muss – weil sie jederzeit mit den üblichen Mitteln der extrem einflussreichen Lobby insbesondere der privaten Fernsehunternehmen leichthin abgewürgt werden kann.[4] Die mit einem cross-medialen "Duopol" erreichte neue Qualität von Medienkonzentration berührt unmittelbar die verfassungsrechtlich bestimmte Geschäftsgrundlage der Medienordnung insgesamt. Während man die so genannte Vielfalt in den Printmedien allein durch konkurrierende Privatunternehmen sicherstellen wollte, galt bis Mitte der 1980er Jahre für das Fernsehen und den Rundfunk allgemein vorherrschend das Vielfaltsgebot sozusagen als "Binnenpluralismus". Der Privatfunk wurde zugelassen mit dem Verweis auf die einerseits staatlich abgesicherte und andererseits möglichst staatsfern geregelte "Grundversorgung" durch den öffentlich-rechtlichen Rundfunk. Man dachte also, für jedes Mediensegment eigene Regeln aufstellen zu können. Zumindest für den Rundfunk gilt, dass hier das Verfassungsrecht dem privaten Markt nach wie vor Grenzen gezogen hat. Hier hört der Streit zwischen der Rundfunkfreiheit als "dienender Freiheit" mit der "verdienenden Freiheit" nicht auf. (Was die privaten Rundfunkunternehmen in Deutschland nicht durchsetzen konnten, versuchen sie nun auf dem Umweg über die EU-Kommission zu erreichen: Vorrang des Wettbewerbs vor der Medienfreiheit.) Im Rundfunkstaatsvertrag werden beide Ebenen – der allgemeine Auftrag des Rundfunks, also auch des privaten, die besonderen Marktfreiheiten der Privaten und die besonderen Programmaufgaben der Öffentlich-Rechtlichen – wenn auch eher schlecht als recht austariert. Ähnliches fehlt für die Printmedien vollständig. Die Perspektive, die sich jetzt rein sachlich eröffnet, ist erstmals ein gemeinsamer Bezugsrahmen.

Medienpolitik, von links bestimmt, hat sich primär auf das Öffentliche auszurichten. Medienkonzentrationskontrolle ist primär negative Tätigkeit, sie definiert noch keine Gestaltungsräume; sie kann diese allemal freihalten. Zu lange hat man sich damit abgefunden, Residualbestandteile von öffentlichem Auftrag entweder im öffentlich-rechtlichen Rundfunk oder aber in freien Sendern mitsamt "Bürgerfunk" retten zu können und damit den Übergriff auf die letzten Rechte von Öffentlichkeit der Privatwirtschaft zu überlassen. Insbesondere innerhalb der Linken ist hier ein völlig überzeichnetes Bild von der "eh schon" gewaltigen Konzernmacht höchst gefährlich, weil es Widersprüche insbesondere im politischen Feld völlig außer Acht lässt. Daran festzuhalten, dass Medienpolitik auf Herstellung von Öffentlichkeit (Medienfreiheit auch als "dienender Freiheit") und nicht auf Besetzung von Öffentlichkeit (Unternehmensfreiheit als "verdienender Freiheit") ausgerichtet sein muss – wird auch Auftrag an eine sich neu institutionalisierende politisch-parlamentarische Linke werden. Die Probe, ob es nicht doch ein alternatives Bündnis für einen neuen medienpolitischen Konsens geben kann, steht noch aus.

Martin Dieckmann ist Referent für Medienpolitik beim ver.di Bundesvorstand.

[1] Vgl. Martin Dieckmann: "Medien-Monopoly" – Kein Ende in Sicht?, in: Sozialismus, Heft 9/2004.
[2] Axel Springer praktiziert schon heute – wenn auch im vergleichsweise kleinen Maßstab – Themenkombinationen von BILD und Fernsehprogrammen bei ProSiebenSat.1. Nachgewiesen sind zudem deutliche Marktverbesserungen von Printprodukten durch Kombination mit "Partner"-Sendungen. So kann eine "Promi"-Koch-Sendung mit entsprechender Titelwerbung schnell die Auflage einer an sich miserablen Food-Zeitschrift steigern helfen.
[3] Der Aufforderung, sich aus dem Tiefdruckmarkt zurückzuziehen, dürfte Axel Springer allerdings gelassen entgegensehen. Schon vor einiger Zeit hatte man im Management überlegt, sich vom Tiefdruckgeschäft ganz zu trennen.
[4] Der Verband der privaten Rundfunkunternehmen, VPRT, übt einen enormen Einfluss auf medienpolitische Entscheidungen aus. Insbesondere der öffentlich-rechtliche Rundfunk hat massiv darunter zu leiden, dass vor allem Zeitungsverleger über ihre Anteile am privaten Fernsehen VPRT-Mitglieder sind. Medienpolitik kennt in Medien wenig unabhängige Stimmen. Fachpresse und Publikumspresse liegen da oft weit auseinander.

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