24. November 2017 Otto König/Richard Detje: Milliardengewinne und Standortschließungen – Radikalumbau bei Siemens

»Mensch vor Marge«

Ein kühler Herbsttag in München: Drinnen in der Konzernzentrale des Technologiekonzerns Siemens[1] verkündet Vorstandsvorsitzender Joe Kaeser auf der Bilanzpressekonferenz einen Milliar­dengewinn.

Draußen am Wittelsbacher Platz demonstrieren aufgebrachte »Siemensianer« gegen Arbeitsplatzvernichtungspläne in den Divisionen »Power und Gas« sowie »Prozessindustrie und Antriebe«. Auf ihren Plakaten ist zu lesen: »Wir geben den nackten Zahlen ein Gesicht«. Europas größtem Industriekonzern steht ein heißer Herbst bevor.

»Mich treibt nicht das Geld. Mir ist wichtig, was die Menschen einmal über meine Amtszeit sagen«, so Joe Kaeser bei seinem Amtsantritt in einem Interview mit dem Focus. (32/2013) Doch nun, vier Jahre später, sollen wegen ein Prozent weniger Marge in der Kraftwerkssparte Standorte geschlossen, tausende Arbeitsplätze wegradiert und Betroffene möglicherweise per betriebsbedingter Kündigung auf die Straße gesetzt werden. Der Siemens-Chef, der noch unlängst die Verantwortung der Eliten in Deutschland hervorgehoben hatte – es müsse »die Aufgabe von uns allen sein, Menschen, die sich zurückgesetzt fühlen, einzubinden und ihnen Perspektive zu geben« –, hat nun einen Großkonflikt mit den Arbeitnehmer_innen und der IG Metall vom Zaun gebrochen.

Umbau des Konzerns

Kaeser forciert mit »Siemens Vision 2020« den radikalen Umbau der Konzernstrukturen und -geschäftsfelder. Der Vorstandsvorsitzende, der zu Beginn seiner Tätigkeit »Ruhe in den Konzern« bringen wollte, sorgte mit milliardenschweren Zu- und Verkäufen für Unruhe. Fielen 2014 vor allem der Verschlankung der Konzernstrukturen rund 12.000 Arbeitsplätze zum Opfer, geht es jetzt um die Zerschlagung des »Konglomerats alten Zuschnitts« mit dem Ziel, »fokussierte Spezialisten« in den Wachstumsfeldern Elektrifizierung, Automatisierung und Digitalisierung zu schaffen.

Otto König ist Mitherausgeber, Richard Detje ist Redakteur von Sozialismus.

[1] Der Konzern hat eine wechselvolle Geschichte hinter sich: Produktion von Telefonen, Computer, Halbleiter und Geldautomaten. Abstecher mit dem Zulieferer VDO ins Automobilgeschäft. Die Lichtfirma Osram, der Haushaltsgerätehersteller Bosch Siemens, der Chipbauer Infineon, das Telekommunikationsgeschäft mit Handys und Netzwerken: Alle gehörten zum Siemens-Konzern, wurden inzwischen abgestoßen.

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