26. September 2012 Franz Segbers

Menschenrechte und neoliberale Globalisierung auf den Philippinen

Die Philippinen sind ein Land, das reich an Bodenschätzen, Ressourcen und gut ausgebildeten Fachkräften ist. Und doch ist es ein Land, in dem über 60% weniger als zwei US-Dollar am Tag zum Leben haben.


Verteidiger von Menschenrechten werden verfolgt und riskieren ihr Leben

Seit den 1980er Jahren leiden die Philippinen unter Strukturanpassungsprogrammen des Internationalen Währungsfonds (IWF), um die Auslandsverschuldung bedienen zu können, die fast ein Drittel des Haushaltes ausmacht. Das behindert eine Entwicklung des Landes, die an den Grundbedürfnissen und der Achtung der sozialen Menschenrechte ausgerichtet ist.

Während Menschenrechtsverletzungen in Kuba oder dem Kongo öffentlich registriert werden, werden die politischen Morde auf den Philippinen hierzulande kaum zur Kenntnis genommen. Dabei wurden nach einer Untersuchung der UNO allein in den Jahren 2001 bis 2010 unter der Präsidentschaft von Gloria Macapagal-Arroyo 1.206 politische Morde begangen und 206 Menschen entführt. Auch unter der jetzigen Regierung des Präsidenten Aquino III geht das Morden, Verschleppen und Verschwindenlassen von Menschenrechtlern, Gewerkschaftern, Umweltaktivisten, Richtern, Journalisten, Kirchenleuten und unschuldigen Zivilisten weiter. Die Täter bleiben straffrei oder werden gedeckt. Nicht eine einzige Anklage wurde bislang erhoben.

Die politischen Morde bilden jedoch nur die Spitze einer strukturellen Gewalt, die die ganze Gesellschaft durchzieht. Die Verletzung von wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Rechten, wie z.B. das Recht auf soziale Sicherheit, auf Nahrung, Bildung, Wohnen und Gesundheit, ist allgegenwärtig. Auf den Philippinen spricht man von »Entwicklungsaggression« und bezeichnet damit ein Vorgehen gerade bei Bergbauprojekten, die ohne Rücksicht auf die Bevölkerung oder die Umwelt durchgesetzt werden. So verwundert nicht, dass zahlreiche Opfer gerade aus den Agrarreform- und Antibergbaubewegungen stammen, die Widerstand gegen die Verletzung ihrer wirtschaftlichen und sozialen Menschenrechte durch die Entwicklungsaggression leisten. »In vielen Fällen arbeiten einzelne Individuen und Organisationen daran, das Recht auf eine gesunde Umwelt zu verteidigen«, so Margaret Sekaggya, Sonderbotschafterin für Menschenrechtsverteidigung. »Bei Kontroversen über Landrechte und Kampagnen gegen Bergbau- und Dammprojekte, beim Schutz der Rechte der einheimischen Gemeinschaften wird nicht selten gegen jene, die solche Rechte verteidigen, selten Gewalt angewendet.«[1]

Zur Erinnerung an den 2006 auf den Philippinen ermordeten Erzbischof Alberto Ramento und die vielen Hundert toten Menschenrechtsaktivisten und gegen eine »Kultur der Straffreiheit« fand Anfang Oktober 2012 in Manila ein internationaler Kongress statt, auf dem der folgende Beitrag vorgetragen wurde. Der Kongress will gegen die »Kultur der Straflosigkeit« angehen, welche die Täter schützt und die Opfer in die Vergessenheit drängen will. Bischof Ramento hatte die anhaltenden politischen Morde von Umwelt­aktivisten, Gewerkschaftern, Richtern, Journalisten und Kirchenleuten verurteilt. Nachdem er sich mit streikenden Arbeitern solidarisiert hatte, hatte man ihn vorgewarnt mit einer SMS: »Wir werden dich beseitigen, aber nicht mit einer Kugel.« Mutig hat er geantwortet: »Ich weiß, dass man mich umbringen wird, aber ich werde meinem Dienst an Gott und der Verpflichtung meinem Volk gegen­über nicht aufgeben.«[2] Am frühen Morgen des 3. Oktober 2006 wurde er tot in seinem Pfarrhaus in Tarlac City in der Nähe von Manila aufgefunden.

Es ist gefährlich, die Frage nach den Gründen für die Armut in einem reichen Land wie den Philippinen zu stellen. In einer Predigt machte sich Bischof Ramento mit dieser Bemerkung angreifbar: »Unsere Bauern, die Reis produzieren, und unsere Fischer, die Fische fangen, haben weder Reis noch Brot auf ihrem Tisch. Warum tragen Filipinos zum Aufbau anderer Länder bei, nur zum Aufbau ihres eigenen nicht? Weil unsere qualifizierten Arbeiter in Saudi-Arabien sind, unsere Ärzte, Krankenschwestern und anderen Fachkräfte in den USA, Kanada, England und Australien arbeiten. Weil ihre Eltern arm sind und sich nicht einmal einfache Medikamente kaufen können. Aber warum sind sie arm in einem sehr reichen Land?« Bei einem Aufenthalt in England stellte er erneut die Frage: »Schaut euch bitte das Beispiel der extremen Armut auf den Philippinen an. Die Philippinen sind reich an natürlichen Rohstoffen wie Gold, Eisen und fruchtbarem Land, aber auch an Arbeitskräften. Wir haben viele qualifizierte Arbeiter, Ärzte, Ingenieure und Krankenschwestern. Warum ist es dann ein unterentwickeltes Land, in dem Kinder an heilbaren Krankheiten wie Lungenentzündung und Durchfall sterben?« Der berühmte brasilianische Bischof Dom Helder Camara hatte die gleiche wichtige Frage nach dem »Warum« herausgestellt. Bekannt wurde er für seine Worte: »Wenn ich den Armen Brot gebe, dann nennt man mich einen Heiligen. Wenn ich frage, warum sie kein Brot haben, dann nennen sie mich einen Kommunisten.«


Menschenrechte im Neoliberalismus

Mit Bischof Alberto Ramento und den vielen Menschenrechtsaktivisten ist die Frage zu stellen, warum es Hunger in einer Welt gibt, obwohl mehr als genug Lebensmittel vorhanden sind. Warum ist es auch gefährlich, die Frage nach dem »Warum« zu stellen?

Seit der UN-Deklaration der Menschenrechte im Jahr 1948 hat die Menschengemeinschaft den Bewohnerinnen und Bewohnern dieser Erde das Recht auf Nahrung, Arbeit und auf soziale Sicherheit sowie weitere Rechte versprochen. Die Menschenrechte spielen ohne Zweifel eine wichtige Rolle in der gegenwärtigen politischen Debatte. Und doch werden die, die diese verbrieften Rechte verteidigen und einfordern, in vielen Ländern verfolgt. Warum aber bleiben jene straffrei, die die Verteidiger der Menschenrechte verfolgen, verschleppen oder gar umbringen? Wir werden darauf nur eine angemessene Antwort finden, wenn wir die Umkehrung der Menschenrechte im Neoliberalismus analysieren.

Menschenrechte stellen keinen simplen Moralismus einer wünschenswerten Gesellschaft dar. Die Anerkennung der Menschenrechte ist vielmehr die Bedingung für die Möglichkeit einer anderen, einer gerechteren Gesellschaft. Wenn wir eine gerechte und andere Welt möchten, ist es entscheidend, stets von den Menschenrechten auszugehen. Lange standen lediglich die bürgerlichen und politischen Menschenrechte im Mittelpunkt. Zwar wurden bereits 1966 im Sozialpakt die wirtschaftlichen, ökonomischen und kulturellen Rechte von der UNO beschlossen, doch sie blieben weithin unbekannt. Wenn heute gerade diese wirtschaftlichen, ökonomischen und kulturellen Rechte eingefordert werden, hat dies mit den destruktiven Folgen der neoliberalen Globalisierung zu tun. Der Begriff Globalisierung verbirgt allerdings, was er proklamiert. Globalisierung ist für die Länder des globalen Südens keine Neuigkeit, denn sie sind bereits seit dem 16. Jahrhundert Opfer einer Art von Globalisierung geworden, die sie unterdrückte, ausbeutete und ausplünderte. Doch wenn wir heute von Globalisierung sprechen, dann geht es um etwas anderes. Es geht um ein ökonomisch-politisches Projekt, bei dem nach dem Motto »Mehr Markt und weniger Staat« der Markt weltweit ausgedehnt und die staatlichen Begrenzungen des Marktes abgebaut werden. Die heutigen Globalisierer plündern die ganze Welt zu ihrem Nutzen. Das aber können sie nur tun, weil bereits seit 500 Jahren die Erde globalisiert ist. Wer von Globalisierung ohne die Unterscheidung zwischen der seit 500 Jahren globalisierten Erde und der neo­liberalen Globalisierungsstrategie spricht, der täuscht sich gewaltig. Diese ökonomisch gewollte und politisch in Gang gesetzte globale Ausdehnung des Marktes und Zurückdrängung der staatlichen Macht wird zu einer Bedrohung für die Erde. Das war nie so offensichtlich wie in diesen Jahren, wo die USA und Europa in der Finanzkrise selber Opfer dieser neoliberalen Strategie geworden sind. Die Gefahr besteht nicht darin, dass die Erde global geworden ist, sondern darin, dass diese globale Welt die neo­liberale Globalisierungsstrategie nicht ertragen kann.

Unter dem Motto »Mehr Markt und weniger Staat« wurde weltweit eine Politik der Deregulierung der Arbeit, der Privatisierung der sozialen Infrastruktur und der Flexibilisierung der Finanzmärkte betrieben. Die Folgen sind allenthalben zu besichtigen: Die Kluft zwischen Arm und Reich vertieft sich. Die 225 reichsten Menschen der Welt besitzen so viel wie 47% der Menschheit. Europas Arbeiter verlieren ihre Arbeitsplätze, weil in China oder auf den Philippinen Arbeit billiger ist. Auch noch so bescheidene Ansätze einer sozialen Sicherheit werden jetzt in den Ländern des Südens geopfert. Landarbeiterinnen und Landarbeiter werden vertrieben und ihr Land enteignet, damit Lebensmittelkonzerne für den Export produzieren können. Es gibt für die überschuldeten Staaten keine Alternative zur Bedienung der Schulden und mit der Strukturanpassung fortzufahren.

Diese Entwicklung kann man nicht verstehen, wenn der entscheidende Motor dieser neoliberalen Globalisierung nicht analysiert wird. Es ist das Prinzip des Eigentums, das darin besteht, das eingesetzte Eigentum möglichst gewinnbringend zu mehren. Es geht um eine globale Vermehrung des Eigentums, die zum höchsten Wert erhoben wird. Deshalb dient die Globalisierung dazu, die globale Vermehrung des Eigentums von allen menschenrechtlichen, sozialen und ökologischen Schranken zu befreien. Dieses Recht auf Kapitalvermehrung ist als oberster Wert unantastbar, während die Verletzung der Menschenrechte als »Kollateralschaden« durch die ökonomische Entwicklung hingenommen wird.

Das Projekt »Mehr Markt und weniger Staat« betreibt dadurch systematisch die Aufhebung der Menschenrechte, dass der Einfluss der Kapitaleigner gestärkt und die Regulierungsmacht der Politik zurückgedrängt wird. Das ökonomisch-politische Projekt »Mehr Markt und weniger Staat« bewirkt, dass der Staat als Garant der Menschenrechte geschwächt wird – und lässt sich deshalb auch als politisches Gegenprogramm zu den Menschenrechten begreifen. Diese systemische Menschenrechtsfeindschaft bedeutet einen tiefgreifenden Einschnitt für den globalen Norden wie für den globalen Süden. Der Präsident der Europäischen Zentralbank, Mario Draghi, hat im Wall Street Journal (22.2.2012) erklärt: »Das Sozialstaatsmodell hat ausgedient. Oberstes Ziel muss es sein, das Vertrauen der Finanzmärkte wieder herzustellen.« Mario Draghi will sich mit der so genannten Schuldenkrise vom Sozialstaat und seinen zivilisatorischen Errungenschaften lossagen. Er spricht davon, das Vertrauen auf die Finanzmärkte zu stärken. Dieses Vertrauen ist erschüttert, wenn die Logik der Kapitalakkumulation unterbrochen ist. Auf der anderen Seite wird das Vertrauen aber wiederhergestellt, wenn die Politik sicherstellt, dass die Schulden bezahlt und so die Akkumulation von Kapital weitergeht. Schuldenzurückzahlung rückt an die Stelle der Menschenrechte und wird oberstes Prinzip. Das meint jedenfalls ein Hedgefonds, der laut der New York Times vom 19. Januar 2012 gegen einen Schuldenerlass für Griechenland beim Europäischen Gerichtshof in Straßburg mit der Begründung klagen will, dass die Menschenrechte der Anteilseigner verletzt würden.[3] Eigentumsrechte seien in Europa Menschenrechte. Die ununterbrochene Mehrung des Eigentums durch Zinszahlung und Schuldentilgung wird in den Rang eines Menschenrechts erhoben.

Was die Länder des Südens in der Schuldenkrise erlebt haben, trifft jetzt auch Europa. Als die Länder des Südens zu einer Politik der Strukturanpassung gezwungen wurden, wurde schnell klar, dass hier die Aufhebung der Menschenrechte angekündigt wurde. Die Strategie der Strukturanpassung wurde im globalen Norden erdacht. Was der Norden dem Süden angetan hat, schlägt nun auf den Norden zurück. So breiten sich in Griechenland Hunger und Verzweiflung aus. Renten werden gekürzt, Löhne abgesenkt und das Gesundheitswesen zurückgefahren. Der Mindestlohn und die Arbeitslosenunterstützung werden drastisch gekürzt. Die über 94 Milliarden Euro Hilfskredite, welche die EU und der IWF nach Griechenland überwiesen haben, dienen zu nichts anderem, als die Ansprüche der Kreditgeber zu befriedigen, die außerhalb Griechenlands sitzen. Europa leidet jetzt genauso wie der globale Süden unter der Schuldknechtschaft des Kapitals. Alles wird geopfert, um die Schulden zu tilgen.

Während im globalen Norden der Sozialstaat Stück um Stück abgebaut wird, wird in den Ländern des globalen Südens die Idee der Entwicklung abgeschafft. Auch wenn die »nachholende Entwicklung« mit ihrem Versprechen, das Niveau der reichen Länder zu erreichen, auch nur ein Versprechen war, so wird nun sogar dieses Versprechen zurückgenommen. Der Schuldendienst hat das Versprechen der nachholenden Entwicklung ersetzt und die Länder des Südens zu Protektoraten der Internationalen Finanzinstitutionen gemacht. Jetzt geht es nicht mehr um das vormalige Ziel einer »nachholenden Entwicklung«, sondern allein um die Schuldendienstfähigkeit. Schuldendienstfähigkeit aber heißt, dass die Länder fähig bleiben, Zinsen zu zahlen und Schulden zu begleichen. Doch die Schulden sollen keineswegs »verschwinden«, denn dann würde eben jener Prozess der Mehrung des Vermögens durch Verschuldung der Armen gestoppt. Der Schuldendienst ist einzig darauf ausgerichtet, die Ansprüche der Eigentümer auf die Mehrung des Eigentums zu sichern. Er rangiert vor den öffentlichen Bedürfnissen trotz des dringenden Bedarfs an Nahrung, Wohnung, Arbeit und anderen Dingen für ein würdiges menschliches Leben. Der Schuldendienst zwingt die überschuldeten Staaten, die Gesundheitsdienste, die Wasserversorgung und andere öffentliche Dienste der Daseinsvorsorge zu kürzen. Um die Schulden bezahlen zu können, werden dagegen die ausländischen Investitionen, risikofreie Anlagen, die Reduzierung der Arbeitsstandards und Umweltschutzauflagen politisch gefördert. Der Schuldendienst macht den globalen Norden wie Süden zu einem globalen System, das Opfer verlangt. Der globalisierte Kapitalismus offenbart sich als ein Opfer-Kapitalismus. Dies meint auch Jean Ziegler, der frühere Botschafter der UN für das Recht auf Nahrung, wenn er sagt: »Ein Kind, das heute vor Hunger stirbt, wird ermordet.« Es wird lautlos ermordet durch ein System, das genug Nahrung für alle produziert, aber nicht in der Lage ist, Gerechtigkeit zu schaffen. Diese Politik trifft den Süden gleichermaßen wie den Norden, auch wenn die Auswirkungen unterschiedlich sind.

Der Entwicklungsstaat im globalen Süden und der Sozialstaat im globalen Norden werden jetzt zu einer Art »Sicherungsstaat« umgebaut – ein Staat, der allein darauf aus ist, die Schuldentragfähigkeit abzusichern und die Zinszahlungen zu garantieren. Der neoliberale Sicherungsstaat in Zeiten der Verschuldung im Süden und im Norden sichert nicht mehr die Menschenrechte, sondern die Rechte der Kapitaleigner. Dadurch wird der Sicherungsstaat zu einem Gegner der Menschenrechte und derer, die sie verteidigen. Die Verletzung von wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechten stellt allerdings nicht minder eine Verletzung der Menschenrechte dar wie die Folter. Diesen grundlegenden Bruch in der sozialstaatlichen Programmatik hatte der UN-Sozialausschuss auch für Deutschland bemängelt und in seinem Bericht 2011 in Deutschland gewichtige Verfehlungen und Versäumnisse bei der Umsetzung des Sozialpaktes aufgeführt. In 26 von insgesamt 39 Absätzen werden dezidiert Mängel aufgeführt.


Umkehrung der Werte: Sicherheitsstaat zur Investionssicherung, Bestrafung der Menschenrechte

Die bisherige menschenrechtsbasierte Aufgabe des Staates wird umgekehrt. Aus der Aufgabe, die Menschenrechte zu respektieren, zu schützen und zu erfüllen, wird die Verpflichtung, die Interessen des Kapitals, die ausländischen Investitionen und den Schuldendienst zu respektieren, schützen und zu erfüllen. 2008 konnte der Verfasser die seit Jahren streikenden Arbeiter bei Nestlé in Cavite besuchen. Sie berichteten von Militärs, die auf dem Fabrikgelände stationiert waren, um jeden Streik zu unterbinden. Doch überdeutlich zeigt sich an der Aufstellung einer militärischen Investment Defense Force die Umkehrung der Menschenrechte. Die frühere Präsidentin Macapagal-Arroyo kündigte im Jahr 2008 eine Investitionsschutzmacht (»investment defense force«) an und erklärte: »Ich habe die Armee angewiesen, eine Investment Defense Force zu bilden. Die Aufgabe der Investment Defense Force besteht darin, einen Schutzschild für Vermögenswerte, Infrastruktur und Entwicklungsprojekte im Bergbau zu schaffen.«[4] Das Militär ist also angehalten, für die Sicherheit globaler Investitionen zu sorgen.

Der neoliberale Staat akzeptiert auch nur zwei Rechte: das Recht auf Eigentum und das Recht auf Freiheit, das auch ein Recht auf unbeschränkte Ausbeutung der Bodenschätze einschließt. Damit diese Rechte gesichert sind, muss die Verletzung der Menschenrechte straffrei bleiben. Diese Straffreiheit ist dabei keineswegs eine Unterlassung des Staates bei der Strafverfolgung, sondern sichert umgekehrt das oberste Ziel, die Interessen der Kapitaleigner durchzusetzen. Auf der Website der Philippine Economic Zone Authority, in der nur für den Export produziert wird und wo die nationalen Arbeitsgesetze suspendiert sind, ist zu lesen: »Die Grundrechte der Investoren sind garantiert (das Recht, die Gewinne auszuschütten und das Recht, die Erlöse ins Ausland zu überweisen).« Die Website lobt die philip­pinischen Arbeiter als »hart arbeitend und freundlich« – aber nichts ist zu lesen über die Menschenrechte der Arbeiter. Wie sehr sich die neoliberalen Rezepte zur Sicherung des Schuldendienstes gleichen, zeigt der Vorschlag, Sonderwirtschaftszonen auch für Griechenland zu errichten. Die griechische Regierung hat bereits einen entsprechenden Antrag bei der EU-Kommission mit dem Ziel gestellt, mit niedrigeren Abgaben Investoren zu locken. Dort könnten Güter umgeschlagen werden, die für den europäischen Markt bestimmt sind. Die Löhne der Arbeitnehmer wolle man allerdings nicht antasten, denn Griechenland habe die Mindestlöhne bereits drastisch gekürzt, um damit gegen die Rekordarbeitslosigkeit vorzugehen.

Wer Widerstand gegen diesen neoliberalen Sicherheitsstaat leistet und die Menschenrechte verteidigt, der behindert das Eigentumsrecht und das Freiheitsrecht zur Akkumulation des Eigentums. Wer die Menschenrechte verletzt, geht straffrei aus. Wer im Namen der Menschenrechte indes diesem ökonomischen Entwicklungsprozess und der Mehrung des Eigentums widersteht, der macht sich schuldig. Die Ausbeutung der Menschen und die Ausbeutung der Rohstoffe werden geschützt, aber nicht die Rechte der Arbeiter. Unschuldig ist, wer diese Welt­unordnung stabilisiert. Genau diese Umkehrung der Menschenrechte schützt der Sicherheitsstaat – wenn es sein muss sogar militärisch durch Investment Defense Forces.

Verfolgt wird, wer es wagen sollte, sich dem neoliberalen Projekt entgegenzustellen. So befindet sich, wer die Menschenrechte verletzt, im Status der Straffreiheit. Wer es wagt, gegen das neoliberale Projekt anzugehen, der kann nicht erwarten, dass der Staat ihn verteidigt – im Gegenteil: Er ist schuldig. Der Staat verfolgt alle, die Widerstand leisten, und verteidigt und verschont jene mit Strafverfolgungen, welche die Menschenrechte verletzen.

Ein rechtebasiertes Gegenprogramm zur neoliberalen Globalisierung fordert nichts weniger als eine Umkehrung. Der Sicherheitsstaat, der die Mehrung des Eigentums respektiert, schützt und erfüllt, muss zu einem Staat werden, der die Menschenrechte respektiert, schützt und erfüllt.

Prof. Dr. Franz Segbers ist Sozialethiker an der Universität Marburg. Der Beitrag ist eine gekürzte Fassung seines Vortrags, der auf einer internationalen Menschenrechtskonferenz in Manila am 1. Oktober 2012 gehalten wurde.

[1] United Nations OHCHR, 9.7.2012
[2] Franz Segbers/Peter-Ben Smit, Katholisch in Zeiten der Globalisierung. Erinnerung an den Märtyrerbischof Alberto Ramento, den Bischof der Arbeiter und Bauern, Luzern 2010; vgl. auch: Franz Segbers, Paradies fürs Kapital unter Palmen. Die Unheilige Allianz von alter Bourgeoisie und Neoliberalen auf den Philippinen, in: Sozialismus 11/2008, S. 33-36.
[3] Hedge Funds May Sue Greece if It Tries to Force Losses, New York Times, 18.1.2012.
[4] Zambo Times, 12.2.2008

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