1. Februar 2005 Marion Fisch

"Napola"

An mehr als 40 Napolas, so genannten Nationalpolitischen Erziehungsanstalten (auch NPEA), wurden bis zum Ende des "Dritten Reiches" über 15000 meist männliche Jugendliche unterrichtet.

Die in einer Burg untergebrachte fiktive Napola Allenstein bildet den Hintergrund für den Film des jungen Regisseurs Dennis Gansel. Das bereits mehrfach ausgezeichnete Werk will eine Geschichte erzählen, die in der NS-Zeit spielt, aber heute noch Gültigkeit hat. Das wirft einmal mehr die Frage auf, inwieweit Zeitgeschichte als Kulisse verwendet wird, selbst der Vorwurf des "Kostümfilms" steht im Raum, begründet durch Ungenauigkeiten in der Darstellung. Doch in der Handlung um den 16jährigen Berliner Arbeitersohn und begeisterten Boxer Friedrich Weimer (Max Riemelt), der seine Entdeckung durch den Napola-Sportlehrer Helmut Vogler (Devid Striesow) als große Chance für die Zukunft sieht, wird einiges anschaulich, was für das Verständnis der massenhaften Akzeptanz des Nationalsozialismus nicht unwichtig ist: der Jugendkult, die Verführung der Ausgelesenen als Gegenpol zur Auslöschung der "Lebensunwerten", das Ziel der Heranbildung einer absolut "gläubigen", aber auch funktional leistungsfähigen Generation von Führungskräften für ein "Tausendjähriges Reich", das die Welt umspannen wollte.

Den Arbeiterwiderstand verkörpert in diesem Film Friedrichs Vater, der indes nur als Randfigur vorkommt: Noch 1942, als das NS-Regime sich – trotz der bereits erkennbaren Überdehnung im Krieg gegen die Sowjetunion – breiter Zustimmung erfreut, will er nichts mit den Nazis zu tun haben und verbietet seinem Sohn die Einschreibung an der Schule. So nimmt Friedrich die Anmeldung mit gefälschter Unterschrift vor und mit der Drohung, den Vater zu denunzieren.

Zu dem als gutmütig dargestellten Friedrich passt dieses Vorgehen nicht ganz, das er Helmut Vogler auch schon beim Schuleintritt beichtet, ohne dass dies Konsequenzen hätte – der Lehrer erhofft sich vor allem einen künftigen Boxmeister für die Napola Allenstein.

Das Schulleben wird streckenweise nach dem Muster anderer Internatsfilme dargestellt; es gibt an Mitschülern den Verfressenen, den Frauenhelden, den Bettnässer und den empfindlichen Schöngeist, Albert. Ausgerechnet mit ihm freundet der "Vorzugsarier" Friedrich sich an, einem Typus, der schlechte Voraussetzungen für die Erziehung zur Härte mitbringt, als Gauleitersohn aber für die NS-Elite prädestiniert sein soll. Die Jungen erleben die Extreme von Stolz und Erniedrigung, sie sind Mitspieler pathetischer Gruppeninszenierungen und Zeugen furchtbarer Selbstzerstörung, der Unterricht scheint – wogegen mancher Exschüler protestieren wird – hauptsächlich aus Drill und Indoktrination zu bestehen, ihre Verpflegung ist überdurchschnittlich, und der kühne Friedrich lässt sich vom Segelflug begeistern. Die Kriegslage scheint in Gefallenenmeldungen auf – die Szene einer vom Pastor überbrachten Todesnachricht ist als verfehlt für ein kirchenfeindliches Unterrichtssystem kritisiert worden; allerdings konnten in den insgesamt mehr als 30 Napolas, die z.T. auf älteren Vorgängerschulen aufbauten, trotz des zunehmenden Einflusses der SS noch unterschiedliche Traditionen fortwirken.

Das Drehbuch verdichtet Erlebnisse, die von verschiedenen Zeitgenossen berichtet wurden, zu einem dramatischen Ablauf, der vor allem die Geschichte einer Freundschaft erzählt. Albert, der seinen Verstand zunehmend zum Infragestellen der Ausrottungsideologie benutzt, erlebt zugleich die schmerzhafte Entfernung von seinem Vater, der sich im NS-System "hochgearbeitet" hat und seinen Sohn der Undankbarkeit beschuldigt. Als nach einer nächtlichen Verfolgungsjagd auf geflohene Kriegsgefangene im Wald die von den Mitschülern und seinem Vater erschossenen jungen Russen verblutend auf der Erde liegen, sieht er nur die ermordeten Mitmenschen, nicht mehr die bolschewistischen "Untermenschen". Das mag unwahrscheinlich und wie sein eigener Freitod unter dem Eis allzu poetisch inszeniert sein, doch werden die Emotionen – wie beim letzten Boxkampf Friedrichs, in dem dieser auf den sicheren Sieg verzichtet und sich selbst disqualifiziert, eingesetzt, um ein Elitebild zu zerstören, das viele ehemalige Napola-Schüler noch Jahrzehnte nach dem Kriegsende in seinem Bann hielt. Zwar können die überwiegend exzellenten Darsteller die Gebrochenheit jener Epoche nicht mehr ganz glaubhaft verkörpern, und die Verbindungen zu heutigen Elite- und Bildungsdiskursen sowie die Bedeutung des gescheiterten, doch letzlich "siegreichen" Friedrich (dessen Weg nach der Entlassung völlig offen bleibt), mögen umstritten sein, gleichwohl ist ein Film, der mehr Fragen aufwirft als er beantwortet, schon deshalb – sehenswert.

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