21. Dezember 2012 Paul Wellsow

Nazis, Spitzel und der Staat

Geheimdienstspitzel als Aufbauhelfer der Nazi-Szene und Risiko für ein NPD-Verbot

 

In Rostock-Warnemünde vereinbarten am 5. Dezember 2012 die Innenminister der Bundesländer, den Ministerpräsidenten ein zweites Mal die Einleitung eines Verbotsverfahrens gegen die »Nationaldemokratische Partei Deutschlands« (NPD) zu empfehlen.

Eine nicht-öffentliche »Materialsammlung für ein mögliches Verbotsverfahren« vom »Bundesamt für Verfassungsschutz« (BfV) und den Länderbehörden mit 2.649 Belegen auf über 1.000 Seiten soll die Verfassungsfeindlichkeit und den »aggressiv-kämpferischen« Charakter der Neonazi-Partei belegen. Auch ein »Bericht zur Prüfung der Erfolgsaussichten eines neuen NPD-Verbotsverfahrens« einer Bund-Länder-Arbeitsgruppe stütze das Vorhaben, sagte Brandenburgs Innenminister Dietmar Woidke (SPD).[1] Der Beschluss der Innenministerkonferenz fiel einstimmig, auch wenn einzelne Bundesländer auf mögliche juristische Risiken eines Verbotsantrags vor dem Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hinwiesen.[2]

Das gescheiterte Verbotsverfahren 2003

Der letzte Versuch eines NPD-Verbots war 2003 daran gescheitert, dass zu viele Spitzel der Geheimdienste in einflussreichen Positionen der Partei saßen. Noch vor einer Prüfung des Beweismaterials wurde daher das Verfahren niedergeschlagen. Es sei nicht zu unterscheiden, ob die dokumentierten belastenden Äußerungen V-Leuten oder originär der NPD zuzuschreiben seien, entschied das Gericht. In einer Presse­mitteilung des BVerfG zur Einstellung des Verfahrens hieß es: »Im Januar 2002 hat der Senat Kenntnis davon erhalten, dass ein Funktionär der Ag (Antragsgegner, d.h. der NPD – Anm. d. Verf.), dessen Äußerungen mehrfach zur Stützung der Verbotsanträge herangezogen worden sind, V-Mann eines Landesamts für Verfassungsschutz ist. In der Folgezeit haben die ASt (Antragssteller, d.h. Bundestag, Bundesrat, Bundesregierung – Anm. d. Verf.) erklärt, dass die Ag durch V-Leute des Verfassungsschutzes beobachtet werden. Auch auf der Ebene der Vorstände der Ag gebe es V-Leute... Die ASt hätten durch die V-Leute die Möglichkeit, von ihrer internen Planung der Prozessführung Kenntnis zu erlangen. Das Verbotsverfahren sei deshalb rechtsstaatlich nicht mehr durchführbar.« Drei der Richter am BVerfG kritisierten die »mangelnde Staatsfreiheit« der NPD »auf der Führungsebene« sowie »mangelnde Staatsfreiheit des zur Antragsbegründung ausgebreiteten Bildes der Partei«. Das sei ein »nicht behebbares Hindernis« für ein Verfahren.[3] Die Spitzel der Dienste retten die Nazipartei vor dem Untergang.

Heute, so erklären die Innenminister, hätten sie für einen neuen Verbotsversuch alle V-Leute in den Führungsgremien der NPD zum 1. April 2012 abgeschaltet. Rund 130 Spitzel der verschiedenen Behörden sollen laut einem Bericht der »Frankfurter Allgemeinen Zeitung« im Frühjahr 2012 noch in der Partei tätig gewesen sein. Zehn Informanten seien aufgrund ihrer hervorgehobenen Position zurückgezogen worden.[4] Das Material für ein NPD-Verbot soll jetzt frei von Äußerungen bezahlter V-Leute sein. Während Brandenburg dies schriftlich testierte, verweigern die Innenminister einiger Länder aber eine solche Zusicherung für ihren Zuständigkeitsbereich. Statt ihrer Unterschrift sollen die Erklärungen dort nun von den Geheimdienst-Chefs abgezeichnet werden.[5] Offenbar trauen selbst einige Innenminister ihren Ämtern nicht mehr über den Weg.

Am 14. Dezember folgte dann der Bundesrat der Beschlussempfehlung der Innenminister. Einstimmig beschloss die Länderkammer, ein Verbotsverfahren gegen die NPD einzuleiten.[6] Lediglich Hessen enthielt sich der Stimme und machte auf juristische Risiken aufmerksam.[7] Auch aus der Bundespolitik gibt es – vor allem aus den Reihen der Union und der FDP – die Forderung, auf ein Verbotsverfahren zu verzichten. »Man soll es besser bleiben lassen«, sagte beispielsweise Bundestagspräsident Norbert Lammert (CDU). Auch Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger (FDP) zögert ebenso wie Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU). Merkel will Anfang 2013 entscheiden, ob die Regierung ein Verbot unterstützt.[8] Ungeachtet dessen kündigten einzelne Länder an, auch ohne den Bund vor Gericht zu ziehen, um die NPD verbieten zu lassen.[9]

Und noch ein V-Mann-Skandal…

Zeitgleich mit dem ­Zusammentreffen der Innenminister in Rostock-Warnemünde am 5. Dezember, auf dem ein juristisch wasserdichtes Verbotsverfahren auf den Weg gebrachten werden sollte, kam der neueste V-Mann-Skandal ans Licht. Der »Mitteldeutsche Rundfunk« (MDR) meldete: »Ehemaliger Erfurter NPD-Chef war V-Mann«.[10] Der frühere Funktionär Kai-Uwe Trinkaus stand mindestens 2006 und 2007 im Sold des »Thüringer Landesamtes für Verfassungsschutz« (TLfV) und erhielt dafür gut 16.000 Euro Spitzellohn.[11] Nachdem er 2005 in die Partei eingetreten war, machte er schnell Karriere. Noch im selben Jahr wurde der gescheiterte Unternehmer stellvertretender Vorsitzender des Kreisverbandes Erfurt-Sömmerda. Im Mai 2006 kam es dann zum ersten Kontakt mit dem Geheimdienst. Ende 2006 begann Trinkaus gemeinsam mit anderen Neonazis, ein Geflecht von kommunal aktiven Vereinen aufzubauen und bestehende Vereine zu unterwandern. Er wurde Vorstandsmitglied in zwei Denkmalschutzvereinen und der Erfurter Sektion des »Bundes der Vertriebenen« (BdV). Außerdem gründete er als Sammelbecken für Nazis den harmlos klingenden Verein »Schöner Leben in Erfurt«, der mit der »Bürgerstimme« eine eigene Zeitung herausgab, die regelmäßig in die Briefkästen der Bürger verteilt wurde. Ein Sportverein folgte, ebenso eine Hilfsorganisation für »Alleinerziehende in Not«.

Mit diesen Vereinen bemühte sich die Nazi-Szene unter Anleitung von Trinkaus darum, sich vor Ort zu verankern und ein bürgerliches Image zu erwerben. Nur wenige Wochen nachdem Trinkaus im März 2007 durch den Geheimdienst fest als V-Mann verpflichtet wurde, übernahm er den Vorsitz der NPD in Erfurt-Sömmerda. Von da an steigerten sich die öffentlichen Aktivitäten der Erfurter Nazi-Szene merklich. Zugleich startete die Szene zahlreiche Stör- und Zersetzungsaktionen gegen linke Organisationen und Abgeordnete verschiedener Parteien. So versuchte Trinkaus bei ver.di eine Praktikantin einzuschleusen, bei einer Tagung der SPD gegen Rechts marschierte er vor dem Landtag auf, über die DGB-Jugend verbreitete er, sie stünde »Seit an Seit« mit der NPD, und über Monate störte er mit militanten Nazis in Erfurt wöchentliche Kundgebungen gegen Hartz-IV.

Im Mittelpunkt seiner Zersetzungsarbeit stand aber DIE LINKE. Eine Abgeordnete belästigte er mit E-Mails, Kurznachrichten und Blumensendungen, mit einem illegal kopierten Foto von ihr warb er um Mitglieder für die NPD. Und einem Journalisten erzählte er die erfundene Geschichte, er habe mit dem Landesvorsitzenden der Thüringer Linkspartei über gemeinsames Agieren beraten. Die Illustrierte »Stern« und ein Lokalblatt schrieben daraufhin von einer angeblichen »braun-roten Kungelei«. Höhepunkt war die Einschleusung eines Nazis als Praktikant bei einem Landtagsabgeordneten der LINKEN. Nach dem Auffliegen versuchte der Nazi-Praktikant noch, den Politiker durch haltlose Vorwürfe und eine Anzeige zu diskreditieren. Auch drei Bundestagsabgeordnete der Grünen wurden Opfer der Strategie, zugleich öffentlich Nähe vorzugaukeln und die Betroffenen zu schädigen. Sein Agieren erinnere an Geheimdienstmethoden, kommentierte damals eine Beobachterin.[12]

Ende 2007 will das TLfV seinen Spitzel Trinkaus abgeschaltet haben – angeblich wegen dessen ­Unzuverlässigkeit. Er selbst sagte dem MDR, er sei bis 2010 vom Amt geführt worden. Mittlerweile räumte das Amt ein, es habe auch nach der Abschaltung Kontakte gegeben – zuletzt im Oktober 2012. Allerdings sei seit 2007 kein Geld mehr geflossen. 2008 geriet Trinkaus mit dem Landesvorstand der NPD in Streit. Seine öffentlich zelebrierte Nähe zu militanten Nazis sorgte für Ärger, bemühte sich die Partei doch um Seriosität. Im April 2008 wagte er dann die Kampfkandidatur um den Landesvorsitz und verlor. Wegen parteischädigendem Verhalten flog er im selben Jahr aus der NPD heraus. Nach politisch erfolglosen Unternehmungen mit der »Deutschen ­Volks­union« und »Pro Erfurt« galt Trinkaus zum Schluss als völlig isoliert.

Seine Aktionen gegen Parteien und Abgeordnete fanden während seiner Zeit als V-Mann statt – also de facto unter den Augen des Staates. Über die­se Aktionen wurde ausführlich in der Presse berichtet, sie wurden mit parlamentarischen Anfragen dokumentiert und waren zum Teil auch Gegenstand juristischer Auseinandersetzungen. Es ist davon auszugehen, dass seine V-Mann-Tätigkeit seit Januar 2007 auch in der Landesregierung bekannt war. Während Thüringens BdV-Chef, der CDU-Abgeordnete Egon Primas, frühzeitig vor Trinkaus gewarnt wurde, erhielten die anderen Opfer seiner Zersetzungsarbeit keine Warnung. Offenbar gab es hier Abgeordnete erster und zweiter Klasse. Um nun das damalige Agieren von Geheimdienst und Regierung aufzuklären, hat der Landtag im Dezember mit den Stimmen von Grünen, LINKEN und SPD einen Parlamentarischen Untersuchungsausschuss eingesetzt. Zu klären ist: Was wussten die Verantwortlichen und warum stoppten sie Trinkaus nicht? Oder ermunterten sie ihn gar zu den Aktionen? Auch die Frage, wie er 2007 Informationen über Nazi-Gegner aus Polizeiakten erhielt, muss dort geklärt werden. Dem MDR sagte Trinkaus, er habe die Daten vom TLfV erhalten.

… bringt das neue Verbots­verfahren zu Fall?

War die zeitliche Parallelität zwischen der Tagung der Innenminister und des Outings des V-Mannes Trinkaus nur Zufall oder vielleicht der Auftakt für weitere Nennungen von Spitzeln, um das Verbotsverfahren erneut zu Fall zu bringen? Der NPD-Bundesvorsitzende Holger Apfel jedenfalls erklärte im Gespräch mit dem »Deutschlandfunk« am 15. Dezember: »Wir haben eigene Erkenntnisse über V-Leute in unserer Partei«. Man wolle nun prüfen, ob sich Aussagen von ihnen auch in der Materialsammlung und der Verbotsbegründung von Bund und Ländern wiederfinden.[13] Im Interview mit dem neu-rechten Blatt »Junge Freiheit« gab er sich siegessicher: »Ich rechne … fest mit einer Ablehnung des Antrags.«[14] Und der Thüringer Landesvorsitzende und Bundesorganisationsleiter der NPD, Patrick Wieschke, erklärte, die Nachricht vom Outing des Spitzels sei »für die NPD eine positive Meldung, spielt sie den Nationaldemokraten doch bezüglich eines Verbotsverfahrens in die Karten. Ein nicht unerheblicher Teil der so genannten Beweissammlung zulasten der NPD dürfte auf Aussagen und Einflüsse durch V-Männer … beruhen.« Er kündigte an: »Weitere Provokateure und Radikalisierer der Vergangenheit werden folgen... Einem möglichen Verbotsverfahren sehen wir daher gelassen entgegen.«[15] Ob die Behauptung, weitere Spitzel bereits zu kennen, stimmt, sei dahingestellt. Klar ist aber, dass heute offenbar mehr Spitzel in der NPD sind, als während des gescheiterten Verbotsverfahrens 2003.[16]

Doch das Verbotshindernis ist nicht der einzige Weg, wie V-Leute der Nazi-Szene ganz praktisch helfen. Angeworben werden häufig wichtige Aktivisten der Szene, die nicht nur Geld und Infrastruktur, sondern offenbar auch eine schützende Hand von den Ämtern erhalten. Dabei handelt es sich oftmals um exponierte Vertreter wichtiger Strukturen. Und es handelt sich auch um Schläger, Mörder, Brandstifter und Hetzer. Der Anwalt und Geheimdienstexperte Rolf Gössner hat das in seinem Standardwerk »Geheime Informanten« an zahlreichen Fällen nachgewiesen.[17] Ein Beispiel ist der frühere Funktionär der »Deutschen Reichspartei« und ab 1964 der NPD, Wolfgang Frenz. 36 Jahre lang war er als V-Mann tätig und zugleich führend in der Nazi-Szene aktiv, unter anderem als stellvertretender Landesvorsitzender der NPD in Nordrhein-Westfalen und regelmäßiger Autor der Szene. Zitate aus einem Buch von ihm wurden im ersten NPD-Verbotsverfahren als Beleg für die Verfassungswidrigkeit der NPD angeführt. Letztlich war es sein Outing, das zum Scheitern des Verfahrens führte. Dem Dienst habe er dabei aber nur das erzählt, was bereits öffentlich bekannt war. Dennoch bekam er dafür insgesamt Zehntausende DM sowie Bürogeräte für die Parteiarbeit. Rückblickend sagte er über die Gründungsphase seiner Partei: »Wenn sie so wollen, hat der Verfassungsschutz die Grundfinanzierung der NPD in NRW geleistet.«[18] Sogar die Anschaffung einer Schusswaffe habe das Amt finanziert, erzählte Frenz den Medien.

Im Zusammenhang mit dem Auffliegen des »Nationalsozialistischen Untergrundes« (NSU) tauchte auch die Person Tino Brandt wieder auf. Er war seit 1994 Spitzel des TLfV und baute unter den Augen des Amtes den »Thüringer Heimatschutz« (THS) auf, eine hoch aktive und überregional tätige Nazistruktur aus den 1990er Jahren. Aufmärsche, Infotische, Überfälle auf Gegner, Konzerte und Treffen – was das braune Herz begehrte, bot die von einem V-Mann geführte Organisation an. Es war jene Struktur, aus der sich die späteren Mörder und Unterstützer des NSU rekrutierten. Für seine Arbeit erhielt Brandt nach eigenen Angaben 200.000 DM, die er wie Frenz in die politische Arbeit steckte.[19] Auch Geld für Anwälte, Handys, Computer, Internetzugang oder mal ein Auto stellten die Ämter angeworbenen Nazi-Funktionären zur Verfügung, das wird in den parlamentarischen Untersuchungsausschüssen zum NSU bei der Aufarbeitung der 1990er Jahre deutlich. Selbst Schutz vor der Polizei und der Justiz boten die Ämter: Gegen Brandt wurden 35 Ermittlungsverfahren wegen zahlreicher Delikte geführt, alle wurden eingestellt.[20]

Spitzel oder Anstifter?

Eine erschreckende Bestätigung dieser Situation bietet ein offizielles Papier der Abteilung Staatsschutz des »Bundeskriminalamtes« (BKA) aus dem Jahr 1997, das nun an die Presse gelangte.[21] Darin kritisierte das BKA in deutlichen Worten (»als Diskussionsgrundlage werden bewusst überzogene Formulierungen benutzt«) die Rolle von V-Leuten in der Nazi-Szene. Es gebe eine »zunehmende Divergenz zwischen Verfassungsschutz­operationen und exekutiven Maßnahmen«. Das bedeutet nichts anderes, als dass das Agieren des Geheimdienstes der Ermittlungs- und Präventionsarbeit der Polizei gegen Neonazis schade. Die »Beweisführung in Ermittlungs-/Strafverfahren« sei in mehreren Fällen durch die Aufdeckung von Geheimdienstquellen »erschwert oder sogar unmöglich« geworden. Mit konkreten Namen und Sachverhalten begründete der Staatsschutz, welche bedeutende Rolle die staatlich alimentierten Spitzel für den Aufbau der Strukturen und die Aktionen der Szene haben.

In dem Papier heißt es, V-Leute und Quellen des Geheimdienstes würden »maßgeblich in führenden/exponierten Positionen an der Vorbereitung von Veranstaltungen/Versammlungen/Aktionen« mitwirken. Es bestehe die Gefahr, »dass Quellen sich gegenseitig zu größeren Aktionen anstacheln«. Zudem sei es fraglich, »ob bestimmte Aktionen ohne die innovativen Aktivitäten dieser Quellen überhaupt in der späteren Form stattgefunden hätten!« Warnungen vor geplanten Aktionen der Nazi-Szene würden durch den Geheimdienst aus Quellenschutzgründen erst so spät an die Polizei weitergeleitet, »dass Aktionen nicht mehr verhindert werden können.« Kritisch merkte das BKA auch an, dass Quellen des Geheimdienstes meist »gut über die aktuellen technischen Möglichkeiten der Exekutive informiert« seien. Es läge daher »die Vermutung nahe, dass entsprechende Kenntnisse vom VS vermittelt werden«. Außerdem bestünden »konkrete Anhaltspunkte«, dass »Maßnahmen der Strafverfolgungsbehörden vereitelt oder unterlaufen werden, wodurch letztlich … die gesamte Szene vor Strafverfolgung geschützt wird!« Erst durch die »Ausstattung der Quellen mit der jeweils neuesten Telekommunikationstechnik«, die »Übernahme recht hoher Telefongebühren« und Reisekosten sei »die Mehrzahl der Quellen … sowohl finanziell als auch materiell in der Lage, Kontakte zu knüpfen und aufrecht zu halten«. Würde die Polizei den Geheimdienst über anstehende Maßnahmen, wie zum Beispiel Razzien, informieren, »werden die Quellen oft vorher gewarnt«, klagte das BKA. So »besteht die Gefahr, dass Beweismittel vor Eintreffen der Exekutive vernichtet werden!« Auch durch die »Anweisungen« von V-Mannführern gegenüber ihren Quellen bei Ermittlungen zum Verhalten gegenüber der Polizei bestünde »die Gefahr, dass Ermittlungs- und Beweisansätze vernichtet … werden«. Schließlich kritisierte das BKA noch, dass Quellen der Dienste »weder angeklagt noch verurteilt« würden, wenn sie als Straftäter festgestellt werden. Sie unterlägen »erkennbar keinem Verfolgungsdruck«.

Was bringt ein NPD-Verbot?

Ein Verbot der NPD träfe die derzeit wichtigste und mobilisierungsfähigste Kraft des deutschen Neonazismus. Um die Partei hat sich seit Jahren ein enges Geflecht aus »Kameradschaften«, Vereinen, Versänden, Treffpunkten, Medien und Aktivisten gebildet, das von den Strukturen, dem Geld und den rechtlichen Privilegien der Partei profitiert. Durch ein Verbot würden für die Nazi-Szene auf absehbare Zeit eine der wichtigsten Finanzquellen wegfallen, die millionenschwere Parteienfinanzierung und die immensen Gelder für die Landtagsabgeordneten und Fraktionen. Die chronisch klamme Partei, deren finanzieller Kollaps regelmäßig prognostiziert wird22 und der doch nie eintritt, wird durch den stetigen Tropf des Staates am Leben erhalten. 2010 stammte der größte Teil der Mittel (39,04%) für die Partei aus Steuergeldern.[23] Mehr als 1,17 Millionen Euro überwies der Staat 2010. Spenden (32,85%), Mitgliedsbeiträge (17,65%), Einnahmen aus Veranstaltungen und dem Verkauf von Veröffentlichungen (4,28%) und Mandatsträgerbeiträge (3,82%) bleiben deutlich hinter den staatlichen Mitteln zurück. In den letzten 22 Jahren hat die Partei ihre Einnahmen deutlich steigern können (1990: 3,1 Millionen DM / 2010: 3,01 Millionen Euro), ebenso den Anteil staatlicher Gelder (1990: 11,1% / 2010: 39,04%).[24]

Etwa 1,4 Millionen Euro jährlich erhält außerdem die NPD-Fraktion im Landtag von Mecklenburg-Vorpommern an Abgeordnetendiäten und Gel­dern für Mitarbeiter, Wahlkreisbüros und die Fraktionsarbeit,[25] in Sachsen sind es jährlich gut 1,2 Millionen Euro für die Fraktion.[26] Vergleichsweise geringe Beträge bekommen zudem Mandatsträger in den Kommunalparlamenten. Solange die NPD zugelassen ist, subventioniert der Staat die Arbeit der Partei und so auch der gesamten Szene Jahr für Jahr mit Millionenbeträgen. Selbst das jüngste Urteil des Bundesverwaltungsgerichts zu Rückzahlungen aufgrund von Fehlern in Rechenschaftsberichten[27] führt nicht dazu, dass der Geldhahn abgedreht werden kann. Selbstsicher gab der NPD-Bundesschatzmeister Andreas Storr Auskunft: »Einen existenzsichernden Betrag müssten man uns weiter überweisen.«[28]

Das Verbot der NPD wäre nicht mehr, aber auch nicht weniger, als ein richtiger Schritt im Kampf gegen Rechts. Doch die Fixierung darauf ist falsch. Zum einen, weil das Verbot juristisch riskant ist, zum anderen, weil es aus demokratietheoretischer und radikaldemokratischer Perspektive nicht zu Unrecht kritisiert wird.[29] Vor allem aber verdeckt die Diskussion um das dennoch notwendige Verbot oftmals andere Schritte, die einfacher zu realisieren oder politisch viel notwendiger wären. Denn mit einem NPD-Verbot bekämpft man weder den Rassismus der Mitte noch die nicht parteigebundene Nazi-Szene. Auch die unhaltbare Extremismus-Theorie, die den Hauptfeind links sucht und antifaschistische Arbeit oftmals unmöglich macht, weist man mit einem NPD-Verbot nicht in die Schranken. Statt vor allem auf das Wagnis eines Verbotsverfahrens zu setzen, müssten andere Forderungen nachdrücklicher als bisher erhoben werden, zum Beispiel ein Ende der Verharmlosung der Bedrohung von rechts durch Innenministerien, Sicherheitsbehörden und »Extremismus-Experten«, der sofortige Rückzug aller V-Leute aus der Nazi-Szene, die Abschaffung des Geheimdienstes und stattdessen die Einrichtung transparent arbeitender Stellen gegen Rassimus und Neonazismus, die zügige Entwaffnung der Nazi-Szene durch Anwendung des geltenden Waffenrechts, das offensive Vorgehen der Zuständigen in Politik und Behörden, eine Förderung unabhängiger wissenschaftlicher Forschung zum Thema und ein Ende der unsäglichen Extremismus-Theorie als Maßstab für die Förderung von Projekten gegen rechts.

Angesichts des Versagens und des Wegschauens des Staates nicht nur im Fall des NSU, der Förderung der Nazi-Szene über Parteienfinanzierung und V-Leute sowie der offenbar existierenden schützenden Hand über der Szene ist eine gesunde Skepsis gegenüber dem staatlichen Handeln angebracht. Alles muss man selber machen, das war das Motto einer antifaschistischen Kampagne gegen den Bundestagswahlkampf der NPD 2009. Es hat an Gültigkeit nicht verloren.


Paul Wellsow ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der Fraktion DIE LINKE im Thüringer Landtag und schreibt für das antifaschistische Fachblatt »der rechte rand«.

[1] Dietmar Woidke: NPD-Verbotsverfahren sehr gut vorbereitet, Pressemitteilung, 12.12.2012.
[2] Innenminister sagen Ja zu neuem NPD-Verbotsantrag, in: Der Tagesspiegel vom 6.12.2012.
[3] Bundesverfassungsgericht: Einstellung der NPD-Verbotsverfahren, Pressemitteilung vom 18.3.2003.
[4] Innenminister wollen V-Leute aus NPD abziehen, in: FAZ vom 14.3.2012.
[5] Friedrich fehlen »Testate« für NPD-Verbotsverfahren, in: Die Welt vom 1.12.2012.
[6] Bundesrat: Neues NPD-Verbotsverfahren, Pressemitteilung vom 14.12.2012/Bundesrat: Antrag auf Entscheidung des Bundesrates über die Einleitung eines Verfahrens zur Feststellung der Verfassungswidrigkeit der »Nationaldemokratischen Partei Deutschlands« (NPD), Drs. 770/12 vom 14.12.2012.
[7] Bundesrat beschließt NPD-Verbotsantrag, in: Spiegel Online vom 14.12.2012.
[8] Merkel zögert NPD-Verbotsantrag hinaus, in: sueddeutsche.de vom 7.12.2012.
[9] Länder stimmen für NPD-Verbot, in: Frankfurter Rundschau vom 5.12.2012.
[10] Ehemaliger Erfurter NPD-Chef war V-Mann, MDR Online vom 5.12.2012.
[11] Informationen über den »Fall Trinkaus« und eine Chronik unter www.die-linke-thl.de/themen/themen_a_z/u_z/v_mann_skandal/.
[12] Martina Renner: Spaltpilz in der NPD, in: der rechte rand, Nr. 111/2008.
[13] Deutschlandfunk vom 15.12.2012.
[14] »Wir werden unterschätzt«, in: Junge Freiheit vom 14.12.2012.
[15] NPD Thüringen: Verdacht bestätigt: V-Mann sollte Partei radikalisieren und spalten, Pressemitteilung vom 5.12.2012.
[16] NPD-Verbotsverfahren auch ohne V-Leute ungewiss, in: tagesschau.de vom 15.3.2012.
[17] Rolf Gössner: Geheime Informanten. V-Leute des Verfassungsschutzes: Neonazis im Dienst des Staates, Knaur eBook, München 2012 (aktualisierte Auflage von 2003).
[18] Bekenntnisse eines V-Mannes, in: Stern.de vom 22.11.2011.
[19] Zu Brandt vgl. u.a. Sören Frerks/Paul Wellsow: Die Unterstützer und das Umfeld des NSU, in: Bodo Ramelow (Hrsg.): Made in Thüringen? Nazi-Terror und Verfassungsschutz-Skandal, Hamburg 2012, S. 103f.
[20] Thüringer Landtag: V-Personen in Strukturen des Thüringer Heimatschutzes, Drs. 5/4198 vom 15.3.2012.
[21] Andreas Förster: Spitzel oder Anstifter, in: freitag.de vom 14.12.2012; Maik Baumgärtner/Sven Röbel/Holger Stark: Der Brandstifter-Effekt, in: Der Spiegel, Nr. 45/2012.
[22] Vgl. u.a. NPD droht Finanzkollaps, in: Spiegel Online vom 12.12.2012.
[23] Alle Angaben vgl. Deutscher Bundestag: Bekanntmachung von Rechenschaftsberichten politischer Parteien für das Kalenderjahr 2010 (2. Teil – Übrige anspruchsberechtigte Parteien), Drs. 17/8551 vom 14.2.2012.
[24] Vgl. u.a. ebd.; Deutscher Bundestag: Auszüge aus den Rechenschaftsberichten 1990-2008 / Einnahmen alphabetisch nach Parteien, 31.2.2010.
[25] Geld der NPD: Von der Fraktion in die Szene?, NDR Mecklenburg-Vorpommern, 3.12.2012.
[26] Landtag prüft Verwendung von NPD-Geldern, in: LVZ Online vom 11.2.2011.
[27] Bundesverwaltungsgericht: Sanktionsbescheid wegen Unrichtigkeit im Rechenschaftsbericht der NPD teilweise rechtswidrig, Pressemitteilung vom 12.12.2012.
[28] NPD droht Finanzkollaps, in: Spiegel Online vom 12.12.2012.
[29] Beispielsweise von: Wolf-Dieter Narr: Weshalb ich als radikaler NPD-Gegner fast ebenso radikal gegen ein Verbot derselben votiere, in: Claus Leggewie/Horst Meier (Hrsg.): Verbot der NPD oder Mit Rechtsradikalen leben? Frankfurt a.M. 2002, S. 126ff., oder von Claus Leggewie/Horst Meier: Nach dem Verfassungsschutz. Plädoyer für eine neue Sicherheitsarchitektur der Berliner Republik, Archiv der Jugendkulturen, Berlin 2012.

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