1. Juni 2001 Heinz Bierbaum

Neoliberaler Populismus

In den Wahlen am 13. Mai in Italien hat sich das rechte Bündnis »Casa delle Libertà« unter Führung von Silvio Berlusconi durchgesetzt. Es errang in beiden Kammern – der Abgeordnetenkammer und dem Senat – die absolute Mehrheit. Klarer Verlierer ist die bislang regierende Mitte-Links-Koalition, der »Ulivo«, der vom ehemaligen Bürgermeister von Rom, Francesco Rutelli, angeführt wurde. Die unabhängig antretende »Rifondazione Comunista« kam auf 5% und überschritt damit als einzige politische Formation jenseits der Bündnisse die 4-Prozent-Hürde. Das waren zwar deutlich weniger Stimmen als bei den letzten Wahlen in 1996 mit 8,6%, aber mehr, als man ihr zugetraut hatte.

An der 4-Prozent-Hürde scheiterten die Partei »Italia dei Valori« des prominenten »Mani Pulite«-Richters di Pietro mit 3,9% als auch die vom ehemaligen Vorsitzenden der Gewerkschaft CISL, D’Antoni, ins Leben gerufene »Democrazia Europea« mit 2,4%, mit der er sich eine Plattform verschaffen wollte, um im Rahmen einer Mitte-Rechts-Koalition eine politische Führungsposition auszuüben. Innerhalb des Rechtsbündnisses kam die separatistische und rassistische Lega von Umberto Bossi ebenfalls nicht über 4%, was ihr Gewicht innerhalb des Bündnisses deutlich schmälert.

Das italienische Wahlsystem ist mit seiner Mischung aus Mehrheits- und Proporzsystem recht kompliziert. Es zwingt zu Bündnissen, die die einzige Chance für eine parlamentarische Repräsentation der kleinen Parteien darstellen. Auf der anderen Seite schwächt das eigenständige Auftreten von Parteien aber auch die Chancen eben dieser Bündnisse. So ist denn insbesondere von Repräsentanten und Wählern des Ulivo, wie etwa von dem römischen Regisseur und Gewinner der diesjährigen Goldenen Palme von Cannes, Nanni Moretti, Rifondazione der Vorwurf gemacht worden, dass sie durch ihr eigenständiges Auftreten erst den Sieg Berlusconis möglich gemacht habe. Freilich gilt dies nur bedingt. So hat Rifondazione bei den nach dem Mehrheitswahlrecht zu wählenden Abgeordneten für die Kammer auf die Aufstellung eigener Kandidaten verzichtet, nicht jedoch in den Senatswahlen, wo im Gegensatz zur Kammer durch ein entsprechendes Zusammengehen ein Erfolg des Ulivo wohl möglich gewesen wäre.

Es ist jedoch viel zu kurz gegriffen, wenn man die deutliche und nicht zu beschönigende Niederlage der Linken auf Fragen der Wahlarithmetik zu reduzieren versuchte. Kein Zweifel kann daran bestehen, dass auch die Spaltungen innerhalb des linken Lagers zur Niederlage beitrugen. Diese Zerstrittenheit hatte das linke Lager schon lange vor der Wahl in eine fast selbstzerstörerische Resignation getrieben und es in den Augen der Wähler unglaubwürdig gemacht. Mit der Zerstrittenheit ursächlich zusammenhängend sind inhaltlich-politische Gründe, die die Niederlage erklären. Es ist die mangelnde politische Identität und Substanz der Linken. Dies erklärt auch, warum der von ausländischen Kommentatoren oft hervorgehobene Regierungserfolg, Italien zu einer gewissen Stabilität verholfen und den Weg Italiens in die Europäische Wirtschafts- und Währungsunion geebnet zu haben, sich nicht in politische Zustimmung umsetzen ließ.

Dieser Mangel an Politik betrifft vor allem die stärkste Kraft des Ulivo, die Democratici di Sinistra (DS). Die aus dem Auflösungsprozess des ehemals starken PCI entstandenen Linksdemokraten haben immer wieder versucht, ein breites Mitte-Links-Bündnis zu schmieden, ohne dabei wirklich erfolgreich zu sein. Die eigentliche politische Neubestimmung blieb auf der Strecke, wie insbesondere auch der Kongress vor etwas über einem Jahr deutlich machte. Rossana Rossanda kommentierte ihn damals dahingehend, dass sich die DS das Image einer gemäßigten Regierungskraft verpasst und die Verbindung sowohl zu den kommunistischen als auch zu den sozialdemokratischen Traditionen gekappt habe.

Der politische Mangel betrifft aber nicht nur die politische Programmatik, sondern gilt auch in organisatorischer Hinsicht. Während der PCI noch eine in der Bevölkerung durch Mitglieder und Strukturen verankerte Massenpartei war, kennt die DS solche Strukturen nicht mehr, mit der Folge, dass sie sich von der Basis weitgehend losgelöst hat. Die direkte politische Konsequenz ist ein immer stärkerer Zug zur Mitte, von der dann eben nicht die DS, sondern die stärker in der Mitte stehenden Parteigebilde wie die »Margherita« von Rutelli profitieren.

Damit setzte sich in den Wahlen vom 13. Mai fort, was sich zuvor schon in den Kommunal- und Regionalwahlen gezeigt hatte. Der Anteil der Wählerstimmen der DS ging landesweit von 21,1 auf 16,6% zurück, wobei sie gerade in ihren ehemaligen Hochburgen einen wahren Einbruch zu verzeichnen hat. In der Emilia-Romagna ging ihr Stimmenanteil von 35,7 auf 28,8% zurück, in Umbrien von 33,2 auf 25,9%; am stärksten ist sie noch in der Toskana mit einem Stimmenanteil von 31,0% (-3,8%). Auf der anderen Seite erfüllten sich ihre Hoffnungen nicht, im Süden mehr Stimmen zu gewinnen. Auch dort gab es erhebliche Einbrüche – insbesondere in Apulien mit einem Rückgang von 9,2 auf magere 12,9%.

Der Sieg Berlusconis fiel deutlich aus, mehr noch von der Zahl der Sitze als von den Stimmen her. Seine Stellung wird dabei zusätzlich durch die Verschiebung des Kräfteverhältnisses innerhalb des rechten Lagers gestärkt. Die Lega Nord schrumpfte von 10,1 auf 3,9%, und auch die postfaschistische Alleanza Nationale musste einen Rückgang von 15,7 auf 12% hinnehmen. Dagegen wurde Forza Italia mit 29,4% (+ 8,8%) die mit Abstand stärkste politische Formation in Italien und dominiert das Rechtsbündnis nun klar.

Forza Italia ist ein politisches Phänomen, das in Europa seinesgleichen sucht. Sie ist eigentlich keine richtige Partei, sondern ein Instrument im Dienste ihres unbestrittenen Führers Berlusconi. Politisch steht sie für ein klar neoliberales Programm mit der Forderung nach mehr Liberalisierung und Deregulierung im Interesse der privaten Unternehmen. Deshalb ist der Sieg Berlusconis von den italienischen Arbeitgeberverbänden vehement begrüßt worden, die sofort die Umsetzung ihrer politischen Forderungen einklagen. Auf der anderen Seite ist Forza Italia und besonders Berlusconi selbst zugleich von einem starken Populismus geprägt. Dabei gibt es sowohl stark patriarchalische als auch postmoderne Züge, was sich vor allem auch in einem exzessiven Gebrauch moderner Kommunikationsmittel ausdrückt. Berlusconi steht für eine autoritäre Politik in einem modern erscheinenden Gewand. Sein Sieg ist Ausdruck neoliberaler gesellschaftlicher Hegemonie. Und eben diese Verbindung von Neoliberalismus und Populismus macht ihn so gefährlich – ganz abgesehen von seiner Medienmacht, die jeder demokratischen Gewaltenteilung Hohn spricht. Angesichts dieser im Nahmen der Freiheit auftretenden totalitären Politik muss jeder Anspruch auf politische Gestaltung von Wirtschaft und Gesellschaft als Rückfall in überkommene (sozial)staatliche, an sozialistische und kommunistische Politik gemahnende Regelungen erscheinen, wie denn auch Berlusconi nicht müde wird, noch jede Kritik an seiner Politik, seinem recht dubiosen Geschäftsgebaren, an seiner Person und vor allem jeden Versuch alternativer Politik als kommunistisch orientiert zu diffamieren.

Berlusconis Freiheit ist vor allem die Freiheit des Einzelnen und des privaten Unternehmers. Nicht zufällig war es Maggie Thatcher, die kurz vor den Wahlen Berlusconi gegenüber den nicht gerade freundlichen Stimmen der europäischen Wirtschaftspresse in Schutz genommen hat. Für kollektive Regelungen ist kein Platz. Es ist daher nur konsequent, wenn er als eine der ersten Maßnahmen die Legalisierung des illegalen privaten Wohnungsbau angekündigt hat. Berlusconi ist die »Antithese« zur Politik als sozialem und auch öffentlichem Prozess.

Der Linken kann der Vorwurf nicht erspart werden, den Boden für diese Politik mit vorbereitet zu haben. Das von einer zwischen Distanz zur kommunistischen Vergangenheit, sozialdemokratischer bis liberaler Neuorientierung und Versuchen alternativer Politik hin und her taumelnden Linken hinterlassene politische Vakuum bildete den Nährboden für die zunehmende neoliberale Hegemonie. Angesichts dieser Verhältnisse geht niemand davon aus, dass der zweiten Regierung Berlusconi ein ebenso schnelles Ende beschieden sein wird, wie der ersten. Politisch spricht wesentlich mehr dafür, dass es zu einer längerfristigen Regierungsperiode Berlusconis kommen wird. Als problematisch könnte sich allerdings sein großsprecherisches Programm erweisen. Mit Steuersenkungen, totalen Freiheiten für unternehmerische Tätigkeit und auch großen Infrastrukturprojekten will er Italien zu neuem Wohlstand führen.

Dies wirft nicht nur Fragen nach der Finanzierung auf, sondern wird auch den Widerstand der Gewerkschaften hervorrufen. Zwar soll wohl die Rentenfrage zunächst außer Acht bleiben, an der die erste Regierung Berlusconi gescheitert war. Auf der anderen Seite besteht bereits heute erheblicher sozialer Sprengstoff. Die bislang betriebene Politik des Sozialpaktes, der in jüngster Zeit von den Unternehmerverbänden politisch aufgekündigt wurde, hat sich für die abhängig Beschäftigten nicht ausgezahlt. Aktuell stellen die Entlassungen bei FIAT ein erhebliches Konfliktpotenzial dar. Der aus diesem Anlass ausgerufene Streik der italienischen Metaller am 18. Mai verlief außerordentlich erfolgreich und ist nach den Wahlen zugleich von erheblicher politischer Bedeutung.

Den Gewerkschaften kommt auch im Hinblick auf die notwendige Neuformierung der Linken eine Schlüsselrolle zu. Dies gilt insbesondere für die größte Gewerkschaft, die CGIL. Eine offensivere gewerkschaftliche Politik, die in Abkehr von der Politik der Sozialpakte stärker die Interessen der Mitglieder in den Vordergrund stellt und auch politisch prononcierter auftritt, wird von der Gewerkschaftslinken schon seit langem gefordert. Sollte diese Position innerhalb der Gewerkschaften an Gewicht gewinnen, dürfte dies auch Einfluss auf die Entwicklung der Linken insgesamt haben. Hier ist eine umfassende Neubestimmung unausweichlich, schließlich ist die Linke innerhalb und außerhalb des Ulivo auf einem historischen Tiefpunkt angekommen. Fausto Bertinotti von Rifondazione Comunista orientiert in Richtung einer »pluralen Linken« nach französischem Vorbild. Auf der anderen Seite wird erneut die Parole der Bildung einer neuen Mitte-Links-Formation ausgegeben, die politisch wohl stark in die Mitte zielt und eine Nähe zur »Neuen Sozialdemokratie« à la Schröder-Blair aufweist. Die DS werden ihre Position auf dem bereits angekündigten Parteitag näher diskutieren.

Freilich sind die Bedingungen für eine tiefgreifende und nicht nur an der Oberfläche verbleibenden politischen Reflexion vor dem Hintergrund der bisherigen Entwicklung nicht besonders gut. Zu Optimismus besteht wenig Anlass. Eine wirkliche Erneuerung wird nur in Zusammenhang mit einer Verschärfung der sozialen Auseinandersetzungen möglich sein.

Heinz Bierbaum ist Hochschullehrer an der Universität des Saarlandes und Leiter des INFO-Instituts in Saarbrücken.

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