22. August 2013 Paul Wellsow: Ein »immer wiederkehrendes Muster der Verharmlosung«

NSU: Vollständige Aufklärung?

Verändert hat sich in den Behörden und Ministerien wenig. Statt konsequent Aufklärung im Fall des »Nationalsozialistischen Untergrundes« (NSU) zu betreiben und Transparenz über Behördenhandeln herzustellen, wird gemauert.

Bevor der Untersuchungsausschuss des Bundestages zum NSU am 22. August 2013 seinen Abschlussbericht dem Präsidenten des Bundestages übergab, wurde das noch einmal deutlich. Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich (CSU) sprach sich gegen mindestens 118 Textstellen im Berichtsentwurf der ParlamentarierInnen aus. 47 Passagen sollten sogar ganz gelöscht werden.[1] »In vielen Fällen«, so gibt Der Spiegel die Forderung der Bundesregierung nach Streichungen wieder, seien »äußerst sensible Belange des Bundeswohls« betroffen, die öffentlich nicht bekannt werden dürften. Vollständige Aufklärung, wie sie von der Bundeskanzlerin im Februar 2012 auf der zentralen Gedenkveranstaltung für die Mordopfer des NSU versprochen worden war, sieht anders aus.


Spitzel als Aufbauhelfer

Löschen wollte der Minister unter anderem die Nennung von längst enttarnten V-Leuten und Informationen über die »Operation Rennsteig«, eine Aktion mehrerer deutscher Geheimdienste zur Gewinnung von Spitzeln in der Quellorganisation des NSU, dem »Thüringer Heimatschutz«. Zudem verlangte die Bundesregierung die Streichung einer Passage über ein Papier aus dem Bundeskriminalamt von 1997. Darin kritisierte die Staatsschutzabteilung die gewichtige Rolle von V-Leuten für den Aufbau der militanten Nazi-Szene. Das Agieren des Geheimdienstes schade der Ermittlungs- und Präventionsarbeit der Polizei. Die »Beweisführung in Ermittlungs-/Strafverfahren« sei mehrfach durch die Aufdeckung von Geheimdienstquellen »erschwert oder sogar unmöglich« geworden. Spitzel würden oft »weder angeklagt noch verurteilt«, wenn sie als Straftäter festgestellt werden, bemängelte die Polizei. Sie unterlägen »erkennbar keinem Verfolgungsdruck«.

Mit der Nennung von Namen und Sachverhalten begründete der Staatsschutz die Bedeutung staatlich alimentierter Spitzel für den Aufbau der Neonazi-Strukturen. V-Leute des Geheimdienstes würden »maßgeblich in führenden/exponierten Positionen an der Vorbereitung von Veranstaltungen/Versammlungen/Aktionen« mitwirken. Es bestehe die Gefahr, »dass Quellen sich gegenseitig zu größeren Aktionen anstacheln«, befürchtete das BKA damals. Erst durch die Zuwendungen des Geheimdienstes sei »die Mehrzahl der Quellen … sowohl finanziell als auch materiell in der Lage, Kontakte zu knüpfen und aufrecht zu halten«. V-Leute würden auch vor Razzien und Überwachung gewarnt. Durch die Zitierung dieses BKA-Papieres im Abschlussbericht des Untersuchungsausschusses würde das »Ansehen des Bundesamts« beschädigt, bemängelt nun das Bundesinnenministerium. Absurd, denn das Papier ist lange bekannt, die Presse berichtete ausführlich.[2]


»Aufklärung« im Bund

Das bereinigte Papier des Untersuchungsausschuss wird abschließend am 2. September diskutiert. Auf gut 1.000 Seiten werden die Ergebnisse von über einem Jahr Aufklärungsarbeit zusammengefasst.[3] Die Abgeordneten sichteten 12.000 Akten und hörten 107 Zeugen und Experten an. In seinem Geleitwort lobt der Präsident des Bundestages Norbert Lammert (CDU) die Arbeit des Ausschusses, er habe durch seine »gründliche, sachorientierte, überparteiliche Arbeit« zur Aufklärung beigetragen. Leider vergisst er, dass die tatsächlich außergewöhnliche Aufklärung oft nur gegen großen Widerstand aus Behörden und Ministerien möglich war und immer wieder am Schweigen von Zeugen und dem Schreddern von Akten scheiterte. Petra Pau, Mitglied der Fraktion DIE LINKE im Untersuchungsausschuss, kritisiert daher zu Recht: »In den Verfassungsschutzämtern von Bund und Ländern, selbst im Bundesinnenministerium etwa wurden die Schredder in Gang gesetzt und Akten vernichtet. Das Bundesverteidigungsministerium hat uns bis Sommer 2012 erklärt, sein Militärischer Abschirmdienst (MAD) habe mit dem NSU-Komplex nichts zu tun und müsse deshalb mit uns nicht kooperieren. Erst auf unser Drängen hin hat man uns mit Akten beliefert, die sehr wohl relevant für unseren Untersuchungsgegenstand waren. Bis zum Schluss gab es auch einige Bundesländer, die wichtige Akten zurückhielten und diese erst rund um die letzten Sitzungstermine übersandten.«[4]

Detailliert fasst der Bericht die Ergebnisse zusammen, ein erschreckendes Dokument staatlichen Handelns. Gut 50 Seiten umfassen die gemeinsamen Bewertungen der Abgeordneten. Einigkeit besteht darüber, dass der NSU »eine beschämende Niederlage der deutschen Sicherheits- und Ermittlungsbehörden« war. Betont wird die »doppelte Traumatisierung« der Angehörigen der Mordopfer – erst durch die Tat selbst, anschließend durch die teils rassistisch geprägten Ermittlungen im Umfeld der Toten. Offen werden »schwere behördliche Versäumnisse und Fehler sowie Organisationsmängel bis hin zum Organisationsversagen bei Behörden von Bund und Ländern vor allem bei Informationsaustausch, Analysefähigkeit, Mitarbeiterauswahl und Prioritätensetzung« eingeräumt – das sind laute Ohrfeigen für Behörden und Verantwortliche.

Als »besonders schwerwiegende Fehler« werden die »mangelhafte Vorbereitung und Durchführung der Durchsuchungen in Jena am 26. Januar 1998« genannt, als den späteren mutmaßlichen Mitgliedern des NSU Uwe Böhnhardt, Uwe Mundlos und Beate Zschäpe unter den Augen der Polizei die Flucht in den Untergrund gelang – die »teils versäumten, teils völlig falsche Auswertung der in der Garage (…) beschlagnahmten Adressliste des Uwe Mundlos« und »der mangelhafte Informationsaustausch zu und die Nichtnutzung von Hinweisen auf das Trio, die von der V-Person Piatto der Landesverfassungsschutzbehörde Brandenburg stammten«. Kritisiert werden die Ermittlungen zu allen zehn Morden und die »mangelnde Offenheit für alternative Ermittlungsansätze« – gemeint ist das Nicht-Erkennen des rassistischen Hintergrundes der Taten. Auch der »Applaus für Fälle von mörderischem Rassismus in den frühen 1990er Jahren« aus der Mitte der Gesellschaft und der »Eindruck staatlicher Gleichgültigkeit« sowie Unkenntnis gegenüber Neonazismus werden in dem Bericht aufgeführt, ebenso die zwielichtige Rolle von V-Leuten. Auch wenn diese Passagen zurückhaltend und stets staatstragend formuliert sind, ist hier doch ein vorsichtiger Wandel in den Bewertungen erkennbar, denn sie widersprechen den bisher in den Behörden dominierenden Einschätzungen von »Extremismus-Experten« und Geheimdienstlern.

Der Bericht hebt jedoch auch hervor, es gebe »keinerlei Anhaltspunkte« dafür, »dass irgendeine Behörde an den Straftaten, die der Terrorgruppe (…) zur Last gelegt werden, in irgendeiner Art und Weise beteiligt war, diese unterstützte oder billigte«. Auch gebe es »keine Belege dafür«, dass »irgendeine Behörde den NSU dabei unterstützt hätte, sich dem Zugriff der Ermittlungsbehörden zu entziehen«. Aber es heißt auch: »Diese Feststellung gilt nicht für die von Sicherheitsbehörden geführten V-Personen aus der rechten Szene.« Denn sie waren aktiv bei der Flucht und der Beschaffung von Papieren, Unterkünften, Geld und Waffen beteiligt. Die Verantwortung für das Handeln ihrer Spitzel lehnen der Ausschuss, die Geheimdienste und die Regierung bisher ab. Dabei ist es in der juristischen Debatte umstritten, ob und wie weit der Staat für das Handeln der von ihm beauftragten und bezahlten V-Leute verantwortlich ist.

Als Konsequenzen werden vom Ausschuss Reformen vorgeschlagen. Die reichen von klareren Vorschriften im Umgang mit Akten, die Hinzuziehung von »Expertenwissen aus Wissenschaft und Zivilgesellschaft« bis hin zur stärkeren Einbindung von BKA und Generalbundesanwaltschaft. DIE LINKE legte zu dem Bericht ein Sondervotum vor.[5] Sie weicht vor allem bei der Einschätzung der Rolle der V-Leute und den politischen Konsequenzen für die Sicherheitsarchitektur ab. Es müsse letztlich um die Auflösung des Inlandsgeheimdienstes und die Einrichtung einer transparent arbeitenden Dokumentationsstelle für Demokratie und gegen Rechtsextremismus gehen. Zudem betont DIE LINKE die Gefahr rassistischer, antisemitischer und antidemokratischer Einstellungen in der Mitte der Gesellschaft.


»Aufklärung« in Bayern

Während die Untersuchungsausschüsse in Sachsen und Thüringen noch mitten in der Arbeit stecken und bis zu den Landtagswahlen 2014 weiterlaufen, hat auch der Bayerische Untersuchungsausschuss mit Blick auf die anstehenden Landtagswahlen seinen Abschlussbericht im Juli 2013 vorgelegt. In dem 260 Seiten starken Papier[6] werden die Fehler der Bayerischen Behörden und der Landesregierung untersucht.

Da fünf der NSU-Morde in Bayern verübt wurden und es enge Kontakte zwischen Thüringer und Bayerischen Neonazis gab, stand der Freistaat besonders im Blickpunkt der Öffentlichkeit. In 31, nur teils öffentlichen Sitzungen wurden 55 ZeugInnen aus Polizei, Geheimdienst, Verwaltung und Politik vernommen.

Das Fazit ähnelt dem Bericht des Bundestags und ist für die Behörden ebenso bitter. Der Bayerische Verfassungsschutz wies demnach deutliche Defizite bei der Auswertung von Informationen auf, »eine wissenschaftliche Durchdringung der Phänomene des Rechtsextremismus« sei ausgeblieben. Die im Ausschuss gehörten Mitarbeiter hätten »nur einen unzureichenden Kenntnisstand« über neonazistische Untergrundkonzepte gehabt, heißt es. Die Organisation des Landesamtes sei »ineffektiv«, bei der Führung von V-Leuten gebe es »umfangreichen Verbesserungsbedarf«. Und auch bei der Zusammenarbeit der Behörden und dem Informationsaustausch sah der Ausschuss Defizite. Zahlreiche konkrete »Fehler und Fehleinschätzungen« von Polizei und Geheimdienst listeten die Abgeordneten akribisch auf. Auch »die bewusst nachrangige Behandlung des möglichen ausländerfeindlichen Hintergrundes« der Taten wird als Fehler gewertet.

In einem Sondervotum kritisierten die Abgeordneten von SPD und Grünen die Extremismus-Theorie als Grundlage der Geheimdienste, ihre bis heute nachwirkende antikommunistische Gründungsgeschichte und das Fehlen parlamentarischer Kontrolle. Auch die Funktion von V-Leuten als Aufbauhelfer der Neonazi-Szene und der Schutz von »Quellen« vor Strafverfolgung werden kritisiert, selbst wenn sie den Einsatz von Spitzeln nicht grundweg ablehnen. Die beiden Parteien fordern in ihrem Sondervotum eine sozialwissenschaftliche Qualifizierungsoffensive für den Geheimdienst, bessere Kontrolle von Beamten, einen engeren rechtlichen Rahmen für die Arbeit des Dienstes und ein wachsameres Auge auf rechte und rassistische Aktivitäten sowie die Stärkung zivilgesellschaftlicher Akteure.


Halbzeit in Thüringen

Nach der Sommerpause wird sich der Thüringer Untersuchungsausschuss ab dem 5. September mit der erfolglosen Fahndung nach Böhnhardt, Mundlos und Zschäpe beschäftigen. Der Ausschuss hatte Anfang 2012 seine Arbeit mit der Anhörung von AntifaschistInnen und ExpertInnen begonnen, um die Bedrohung von Rechts in den 1990er Jahren in Thüringen und die politische Situation zu thematisieren. Denn dieser Teil der Geschichte Thüringens war in über 20 Jahren CDU-Herrschaft erfolgreich verdrängt worden.

Chronologisch arbeitet sich der Ausschuss seitdem durch die Entstehung und Radikalisierung der Nazi-Szene, das Entstehen des Thüringer Inlandsgeheimdienstes unter dessen skurrilem Präsidenten Helmut Roewer bis hin zum Abtauchen des späteren NSU im Januar 1998. Die Befragung der bisherigen Zeugen aus Ämtern, Behörden, Polizei und Regierung hat erhebliche Widersprüche in den Darstellungen des Geschehens aufgezeigt – vor allem in den Fragen, welche Rolle das Bundesamt für Verfassungsschutz und das Landesamt für Verfassungsschutz spielten. Denn die Dienste waren teils mit aufwändigen eigenen Maßnahmen aktiv, um den Aufenthaltsort der Abgetauchten, Kontakte und Geldflüsse zu ermitteln. Unterstützten sie nur die Fahndung der Polizei oder hatten sie eigene Interessen? Sollte vielleicht über die Abgetauchten ein Zugang zu klandestinen Neonazi-Strukturen geschaffen werden?

Zuletzt sorgte eine dritte Telefonliste für Aufsehen, die bei der Razzia 1998 in Böhnhardts Wohnung gefunden wurde. Darauf seien relevante Kontakte der Neonazis verzeichnet gewesen, vermerkte die Polizei und lieferte das Beweisstück bei der Staatsanwaltschaft ab. Ausgewertet wurde die Telefonliste dennoch nie, zu finden ist sie ebenfalls nicht mehr. Hier stellt sich wieder einmal die Frage, warum bestimmte Hinweise nie ausgewertet wurden. Klar ist, dass auf den Kontaktlisten der Abgetauchten auch mehrere V-Leute standen. Sollten sie durch das Verschwindenlassen der Asservate geschützt werden? Auch neue Aktenfunde in Sachsen zeigen, dass die Behörden mit ihrer Fahndung dicht an den späteren NSU-Mitgliedern dran waren.

Im März 2013 hat der Thüringer Untersuchungsausschuss der Öffentlichkeit einen 550 Seiten starken Zwischenbericht vorgelegt.[7] Alle Fraktionen waren sich einig, dass es in den 1990er Jahren eine fatale Verharmlosung der extremen Rechten gab und in den Behörden katastrophale Zustände herrschten. Aber auch hier wurden unterschiedliche Wertungen deutlich.

DIE LINKE betonte den Zusammenhang zwischen der Verharmlosung des Neonazismus und der Abschaffung des Asylrechts in den 1990er Jahren, und dass es kein »Versagen« des Geheimdienstes aufgrund abstellbarer Fehler gab, sondern der Verfassungsschutz an sich und sein intransparentes Wesen der Fehler sei.[8] Die Rolle des Bundesamtes für Verfassungsschutz, der Mord an der Polizistin Michèle Kiesewetter 2007 durch den NSU und der Tod von Böhnhardt und Mundlos in Eisenach im November 2011 werden die nächsten Aufgaben für den Thüringer Ausschuss sein.


Der NSU-Prozess

Der Prozess gegen das mutmaßliche NSU-Mitglied Beate Zschäpe und mehrere Personen, denen Unterstützung der Terrorgruppe vorgeworfen wird, begann mit einer Farce und Peinlichkeiten. Nicht die Opfer der Mordserie oder die Aufarbeitung des Geschehens standen im Mittelpunkt, sondern die Akkreditierung von JournalistInnen, prozesstechnische Fragen und die Kleidung der Angeklagten. Doch durch die Aussagen des Beschuldigten NSU-Helfers Carsten Schultze hat der Prozess mittlerweile an Fahrt gewonnen und wird zur Aufklärung beitragen. Schultze belastete den Mitangeklagten Ralf Wohlleben schwer. Der frühere Thüringer NPD-Funktionär habe ihm unter anderem die Aufträge erteilt, den Kontakt zu den Abgetauchten zu halten, und hätte am Telefon von einem Attentat der Abgetauchten berichtet. Auch gestand Schultze die Übergabe von Waffen an die mutmaßlichen NSU-Mitglieder und berichtete von einem weiteren Bombenanschlag 1999 in Nürnberg, den er den drei Abgetauchten zurechnete. Schultzes Aussagen zeigen zudem, dass »die Konstruktion in der Anklageschrift, der NSU sei eine abgeschottete Zelle mit einem kleinen UnterstützerInnenumfeld, nicht stimmt«, wie die Prozessbeobachtung »NSU Watch« in einer ersten Auswertung des Prozesses schreibt.[9] Durch die aktiven und kritischen NebenklägerInnen werden im Prozess auch die Perspektive der Opfer sowie die Fragen nach dem Handeln der Geheimdienste und der Verantwortung des Staates zum Thema. Er wird am 5. September fortgesetzt.


Ein Zwischenfazit

Auch wenn es für ein Fazit noch viel zu früh ist, zeichnen allein die bisher öffentlichen offiziellen Dokumente ein erschreckendes Bild.[10] Das, was heute beweisbar ist, hätten früher die meisten Menschen in Deutschland für einen überzogenen Geheimdienst-Thriller gehalten. Es war mitten in Deutschland für eine polizeibekannte, von allen Behörden gesuchte Gruppe gewalttätiger Neonazis möglich, unter den Augen des Staates abzutauchen. Alles, was für eine erfolgreiche Fahndung gebraucht wurde, war bekannt: Fingerabdrücke, Fotos, DNA-Proben und mögliche Kontaktpersonen. Auch das Unterstützer-Netz und das politische Umfeld der Abgetauchten waren polizeibekannt und von Spitzeln durchsetzt. Mehrere V-Leute gaben Hinweise auf das Handeln und den möglichen Aufenthaltsort der Gesuchten. Auch alle Behörden fahndeten zum Teil mit hohem Aufwand nach den späteren mutmaßlichen NSU-Mitgliedern. Dass sich die drei im Untergrund auf den Weg in den Terrorismus machten, hätte der Geheimdienst frühzeitig durch die ihm zugeflossenen Informationen wissen können – das zeigt das »Schäfer-Gutachten« eindrücklich. Und dennoch konnten (oder sollten?) die mutmaßlichen NSU-Mitglieder nicht gefunden werden.

Mit dem Hinweis auf »Pleiten, Pech und Pannen« und die tatsächlich gemachten Fehler lassen sich die Vorgänge nicht vollständig erklären.[11] Hinter dem multiplen Versagen der Behörden steckte mindestens das »immer wiederkehrende Muster der strategischen Relativierung und Verharmlosung«[12] der Gefahren von Rechts, wie Micha Brumlik und Hajo Funke schreiben. Das Leugnen und Verharmlosen, die Gleichsetzung von Links und Rechts, der Rassismus in Behörden und das Päppeln und Absichern von militanten Neonazis über das V-Mann-System trugen ihren Teil bei.

Mit dem Abschluss des Untersuchungsausschuss im Bundestag ist die Aufklärung noch lange nicht vorbei. Die Arbeit der Ausschüsse in Sachsen und Thüringen sowie der Prozess in München werden zahlreiche weitere Hinweise liefern. Während sich im Bund die FDP und DIE LINKE bereits für die Fortführung im Bundestag ausgesprochen haben, will die CDU/CSU die Arbeit des Ausschusses beendet wissen. In Bayern haben Grüne und SPD die Notwendigkeit für einen neuen Ausschuss angedeutet – notwendig wäre es. Auch im von Grünen und SPD regierten Baden-Württemberg würde ein Ausschuss zur Aufklärung des bis heute rätselhaften Mordes an Michèle Kiesewetter und die Verstrickung von Polizeibeamten in die Neonazi-Organisation »Ku-Klux-Klan« benötigt. In Brandenburg, Hessen, Mecklenburg-Vorpommern und Sachsen-Anhalt blieb es bisher erschreckend still, obwohl sowohl Geheimdienste als auch Neonazi-Strukturen aus diesen Ländern mit den Vorgängen verstrickt waren. Doch die politischen Konstellationen, der Geheimhaltungswunsch aus den Ämtern, das Festhalten am intransparenten Wirken der Dienste und der mangelnde öffentliche Druck lassen hier kaum Hoffnung zu.

Neben der Frage, ob und wie die Aufklärung weitergeführt wird, geht es nun auch um politische Konsequenzen. Den Bericht des Untersuchungsausschusses des Bundes wird keine künftige Bundesregierung ignorieren können. Doch statt die Befugnisse der Geheimdienste als Teil des Problems zu beschneiden oder gleich ganz aufzulösen, gehen die Debatten in eine ganz andere Richtung. Zu Recht warnen Micha Brumlik und Hajo Funke mit Blick auf den von Bundesinnenminister Friedrich angestrebten Umbau der Sicherheitsarchitektur vor einem »autoritären Backlash in undemokratische Zeiten«.[13] Das Ziel von CDU/CSU und den Vertretern der Dienste ist die Stärkung und Zentralisierung der Bundesbehörden und der nicht kontrollierbaren Geheimdienste. Mit drastischen Worten warnen Brumlik und Funke: »Zumindest in Ansätzen existiert auch in diesem Land also das, weswegen – unter anderem – der Türkei die Aufnahme in die EU verweigert wird: ein ›tiefer Staat‹ der Geheimdienste.«

Paul Wellsow ist wissenschaftlicher Mitarbeiter der Fraktion DIE LINKE im Thüringer Landtag und schreibt u.a. für das antifaschistische Fachblatt »der rechte rand«.

[1] Vgl. M. Baumgörtner/H. Gude/S. Röbel/J. Schindler: »Äußerst sensible Belange«, in: Der Spiegel, Nr. 34/2013.
[2] Andreas Förster: Spitzel oder Anstifter, in: freitag.de vom 14.12.2012; Maik Baumgärtner/Sven Röbel/Holger Stark: Der Brandstifter-Effekt, in: Der Spiegel, Nr. 45/2012; Paul Wellsow: Nazis, Spitzel und der Staat, in: Sozialismus, Nr. 1/2013.
[3] Deutscher Bundestag: Beschlussempfehlung und Bericht des 2. Untersuchungsausschusses nach Artikel 44 des Grundgesetzes, 22.8.2013.
[4] »Wir sind nicht fertig mit dem Untersuchungsauftrag«, in: Berliner Zeitung vom 20.8.2013.
[5] Zu finden auf www.linksfraktion.de.
[6] Bayerischer Landtag: Schlussbericht, Drucksache 16/17740.
[7] Thüringer Landtag: Zwischenbericht des Untersuchungsausschusses 5/1, Drucksache 5/5810, 7.3.2013.
[8] Zum Thüringer Ausschuss vgl. Steffen Trostorff: Thüringen: Keine lückenlose Aufklärung, in: Bodo Ramelow (Hrsg.): Schreddern, Spitzeln, Staatsversagen, Hamburg 2013.
[9] Sebastian Schneider: Ein Beitrag zur Aufklärung, in: der rechte rand, Nr. 143/2013; »NSU Watch« (www.nsu-watch.info) veröffentlicht kontinuierlich Protokolle von allen Verhandlungstagen.
[10] Neben den Berichten der Ausschüsse vom Bund und aus Bayern sowie dem Zwischenbericht aus Thüringen sei hier v.a. der »Schäfer-Bericht« erwähnt (vgl.: Gerhard Schäfer/Volkhard Wache/Gerhard Meiborg: Gutachten zum Verhalten der Thüringer Behörden und Staatsanwaltschaften bei der Verfolgung des »Zwickauer Trios«, Thüringer Innenministerium, Erfurt, 2012).
[11] Vgl. dazu auch: S. Dittes/K. König/M. Renner/C. Schaft/S. Trostorff/P. Wellsow: Was war der NSU?, in: Sozialismus, 5/2013
[12] Micha Brumlik / Hajo Funke: Auf dem Weg zum »tiefen Staat«? Die Bundesrepublik und die Übermacht der Dienste, in: Blätter für deutsche und internationale Politik, Nr. 8/2013.
[13] Ebd.

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