1. Mai 2000 Joachim Bischoff

PDS - Die Lust an der Selbstzerstörung

Die PDS hat sich mit ihrem Parteitag in Münster tiefer in eine Krise hineingesteuert. Für Winfried Wolf, politisch im Spektrum trotzkistischer Strömungen beheimatet, ist der Grund der negativen Entwicklung glasklar: »Es geht der Mehrheit des Vorstands nicht um programmatische Bereicherung und Schärfung des sozialistischen, programmatischen Profils der PDS. Es ging in Münster um einen Richtungswechsel nach rechts. Und dieser scheiterte.« [1] Mehr noch: die Mehrheit von Parteivorstand und Bundestagsfraktion habe sich mit der drastischen Niederlage nicht abgefunden und gehe zur Drohung an die aufmüpfige Parteibasis über. »Das kommt dem Nichtakzeptieren einer demokratisch und souverän getroffenen Entscheidung des Parteitages gleich.« Selbst in der eigenen Koalition unterschiedlicher Strömungen dürfte diese These vom Rechtsdrall der Vorstandsmehrheit nicht durchweg geteilt werden.

Die in dieser politischen Bewertung von Wolf sichtbar werdende Intoleranz hat die gesamte Auseinandersetzung bis zum Parteitag geprägt. Logischerweise hält der abtretende Parteivorsitzende Bisky den Vertretern der Strömungskoalition – Winfried Wolf, Michael Benjamin und Uwe-Jens Heuer – vor, sie müssten gegen den Parteivorsitzenden, die Mehrheit des Bundesvorstandes und die Führung der PDS-Bundestagsfraktion ein Parteiausschlussverfahren wegen Missachtung von Grundsatzbeschlüssen beantragen. Geht man davon aus, dass eine abgehobene Parteiführung um eigener materieller Vorteile willen die PDS nach »rechts« schieben will, ist der Vorrat an politisch-programmatischen Gemeinsamkeiten offenkundig sehr schmal geworden. Der Parteiführung wird ein Richtungswechsel unterstellt, und mit einer Unterschriftensammlung sollen die politischen Kräfteverhältnisse für die Fortführung des bisherigen politischen Kurses hergestellt werden.

Die von Wolf und anderen gewählte Methodik der politischen Auseinandersetzung hat im sektiererischen Milieu der sozialistischen Linken Tradition und nimmt die Verletzung und Herabsetzung von politischen Weggefährten und Mitstreitern billigend in Kauf. Logischerweise stürzen sich die politischen Kontrahenten und die Medien auf diese Selbstzerfleischung der politischen Linken. Wenn von den Vertretern einer siegreichen Koalition erklärt wird, die Parteiführung wolle die Partei »sozialdemokratisieren« oder »schröderisieren«, verfolge also eine Politik, die gegen die große Mehrheit der Parteibasis gerichtet sei und auf eine Spaltung hinauslaufe, dann zwingt der alltagsübliche Voyeurismus dazu, diese Lust am Untergang mitzuerleben. Es gibt keinen Zweifel: diese Mischung von persönlichen Herabsetzungen, Neubesetzung der politischen Leitung und Strategiedebatte kann das politische Projekt PDS als bundesweit agierende und im Parlament vertretene Kraft zerstören. Dass sich in Münster eine breite Koalition verschiedenster sozialistisch-kommunistischer Strömungen und Tendenzen zusammenfinden konnte, hing allerdings mit politischen Fehlern der Mehrheit des Vorstandes zusammen. Zunächst ist die in der Partei verabredete Programm- und Strategiedebatte aus dem Ruder gelaufen. Auch die nicht gerade für ihre Aufgeschlossenheit gegenüber neuen Phänomenen und Erscheinungen des gegenwärtigen Kapitalismus bekannten Repräsentanten der Kommunistischen Plattform, des Marxistischen Forums und des trotzkistischen Spektrums dürften nicht bestreiten, dass eine Verständigung über die Entwicklungslinien der hochentwickelten kapitalistischen Gesellschaften überfällig ist. Aber die Programmkommission der PDS hatte sich in einen Grundsatzstreit zwischen dem Projekt des »Modernen Sozialismus« und überlieferter Kapitalismuskritik verstrickt.

Sie hat im November 1999 ein umfangreiches Thesenpapier und ein Minderheitenvotum von Benjamin, Heuer und Wolf vorgelegt.2 Der Positionsbestimmung der Mehrheitsströmung unterliegt die Konzeption eines »Modernen Sozialismus«. Diese strategische Konzeption einer modernen sozialistischen Politik war in der Endphase der staatssozialistisch verfassten Gesellschaft entstanden. In Auswertung der Entwicklungsdefizite und der gescheiterten Reformversuche hatte sich die zentrale These aufgedrängt: Die Stagnation war systembedingt, den staatssozialistischen Gesellschaften und ihren Wirtschaftssystemen fehlten genau die Glieder, welche die Evolutionsfähigkeit moderner Gesellschaften ausmachen: Rechtsstaatlichkeit, Demokratie und zivilgesellschaftliche Strukturen. Das Credo lautete daher: Moderner Sozialismus zielt als Strategie auf die Überwindung eines staatssozialistischen Fordismus und stellt insofern auch eine Antwort auf den modernen Kapitalismus dar. Die Vertreter der Minderheitsposition (Benjamin, Heuer, Wolf) polemisieren gegen diese Moderne-Konzeption.

Die beiden umfangreichen Ausarbeitungen – Mehrheits- und Minderheitsposition – blieben und bleiben bis heute jedoch für große Teile der Parteimitglieder unverständlich. Die Mehrheit von Parteivorstand und Programmkommission signalisierte vor dem Parteitag die Bereitschaft für Korrekturen, ohne allerdings konkrete Vorschläge oder Diskussionsthemen vorzugeben. Zu Recht höhnt der Protagonist eines Konfrontationskurses, Wolf: »Im Grunde wurde gesagt und beschlossen: wir haben diskutiert, wir diskutieren weiter.« Die Konzeptions- und Führungslosigkeit der Mehrheit des Parteivorstandes konnte leicht in einen Sieg der Opposition umgemünzt werden.

Vor diesem generellen Hintergrund muss auch die Debatte um die Ausgestaltung des Antimilitarismus und die Stellung zu möglichen Kampfeinsätzen der UNO (Kapitel VII der Charta) eingeordnet werden. Der Sache nach ging es um die Frage, wie die PDS sich eine Verteidigung des Völkerrechts, der Internationalen Organisationen und eine Beilegung von rassistisch-ethnisch motivierten Bürgerkriegskonflikten vorstellt. Auch hier wurde vom Parteivorstand nicht eine Unterrichtung und Verständigung mit Basisorganisationen und Delegiertenkonferenzen gesucht, so dass die Kampagne, der Vorstand wollte mit aller Macht und vielen Tricks einen Richtungswechsel organisieren, einen guten Nährboden fand. Vor dem Hintergrund der radikalen Programmveränderung bei den Bündnisgrünen in der NATO-Frage und den Kosovo-Einsätzen gewann die Verdachtspsychologie gegenüber der Mehrheit des Parteivorstandes und der Fraktionsführung entsprechende Resonanz. Der Antrag aus der Bundestagfraktion für eine Einzelfallprüfung bei UN-mandatierten Kampfeinsätzen wurde auf dem Parteitag in Münster mit Zweidrittelmehrheit verworfen. Resümee: Die Mehrheit des Parteivorstandes hat sich über die Stimmungslage in den Parteiorganisationen und unter den Delegierten getäuscht. Durch die eigene Konzeptionslosigkeit und Führungsschwäche ist es einer Allianz von oppositionellen Strömungen gelungen, das Führungspersonal zu diskreditieren. Selbstverständlich wird die erfolgreiche Oppositionsallianz eine stärkere Berücksichtigung ihrer Vorstellungen und ihrer Vertreter bei der Neubesetzung der Partei- und Fraktionsführung verlangen. Die im Oktober zu wählende Parteiführung muss zugleich einen Ausweg aus der blockierten Programmdebatte präsentieren. Bislang ist die Debatte durch Positionen dominiert, die den Pfaden des »Modernen Sozialismus« folgen. Zumindest ein Teil der Protagonisten dieser Strömung hat in Münster signalisiert, dass eine stärkere Berücksichtigung der Widersprüche des »Aktionärs-Kapitalismus« bei der programmatischen Weiterentwicklung der PDS-Alternativen vorstellbar ist. Soweit die BewerberInnen für die Nachfolge im Parteivorsitz die Bereitschaft für eine Öffnung der programmatischen Debatte mitbringen, könnte die von Münster ausgehende Besinnung eine Überwindung der Parteikrise einleiten.

Joachim Bischoff ist Redakteur von Sozialismus.

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