22. März 2013 Christina Ujma: Italiens Linke, Beppe Grillo und das Wahlergebnis

Rüpel, Sirenen und standhafte Sozis

Erdrutsch, Erdbeben, Tsunami – die­se Metaphern prägten die Schlagzeilen am 26.2.2013, am Tag nach der Parlamentswahl, an dem die Italiener eine grundlegend veränderte politische Landschaft erblickten.

Ursache der apokalyptischen Metaphorik war nicht nur der Überraschungssieg von Beppe Grillos 5 Stelle-Bewegung, sondern auch, dass viele altgediente Prota­gonisten des politischen Dramas auf einmal weg waren. In Deutschland wurde der Wahlausgang zum Teil als Sieg Berlusconis und als Niederlage der PD eingeschätzt, was zumindest teilweise falsch ist – es gibt sehr viele Verlierer, aber nur einen Gewinner und das ist die 5 Stelle-Bewegung von Beppe Grillo.


Wer ist schuld?

Das Linksbündnis von Partito Demo­cra­tico (PD) und Sinistra, Ecologia e Liberta (SEL) hat im Abgeordnetenhaus einen hauchdünnen Stimmenvorsprung gegenüber Berlusconis Parteinbündnis Il Popolo della Libertà (PdL) (29,5 resp. 29,1%). Durch die Prämie für die stärkste Listenverbindung hat die Linke hier die absolute Mehrheit, obwohl Grillos 5 Sterne-Bewegung mit 25% stärkste Partei geworden ist. In der zweiten Kammer, im Senat, wo es diese Prämie nicht gibt, gibt es auch keine Mehrheit und das Linksbündnis, 5 Stelle und Berlusconis Truppe stehen sich hier fast als gleichstarke Blöcke gegenüber (PD 31,6%, PdL 30,7%, 5* 23,7%).

Der angekündigte Linksruck blieb aus, die Demoskopen, die berlusconi­fernen Medien und die italienische Linke ergehen sich immer noch in Selbstvorwürfen und hadern mit sich, den WählerInnen und der italienischen Politik. Es herrscht zumindest bei den Progressiven überall Katzenjammer. Einzig der alte Zyniker Massimo D’Alema brachte es auf den Punkt: Es sei kein schönes Ergebnis, aber immerhin ist das Linksbündnis in beiden Häusern des Parlamentes stärkste Kraft. D’Alema hat dabei irgendwie recht, die anderen haben schließlich noch mehr verloren, vor allem die Parteien der Mitte: Futuro e Libertà per l’Italia (FLI) von Gianfranco Fini ist ausgelöscht, die Christdemokraten von der UDC sind auch weg, ihre Stimmen hat vor allem Mario Montis Liste abgefischt. Auf der Rechten sieht es verheerend aus: die Lega Nord hat sich halbiert und Berlusconis PdL hat die meisten Stimmen verloren. Besonders in Sizilien und im hohen Norden hat das Rechtsbündnis ungefähr 25% ihrer WählerInnen verloren.[1] Diese Stimmen sind allerdings nicht nach links, sondern zu Grillos 5 Stelle gewandert. Gerade das Verschwinden von Italia dei Valori (IdV), der Partei des Mani-pulite-Staatsanwalts Antonio Di Pietro, dessen Aktionen am Anfang dessen standen, was man die zweite italienische Republik nennt, ist hochsymbolisch. Kein Wunder, das jetzt etliche Kommentatoren davon reden, man sei mittlerweile in der dritten Republik angekommen.

Die Parteien des Linksbündnisses haben zusammen 29% erreicht. Sie stehen genau da, wo sie während der letzten Legislaturperiode meist standen und wo auch europaweit die meisten sozialdemokratischen Parteien stehen. Die PD ist in der Mitte Italiens stärkste Kraft und konnte bei den zeitgleich stattfindenden Regionalwahlen in der Region Lazio (Großraum Rom), den Rechten das Amt des Regionalpräsidenten (Ministerpräsident) abnehmen. Man kann konstatieren, dass die noch bei der letzten Wahl vorhandene landesweite Dominanz der Parteien der Rechten gebrochen ist, der Norden und der Süden, vordem fest in der Hand von Berlusconis PdL bzw. der Lega Nord, sind nun ein Fleckenteppich, wo man gelegentlich auch die Dominanz von Grillos 5 Stelle oder der PD findet. Letztere schwächelt im Süden allerdings ekla­tant. Das ist ein Problem, das sich schon bei den Regio­nalwahlen in Sizilien ankündigte, wo die Grillini bei den Abgeordnetenhauswahlen auch diesmal stärkste Kraft wurden. Nur bei den Auslandsitalienern und in Alto Adige/Südtirol konnten die Parteien der Linken Stärke zeigen.

Die 5 Stelle haben landesweit ungefähr gleichviel Stimmen von der Linken und Rechten bekommen. Es gelang ihnen aber auch, zu einem großen Teil bisherige Nichtwähler anzusprechen. Bei den Kleinselbstständigen (Handwerker etc.), einstmals Berlusconis Kerntruppe, hat 5 Stelle 42% geholt. Die Hausfrauen haben, wie immer, mehrheitlich rechts, die berufstätigen Frauen überwiegend links gewählt, bei beiden Gruppen hat 5 Stelle mit ca. 25% durchschnittlich abgeschnitten. Die Jungen und die Erstwähler haben zu ca. 32% 5 Stelle gewählt, hier haben die Rechten nur magere 18% bekommen. Insgesamt sind die Grillini stark von Personen mit wenig Bildung unterstützt worden, hier kam die PD auf magere 24%.[2] Gerade bei den Arbeitern und den Arbeitslosen schnitt die PD mit nur ca. 20% verheerend ab, während 5 Stelle mit ca. 40% triumphierte.[3] Ohne die Rentner, bei denen die PD mit 39% am besten abschnitt, wäre das Ergebnis noch schlechter ausgefallen.[4] Insgesamt ist die Politik Montis und die bedingungsgebundene Unterstützung der PD vor allem bei den Gebildeten angekommen.


Die Krise und die Gründe für Grillos Erfolg

Weshalb hatte 5 Stelle so einen großen Zulauf? Es war wohl wirklich der Wahlkampf, der viele WählerInnen überzeugte. Aber anders als die Demoskopen am Wahlabend anführten, war das im Regelfall keine Entscheidung in letzter Minute. Angriffslustig, komisch, rüpelhaft und polemisch präsentierte sich Grillo, da hätte auch die PD ein bisschen mehr Spektakel bieten können. Schließlich hat sie jede Menge Kulturschaffende unter ihren Unterstützern und auch genug Geld, um eine bunte Kampagne zu organisieren.

Grillo schaffte es, viele davon zu überzeugen, dass das politische System und seine Akteure dringend erneuert gehören, was die meisten WählerInnen auch als Hauptgrund für ihre Wahlentscheidung angeben. Eine Mischung aus Wut, Erneuerungswillen und Stimulus für die hergebrachten Parteien war nach Auskunft der Meinungsforscher die Ursache für die Wahl der 5 Stelle. Grillos Truppe hat immerhin das Novum geschafft, als eine Gruppierung, die kaum in Funk, Fernsehen oder Zeitungen präsent war und nur im Internet und auf Kundgebungen mit ihren WählerInnen kommuniziert, einen überragenden Erfolg zu erzielen.

In dem Aufsatz Five Stars and a cricket, Beppe Grillo Shakes Italian Politics führen Fabio Bordignon und Luigi Ceccarini aus,[5] dass Beppe Grillo sich seit Jahren besonders darin hervortut, die Themen (Lohndumping, Prekarität, Mafia, Privatisierung öffentlicher Güter, Trassen für Hochgeschwindigkeitszüge, Umweltverschmutzung) aufzunehmen, die den Bürgerunmut erregen und Basisbewegungen auf den Plan rufen. Er bindet Themen und Protagonisten geschickt in seinen Kampf gegen die »Casta«, die herrschende Politikerkaste und ihr Umfeld mit ein. Dabei kämpft er nicht nur gegen die Parteien und ihre Freunde aus der Wirtschaft, sondern genauso gegen sämtliche Medien. In diesem Wahlkampf konnte er als besonderes Plus verbuchen, dass er als einziger gegen die von der EU aufgezwungene Austeritätspolitik protestierte. Die Krise wird bei vielen nicht als ein hausgemachtes Problem, sondern als fieses Diktat Merkels und der EU gesehen oder kaum zur Kenntnis genommen. Die größte Priorität für eine Mehrheit der Bevölkerung hatten bei einer Nachwahlumfrage der Abbau finanzieller Privilegien der Politiker und nicht etwa wirtschaftspolitische Maßnahmen.

Eigentlich ist es traditionell die Aufgabe der Linksparteien, den Unwillen der BürgerInnen aufzunehmen und ihn in Politik zu verwandeln. Gerade die PD hat hier ein ernsthaftes Problem. Als staatstragende Partei muss sie anders als Grillo vorsichtig sein, was z.B. Äußerungen zur EU betrifft. Aber ihre Politik bei der Duldung von Montis Regierung war nun keine, die sich dem Sozialabbau verschrieben hätte. Im Gegenteil, bei Montis Wünschen zur Verschlankung des öffentlichen Dienstes hat sie einen kräftigen Strich durch die Rechnung gemacht, bei der Lockerung der Kündigungsschutzes auch. Das alles hätte man der eigenen Basis erklären können und müssen. Das hat man aber weitgehend verlernt, was man daran sehen kann, dass auch traditionell PD-nahe Bevölkerungsgruppen, wie die Angehörigen des öffentlichen Dienstes, kräftig 5 Stelle unterstützten. Die Gewerkschaft CGIL, immer noch eng an die PD angelehnt, hätte z.B. ihren Mitgliedern vermitteln können, dass die staatliche Ausgabenkürzungspolitik zwar weh tut, aber das Schlimmste bislang verhindert bzw. auf die Jugend abgewälzt wurde. Die wichtigste Botschaft wäre aber wohl gewesen, dass weder die PD noch Monti für die Krise verantwortlich waren, sondern Berlusconis Regierung.

Dass sich die PD im Wahlkampf unwidersprochen von Beppe Grillo und Rivoluzione Civile hat vorhalten lassen: Merkel, Monti und die PD wären schuld an der Krise, ist ein Skandal. Die dabei zutage tretende Hilflosigkeit der PD liegt auch daran, dass sie Grillo und seine Partei lange nicht ernst genommen hatte und geglaubt hat, sie selber hätte das Monopol auf Opposition. Bis zum Wahltag haben progressive Demoskopen, Wissenschaftler und Medien die PD in ihrer Überzeugung unterstützt, dass die 5 Stelle ein vorübergehendes Phänomen sei, das wieder verschwinden werde. Das ist insofern nachvollziehbar, weil nach Ansicht der Demoskopen weniger als die Hälfte der 5 Stelle-Anhänger die Partei wählen, weil sie von deren Zielen überzeugt sind, sondern weil sie dem herrschenden System misstrauen bzw. den etablierten Parteien eine Warnung verpassen wollen. Warum die PD tat, was sie ihrer Meinung nach tun musste, blieb vielen, die nicht Wirtschaftsseiten der großen Tageszeitungen lesen, ein Rätsel. Die PD hat ihre Bildungs- und Öffentlichkeitsarbeit weitgehend eingestellt, ihre Internetkommunikation ist bescheiden, die einst so stolze Parteizeitung L’Unità führt ein Schattendasein.

Die Lust an differenzierten Politik­erklärungen und an dialogischer Kommunikation ist den progressiven Kräfte insgesamt abhanden gekommen. Dies trifft vor allem auf die zahlreichen Basisbewegungen zu, die praktizierten gerade während Berlusconis jüngsten Regierungsjahren eine Melodramatisierung der Politik: Da galt Berlusconi als Faschist und angesichts von unsozialen oder undemokratischen Maßnahmen wurde immer gleich der Untergang des Sozialstaates und der Demokratie beschworen. Da scheint Grillos Anliegen, den gesamten, als Sauhaufen verstandenen Politikzirkus komplett abzuschaffen und die Gewerkschaften gleich mit, vielen nur folgerichtig und überzeugend.


Die linke Linke und die ProtestwählerInnen

Die Parteien der linken Linken, die sonst oft von der Protestlaune profitieren konnten, sind dagegen teilweise verschwunden. SEL konnte sich einzig dadurch retten, dass sie mit der PD im Wahlbündnis war und mit 3,2% zumindest einige Abgeordnete ins Parlament schicken kann. Rivoluzione Civile, eine Liste des Anti-Mafia-Staatsanwalts Antonio Ingroia, errang nur 2,2% und hat ihre prominenten Befürworter mit in die Bedeutungslosigkeit gerissen: Die Bürgerrechtspartei Italia die Valori von Antonio Di Pietro ist dadurch aus dem Parlament verschwunden, was schade ist, denn die hatte einige dezidierte Linke im Abgeordnetenhaus, deren parlamentarische Erfahrung der Linken sicher fehlen wird. Bei der letzten Wahl war IdV im Bündnis mit der PD angetreten, was Di Pie­tro diesmal wegen deren Tolerierung Montis ablehnte. Gleichfalls im Bündnis mit der Liste Ingroia waren die Reste von Rifondazione Comunista (PRC) und der PdCI, die in letzter Minute aus dem Bündnis mit der PD ausstieg. Die sektiererische Art, mit der das Ingroia-Bündnis sich ähnlich wie Grillo auf die PD als Hauptfeind einschoss, hat der PD sicherlich geschadet, Rivoluzione Civile hat es aber nicht genutzt. Die Vorsitzenden sämtlicher gescheiterter Parteien, also Antonio Di Pietro (IdV), Paolo Ferrero (PRC) und Oliviero Diliberto (PdCI) sind nun zurückgetreten. Ob und wie ihre Parteien weiterbestehen werden, bleibt abzuwarten, die IdV bewegt sich mittlerweile wieder auf das Linksbündnis zu.

Die PD war nach der Wahl darüber schockiert, dass die Grillini und Ingroia viele WählerInnen davon überzeugt haben, dass die PD – immerhin Nachfolgepartei der PCI – Teil eines korrupten, raffgierigen Politiksystems sei. Da die PD bzw. ihre sozialdemokratischen Vorgängerparteien in den vergangenen Jahren auf nationaler wie auf regionaler Ebene meist in der Opposition war und, wo sie regierte, verglichen mit den Korruptions-Exzessen von PdL und Lega Nord doch relativ sauber dasteht, war man nachvollziehbarerweise ziemlich beleidigt. Dem Kurs der Resozialdemokratisierung, den der Parteivorsitzende Pier Luigi Bersani vertritt, hat das schlechte Ergebnis sicher sehr geschadet. Dies mag der Grund dafür sein, dass viele Linksintellektuelle, die diesen Kurs unterstützten, sich nach der Wahl merklich mit Ratschlägen zurückhielten.

Die PD war mit einem verglichen mit 2008 relativ linken Programm angetreten, was nun von Bersanis innerparteilichem Gegenspieler, dem Rechtssozial­demokraten Matteo Renzi, der in den Vorwahlen klar gegen Bersani unterlegen war, als Grund der Niederlage heraus­gestellt wird. Renzi könnte sich eine Koalition mit Berlusconis PdL unter seiner Führung vorstellen, wagt das aber bisher nur anzudeuten, denn die PD verweigert sich dieser Lösung bislang standhaft. Sollte es aber zu baldigen Neuwahlen kommen, könnte es sein, dass an Renzi als Spitzenkandidaten kein Weg vorbeiführt.


Mehrheitsbildung – mission impossible?

Nicht zuletzt unter der engagierten Mithilfe ihrer unfreiwillig in den Vorruhestand geschickten grauen Eminenz Massimo D’Alema, hat sich die PD relativ schnell erholt und das Beste aus der verfahrenen Situation gemacht. Sie zeigte ihrer erstaunten AnhängerInnenschaft, dass sie noch in die Offensive gehen kann. Zuerst machte die PD deutlich, dass sie, was die innerparteiliche Demokratie betrifft, mehr aufbieten kann als die 5 Stelle, die immer hinter verschlossenen Türen tagen und meist ihrem Anführer Grillo aufs Wort folgen. Dagegen hat die PD den Vorsitzenden und Spitzenkandidaten über Vorwahlen gewählt und gerade ein Verjüngungs- und Verweiblichungsprogramm hinter sich. Die Sitzungen der Vorstände, die das Wahlergebnis diskutierten, wurden teilweise im Internet übertragen.

Bei diesen Treffen war man sich darüber einig, auf keinen Fall mit Berlusconi zu koalieren, sondern die Grillini zur Zusammenarbeit zu bewegen. Inhaltlich kommt man ihnen weit entgegen: Ein 8-Punkte-Programm für eine Übergangsregierung enthält Vorschläge zur Korruptions- und Mafiabekämpfung, Beschneidung der Privilegien und Gehälter der Politiker, Lockerung des Sparkurses, mehr Umweltschutz, mehr Sozialpolitik, Reform des Gesundheits‑, Schul- und Hochschulwesens.[6] Grillo verweigerte sich allerdings vehement, gab mal wieder den Rüpel und empfahl der PD, mit Berlusconi zu koalieren. Da half es auch nichts, dass sich sogleich eine linke Initiative aus Künstlern und Intellektuellen bildete, die Grillo zur Zusammenarbeit aufrief und binnen weniger Tage über 200.000 Unterzeichner fand. Auch ein Mitgliederreferendum über eine Zusammenarbeit mit der PD lehnt Grillo ab.


Ein Symbol der Hoffnung

Grillo ist zur Blockade entschlossen und legte Mitte März zunächst die neukonstituierten Parlamentskammern lahm, indem er sich jeglichen Absprachen bei der Wahl der Parlamentspräsidien verweigerte. Nach mehreren erfolglosen Wahlgängen hatte sich die PD entschlossen, dann doch von ihrer Stimmenmehrheit in der Abgeordnetenkammer Gebrauch zu machen und die SEL-Politikerin Laura Boldrini zur Präsidentin zu wählen. In dem Fall, dass Italien in Kürze ohne Staatspräsidenten dastehen wird, kommt den ParlamentspräsidentInnen eine wichtige Rolle zu.

Die Wahl Boldrinis gilt zudem als Zeichen der Erneuerung, denn die Juristin und langjährige UN-Diplomatin, die für ihre Arbeit als Sprecherin des Flüchtlingshilfswerk UNHCR mehrfach ausgezeichnet wurde, ist eine engagierte Anwältin der Rechte von Minderheiten, Flüchtlingen, Armen, Unterprivilegierten und vor allem Frauen. Mit dieser Wahl, die bei einigen Altgenossen der PD nur auf gedämpfte Begeisterung traf, zeigt man endlich ein bisschen »Roten Glamour« und macht gleichzeitig deutlich, dass die 5 Stelle kein Monopol auf Helden des Engagements haben. Pietro Ingrao, der vor vielen Jahren selbst einmal Präsident des Abgeordnetenhauses war, schrieb ihr umgehend, wie sehr er sich freue, dass mal wieder eine dezidiert linke Persönlichkeit dieses Amt innehätte. Ihre Wahl sei ein wichtiges Symbol der Hoffnung.

Die Strategie Bersanis besteht offensichtlich darin, die Grillini mit gemeinsamen Inhalten, Forderungen und nahestehenden Persönlichkeiten unter Druck zu setzen, denn, wie zahlreiche 5 Stelle-Abgeordnete sagten, ist Boldrini eine Frau, mit der auch sie sich identifizieren können. Nach Boldrinis Jungfernrede, die sehr politisch daherkam, gehörten auch einige Grillini zu denen, die stehend applaudierten. War Boldrinis Wahl ein Prestigegewinn für SEL und PD, konnte Bersani bei der Wahl des Senatspräsidenten erfolgreich ins Lager der Grillini einbrechen. Wiederum hat die PD keinen verdienten Genossen, sondern eine PD-Persönlichkeit mit großem Prestige in den sozialen Bewegungen nominiert. Ihr Kandidat Pie­tro Grasso ist ein Staatsanwalt, der sich in Sizilien im Kampf gegen die Mafia seit den 1980er Jahren hervorgetan hat und auch als Erbe der berühmten ermordeten Anti-Mafia-Staatsanwälte Falcone und Borselino bezeichnet wird. Zwischen Pietro Grasso und Amtsinhaber Renato Schifani von Berlusconis PdL mussten sich die SenatorInnen entscheiden. Schifani werden Mafiaverbindungen nachgesagt. Er war lange Fraktionsvorsitzender von Berlusconis Forza Italia und hat sich durch Gesetze hervorgetan, die das oberste italienische Gericht später als verfassungsfeindlich kassierte. Bei dieser Parlamentspräsidenten-Wahl mochten einige sizilianische 5 Stelle-Abgeordneten sich nicht enthalten und damit Schifani zum Sieg verhelfen, zumal Montis Liste angekündigt hatte, sich auch zu enthalten. Insgesamt waren es nur 10-14 Grillini-Senatoren, die für Grasso stimmten, was zeigt, wie schwierig es für Bersani sein wird, die Grillini zur Unterstützung einer PD-Regierung zu bewegen, zumal Grillo jetzt Jagd auf die Abweichler macht. Trotzdem, bislang kamen die Präsidenten der beiden Parlamentskammern – Fini und Schifani – aus dem rechten Gruselkabinett, der Wechsel zu Boldrini und Grasso ist ein ziemlich überzeugender Linksrutsch, was auch einige 5 Stelle-Abgeordnete so sehen, die anfangen, die Blockadepolitik des Vorsitzenden Grillo in Frage zu stellen.

Ob es Bersani gelingen wird, zumindest Teile der Grillini auf ein gemeinsames Programm einzuschwören, bleibt abzuwarten. Währenddessen versuchen die Sirenen von Berlusconis PdL mit immer neuen verführerischen Angeboten die Standhaftigkeit der PD zu untergraben. In dieser Situation scheinen baldige Neuwahlen für PolitikerInnen aller Parteien einen Ausweg zu bieten. Ob die­se allerdings viel ändern würden, bleibt unklar. Profitieren würden, wenn man den Demoskopen trauen kann, die Parteien der Rechten und 5 Stelle. Aus verfassungsrechtlichen Gründen ist ein erneuter Urnengang so schnell nicht möglich. Denn nur der neugewählte Staatspräsident kann diese herbeiführen. Dafür muss sich die PD allerdings mit 5 Stelle für die Mitte April stattfindende Wahl auf eine/n Kandidatin/en einigen. Das wird schwierig, nicht weil es an geeigneten Persönlichkeiten fehlt, sondern wegen der grundsätzlichen Abneigung, die beide Parteien gegeneinander hegen.

Christina Ujma, Berlin, schreibt in Sozialismus regelmäßig über Italien.

[1] www.demos.it/a00826.php
[2] http://politicapp.swg.it/odas/Classi-subalterne-Grillo-spodesta-il-centrosinistra
[3] www.sondaggibidimedia.com/2013/03/analisi-lapolis-per-la-repubblica.html
[4] www.sondaggibidimedia.com/2013/03/analisi-ipsos-per-il-sole-24ore-m5s-al.html#more
[5] Fabio Bordignon & Luigi Ceccarini (2013): Five Stars and a Cricket. Beppe Grillo Shakes Italian Politics, South European Society and Politic, www.tandfonline.com/doi/pdf/10.1080/13608746.2013.775720
[6] www.partitodemocratico.it/speciale/8punti/home.htm

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