1. April 2004 Axel Gerntke

Schlimmer geht’s immer!

Nach langem Gezerre wurde die Agenda 2010 im Dezember 2003, mit weitgehender Zustimmung der CDU/CSU, in ein Gesetzespaket umgesetzt. Diese Umsetzung konnte in der verabschiedeten Fassung nur erfolgen, weil sich die Union ihre Zustimmung zur Steuerreform mit Zugeständnissen der Regierungskoalition vergelten ließ.

Die Steuerreform wurde nicht, wie ursprünglich geplant, insgesamt vorgezogen, sondern die Senkung der Steuersätze erfolgt in zwei Stufen. Der Spitzensteuersatz wird in 2004 von 48,5% auf 45% gesenkt und soll ab 2005 42% betragen. Der Eingangssteuersatz wird parallel über 16% auf 15% gesenkt. Ferner ist der Grundfreibetrag auf 7664,- Euro erhöht worden.

Diese Steuersenkungen entlasten die Bezieher höherer Einkommen absolut am stärksten, während die, die am Existenzminimum leben und daher keine Steuern zahlen, an einer Senkung direkter Steuern überhaupt nicht partizipieren. Die Steuerreform wird zum Teil durch eine Kürzung der Pendlerpauschale und der Eigenheimzulage gegenfinanziert. Vielen, die durch die Senkung der Steuersätze – wenn auch nur mäßig – entlastet werden, wird diese Entlastung durch die Gegenfinanzierung wieder genommen.

Auch im Arbeitsrecht, das ebenfalls Gegenstand der Beratungen im Vermittlungsausschuss war, gab es Einschnitte. Zwar war der Widerstand der Gewerkschaften stark genug, um gesetzliche Eingriffe in die Tarifautonomie vorläufig zu verhindern. Gleichzeitig wurde aber das individuelle Arbeitsrecht erheblich verschlechtert. Zu nennen ist insbesondere die Möglichkeit, ältere Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer leichter zu entlassen, da die Arbeitgeber die Sozialauswahlkriterien nicht länger berücksichtigen müssen, wenn sie ein "berechtigtes betriebliches Interesse" an einer "ausgewogenen Personalstruktur" darlegen können. Diese Möglichkeit wird von weiteren Einschränkungen des Kündigungsschutzes flankiert (Schwellenwerte bei neu eingestellten, Klagefristen, Sozialauswahlkriterien usw.).

Präsidiumsbeschlüsse der Union vom 7. März

Die beschlossenen Gesetzeswerke sind z.T. noch nicht in die Tat umgesetzt, da haben CDU/CSU durch ihre Präsidiumsbeschlüsse am 7. März bereits nachgelegt. Im Vorfeld hatte sich insbesondere Friedrich Merz als Neuerer inszeniert, der ein unbürokratisches und einfaches Steuermodell vorschlägt. Nach dem Motto: Was einfach ist, ist auch gerecht. Merz forderte die Einführung eines dreistufigen Steuertarifs mit einem Eingangssteuersatz von nurmehr 12% und einer zweiten und dritten Stufe von 24 bzw. 36%. Auf diesen Stufentarif haben sich CDU und CSU auf der Sitzung ihrer Präsidien verständigt, wobei für eine Zwischenphase noch ein linearer Tarif angewendet werden soll. Finanziert werden soll dieses Modell z.T. über die weitere Reduktion der Pendlerpauschale und die Abschaffung der Steuerbegünstigungen bei den Feiertags-, Schicht- und Nachtzuschlägen nach einer Übergangsfrist von sechs Jahren.

Die Vorschläge führen dazu, dass besser Verdienende noch mehr entlastet werden, während Durchschnittsverdiener eher weitere Belastungen hinnehmen müssen. Die Krankenschwester und der Facharbeiterhaushalt zahlen drauf, während leitende Angestellte und Manager die Nutznießer sind. Hinzu kommt, dass die Umsetzung einer solchen Steuerreform – je nach konkretem Modell – nochmals zu jährlichen Einnahmeausfällen von ca. 15 bis 30 Mrd. Euro führt.

Es gibt viele gute Argumente, weshalb man mit der gerade in Kraft getretenen Steuerreform unzufrieden sein kann. Gleichwohl haben CDU und CSU mit ihren aktuellen Vorschlägen veranschaulicht, dass es immer noch schlimmer geht. Das zeigt sich auch mit Blick auf die arbeitsrechtlichen Vorstellungen von CDU und CSU.

Bereits im letzten Jahr hatten CDU und CSU die Agenda-Rede von Gerhard Schröder zum Anlass genommen, um den Versuch zu unternehmen, die Tarifautonomie auszuhebeln. Sie wollten "betriebliche Bündnisse für Arbeit", an den Tarifvertragsparteien vorbei, durchsetzen. Der Tarifvorrang sollte eingeschränkt und das Günstigkeitsprinzip uminterpretiert werden. Dieser Angriff auf die Tarifautonomie ist durch den Widerstand der Gewerkschaften zurückgeschlagen worden. Gleichwohl sah der Entwurf für die Präsidiumsbeschlüsse von CDU und CSU wiederum ohne Wenn und Aber entsprechende Regelungen vor. Darüberhinaus sollten die Allgemeinverbindlichkeitsregelungen abgeschafft und die Nachwirkung von Tarifverträgen generell eingeschränkt werden. Bei Verbandsaustritt sollte die Fortgeltung tarifvertraglicher Regelungen entfallen.

Nach heftigen, öffentlich ausgetragenen Auseinandersetzungen innerhalb der Unionsparteien sind die dann tatsächlich verabschiedeten Beschlüsse etwas moderater ausgefallen. Es heißt nun, dass eine Abweichung von Tarifverträgen nur dann zulässig sein soll, wenn der Betriebsrat und die Belegschaft mit Zwei-Drittel-Mehrheit zustimmen. Die Vorschläge zur Abschaffung der Allgemeinverbindlichkeit, zur Fortgeltung und Nachwirkung wurden zurückgezogen. Bei all diesen Änderungen handelt es sich im Wesentlichen aber nur um Kosmetik, die am Ziel nichts ändert: Es geht den Arbeitgebern darum, Tarifverträge zu entwerten und die leichtere Erpressbarkeit von Betriebsräten und Belegschaften zu nutzen. Die Union versucht hierfür die gesetzlichen Grundlagen zu liefern. In diese Richtung zielt auch der Vorschlag, Langzeitarbeitslose ein Jahr lang untertariflich zu bezahlen.

Ferner fordert die Union, dass beliebig häufige Befristungen innerhalb eines Vierjahreszeitraumes möglich sein sollen. Zudem soll das Kündigungsschutzgesetz bei Arbeitslosen, die über 50 Jahre alt sind, keine Anwendung mehr finden, wenn im Arbeitsvertrag vorgesehen ist, dass der Betroffene bei seiner Entlassung eine Abfindung erhält. Damit würde der gesetzliche Kündigungsschutz noch weiter durchlöchert.

Die Präsidiumsbeschlüsse der Union beschränken sich aber nicht auf Tarifautonomie und individuelles Arbeitsrecht: Die Unionsparteien lehnen eine Ausbildungsplatzumlage ab, obwohl wir derzeit eine Ausbildungsplatzlücke von über 200.000 haben. Sie wollen Arbeitslose noch stärker als bisher zwingen, Arbeit zu jedem Preis anzunehmen; und in Kleinbetrieben mit weniger als 20 Arbeitnehmern werden die Ansprüche an den Arbeitsschutz noch weiter zurückgeschraubt. Schließlich fordern die Unionschristen, die Bundesgesetze nicht mehr umfassend in den neuen Bundesländern anzuwenden. Dies erinnert an die FDP-Vorstellungen von einer "Sonderwirtschaftszone Ost".

Zu den Unionsplänen gibt es selbstverständlich Alternativkonzepte, die darauf zielen, Steuern nach der individuellen finanziellen Belastbarkeit zu erheben und dem Staat sozialstaatliche Aufgaben zuzuweisen. Die Vorschläge in der Steuerpolitik reichen von der Erhebung einer Vermögenssteuer über die Neugestaltung der Erbschaftssteuer, der Körperschaftssteuer und einer progressiven Einkommenssteuer bis hin zur tatsächlichen Durchsetzung des existierenden Steuerrechtes. Dies lässt sich zum Teil nur unter Einschluss der europäischen Ebene realisieren.

Auch im Arbeitsrecht gibt es Alternativen zur Deregulierung. Genannt sei die Verbesserung von Verbandsklagerechten, die Verteidigung und Ausweitung von betrieblicher- und überbetrieblicher Mitbestimmung und die Forderung nach einem Kündigungsschutz, der diesen Namen auch wirklich verdient.

Fazit

Die Vorschläge der Union folgen der altbekannten Logik, dass eine Beschneidung der Arbeitnehmerrechte mehr Arbeitsplätze hervorbringt. Dass diese Logik in die Irre führt, lässt sich anhand des in den letzten Jahrzehnten durchgeführten Sozialabbaus empirisch belegen: Während die Leistungen gekürzt wurden, stieg die Arbeitslosigkeit.

CDU und CSU haben gar kein Interesse daran, abzuschätzen, ob die bisherigen Maßnahmen Erfolg haben oder nicht. Ihr Interesse besteht vielmehr darin, die Konzepte der Wirtschaft umzusetzen. Beispielhaft lässt sich das anhand des BDA-Beschlusses vom 15. September 2003 belegen, der trotz seines formalen Bekenntnisses zur Tarifautonomie faktisch genau auf das Gegenteil hinausläuft.

Es ist zwar nicht verwunderlich, wenn die rot-grüne Bundesregierung eine Agenda 2010 verabschiedet, dass die Union diese Steilvorlage aufnimmt und den Sozialabbau konsequent zu Ende führt. Gleichwohl bleibt es angesichts von Wählerwanderungen von der SPD zur CDU auch und gerade bei bestimmten Arbeitnehmerschichten eine eigenständige Aufgabe, sich mit den Konzepten der Union auf Basis eigener Alternativvorstellungen auseinander zusetzen. Erst wenn es gelingt, diese Alternativvorstellungen in der Bevölkerung breiter zu verankern, werden wir unsere politischen Positionen auch in relevanter Weise ins Parlament transportieren können.

Axel Gerntke ist Gewerkschaftssekretär in der Vorstandsverwaltung der IG Metall.

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