30. Juni 2011 Redaktion Sozialismus

Schwarz-gelb zwischen »neubürgerlichen« Grünen und eigener Hegemonieschwäche

Die von der schwarz-grünen Bundesregierung vollzogene »energiepolitische Wende« weg von der Atomenergie hat zwar noch nicht alle parlamentarischen Hürden genommen, darf aber auf eine breite Unterstützung hoffen.

Auch die Grünen haben auf einem Sonderparteitag gegen alle innerparteilichen Widerstände ein prinzipielles »Ja« signalisiert. 800 Delegierte nahmen sich zur Überprüfung der Argumente pro und kontra fünf Stunden Zeit. Es gab zwar eine längere und durchaus kontroverse Diskussion, am Ende votierten aber mehr als zwei Drittel der Delegierten für den Atom­ausstieg bis 2022.

Die Vorsitzende der Bundestagsfraktion, Renate Künast, wertete den Atom-Konvent denn auch als zweitwichtigsten Parteitag seit der Gründungsversammlung: »Wir nehmen die Verantwortung an, die aus Wahlergebnissen von 20% und mehr erwächst«. Allerdings: Von solch historischer Bedeutung ist das positive Votum des Sonderparteitages dann doch nicht, denn um den Ausstieg durchzusetzen, braucht die schwarz-gelbe Koalition keineswegs die Stimmen der Opposition. Gleichwohl kämpfen Bundeskanzlerin Angela Merkel und die CDU-Führung für lagerübergreifende Mehrheiten.

Die Grünen stellen sich geschickt als »Partei eines breiten gesellschaftlichen Konsenses« dar, als eine moderne Partei, die in der »Mitte« der Gesellschaft verankert ist. Symbolfigur dafür ist der baden-württembergische Regierungschef Wilfried Kretschmann. Er beruft sich auf Gandhi und erinnert an die Pragmatik als hohe Kunst der Politik: Ein Kompromiss, bei dem man sich als 20%-Partei zu 80% durchsetze, sei vertretbar.

Bei den übrigen Bundestagsparteien – bis auf DIE LINKE – ist das grüne »Ja« zum schwarz-gelben Ausstieg auf Zustimmung gestoßen. Selbst in der CDU, die immer noch auf Abgrenzung bedacht ist, kann man Genugtuung erkennen, wenn auch mit einem politischen Hintertürchen: Eine Schwalbe mache noch keinen Sommer. Eine schwarz-grüne Koalition hänge davon ab, ob die Grünen auch bereit seien, unpopuläre Maßnahmen wie den Bau neuer Netze oder Gaskraftwerke zu unterstützen.

Im Herbst letzten Jahres hatte das bürgerliche Bündnis noch ein Verlängerung der Laufzeiten der Atomkraftwerke beschlossen und sich in einer Koalition mit den Atomkonzernen auf eine längere Phase des Übergangs – mit der Atomenergie als »Brückentechnologie« – zu erneuerbaren Energien festgelegt, mit fatalen Folgen für die dort stark engagierten Stadtwerke.
Der unmittelbare Anlass für den nun erfolgten schwarz-gelben Positionswechsel war die Atomkatastrophe in Japan. Er reiht sich ein in eine Reihe von Korrekturen bürgerlicher Politik (Abschaffung der Wehrpflicht, Abschaffung der Hauptschulen etc.), mit denen vor allem CDU und CSU versuchen, den dramatischen Vertrauensverlust seit der Bundestagswahl 2009 zu stoppen und die eigene soziale Basis zu stabilisieren.

Gleichwohl überzeugen diese Versuche der partiellen Modernisierung der bürgerlichen Programmatik (siehe auch das gescheiterte schwarz-grüne Experiment in Hamburg) das Publikum offenbar nicht, weil sie nicht eingebettet sind in ein Zukunftsprojekt, das wirtschaftliche Entwicklung und Modernisierung mit sozialer Integration verbindet. Die schon lange vor der Großen Krise einsetzenden, von der Durchsetzung der finanzmarktgetriebenen Kapitalakkumulation ausgelösten Prozesse der gesellschaftlichen Fragmentierung und sozialen Polarisierung betreffen eben auch die Klientel der bürgerlichen Parteien.

Ohne eine integrale Antwort auf die verschiedenen Aspekte dieses Krisenprozesses (von der Massenarbeitslosigkeit über die zunehmende Armut, Bildung, Krise der öffentlichen Finanzen bis zur ökologischen Frage) werden die bürgerlichen Parteien nicht nur in Deutschland ihre WählerInnenbasis nicht stabilisieren bzw. ausbauen können. Von einer solchen Antwort ist gegenwärtig allerdings weit und breit nichts zu sehen. Stattdessen verheddern sie sich erneut in konzeptionslosen Steuersenkungsdebatten. Von dieser Schwäche profitieren gegenwärtig vor allem die »neubürgerlichen« Grünen. Sie sind die neue politische Kraft innerhalb des bürgerlichen Milieus. Der Journalist Wolfgang Storz formuliert das so: »Sie sind in der Mitte dieser Wirtschaftsgesellschaft angekommen und haben noch bessere Chancen, die geistig und kulturell peinlich gewordene FDP auf Dauer abzulösen.«

Dies gilt auch und gerade für die »ener­giepolitische Wende«, die bei Unionsparteien wie FDP in kein Gesamtkonzept der Erneuerung der bürgerlichen Gesellschaft eingebunden ist. So befürchten die unionsinternen Kritiker einen forcierten Deindustrialisierungsprozess. Am drastischsten formuliert es der ehemalige Staatssekretär in der hessischen Staatskanzlei unter Walter Wallmann (CDU), Alexan­der Gauland: »Margret Thatcher hatte in Großbritannien vorgemacht, wie man ein Land deindustrialisiert. So wie ihr gnadenloser Kampf gegen die Gewerkschaften die britische ­­Motoren-, Fahrzeug- und Maschinenbauindustrie vernichtet hat, kann man auch mit zu teurem Strom Aluminium-, Kupfer-, Stahl- und Chlor­erzeugung über die Grenzen treiben, von den sozialen Folgekosten gestiegener Strompreise für Harz IV-Empfänger und Geringverdienende gar nicht erst zu reden.«

Heftige Kontroversen gibt es auch um den vom Bundesvorstand der CDU verabschiedeten Leitantrag zur zukünftigen Bildungspolitik. Mit dem darin u.a. geforderten Ersatz des dreigliedrigen Schulsystems durch ein Zwei-Säulen-Modell aus Oberschule und Gymnasium nimmt die CDU Abschied von einem weiteren, über Jahrzehnte verteidigten »Markenkern« ihrer Politik, der in Teilen der Partei und der eigenen Wählerschaft für heftige Irritationen sorgt.

Die »energie- und bildungspolitischen Wenden« stehen denn auch beim konservativen Flügel der Unionsparteien exemplarisch für eine »Entkernung der CDU«, damit für den Verlust des eigenen politisch-programmatischen Profils mit der Folge noch wachsender Wahlabstinenz bürgerlicher WählerInnenschichten. »Man wird sehen, ob Merkels Rechnung dann noch aufgeht, dass man alle Überzeugungen aufgeben muss, um an der Macht zu bleiben.« (Gauland)
Die deutsche Bundeskanzlerin steht im Gegenwind. Wenn sich auch noch keine personelle Alternative abzeichnet, muss sie sich sowohl innerparteilich als auch aus der »Mitte« der Gesellschaft häufig den Vorwurf des Opportunismus anhören. Ihre Methode des Lavierens und der schnellen Kurswechsel – von der Atomenergie über die Libyen-Intervention bis zum Euro-Schutzschirm – befremdet erheblich.

Beim Euro-Rettungspaket muss sich die Kanzlerin und CDU-Vorsitzende gegen den Vorwurf wehren, die deutschen SteuerzahlerInnen hafteten in Zukunft massiv für die Schulden anderer Länder. In einem Brandbrief haben 100 deutsche Mittelständler der Kanzlerin Fahrlässigkeit in der Griechenland-Krise vorgeworfen. Sie klagen über »verantwortungslose Schuldenpolitik«. Die bürgerliche Regierung habe eine Neuordnung nach der Finanzkrise versprochen, betreibe aber letztlich doch das Geschäft der Banken und anderer Akteure des Finanzmarktes.

Zwar lehnt die rot-grüne Opposition den beschlossenen Rettungsschirm für Griechenland und andere Notfälle – mit Ausnahme der LINKEN – nicht grundsätzlich ab, kritisiert aber das Taktieren Merkels. Der ehemalige SPD-Finanzminister Steinbrück bringt diese Kritik auf den Punkt: Merkel habe »zu viele Volten und Pirouetten gedreht, was Glaubwürdigkeit gekostet, Märkte irritiert und Partnerländer verstört hat«.

Der Vorwurf des Opportunismus tauchte auch in der Debatte über Libyen auf. Dass Deutschland die Beseitigung Gaddafis wünscht und die militärischen Operationen der Alliierten ausdrücklich gutheißt, gleichwohl aber nicht der entsprechenden Uno-Resolution zustimmte, nehmen SPD und Grüne genüsslich aufs Korn.

Die Tendenz der Kanzlerin zum Lavieren – die auch in der Guttenberg-Affäre zum Vorschein kam – befremdet die BürgerInnen. Die Frage, wofür die CDU steht, ist kaum noch zu beantworten. Und die Umfragewerte bestätigen diesen Befund. Merkels Machtbasis schrumpft, weniger in der Koalition, weil die keine Neuwahlen riskieren kann, aber in der Bevölkerung – und zwar in allen gesellschaftlichen Gruppen. Die Erosion der Hegemonie der Partei erfasst mehr und mehr alle wichtigen Segmente ihrer sozialen Basis.

Auch in den Chefetagen hat die Bundeskanzlerin massiv an Ansehen verloren. Die Führungskräfte der Wirtschaft erfahren sie als ungeschickt und unglaubwürdig. 58% der Befragten stufen Merkel als »schwach« ein. Auf dieselbe Frage hatten ein halbes Jahr zuvor nur 37% so geantwortet. Seit Beginn ihrer Amtszeit wurde die Kanzlerin noch nie so kritisch gesehen. Während ihrer Arbeit in der Großen Koalition hatten 80% der Chefs ihr noch Stärke attestiert. 77% der Führungskräfte sind von der bisherigen Regierungsarbeit enttäuscht, nur noch 57% gestehen Merkel Kompetenz und Sachverstand zu. Mehr als drei Viertel sehen sie als schwach und nicht handlungsfähig. Das ist weniger als zwei Jahre nach Beginn der zweiten Amtszeit in der schwarz-gelben Koalition ein vernichtendes Urteil.

Wenn die schwarz-gelbe Koalition im Herbst 2013 wiedergewählt werden will, muss sie in der Wählergunst mächtig zulegen. Derzeit kommt die CDU/CSU in der »Sonntagsfrage« laut Forsa auf 32% der Stimmen. Die FDP konnte auch nach dem Abgang von Guido Westerwelle nicht zulegen und würde derzeit mit 4% der Stimmen nicht einmal in den Bundestag einziehen. Trotz »German Miracle« keine rosigen Zeiten für das bürgerliche Lager.

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