1. Mai 2008 Christina Ujma

Untergang statt Neubeginn

Erdrutsch, Tsunami, Beginn der dritten Republik – so titelten die italienischen Zeitungen am 15. April 2008. Die Wahlen am 13. und 14. April bedeuten in der Tat einen massiven Einschnitt in der Geschichte der italienischen Linken und markieren einen Rechtsruck sondergleichen. Sie lassen Italien als einziges Land Europas zurück, in dem keine sozialdemokratische bzw. sozialistische Partei mehr im Parlament vertreten ist.

Falls Italien wirklich einmal wieder das politische Laboratorium Europas ist, lässt die Tatsache, dass die Linksparteien, die erstmals im neugegründeten Parteienbündnis Arcobaleno/Regenbogen angetreten sind, sang- und klanglos aus beiden Kammern des Parlaments herausflogen, wenig Gutes für die Zukunft hoffen.

Stattdessen sind im Parlament nun vor allem die Rechten in all ihren Spielarten vertreten. Das reicht vom fremdenfeindlichen norditalienischen Ressentiment der Lega Nord und ein paar übriggebliebenen rechten Christdemokraten von Casinis UDC über die neoliberale und klientelistische Forza Italia bis hin zu Finis mehr oder minder geläuterten Postfaschisten und einigen bekennenden Schwarzhemden. Von der einst so mächtigen italienischen Linken sind einzig ein paar Mitglieder der Demokratischen Partei übrig geblieben. Das sind wahrhaft amerikanische Verhältnisse. Ob Walter Veltroni, der die Amerikanisierung der italienischen Politik federführend betrieben hat, sich das so vorgestellt hat, ist unwahrscheinlich, denn die entsozialdemokratisierende Fusion der Demokratischen Sozialisten mit der linkskatholischen Margherita zur Demokratischen Partei hat ihm kaum Stimmenzuwachs gebracht. Die Demokratische Partei kam auf 33%, das entspricht fast dem Ergebnis von 2006, nur dass alle linken Partner von 2006 auf der Strecke geblieben sind und das progressive Lager 10% der Stimmen verloren hat. Die mangelnde Mobilisierungsfähigkeit der sozialistischen/kommunistischen Linken verwundert vor allem angesichts der Tatsache, dass die Italiener den Rest Europas im letzten Jahr mit mächtigen Demonstrationen und Streiks gegen Sozialabbau, Privatisierungen und Frauendiskriminierung überraschten.

Unerwartete Katastrophe

"Demoskopen, Zeitungen und Experten – keiner hat irgendwas gemerkt", schrieb Il Tempo nicht ohne Empörung, denn vor den Wahlen ist der desaströse Rechtstrend weder Demoskopen noch Politikern aufgefallen.[1] Im Gegenteil, eigentlich sah es so aus, als hätten sich die eher linken Kräfte aus dem Umfragetief, das dem Scheitern der Regierung Prodi folgte, schnell erholt, denn nach einigen Wochen legten sie täglich in den Umfragen zu. Viele rechneten mit einer Art Patt, am Ende des Wahlkampfes schien die Stimmung umzukippen und der sicher geglaubte Wahlsieg Berlusconis ins Wanken zu geraten. Berlusconis Wahlkampf wirkte abgelatscht, seine Reden vermochten selbst bei Anhängern nur noch gemäßigte Begeisterung hervorzurufen, seine Scherze wurden kaum noch als komisch empfunden, seine Provokationen nicht mehr als sonderlich provokativ. Der geliftete Konservative mit Haarimplantat wirkte verbraucht und müde. Es ist das Alter, konterte DP Spitzenkandidat Veltroni und verwies auf die Tatsache, dass er mit 53 Jahren für italienische Verhältnisse geradezu ein Jüngling ist.

Gegen Ende der Kampagne gelang es ihm durchaus, seine Anhänger auf Kundgebungen zu begeistern, was allerdings für Nichtitaliener eher schwer nachzuvollziehen ist. Seine drögen und gleichzeitig wolkigen Botschaften von der Modernisierung des Landes, allgemeiner Effizienzsteigerung und einem kleinen bisschen mehr Gerechtigkeit, kann man höchstens vor dem Hintergrund von neapolitanischem Müllchaos und weitverbreiteter Korruption begeisternd finden. Während es Veltroni gelang, die Marktplätze zu füllen und seine Anhänger mit simplen Botschaften zu enthusiasmieren, machten andere Spitzenpolitiker der DP wie Massimo D’Alema in kleineren Sälen mit etwas differenzierterer Rede, wohlformuliertem und rhetorisch geschliffenem Italienisch weniger spektakuläre Zielgruppenarbeit, die jedoch gut anzukommen schien.

Der neue Personenkult

Durch Veltronis Weigerung, das Anti-Berlusconi-Bündnis wiederaufzulegen, sah man sich im Vorfeld der Wahlen dazu gezwungen, die bereits 2007 angefangene Links-Fusion schnell zu vollenden, um die 4%-Hürde in der Abgeordnetenkammer und die 8%-Hürde im Senat zu überwinden. Leicht ist Rifondazione Communista (PRC), den Communisti Italiani (PdCI), der Sinistra Democratica und den links stehenden Grünen (Verdi) die Fusion nicht gefallen; La Sinistra Arcobaleno, die Linke des Regenbogens, trug eher den Charakter einer Vernunftehe als einer Liebesheirat.

Vom Arcobaleno sah und hörte man im Wahlkampf relativ wenig. Von Berlusconi und Veltroni wurde dieser ganz bewusst als Zweikampf der beiden Spitzenkandidaten inszeniert. Nicht nur die von Berlusconi kontrollierten Medien liebten dieses Duell der Möchtegern-Giganten, was dazu führte, dass weder Inhalten noch kleineren Parteien sonderlich viel Aufmerksamkeit zu teil wurde. Diese übertriebene Personalisierung ist eine Auswirkung von Silvio Berlusconis Erfolg. Da seiner rechten Wählerschaft Inhalte relativ egal sind, wurde dieses vermeintliche Erfolgsrezept von der Linken nun kopiert, ungeachtet der Tatsache, dass viele linke Wähler dies eher abstoßend finden und lieber Inhalte zur Grundlage ihrer Wahlentscheidung machen. Während Walter Veltroni sich vor allem darauf konzentrierte, nichts Falsches zu sagen, wenig Angriffsflächen zu bieten und im Fernsehen gut rüberzukommen, hatte es der Spitzenkandidat des Arcobaleno, Fausto Bertinott­i, etwas schwerer. Er ist im wahrsten Sinne des Wortes so etwas wie ein rotes Tuch für viele Italiener, nicht nur wegen seiner linken Positionen, sondern auch, weil er Regierungschef Prodi in dessen zwei Amtsperioden einige Schwierigkeiten bereitete. Wegen seiner unbestreitbaren Eitelkeit und der Angewohnheit, bei Fernsehauftritten gelegentlich weniger die linke Botschaft als sich selber in Szene zu setzten, wirkte er wesentlich weniger identifikationsstiftend und mobilisierend auf die eigene Anhängerschaft als Veltroni oder Berlusconi. Obwohl noch nicht einmal die Rechte bestreitet, dass Bertinotti ein fähiger und versierter Politiker ist, zog er in der Personalityshow dieses Wahlkampfes den kürzeren. Der Versuch, den Mainstream mit seinen eigenen Mitteln zu schlagen und sich des neuen Personenkults zu bedienen, ist gründlich daneben gegangen. Für die Identitätsstiftung und die Wählermobilisierung wäre es vermutlich geschickter gewesen, nicht ganz auf Fausto Bertinotti als Quasi-Kanzlerkandidaten zu setzen, sondern die Pluralität des Arcobalenos auch durch ein plurales Spitzenteam zu symbolisieren.

Neue Gesichter bei Mitte-Links

Walter Veltroni verstand es wesentlich besser, mit Personen Politik zu machen und seine neuformierte Demokratische Partei auch als Kraft des gesellschaftlichen Neubeginns darzustellen und damit das Debakel der letzten Prodi-Regierung, die durch die DS/DP federführend mitbestimmt wurde, vergessen zu machen. Zu diesem Zweck räumte er erst einmal mit den Dinosauriern der Christdemokraten auf, von denen viele in- und ausländische Beobachter gar nicht mehr wussten, dass diese überhaupt noch im Parlament saßen. Dieses Manöver diente vor allem dazu, innerparteiliche Gegenspieler loszuwerden, von denen der auf der nationalen Ebene nicht sonderlich erfahrene Veltroni befürchtete, dass sie ihm gefährlich werden konnten. Romano Prodi hatte mit Francesco Rutelli einen ehemaligen linken Spitzenkandidaten und mit Massimo d’Alema und Giulio Amato zwei ehemalige Premierminister im Kabinett, diese haben sich aber eher als Stabilitätsgaranten, denn als Störenfriede erwiesen. Amato und Prodi hatten freiwillig auf eine erneute Kandidatur verzichtet, seinen innerparteilichen Gegenspieler Massimo D’Alema konnte Veltroni durch keinen Taschenspielertrick loswerden, denn der hat sich als Prodis Außenminister so viel Prestige erworben, dass er einfach unverzichtbar ist, ähnliches gilt für Rosi Bindi, Vizepräsidentin der PD und Repräsentantin des christdemokratischen Flügels. D’Alema ist auch Aufpasser der Partei, die Veltronis Gebaren nicht ohne Misstrauen verfolgt. Der Spitzenkandidat setzte ganz auf jüngere Kandidaten, Unternehmer, prominente Katholiken, CGIL-Gewerkschafter und ungewöhnlich viele Frauen. Veltroni ging sogar soweit, dass er Veronica Lario, die linksliberal-grün eingestellte Gattin Berlusconis gewinnen wollte. Daraus wurde aber nichts. Aus diesem bunt zusammengewürfelten Personenkreis wird sich kaum eine arbeitsfähige Parlamentsfraktion bilden lassen, die in der Lage ist, sich gegen die rechte Übermacht zu behaupten. Ähnlichen Maximen folgte auch Veltronis Wahl der Partnerparteien. Er hat zwei kleine Partner an Bord genommen, bei denen er davon ausging, dass sie wenig Ärger, aber ein Maximum an Pres­tige bringen. Es handelt sich dabei um die Partei Italia dei Valori/Italien der Werte des ehemaligen Mani Pulite Staatsanwalts di Pietro und die Radikale Partei, die in der Vergangenheit immer wieder durch Einsatz für BürgerInnenrechte hervorgetreten ist. Mit diesen Partnern erhoffte sich die PD ihren sauberen Ruf wieder herzustellen, der in der Prodi-Regierung durch diverse Verstrickungen von DS/PD-Leuten in nicht ganz so saubere Aktionen Schaden genommen hat.

Programmatische Erneuerung oder Hammer und Sichel?

Der Arcobaleno machte dagegen im Wahlkampf anfangs vor allem durch Fusionsquerelen und durch den Streit von sich reden, ob man Hammer und Sichel als Symbol beibehalten sollte, womit sich die Communisti Italiani nicht durchsetzen konnten, was deren Vorsitzenden Oliviero Diliberto zu rüden Polemiken veranlasste. Dass bei dem Versuch, vier Parteien zu einer zusammenzuschmieden, diverse frustrierte Funktionäre auf der Strecke blieben, war zu erwarten, nicht aber, dass die­se ihrem Unmut ausgerechnet in den Medien Luft machten. Diese Streitigkeiten nahmen den Arcobaleno in der Frühphase des Wahlkampfes stark in Anspruch, so stark, dass darüber die Inhalte gelegentlich in Vergessenheit gerieten. Am Ende kam eine Parlamentsliste heraus, auf der sich kaum Arbeiter und auch wenige Exponenten der Bewegung gegen Sozialabbau fanden, die aber streng nach Parteien-Proporz quotiert war und auch eine stärkere Repräsentation von Frauen vorsah. Die 50%-Frauen-Quote wäre angesichts der Macho-Strukturen in der italienischen Politik eine kleine Revolution gewesen, so bleiben beide Kammern des italienischen Parlamentes ein Männerclub, in dem der Frauenanteil neuerdings bei knapp 20% liegt, was vor allem dadurch hervorgerufen wird, dass der Frauenanteil in der PD Fraktion immerhin bei 30% liegt.

Auch in anderen Punkten ähnelten sich die Programme der beiden linken Parteien, vom Kampf gegen die prekären Arbeitsverhältnisse, der Forderung nach einem Mindestlohn, über die Investition in die Infrastruktur, der Unterstützung des Südens, der Förderung von Bildung und Universitäten und der Forderung nach sozialem Wohnungsbau finden sich viele Gemeinsamkeiten. Allerdings waren die Forderungen des Arcobaleno in vielen Punkten weitergehender und radikaler als die der DP, auch hatten die Themen Arbeit und Soziales insgesamt einen höheren Stellenwert, während die DP eine Verschlankung und Effizienzsteigerung von Legislative und Exekutive das Wort redete und Steuersenkungen versprach. Der Knaller des Arcobaleno-Programms, die Wiedereinführung der berühmt-berüchtigten Scala Mobile, der automatischen Anpassung von Löhnen, Gehältern und Renten an die Inflationsrate, zündete nicht und wirkte im Wahlkampf 2008 weniger wie eine innovative sozialpolitische Forderung als wie ein nostalgischer Griff in die Mottenkiste altlinker Programmatik.

Die Tatsache, dass die Themen Arbeit und Soziales im PD Programm eine unerwartet wichtige Rolle spielen, liegt einerseits sicherlich daran, dass man die traditionell linke Gewerkschaft CGIL und sozialdemokratisch orientierte Wählerschichten einzubinden versucht, andererseits entspringt dies sicherlich auch dem Verlangen, die linke Konkurrenz kleinzuhalten.

Veltrusconi?

Insgesamt ist die Gründung der Demokratischen Partei der Versuch, sich der Mitte zu öffnen. Die Hoffnung, wenn man nur genug von der eigenen Programmatik und Identität preisgibt, dann könne man endlich für weite Teile der Italiener wählbar werden, ist seit dem Ende des Kalten Krieges der große Traum des ehemaligen PCI und stand auch Pate bei jeder neuen Wandlung der Ex-Eurokommunisten. Bislang gab es diesbezüglich keinen Erfolg, mag das linke Lager auch fragmentiert und kaum noch erkennbar sein, die rechte Mitte wählt unbeirrbar rechts und lässt sich auch durch Berlusconis korrupter Magie, Finis faschistischer Vergangenheit und Bossis rassistischste Rhetorik nicht abschrecken. Die neuen Parteifusionen sind ein Versuch, aus Italien ein paese normale, ein nach europäischen Maßstäben durchschnittliches Land zu machen, allein den Italienern gefallen die neuen identitäts- und programmarmen Politorganisationen nicht sonderlich; ein Drittel der Italiener war bis kurz vor der Wahl noch unentschlossen.

Viele linke Intellektuelle haben in diesem Wahlkampf ihren Überdruss an der italienischen Politik kundgetan, von Wahlenthaltung geredet und mit Inbrunst auf die neue Demokratische Partei und ihren Vorsitzenden Walter Veltroni eingeschlagen, den sie persönlich für den Niedergang der italienischen Politik verantwortlich machten. Er wird von führenden Intellektuellen, aber auch von Beppe Grillo als der Berlusconi der Wischiwaschi Linken, als Veltrusconi, d.h. als müder Abklatsch Berlusconis verspottet, was selbst der Neuen Zürcher Zeitung zu weit ging, die sich bemüßigt fühlte, die italienische Linke zu verteidigen.[2] Dass die italienischen Intellektuellen mit dem Protest gegen die Person Veltroni auch Protest gegen die Entsozialdemokratisierung der italienischen Linken einlegen, ehrt sie, auch wenn die Vergleiche teilweise abstrus waren und letztendlich eher zu Solidarisierungseffekten geführt haben dürfte, denn aus dem Programm wie aus den Auftritten wurde deutlich, dass der Spitzenkandidat der PD kein Veltrusconi ist, sondern ein biederer rechter Sozialdemokrat, den weite Teile der italienischen Linken am Ende für wählbar hielten, während die Mitte sich einmal mehr nach Rechts wandte.

Scheintote linke Kultur?

So ist es nicht überraschend, dass sich kaum linke Intellektuelle auf der Unterstützerliste der PD finden, obschon sie mit Umberto Eco und Claudio Magris zwei sehr prominente linksliberale Unterstützer aufweisen kann. Vor allem konnte Hollywoodbewunderer Veltroni eine spektakuläre Galerie von Filmschaffenden für sich gewinnen. Da findet sich zum einen George Clooney, aber auch die Elite des italienischen Films von Bernado Bertolucci, Roberto Begnini und Komponistenlegende Ennio Moricone über Ettore Scola, die Tavani-Brüder bis hin zum Veteranen der linken Politfilme, Francesco Rosi. Spöttische Geister könnten natürlich behaupten, dass diese illustren Persönlichkeiten vor allem von der Hoffnung getrieben wurden, Filmfan Veltroni könnte der darbenden italienischen Filmindustrie wieder auf die Beine helfen.

Die Unterstützerliste des Arcobaleno kam sehr spät, ist aber nicht minder beeindruckend; hier tummeln sich vor allem die Linksintellektuellen der alten Schule wie Rossana Rossanda, Pietro Ingrao, Luciana Castellina und Valentino Parlato, aber auch zahlreiche Wissenschaftler jüngerer Generationen und viele Schriftsteller, Künstler und Journalisten. Einen besonderen Schwerpunkt bilden die Angehörigen alter wie neuer sozialer Bewegungen: Das geht vom Generalsekretär der FIOM und zahlreichen CGIL Funktionären über Vertreter von Attac, Umweltschutzverbänden, von Feministinnen bis hin zur Drag Queen. Dieser Personenkreis hätte sich besser auf den Wahllisten des Arcobaleno gefunden, oder zumindest in deren Wahlkampagne, sie hätten vielleicht vermocht, dem Bündnis zumindest ein wenig Leuchtkraft zu geben. Die Unterstützerlisten machen aber deutlich, dass die italienische Kultur im Unterschied zur deutschen, englischen oder französischen immer noch mehrheitlich eher links steht. Abgesänge, wie sie kürzlich Gustav Seibt auf die linke Kultur Italiens unternahm, sind ähnlich auch in Italien zu lesen, aber doch nur zum Teil zutreffend: "Der idealistische Schwung, den es in Italien seit dem Risorgimento immer gegeben hat, der Glaube, die Menschen seien neu zu erfinden in aktiver Teilnahme an Politik und Nation, hat schon lange keine Stimme mehr. Glaubenslosigkeit, Zynismus regieren vor den Kulissen von Müllbergen die Szene. Die Frage, die sich in Italien auch kulturell schon lange stellt, ist noch immer nicht beantwortet ... Dass die Kultur Italiens, verglichen mit ihrer glanzvollen kommunistischen Ära, heute wie tot aussieht, ist auch ein politisches Problem."[3]

Voto utile?

Letztendlich haben gerade die Kulturschaffenden, zusammen mit Jungwählern, Rentnern, Angestellten des öffentlichen Dienstes und linken Akademikern mehrheitlich Veltronis PD gewählt. Viele dieser Akademiker sind ehemalige Linkswähler, denn am Ende fand eine Art Austausch der Wählerschichten statt: Ein Teil der Arcobaleno-Wähler sind zu Hause geblieben, gut die Hälfte aber hat Veltroni bzw. seinen Partner di Pietro gewählt, dessen Partei Italia dei Valori sich verdoppelt hat. Im Wahlkampf war viel vom voto utile die Rede, vom nützlichen Anti-Berlusconi-Stimmverhalten, welches sich vernünftigerweise für Veltroni entscheidet. Dies ging sogar so weit, dass Bertinotti als italienischer Ralph Nader charakterisiert wurde, der bei dem vorhergesagten knappen Wahlausgang am Ende Berlusconi den Weg zurück an die Macht ebnen könnte. Die Werbung für il voto utile hat sich wohl auch mangels attraktiver linker Alternative als sehr erfolgreich erwiesen.

Trotzdem kann Veltroni davon ausgehen, viele linke Stimmen nur als Leihgabe bekommen zu haben, die bei der nächsten Gelegenheit schnell weg sein können. Ohne diese linken (Leih)Stimmen sieht die Demokratische Partei blass aus, denn die DP hat Stammwähler aus der Arbeiterklasse an die Lega Nord verloren und dieser dadurch ein Comeback beschert. Im Süden hat Veltronis Partei an Forza Italia Stimmen abgegeben. Eine sonderlich stabile Basis in der ArbeiterInnenschaft haben weder DP noch Arcobaleno – die wählte angesichts sinkender Reallöhne und Sozialabbaus unter der Prodi-Regierung lieber Berlusconis neue Partei der Freiheit.[4]

Für Veltronis Partei ist die Situation zwar nicht so katastrophal wie für den Arcobaleno, aber auch nicht undramatisch, denn ohne den ungeliebten linken Partner zeichnen sich kaum noch Mehrheiten ab. Das zeigt sich auch in den Regional- und Kommunalwahlen, wo der Rechtsrutsch ungebremst durchschlug und viel Terrain, das die Linke in den letzten Jahren gewinnen konnte, an die Rechten zurückfiel. Besonders schmerzlich ist dabei der Verlust der Region Triest, eine der letzten Bastionen im Norden, in der Riccardo Illy überraschend unterlag, eine Symbolfigur, denn Illys Sieg in den Triestiner Bürgermeisterwahlen 1993 hat seinerzeit das Ende der ersten Republik und den Niedergang der Christdemokraten eingeleitet. Es sieht so aus, als würde die linke Mitte ohne die linken Kleinparteien in weiten Teilen des Landes keine Mehrheit mehr bekommen.

In der öffentlichen linksliberalen Debatte Italiens wird Veltronis Entscheidung, ohne Anti-Berlusconi-Bündnis anzutreten und damit zwar die Stimmen der Kleinparteien an sich zu ziehen, aber gleichzeitig sämtliche potenziellen Bündnispartner plattzumachen, vorsichtig als wenig weise Entscheidung diskutiert. Während diverse deutsche Kommentatoren von FR, Süddeutscher, taz oder FAZ das Ende der linken Kleinparteien begrüßen und darin Italiens Weg in den europäischen Mainstream sehen, merken italienische Kommentatoren an, dass es gerade linke Parteien ohne Traditionen und soziale Basis schwer haben, Wähler zu überzeugen und Mehrheiten zu gewinnen. In der Demokratischen Partei hat es bisher nur ein kritisches Grummeln gegeben, aber keine offene Kritik an Veltronis Kurs. Im Arcobaleno sieht das verständlicherweise anders aus. Viele Intellektuelle, Wähler und Mitglieder sind entweder zu geschockt, um etwas Bedeutendes zu verlautbaren oder üben sich in Wähler bzw. Nichtwählerbeschimpfung. Damit hatte eben keiner gerechnet. Ein Potenzial von mehr als 15% hätte die Linke, sagten Wahlforscher einhellig; ungefähr 13% (inklusive der Stimmen der SD) hatte sie bei den letzten Wahlen. Da sind 3,2% – 2,5 Millionen verlorene Wähler­Innen – ein guter Grund für kollektive linke Depression.

Bei der Ursachensuche ist man bis jetzt noch nicht sonderlich weit gekommen, lediglich Oliviero Diliberto, Chef der Communisti Italiani, hat laut schimpfend den Arcobaleno verlassen und will in Zukunft wieder alleine und mit Hammer und Sichel kandidieren. Wenn man bedenkt, dass Diliberto mit seinem Streit um gerade dieses Symbol einen Großteil der Negativschlagzeilen für den Arobaleno produzierte, fragt man sich, ob es nicht besser gewesen wäre, seine Truppe gleich außen vor zu lassen. Angesichts der Tatsache, dass über die Hälfte der Stammwähler des PdCI zur PD überging, scheint die Sehnsucht nach Hammer und Sichel nicht gerade hoch auf der Prioritätenliste potenzieller Linkswähler zu stehen. Abgesehen davon gab es genügend trotzkistische Splittergruppen, die mit dem umstrittenen Symbol kandidierten und im Promillebereich landeten.

Insgesamt ist der Arcobaleno zwischen zwei Mühlsteine geraten: Einerseits dem permanenten Vorwurf der extremen Linken, durch Partizipation an der Prodi-Regierung und erneut mit der Gründung des Arcobaleno inhaltlichen und programmatischen Ausverkauf zu betreiben und die Ideale des Proletariats zu verraten. Von der anderen Seite kam dagegen permanent der Vorwurf des linksradikalen Spinnertums und der Destruktion der Prodi-Regierung. So kommt es zu der absurden Situation, dass die Linke, die sich so aktiv wie möglich gegen die unsoziale Politik der Prodi-Regierung gewehrt hat, als einzige politische Gruppierung für deren Fehler massiv abgestraft wurde, obwohl sie diese am wenigsten zu verantworten hatte.

Eine weitere Ursache ist, dass der Arcobaleno es nicht schaffte, mit dem Zeitdruck, unter dem die Fusion vor den Neuwahlen stattfand, umzugehen und die programmatische Unfertigkeit des Arcobaleno wie das eigene Handeln in der Prodi-Regierung als widersprüchlichen, aber konstruktiven Schritt nach vorn darzustellen. Zudem kam die Pluralität des Regenbogens zu kurz, die neue Formation wirkte letztendlich wie eine Erweiterung von Rifondazione Communista. Die Betonung der grünen und linkssozialdemokratischen Inhalte, mit denen man die Abwanderung breiter Wählerschichten zur PD hätte verhindern können, kam schlichtweg zu kurz.

Totgesagte leben länger?

Italienische Wahl- und Parteienforscher betonen weiterhin, dass es ein relativ breites Potenzial für eine italienische Linkspartei gebe. Wohlmeinende Beobachter äußern zudem die Hoffnung, dass die Linke die Niederlage zum Anlass nimmt, um eine moderne linkssozialistische Partei mit einem zugkräftigen politischen Projekt zu gründen. Denn die Notwendigkeit einer Partei, die das linke Spektrum in der italienischen Politlandschaft abdeckt, wird selbst von einigen PD-Politikern nicht geleugnet. Massimo Cacciari und andere Analytiker schreiben weiten Teile des Arcobaleno einen altmodischen, ja "prähistorischen" Politikbegriff zu und beklagen die linke Unfähigkeit, die gesellschaftliche Situation im hochindustriellen und hochproduktiven italienischen Norden adäquat einschätzen zu können.[5] Gegenwärtig haben die Freunde der prähistorischen Linken allerdings Aufwind, das gilt nicht nur für die Communisti Italiani, sondern auch für Rifondazione. Hier befindet sich der fundamentalistische Teil der Partei, der die Lösung der linken Probleme in der Rückkehr zu Hammer und Sichel und der guten alten kommunistischen Tradition sieht, im offenen Aufruhr gegen die Führung, die entnervt das Handtuch geworfen hat und "auf der Flucht" ist, wie italienische Zeitungen schreiben. Ob der Arcobaleno angesichts dieser Tendenzen eine Überlebenschance hat, oder es eine Spaltung zwischen traditioneller und moderner Linker gibt, werden die kommenden Wochen zeigen. Die Debatte darüber, welche Schlussfolgerungen aus dem großen Debakel der italienischen Linken zu ziehen sind, haben gerade erst begonnen.

Christina Ujma arbeitet seit 1994 als Hochschuldozentin am Department of European and International Studies an der Loughborough University, GB. Zu Italien erschienen von ihr in Sozialismus: Hoffnungslos, aber nicht ernst. Zur Lage der italienischen Linken nach dem Scheitern der Regierung Prodi (3/2008); Widerständig, elegant und intellektuell. Rossana Rossandas Lebenserinnerungen auf Deutsch (1/2008); Arbeiterführer, Intellektueller und Politiker. Nachruf auf Bruno Trentin 1926-2007 (11/2007)

[1] Fabrizio dell’Orefice, Previsioni sbagliate, È solo carta straccia, Sondaggi, giornali, esperti, Nessuno ha capito nulla, in: Il Tempo, 16.4.2008.
[2] Franz Haas, Berlusconi und die guten Geister. Konfuse Resignation bei Italiens Intellektuellen vor den Wahlen, NZZ 22.3.2008.
[3] Gustav Seibt, Abgesang auf den italienischen Kommunismus. Ciao Peppone!, Süddeutsche Zeitung, 17.4.2008.
[4] Silvio Buzzanca, Ecco il voto per professione, Pdl, boom da operai e casalinghe, in: La Repubblica, 18.4.2008.
[5] A Nord una sinistra preistorica. Interview mit Massimo Cacciari, Expressoweb, 16.4.2008.

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