1. Februar 2001 Ulrich Cremer

Uran-Munition

In der letzten Zeit kommt es wirklich dicke für diejenigen, die 1999 den NATO-Angriffskrieg gegen Jugoslawien herbeigeführt haben. Im Dezember bezog die NATO-Parlamentarierversammlung überraschend die Position, dass keineswegs die Serben, sondern die Kosovo-Albaner in den Monaten vor den NATO-Angriffen für die Eskalation der Gewalt verantwortlich waren. So gesehen hätte die NATO die Falschen bombardiert. Aber das wollte bei den Journalisten, die mehrheitlich den Krieg aktiv gerechtfertigt und unterstützt hatten, keiner hören. Insofern gab es auch fast nichts zu lesen.

Lediglich D.S. Lutz kam im Feuilleton der Frankfurter Allgemeinen zu Wort und zitierte dort aus dem verabschiedeten (!) Generalbericht »Die Folgen des Kosovo-Konfliktes und seine Auswirkungen auf Konfliktprävention und Krisenmanagement«: »So nutzte die UCK das Holbrooke-Milosevic-Abkommen als Atempause, um ihre Kräfte nach den Rückschlägen des Sommers zu verstärken und neu zu gruppieren. Die serbischen Repressionen ließen unter dem Einfluß der KVM in der Zeit von Oktober bis Dezember 1998 nach. Dagegen fehlte es an effektiven Maßnahmen zur Eindämmung der UCK, die weiterhin in den USA und Westeuropa – insbesondere Deutschland und der Schweiz – Spenden sammeln, Rekruten werben und Waffen über die albanische Grenze schmuggeln konnte. So nahmen die Angriffe der UCK auf serbische Sicherheitskräfte und Zivilisten ab Dezember 1998 stark zu. Der Konflikt eskalierte neuerlich, um eine humanitäre Krise zu erzeugen, welche die NATO zur Intervention bewegen würde.« (FAZ 15.12.00)

Mitte Januar erhielt das Lügengebäude um die Vorgeschichte des Jugoslawien-Krieges weitere Risse. Die Berliner Zeitung hatte den wissenschaftlichen Abschlussbericht finnischer Gerichtsmediziner über die Toten von Racak vorab eingesehen und schrieb am 17.1.: »Für das angebliche Massaker im Kosovo-Dorf Racak vom 15. Januar 1999 finden sich ... keinerlei Beweise.« Entsprechende Erkenntnisse hatte es zwar auch schon vor Kriegsbeginn 1999 begeben, aber damals interessierte sich die Öffentlichkeit mehr für die Pressekonferenzen der NATO und ignorierte entsprechende Zeitungsberichte. Daran, dass der deutsche Außenminister Fischer damals den Bericht der im Auftrag der EU tätig gewordenen Finnen unter Verschluss nahm, wurde nicht weiter Anstoß genommen. Die Stimmung im Lande war so, dass Leute, die Zweifel an der westlichen Version der Ereignisse anmeldeten, als »serbische Agenten«, die »das Geschäft des Völkermörders Milosevic betrieben«, denunziert wurden.

Mehr Medienaufmerksamkeit als die beiden Themen, die die ideologische Rechtfertigung der Kriegsteilnahme grundlegend und direkt erschüttern, erhielt das Thema Uran-Munition. Hier gerieten die NATO-Kriegsunterstützer völlig in die Defensive. Ursprünglich handelt es sich um ein nachgeordnetes Problem, da die Munition ja nicht eingesetzt worden wäre, wenn die NATO den Krieg nicht angefangen hätte. Balkan-Koordinator Hombach jammerte, »die psychologische Wirkung der Debatte sei ›verheerend‹«. Sie »verringere im Nachhinein die Zustimmung zum NATO-Einsatz.« (taz, 15.1.01) In der Tat: Wie kann man ernsthaft die Position vertreten, die NATO habe eine humanitäre Intervention durchgeführt, wenn die Lebensgrundlagen derer, die sie zu verteidigen vorgab, nachhaltig vergiftet wurden? Aber auch dieses Argument war bereits während des Krieges von den KriegsgegnerInnen und einigen Medien angesprochen worden.

Die heute von der Bundesregierung vertretene Position, die NATO solle ein Moratorium für den Einsatz von Uran-Munition beschließen, wäre natürlich zu einer Zeit, als die NATO jene verschoss, ansatzweise vernünftig gewesen; damals hat z.B. Rudolf Scharping, wie er in diesen Tagen ständig betont, lediglich »informiert«, aber keine Forderungen an die NATO gestellt. Im friedvollen Januar 2001 (die NATO führt gerade nirgends einen heißen Krieg), ist die Position dagegen lächerlich. Heute kann es nur um die generelle Ächtung der Uran-Munition gehen. Und für diese Forderung hat man in der Bundesregierung bisher keine Verbündeten, im Gegenteil.

Während des Jugoslawien-Krieges war der Zusammenhang zwischen der Uranmunition und den Leukämieerkrankungen noch abstrakt. Man wusste nur, dass es nach einigen Jahren die ersten Fälle geben würde. So gut wie gar nicht bekannt war, dass die NATO bereits bei ihren Luftangriffen im Bosnien-Krieg Uranmunition eingesetzt hatte. [1] Ebenso wenig war bekannt, das die abgereicherte Uran-Munition mit Plutoniumresten angereichert bzw. verunreinigt war, so dass sich die gesundheitsschädigende Wirkung um ein Vielfaches erhöht. Insofern traten die ersten Leukämie- und anderen Krebsfälle unter NATO-Soldaten schneller als erwartet auf.

Der Grund, warum die Uran-Munition zum »Thema« wurde, war, dass der Zusammenhang von Uran-Munition und Leukämie durch die Opfer unter den NATO-Soldaten erfahrbar wurde. Durch das langjährige Wirken der Friedens- und Anti-AKW-Bewegung ist die deutsche Öffentlichkeit dafür sensibilisiert, dass Uran Krebs erzeugt. Hinzu kommt: Der NATO-Krieg hatte 1999 auch deswegen eine hohe Akzeptanz, weil keine Opfer auf Seiten der Täter, also der NATO (= die Guten) zu beklagen waren. Nachdem im »Nachhinein« auf der eigenen Seite Verluste zu beklagen sind, wacht die »Täter-Nation« auf und ist betroffen.

Viele in der Friedensbewegung fragten sich in den 90er Jahren verzweifelt, warum die Verwandlung der Bundeswehr in eine Interventionsarmee samt allen Vorbereitungs-Salami-Schritten von der Bevölkerung praktisch kein Widerstand entgegen gesetzt wurde. Niemand fühlte sich davon betroffen; die Antizipationsleistung, dass irgendwann die ersten Zinksärge in Deutschland eintreffen würden, wurde nur von sehr wenigen vollbracht. Auch in den Hochzeiten der Friedensbewegung wurde die Betroffenheit nicht daraus geschöpft, dass man selbst, in einem NATO-Staat lebend, auf der Täterseite stand, die die damalige Sowjetunion mit modernen Atomraketen bedrohte. Die Betroffenheit stellte sich erst aus der Opfer-Perspektive ein: Der Atomkrieg würde Mitteleuropa vernichten.

Damit die deutsche Bevölkerung auch in Zukunft Kriege mitträgt, darf aus Sicht der großen Militärkoalition kein nachhaltiger ideologischer Schaden entstehen. In diesem Zusammenhang ist es natürlich geschickt, dass sich die Bundesregierung in der Uran-Angelegenheit symbolisch gegen die USA wendet, indem Scharping den US-Geschäftsträger einbestellt u.ä. Die Message soll sein: Die Bundeswehr ist »sauber«, es waren die anderen. Da Bundesregierung und Bundestag aber den schmutzigen Krieg ermöglicht und mitgemacht haben, dürfen sie aus der Verantwortung für den Einsatz der Uran-Munition nicht entlassen werden.

Bedauerlich ist, dass die mediale Steilvorlage in Sachen Uran von keiner Bewegung aufgegriffen wird. Politische Forderungen konzentrieren sich – neben dem internationalen Verbot der Uran-Munition – auf Fact-Finding: Die NATO soll Informationen rausrücken; alle Betroffenen (lokale Bevölkerung, Hilfsorganisationen, Soldaten) sollen untersucht werden. Eine humanitäre Politik muss jedoch einen Schritt weiter gehen und konkrete Opferhilfe beinhalten. Sie muss nicht ständig den Zusammenhang von Uran-Munition und Krebs neu beweisen, sondern kann ihn ganz selbstbewusst als gegeben voraussetzen. Die Untersuchung der betroffenen Menschen ist sicher ein erster richtiger Schritt. Der zweite ist die Therapie. Leukämie-Patienten können durch eine Knochenmarkspende gerettet werden. Voraussetzung dafür ist es, einen geeigneten Spender ausfindig zu machen. In Deutschland existiert bereits die größte Knochenmarkspender-Datei in der Welt (Informationen unter: www.dkms.de), aber auch hier sind lediglich 734.657 Menschen registriert (Stand 18.01.01). Also geht es darum, mehr Menschen dazu zu bewegen, sich in die Datei aufnehmen zu lassen. Jeder, der das tut, wird sich mit dem Hintergrund (Uran-Munition, NATO-Angriffskrieg usw.) auseinandersetzen. Dazu könnten gezielt »Registrierungstage« organisiert und öffentlich bekannt gemacht werden, was nicht ganz wohlfeil zu haben ist: Eine Registrierung kostet 100 DM.

Da die Wahrscheinlichkeit, einen geeigneten Spender zu finden, in der eigenen Verwandtschaft am größten ist, müsste die bosnische, serbische und kosovo-albanische Bevölkerung (in Deutschland und auf dem Balkan lebend) in die Registrierung einbezogen werden. Da in den Balkanländern aber kein komfortables Krankenversicherungssystem wie in Deutschland besteht, wird man für die entsprechenden Operationen und die notwendigen neuen Hospitäler und Rehabilitationszentren Geld bereitstellen müssen. Richtigerweise könnte das dem Scharping-Etat entnommen werden, aber auch private Spenden helfen.

Die politischen Bündnismöglichkeiten für Knochenmarkspende-Aktionen sind groß. Auch KriegsbefürworterInnen, selbst Kriegstreiber wie Scharping, könnten sich beteiligen. Natürlich würden sie sich bei der Gelegenheit ein humanitäres Mäntelchen umhängen. Da aber in dem Prozess der eine oder andere zu einer veränderten Sichtweise des NATO-Krieges kommen könnte, also vom Saulus zum Paulus werden könnte, sollte die Tür weit geöffnet werden. Denn bisher hat ja kein prominenter Kriegsunterstützer auf den Pfad der Tugend zurückgefunden.

Ulrich Cremer ist Mitherausgeber des Buches »Die Bundeswehr in der neuen Weltordnung«. Er war Initiator der GRÜNEN Anti-Kriegs-Initiative und bis Februar 1999 Sprecher des Fachbereichs Außenpolitik bei BÜNDNIS 90 / DIE GRÜNEN.

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