23. August 2017 Holger Politt

Verfassungsstreit in Polen

Foto: dpa

Es hat schon höhere Weihe, wenn PiS-Parteichef Jarosław Kaczyński plötzlich den Teufel ins Spiel bringt: »Wir sind wirklich diejenigen, die übriggeblieben sind, was aber nicht bedeuten soll, dass unsere Festung dann auch erobert werden wird. Wir müssen sie verteidigen für Polen, für die Polen und für Europa. Einfach für die Menschheit. Ich will mir jetzt nicht eine mir nicht zustehende Rolle anmaßen, aber der Teufel treibt sich schon rum in der Welt.«

Diese Worte sagte er, kurz nachdem die überraschend starke Protestwelle gegen die Regierungspolitik vom Juli 2017 abgeebbt war, dem katholischen Radio­sender »Radio Maryja«, der aus seiner Feindschaft zur liberalen Welt und zur Europäischen Union keinen Hehl macht. An anderer Stelle sprach Kaczyński von einem ernsthaften Aufstand, von einem Übergriff der Barbarei.


Solch deftige Worte verdeutlichen einerseits die unerwartete Dynamik und Kraft der Protestwelle, andererseits die Ratlosigkeit, die sich im Regierungslager schnell breitzumachen begann. Polens Innenminister Mariusz Błaszczak erklärte etwa auf dem Höhepunkt der Proteste, als landauf, landab Hunderttausende Menschen auf die Straße gingen, es sei eben Urlaubssaison, sodass die meisten derjenigen, die sich jetzt versammelten, eher Abendspaziergänger seien, die eigentlich das schöne Sommerwetter nutzten und eher zufällig in die Proteste geraten seien. Doch derselbe Minister meinte an anderer Stelle wieder ganz ernst, die Opposition habe im Juli versucht, die Regierung zu stürzen. Schnell hat Kaczyński das entsprechende Wort gefunden – er und seine Leute sprechen jetzt gerne von der sogenannten totalen Opposition, die ein unberechenbares Wesen zu sein scheint, dem aber alles zuzutrauen ist. Anders gesagt, dem Parteivorsitzenden Kaczyński geht es, wenn er vom Teufel spricht, gar nicht so sehr um die äußere Welt, vielmehr treiben ihm die Vorgänge im eigenen Land die Sorgenfalten in die Stirn. Was aber ist los in Polen?


Mit Paukenschlägen zu den »guten Veränderungen«

Zwei Paukenschlägen gleich hatten Polens Nationalkonservative 2015 die entscheidenden politischen Machtpositionen unter ihre Kontrolle gebracht. Andrzej Duda, der direkt gewählte Sieger der Präsidentschaftswahlen, war der Kandidat des eigenen Lagers und brachte den sieggewohnten Wirtschaftsliberalen nach vielen Jahren die erste deftige Wahlschlappe bei.

Holger Politt ist Mitarbeiter der Rosa Luxemburg Stiftung in Warschau. Von ihm und Krzysz­tof Pilawski erschien 2016 bei VSA das Buch: »Polens Rolle rückwärts. Der Aufstieg der Nationalkonservativen und die Perspektiven der Linken«. Siehe dazu auch ihren Beitrag in Sozialismus 11/2016: »Zusammengesetzte Identität. Grundlagen des Nationalkonservatismus in Polen«.

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