22. Februar 2015 Otto König / Richard Detje: Deutsche Post DHL: ver.di kämpft gegen Tarifflucht

Vom Staatskonzern zum Modell Amazon

Das Geschäft der Deutschen Post DHL boomt. Der Paketdienst des weltgrößten Logistikkonzerns entwickelt sich zu einer Erfolgsgeschichte. Mit einem Anteil von 46% ist DHL Marktführer auf dem deutschen Paketmarkt. Der operative Gewinn lag 2014 bei 1,3 Milliarden Euro.

Nach einer auf sieben Jahre ausgelegten Wachstumsprognose, die im Frühjahr 2014 ausgegeben wurde, soll das Ergebnis von 2,8 auf 5 Milliarden steigen. Diese Erwartung ist vor allem auf das durch den E-Commerce-Boom ausgelöste Wachstum im Paketgeschäft zurückzuführen. Mehr als die Hälfte der 2,1 Milliarden Pakete, die 2014 in Deutschland verschickt wurden, kommen aus dem Onlinehandel und vergleichbaren Versendern. »Wir rechnen im Paketgeschäft mit 10.000 neuen Stellen bis 2020 und wahrscheinlich 20.000 in Summe bis 2025«, verkündete Jürgen Gerdes, zuständiges DHL-Vorstandsmitglied für das Brief- und Paketgeschäft, Ende Januar 2015. Was wie eine gute Nachricht klingt, ist nach Auffassung der Gewerkschaft ver.di ein »Skandal ersten Ranges«. Denn diese ArbeitnehmerInnen werden nicht mehr bei der Post, sondern bei der neu gegründeten Gesellschaft »DHL Delivery GmbH« eingestellt. Hatte die Deutsche Post im Laufe des Jahres 2014 schon die Zahl der befristet Beschäftigten sukzessive auf mehr als 24.000 erhöht und damit das Teilzeit- und Befristungsgesetz in eklatanter Weise zur Gewinnmaximierung missbraucht, soll nun ein weiterer erheblicher Beitrag durch Tarif- und Mitbestimmungsflucht bei den Beschäftigten einkassiert werden.

Damit taucht das Unternehmen ab ins trübe Becken der Lohndrücker der Logistikbranche. Die Neueingestellten sollen nicht wie die Stammbeschäftigten nach dem Haustarifvertrag der Post, sondern nach den deutlich schlechteren Konditionen der Tarifverträge der Speditions- und Logistikbranche entlohnt werden. Nach ver.di-Berechnungen würden diese Paketboten in den neuen Gesellschaften nur 65-85% des bisherigen Lohns bekommen. Schon der jetzige Stundenlohn auf Grundlage des Haustarifvertrages ist mit 13,90 Euro für Einsteiger und 17,61 Euro für erfahrene Austräger nicht gerade üppig (Süddeutsche Zeitung, 28.1.2015).

Was ver.di als »Aushöhlung bestehender Verträge« brandmarkt, bezeichnet der Postvorstand Jürgen Gerdes als »marktgerechte Bezahlung« in einem »modernen Tarifgefüge«. Ziel der Konzernführung sei es, die Lohnkosten an die der Wettbewerber anzupassen. Neben dem Branchenführer Deutsche Post DHL gibt es noch die Zustelldienste UPS, GLS, DPD und Hermes. Der Konkurrenzkampf wird auf dem Rücken der Zusteller ausgetragen: durch Arbeitsverdichtung, Zeitdruck, Absenkung der Entgelte, unbezahlte Überstunden und Verschlechterung der Arbeitsbedingungen. Zwischenzeitlich entwickelte sich in der Branche eine Zwei-Klassengesellschaft. Einerseits haben einige große Paketdienste Tarifverträge mit halbwegs akzeptablen Bedingungen abgeschlossen, andererseits lagern sie große Teile ihrer Aufträge an Sub-Unternehmen aus. Am Ende der Kette stehen Zusteller, die als »Selbständige« (Sub-Sub-Unternehmer) arbeiten und mit ihren Privatwagen die Pakete ausfahren.

Der Paketdienst GLS arbeitet ausschließlich mit Subunternehmern, die in der Regel zwischen 1,20 und 1,40 Euro pro Paket erhalten. Auf Stundenlöhne von umgerechnet weniger als vier Euro wird das Entgelt unter anderem durch die als »vorbereitende Arbeit« deklarierten Morgenstunden gedrückt, in denen die Fahrer unbezahlt die Pakete aus den Depots holen, vom Band nehmen, scannen und verladen (Nachdenkseiten, 23.1.2015). Nach Schätzung von ver.di arbeiten allein für die Paketdienste UPS, Hermes, DPD und DHL Express Germany mindestens 33.000 Zusteller bei Subunternehmen. Auch in 990 von rund 9.800 Bezirken der Post, die nach einer Vereinbarung mit der Gewerkschaft an Subunternehmer vergeben worden sind, rollen Paketzusteller als Selbständige »im Auftrag« oder als »Service-Partner von DHL« über die Straßen.


Amazonisierung

Die Strategie der Amazonisierung bedeutet Lohndumping wie auch die Verschlechterung der Arbeitsbedingungen der Paketzusteller, die nicht nur Päckchen, sondern auch Kühlschränke, Matratzen, Bücher oder Schuhe in höher gelegene Etagen schleppen müssen. Die Arbeitszeiten sollen flexibler werden – durch kurzfristige Anordnung von Überstunden, Rufbereitschaften etc. Die ARD-Sendung Plusminus berichtete im Dezember 2014 unter dem Titel »Warten auf die Weihnachtspost« über zu wenig Personal und schlechte Arbeitsbedingungen der Zusteller, die in den immer größer zugeschnittenen Bezirken ihre Arbeit in der vorgebenen Zeit nicht mehr bewältigen können. Überlastung treibt den Krankenstand bei der Deutschen Post AG hoch. In 2004 lag er bei 5,6%, 2013 bei 8,4%.[1]

Die beträchtlichen Konzerngewinne der Deutschen Post AG sind nicht nur den gestiegenen Porto-Einnahmen oder den sichtbaren Kostensenkungen durch Abbau von Briefkästen und der ausgedünnten Zustellung von Briefpost an Privathaushalte zuzuschreiben, sondern vor allem Maßnahmen wie Personalabbau, Arbeitsverdichtung, Ausweitung der Leiharbeits- und Saisonkräfte sowie Missbrauch von Befristungen geschuldet. »Arbeiten im Wirtschaftszweig Post, Kurier und Expressdienste heißt, dass man mit prekären Bedingungen abgespeist wird«, so Jutta Krellmann.

Insgesamt ist bei den Wirtschaftsgruppen »Postdienste von Universaldienstleistungsanbietern« und »Sonstige Post-, Kurier- und Expressdienste«, die in den vergangenen Jahrzehnten schrittweise liberalisiert wurden, eine deutliche Umverteilung von Vollzeitarbeit hin zu mehr Teilzeitbeschäftigung festzustellen. Angaben der Bundesregierung zufolge arbeiteten 2013 mehr als 160.000 Leiharbeiter und 187.000 Minijobber in der Branche.[2]


Folgen der Privatisierung

Mit der Liberalisierung und Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen waren weitreichende Konsequenzen für das Tarifvertragssystem verbunden. Mit dem Börsengang der Deutschen Post AG im Jahr 2000 wurde die Lohnentwicklung der Beschäftigten vom öffentlichen Dienst abgekoppelt. Jahre zuvor hatte der damalige Post-Minister Christian Schwarz-Schilling in einem Interview mit der »Wirtschaftswoche« (26.7.1991) die Voraussetzungen dafür beschrieben: Mit der Privatisierung der Bundespost verfolge er das Ziel, »die Fesseln des öffentlichen Dienstrechts (zu) sprengen«. Dazu gehört auch, das Fundament der Flächentarifverträge zu knacken.

Ein erster Schritt war die Einführung einer »Zwei-Klassen-Tarifstruktur« als Ergebnis des Abschlusses eines neuen Rahmentarifvertrages für Arbeiter (2001) und Angestellte (2003), wonach die bis 2001 Eingestellten künftig unter den Tarifvertrag »DP AG Besitzstand« fielen, während für die Neueingestellten der »DP AG Tarifvertrag« mit einem bis zu 30% niedrigeren Tarifniveau angewandt wurde.[3]

Für die Aktionäre des ehemaligen Staatsunternehmens Deutsche Post[4] haben sich Privatisierung und Börsengang ausgezahlt. Allein im Jahr 2013 wurden 967 Millionen Euro als Dividenden ausgeschüttet. Die Ausschüttungsquote lag von 2011 bis 2013 über dem Durchschnitt der DAX-Unternehmen. In den vergangenen zehn Jahren wurden mehr als acht Milliarden Euro als Dividenden an die Aktionäre gezahlt. Aufgrund nicht vorhandener Tarifstandards wird die Konkurrenz über die Arbeitskosten ausgetragen. Das Arbeitszeitvolumen der Vollzeitbeschäftigten ging seit dem Jahr 2004 um 19,8% zurück, das der Teilzeitbeschäftigten erhöhte sich um 18,3%. Insgesamt kamen die Beschäftigten auf 6,8 Millionen Überstunden – das entspricht rechnerisch 3000 Vollzeitstellen.[5]


Unlautere Methoden

Von den rund 24.000 bei der Post befristet Beschäftigten soll ab sofort die Hälfte, deren Verträge auslaufen, in die »Billig«-Tochter wechseln – zu Löhnen, die unter dem Niveau liegen, zu dem sie bei der Post gearbeitet hatten. Trotz eines gültigen Tarifvertrages, der bis zum 31. Dezember 2015 ein Verbot von weiteren Fremdvergaben enthällt, gründete die Post am 13. November 2014 die DHL Delivery GmbH, die zwischen dem 5. und 15. Januar 2015 49 regionale Gesellschaften u.a. in Rostock, Berlin, Hamburg, Bremen, Frankfurt a.M., Wiesbaden, Nürnberg und Karlsruhe in die entsprechenden Handelsregis­ter eintragen ließ. Man darf davon ausgehen, dass die Outsourcing-Pläne der DHL im Aufsichtsrat bekannt waren, bevor sie schließlich vom Vorstand am 22.1. offiziell verkündet wurden. Möglicherweise eine kommunikative Panne, dass ver.di nicht frühzeitiger reagierte.

Um Fakten zu schaffen, wird der Wechsel der Paketboten aus der »Geiselhaft« der befristeten Beschäftigung in die unbefristete Tätigkeit bei der DHL Delivery GmbH mit unlauteren Methoden vorangetrieben. An mehreren Orten im Bundesgebiet wurden Ende Januar 2015 Paketzusteller zu Veranstaltungen eingeladen, um sie zu einem Wechsel in die neue Gesellschaft zu bewegen. Die Westdeutsche Allgemeine Zeitung berichtete über eine Zusammenkunft in Gladbeck, in der die Post die Anwesenden »unter Druck gesetzt« habe. Ein Zusteller wird mit den Worten zitiert: »Wenn wir die Verträge nicht unterschrieben hätten, hätten wir ab Montag zu Hause bleiben können.« (5.2.2015)

Tatsächlich liefen die befristeten Verträge der eingeladenen Zusteller zum 31. Januar aus. Sie wurden aufgefordert, zunächst einen neuen befristeten Arbeitsvertrag bis zum 31. März zu unterschreiben und zusätzlich einen zweiten, demzufolge sie ab dem 1. April unbefristet bei Delivery angestellt sind. Die Verträge wurden den Betroffenen nicht ausgehändigt, ihnen wurde nur mündlich versichert, dass sie in der neuen Gesellschaft nicht schlechter gestellt würden als bei der Post. Die neue Tochter der Deutschen Post DHL habe bereits »über 3000 Mitarbeiter«, verkündete triumphierend Post-Personalvorstand Melanie Kreis (FAZ, 11.2.2015).


ver.di erhöht Druck auf Deutsche Post

Der Streit um die neuen Paketzustellunternehmen könnte in nächster Zeit an Schärfe gewinnen. Der Post-Vorstand hebelt einen geltenden Tarifvertrag aus, den ver.di zum Schutz gegen die Fremdvergabe von Zustellbezirken vereinbart hatte. Den Vertrag hatten die Beschäftigten mit dem Verzicht »auf Kurzpausen und arbeitsfreie Tage bezahlt« (so die stellvertretende ver.di-Vorsitzende Andrea Kocsis); dafür hatte die Post zugesagt, nur jene 990 von rund 9800 Paketzustellbezirken an Fremdfirmen zu vergeben. Mit der Weitergabe der Bezirke an die neue Tochter Delivery GmbH und ihre 49 Regionalgesellschaften habe die Post diesen Vertrag gebrochen. Zum 31. März 2015 kündigte ver.di die zum Haustarifvertrag gehörenden Arbeitszeitregelungen. Andrea Kocsis: »Wir werden jetzt eine tarifpolitische Forderung zur Arbeitszeit entwickeln, die den Vertragsbruch kompensiert.« Damit fordert die Gewerkschaft die Post zu Verhandlungen auf. Verweigert sich der Konzern Tarifgesprächen, steht ver.di auch das Druckmittel Streik zur Verfügung. Es wird auf jeden Fall kein leichtes Unterfangen. 2015 stehen zwischen ver.di und der Post noch weitere Verhandlungen an – zum 31. Mai läuft der Haustarifvertrag aus und Ende des Jahres endet die Vereinbarung über die Fremdvergabe der Paket-Bezirke.

Otto König ist Mitherausgeber, Richard Detje Redakteur von Sozialismus.

[1] Vgl. Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage der Abgeordneten Jutta Krellmann u.a. und der Fraktion DIE LINKE betreffend »Kenntnis der Bundesregierung über die Arbeitsbedingungen bei der Deutschen Post AG«, BT-Drucksache 18/3531.
[2] Ebd.
[3] Vgl. Torsten Brandt/Thorsten Schulten: Liberalisierung und Privatisierung öffentlicher Dienstleistungen und die Erosion des Tarifvertrags, WSI-Mitteilungen 10/2008.
[4] Die Bundesrepublik Deutschland ist an der Deutschen Post AG über die Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) als Aktionär mit 21% beteiligt.
[5] Vgl. Antwort der Bundesregierung auf die Kleine Anfrage der LINKEN, a.a.O.

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