25. April 2015 Günter Busch: Zum ver.di-Tarifabschluss im öffentlichen Dienst der Länder und der Tarifauseinandersetzung im Sozial- und Erziehungsdienst

Wenig bewegt viel

Die Ausgangssituation: ver.di war mit einer Forderung nach 5,5% mehr Gehalt, mindestens jedoch 175,- Euro bei einer Laufzeit von zwölf Monaten in die Tarifrunde der Länder 2015 gegangen. Die Entgeltforderung entsprach damit etwa dem Forderungsvolumen anderer Branchen wie der Metall- und Elektroindustrie oder der Post und lag etwas oberhalb der Forderung in der Chemieindustrie.

Zusätzlich zur Entgeltforderung verlangten die beteiligten Gewerkschaften[1] als weitere Hauptforderungen den Ausschluss sachgrundloser Befristungen und eine Vergütungsordnung für angestellte Lehrer. Hinzu kam eine Reihe nachrangiger Einzelforderungen.

Die Tarifgemeinschaft der Länder (TDL) wollte neben einem Tarifabschluss von unter 4% für 24 Monate tarifliche Eingriffe in die betriebliche Altersversorgung des Öffentlichen Dienstes (VBL) durch Absenkung zukünftiger Zusatzversorgungen und zusätzliche Beteiligung der Beschäftigten an den Beiträgen erreichen.

Nach drei z.T. gut verlaufenen Warnstreikrunden, an denen neben ver.di-Gewerkschaftern auch viele GEW-Lehrer teilnahmen, gab es in der 4. Verhandlungsrunde am 28. März eine Tarifeinigung, die von der Tarifkommission mit deutlicher Mehrheit angenommen und derzeit in einer Mitgliederbefragung bestätigt werden soll.


Das Ergebnis

Nach zwei Nullmonaten gibt es ab 1. März 2015 eine Tabellenerhöhung um 2,1%, ab dem 1. März 2016 um weitere 2,3%, mindestens jedoch 75,- Euro. Die Laufzeit beträgt 24 Monate. Die Tabellenwerte erhöhen sich damit am Ende der Laufzeit unter Einbeziehung des Mindestbetrags um durchschnittlich 4,8%, wegen der beiden Nullmonate liegt die Erhöhung in 2015 aber lediglich bei 1,75%.

Damit hat ver.di im Tarifvergleich mit der IG Metall trotz vergleichbarer Forderungshöhe deutlich niedriger abgeschlossen. Die IG Metall hat in der Tarifrunde 2015 mit einer Tariferhöhung von 3,4% bei einer Laufzeit von 15 Monaten und einem Einmalbetrag von 150,- Euro für zwei Leermonate einen Abschluss von ca. 3,1% durchsetzen können. Die IG Chemie hatte mit 4,5% von vornherein weniger gefordert und liegt beim Abschluss für 2015 bei etwa 2,6%.
Bei der Entgelterhöhung war ver.di besonders wichtig, die Differenz zu den Entgelten im Kommunalen Öffentlichen Dienst nicht noch größer werden zu lassen. Der TVöD-Bereich (Kommunen und Bund) hatte vor einem Jahr deutlich besser abgeschnitten als jetzt die Länder, nämlich ohne Nullmonate 3% für 2014, mindestens 90,- Euro, für 2015 nochmals 2,4%, insgesamt tabellenwirksam 5,4% am Ende der Laufzeit gegenüber 4,8% im Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst der Länder (TV-L).

Nach dem Ausstieg der Länder aus gemeinsamen Verhandlungen im Jahr 2004 hinkt die Lohnentwicklung gegenüber den Kommunen hinterher, aktuell werden jetzt im Durchschnitt 2,1% weniger gezahlt. Zum 1. März 2016 gibt es aber schon die nächste Tarifrunde für den kommunalen und Bundesbereich, der Abstand wird sich daher noch vergrößern.

Ein Ausschluss sachgrundloser Befristungen wurde nicht erreicht – warum sollten die Länder auch ohne Not und ohne ausreichenden Druck einen wichtigen Baustein von Hartz IV tarifvertraglich schleifen? Hierzu bedarf es einer gleichgerichteten Tarifstrategie mehrerer Gewerkschaften und eines einheitlichen Vorgehens über den Tellerrand der Länder hinaus. Das ist nicht in Sicht.


Die angestellten Lehrer

Bei der Eingruppierung der Lehrer gab es die größte Enttäuschung, vor allem natürlich bei der GEW. In langjährigen Vorgesprächen zwischen GEW und Ländern hatte man eine so genannte Paralleltabelle vorbereitet: Die angestellten Lehrer sollten so bezahlt werden wie ihre verbeamteten Kolleginnen und Kollegen auch. In den Verhandlungen sollte geklärt werden, in wie vielen Stufen und in welcher Stufenhöhe dieses Ziel erreicht werden könnte. Doch die Arbeitgeber blockierten.

Zu groß waren die Differenzen: Die Zahl angestellter Lehrer schwankt zwischen 95% in Sachsen und unter 5% in Bayern und Baden-Württemberg. Zudem sind die angestellten Lehrer bisher um bis zu zwei Entgeltgruppen niedriger eingruppiert als ihre verbeamteten Kolleginnen und Kollegen. Die Paralleltabelle hätte Baden-Württemberg und Bayern fast nichts, die neuen Bundesländer aber sehr viel gekostet. Das war nicht überbrückbar. Stattdessen boten die Arbeitgeber 30,- Euro monatlich als einen ersten Einstieg ohne weiteren Stufenplan an.

Das Angebot hat die dbb tarifunion angenommen und die GEW abgelehnt. Nun gibt es bei der Eingruppierung aufseiten der GEW weiterhin einen tariflosen Zustand – es könnte also weiter gestreikt werden. Da solche Streiks wegen der geringen Anzahl angestellter Lehrer im Westen ins Leere laufen, kommt es entscheidend auf die Streikbereitschaft der Lehrer in den neuen Bundesländern an.

Wenn gestreikt werden sollte, wäre das ein erster Test für das neue Tarifeinheitsgesetz: Die GEW würde dann gegen einen von der dbb tarifunion für die Lehrer abgeschlossenen Tarifvertrag in den Ausstand ziehen. Auch wenn die GEW mehr Mitglieder bei den Lehrern hat als die tarifunion, gilt das sicher nicht für jede einzelne Schule. Da in dem Gesetz zur Tarifeinheit auf den Betriebsbegriff abgestellt wird und noch nicht ausgeklagt ist, was das eigentlich bedeutet, stehen uns ggf. heftige juristische Auseinandersetzungen bevor.


ver.di und Beamtenbund

Der Konflikt zwischen der dbb tarifunion und der GEW kann ver.di nicht kalt lassen. Erstens verhandelt ver.di auch die Lehrereingruppierung im Auftrag der GEW und hat sich in dieser Frage auf die Seite der GEW gestellt. Und zweitens ist die Verhandlungsgemeinschaft zwischen Beamtenbund und ver.di an der betrieblichen Basis nicht unumstritten. Zu groß ist die Konkurrenz um die wenigen organisationsbereiten Beschäftigten im Länderbereich, bei der der Beamtenbund im Angestelltenbereich mit niedrigen Mitgliedsbeiträgen gegenüber ver.di punkten möchte.

Insofern ist das Verhandlungsbündnis eher taktisch zu verstehen. Bei niedrigen Organisationsgraden besteht immer die Gefahr, dass wie jetzt im GEW-tarifunion-Fall eine Gewerkschaft ein für die konkurrierende Gewerkschaft unannehmbares Tarifergebnis unterzeichnet. Das Ergebnis müsste von der nicht abschlussbereiten Gewerkschaft durch Arbeitskampf ausgehebelt werden, was aber auf mangelnde Fähigkeit zum Erzwingungsstreik trifft. Einer solchen Situation soll bei ver.di vorgebeugt werden, indem die dbb tarifunion von vornherein in gemeinsame Verhandlungen eingebunden wird.


Betriebliche Altersversorgung im ÖD

Bei der betrieblichen Altersversorgung gab es einen klassischen Kompromiss. Die Arbeitgeber hatten ihre Forderung nach Kürzung der Betriebsrenten und Einführung einer höheren Beteiligung der Beschäftigten begründet mit der gestiegenen Lebenserwartung und dem deutlich gesunkenen Zinsniveau an den Kapitalmärkten. Die Arbeitgeber waren bei ihren Leistungszusagen von einem dauerhaft hohen Zinsniveau ausgegangen, jetzt drohte ihnen die alleinige Finanzierung des Zinsverlustes. Die Vorstellungen der TDL wären einem Wechsel von einer Leistungszusage zu einer reinen Beitragszusage gleichgekommen, bei der nicht mehr die Arbeitgeber, sondern die Beschäftigten das wirtschaftliche Risiko zu tragen hätten. Der durchschnittliche Rentenzahlbetrag würde dadurch für neu eingestellte Beschäftigte um 20% sinken.

Dies konnte zwar verhindert werden, es bleibt bei der Leistungszusage. Im Gegenzug erhöhen sich aber die Arbeitnehmerbeiträge zur Umlage – im Westen von jetzt 1,41% des Entgelts in drei Stufen auf 1,81%, im Osten von jetzt 2% in ebenfalls drei Jahresstufen auf 4,25%. Entsprechend vermindern sich die Nettogehaltzahlungen an die Beschäftigten. Folge: Bei einer reinen Nettobetrachtung ist das Tarifergebnis schlechter als es bei isolierter Betrachtung des Entgeltabschlusses scheint. Es ist zu erwarten, dass die Umlageerhöhung im Länderbereich zeitnah auch vom Bund und von den Kommunen gegenüber ver.di eingefordert wird.

Die Erhöhung bei den Ländern wird auch nicht kompensiert durch die überfällige stufenweise Angleichung der Jahressonderzahlung Ost an die im Westen, die bisher um etwa ein Drittel höher lag. Dieses war allerdings vor den Verhandlungen von ver.di weder gefordert noch von den Arbeitgebern angeboten worden, sondern ist darauf zurückzuführen, dass eine Verminderung der Tariferhöhung Ost um 2,25% durch die Erhöhung der Umlage im Osten wohl kaum zu vermitteln gewesen wäre.

Der unterschiedlich steigende Eigenbeitrag Ost und West ist Folge unterschiedlicher Finanzierungssysteme bei der betrieblichen Altersversorgung. Im Osten wird ein rein kapitalgedecktes System aufgebaut, bei dem das niedrige Zinsniveau direkt in die späteren Rentenleistungen durchschlägt. Die niedrigen Zinsen werden nun durch höhere Beiträge der Beschäftigten kompensiert. Im Westen ist eine Kapitaldeckung erst im Aufbau, die jetzigen Betriebsrenten werden überwiegend noch nach dem Umlagesystem bezahlt, bei dem die Zinsentwicklung keine Rolle spielt. Dies ist wieder einmal ein deutliches Zeichen, dass kapitalgedeckte Systeme mit hohen Risiken behaftet sind und Gewerkschaften diese Systeme nicht auch noch durch Tarifverträge einführen sollten. Ein Problem im Übrigen nicht nur für ver.di.

Bei den sonstigen Nebenforderungen wie z.B. der deutlichen Erhöhung des Nachtzuschlags an Krankenhäusern, Zusatzurlaub in der Psychiatrie oder im Geltungsbereich Theater und Bühnen konnte sich ver.di weitgehend durchsetzen, was für die betroffenen Beschäftigtengruppen durchaus von Bedeutung ist.


Das Dilemma: wenig Mitglieder – großer Geltungsbereich

Das eigentlich Erstaunliche an dieser TDL-Tarifrunde – wie an allen bisherigen Ländertarifrunden – ist die Regulierung eines sehr großen Beschäftigungsbereichs durch eine nur kleine tarifgebundene Basis. Verhandelt wird für ca. 800.000 Angestellte. ver.di hat einen Organisationsgrad im einstelligen Bereich, einschließlich GEW und Tarifunion liegt dieser immer noch unter zehn Prozent, allerdings mit großen Unterschieden in den einzelnen Beschäftigtenbereichen. Tätigkeitsschwerpunkte im Länderbereich sind neben den Verwaltungen vor allem Schulen, Universitäten, Universitätskliniken, Psychiatrien, Straßenbauämter und Straßenmeistereien, statistische Landesämter, Wasser- und Schifffahrtsämter, Landesbanken, Landestheater, Polizei, Gartenbau- und Forstämter und noch einiges mehr. Die Tarifergebnisse werden dem Volumen nach – manchmal zeitverzögert – auf 1,2 Millionen Landesbeamte übertragen. Dazu kommen nochmals über 700.000 Versorgungsempfänger, auf die das Ergebnis ebenfalls übertragen wird, und ein grob geschätzter Bereich von über einer Million Beschäftigten bei Wohlfahrtsverbänden und Kirchen, deren Arbeitsverhältnisse sich am TVL orientieren bzw. dem entsprechen. Von nicht einmal 80.000 unmittelbar tarifgebundenen Gewerkschaftsmitgliedern werden Tarifabschlüsse getätigt, die hinterher direkt und indirekt für über 3,7 Millionen Beschäftigte und Pensionäre gelten.

Die wirklich vorhandene Durchsetzungskraft ist also marginal. Umso mehr kommt es darauf an, die Öffentlichkeit durch medial gut kommunizierte Warnstreikaktionen für sich zu gewinnen und damit politischen Druck auf die Arbeitgeber auszuüben. Ob die sich wirklich davon beeindrucken lassen, steht auf einem anderen Blatt. Eher darf unterstellt werden, dass auch die Arbeitgeber ein Interesse daran haben, die Einkommen der Länderbeschäftigten nicht zu weit vom allgemeinen Tarifniveau und von der Bezahlung bei Bund und Kommunen abzukoppeln. Sonst droht die Abwanderung qualifizierter Kräfte und Qualitätseinbuße bei den Dienstleistungen. Bei einer Tarifdrift von 4% zu den Kommunen bekommt ein durchschnittlich verdienender Beschäftigter pro Monat bereits 140,- Euro weniger als ein vergleichbarer kommunaler Beschäftigter. Da gerät eine qualifizierte Pflegekraft an einer Universitätsklinik leicht in Versuchung, bei weniger Stress und mehr Geld lieber an ein Kreiskrankenhaus zu wechseln.


Sozial- und Erziehungsdienst

Auf den ersten Blick scheint die Maxime, wenig bewegt viel, auch für die Tarifauseinandersetzung im Sozial- und Erziehungsdienst (SuE) zu gelten. Auch hier stehen 220.000 Beschäftigte im Sozial- und Erziehungsdienst bei Kommunalen Trägern 500.000 weiteren Beschäftigten bei Wohlfahrtsverbänden und Kirchen und in geringerer Zahl auch im Länderbereich gegenüber. Während die Organisationsgrade bei den freien Trägern und Kirchen ähnlich niedrig wie im Länderbereich liegen, sieht es insbesondere bei den kommunalen Kitas jedoch anders aus. In einer beispiellosen Geschwindigkeit haben sich die überwiegend jungen und fast ausschließlich weiblichen Mitarbeiter vor allem in den größeren Städten in ver.di organisiert. 2009 haben sie in einem wochenlangen Streik die Schlechterstellung der nach 2005 eingestellten Kolleginnen und Kollegen aufheben können.

Eine Aufwertung des Sozial- und Erziehungsdienstes insgesamt gab es damals aber nicht. Die Mehrheit hatte nichts von diesem Streik. Umso bemerkenswerter, dass nicht Resignation die Folge war, sondern ein neuer, lang geplanter und gut vorbereiteter neuer Anlauf. Da die kommunalen Arbeitgeber die geforderten Gehaltssprünge von mehreren hundert Euro nicht bezahlen wollen, steht ein großer Kita-Streik unmittelbar bevor. Und es zeigt sich, dass zwischen den Sonntagsreden von regierenden Politikern zum Wert frühkindlicher Bildung und der harten Tarifrealität Welten liegen.

Jünger und weiblicher kann eine Tarifbewegung nicht sein. ver.di erreicht damit zunehmend Menschen, die vor Jahren mit Tarifpolitik noch nichts am Hut hatten. Und ver.di trifft auf eine öffentliche Stimmung, die einen forschen Tarifgang erst möglich macht. Doch machen wir uns nichts vor: Nach wochenlangem Streik wird die positive Stimmung vieler Eltern und die mediale Öffentlichkeit kippen. Wenn das ausgehalten werden kann, wird es ein gutes Tarifergebnis geben, das dann schnell für andere Bereiche, z.B. die Pflege, beispielhaft werden kann.
Deshalb markiert die Tarifrunde im Sozial- und Erziehungsdienst gleichzeitig den Beginn einer neuen Strategie von ver.di: Neben die allgemeinen Lohn- und Gehaltsrunden für alle treten Sondertarifrunden, die spezifische Konstellationen wie eine günstige Arbeitsmarktlage und Mitgliederentwicklung, besondere Streikfähigkeit und Streikbereitschaft bzw. eine spezifische Konfliktlage aufgreifen und in einer offensiven Anlage einer Tarifbewegung zum Erfolg führen kann, die wieder in anderen Bereichen mobilisierend wirken kann. Weil auch die Arbeitgeber um diesen exemplarischen Charakter wissen, wird die Auseinandersetzung umso härter geführt werden.

Günter Busch war bis zum vergangenen Jahr stellvertretender Landesbezirksleiter des ver.di-Bezirks Baden-Württemberg.

[1] ver.di verhandelte zugleich für die Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW), für die Gewerkschaft der Polizei (GdP) sowie für die Gewerkschaft Bauen-Agrar-Umwelt (IG BAU) und zusammen mit dem Deutschen Beamtenbund dbb tarifunion.

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