1. September 2006 Werner Dreibus

Wer sich im Kreis bewegt,
kommt nicht wirklich voran

Vor sechs Jahren, im Herbst 2000, wurde der staunenden Welt, innerhalb und außerhalb der IG Metall, das Arbeitsvorhaben der IG Metall-Bildungsabteilung "Weiterentwicklung der Bildungsarbeit" unter dem Motto "Modularisierung der Bildungsarbeit" vorgestellt. Es sah einen völligen Umbau der Bildungsarbeit der IG Metall vor.

Künftig sollten Seminare modularisiert, d.h. die Abläufe in hohem Maße standardisiert und die Teilnahme mit Prüfung und Zertifikat abgeschlossen werden. Diese und andere Ideen stammten von der Schweizer Modulzentrale, die sich bis dato allerdings noch nie mit politischer Bildung beschäftigt hatte. Alle 14-Tage-Seminare sollten abgeschafft werden. Im Bereich der politischen Weiterbildung sollten die grundlagenbildenden Angebote im Bereich Ökonomie, Sozialpolitik und Geschichte der Arbeiterbewegung verschwinden und durch zehn jährlich wechselnde aktuelle Themen ersetzt werden – um nur einige herausragende Punkte zu nennen. Teilnehmer hießen plötzlich Kunden, Seminare wurden zu Produkten und Bildungsangebote zu Märkten. Ein kräftiger Hauch Neoliberalismus sollte durch die IG Metall wehen. Von all dem ist wenig übrig geblieben. Und das ist gut so!

Das "Arbeitsvorhaben" war als zentralistisches Top-Down-Projekt konzipiert. Statt sich mit den verschiedenen Akteuren im Bildungsbereich – den ehrenamtlichen ReferentInnen, den BildungssekretärInnen in den Verwaltungsstellen und Bezirken und den Lehrkräften an den Bildungsstätten – gründlich zu beraten und mit den Nutzern der Bildungsarbeit – also vor allem Betriebsräten und Vertrauensleuten – zu reden, wurde im kleinsten Kreise konzipiert. Das musste schief gehen. Natürlich bestand Reformbedarf im Bildungsbereich. Aber in der zweiten Hälfte der 1990er Jahre war vieles in Bewegung geraten. Ein Ausdruck davon ist die neue Rahmenkonzeption, die auf dem Gewerkschaftstag 1999 verabschiedet wurde. Statt an diese Reformprozesse anzuknüpfen, markierte das "Arbeitsvorhaben" einen Bruch. Es ging offenbar um Profilierung, um Neuorientierung im Geiste von "Modernisierung".

Die Reaktion ließ nicht lange auf sich warten. Die zentrale Bildungskonferenz im Juni 2002 endete beinahe im Chaos. Am Schluss mussten die Veranstalter versprechen, den ursprünglich geplanten Prozess zu "entschleunigen" und die Regionen zu beteiligen. Zum Gewerkschaftstag im folgenden Jahr gab es über 100 Anträge zur Bildungsarbeit, die sich fast alle kritisch mit dem Arbeitsvorhaben auseinander setzten. Aus vielen Verwaltungsstellen wurden Sorgen um die politische Grundlagenbildung formuliert. Eine solche Flut von Anträgen zum Bildungsbereich hatte es noch nie gegeben. Die Organisation zog daraufhin die Notbremse. Ein Antrag der Verwaltungsstelle Neuwied wurde als Leitantrag angenommen. Damit wurde die Bildungsabteilung verpflichtet, bewährte Strukturen und Neues miteinander zu verbinden und die Ergebnisse auf einer Bildungskonferenz vor dem nächsten Gewerkschaftstag (2007) zur Diskussion zu stellen. Diese Konferenz wird nun im November stattfinden.

Nach den Turbulenzen kehrte zunächst eine gewisse Ruhe in die Arbeit ein. Es gab allerdings noch eine heftige Irritation. Die Bildungsabteilung befand, dass ein neues Leitbild für die Bildungsarbeit vonnöten sei, obwohl die neue Rahmenkonzeption erst wenige Jahre vorher verabschiedet worden war. Eine solche Leitbilddiskussion hätte zu Beginn des "Arbeitsvorhabens" vielleicht Sinn gehabt, hätte vielleicht manche Erneuerungen überflüssig gemacht, hätte zunächst klären können, wohin die Reise gehen soll. Nun war sie schwer einzuordnen. Der erste Entwurf, der dann veröffentlicht wurde, war perfekt gestylt, aber inhaltlich außerordentlich dürftig: voller harmonisierender Leerformeln und ohne politische Standortbestimmungen. Von Kapitalismuskritik war nicht mal ein Hauch zu spüren. Wieder hagelte es Proteste. Inzwischen gibt es drei Entwürfe, ein vierter soll in Arbeit sein. Nach und nach sind einige wichtige Eckpunkte einer kritischen gewerkschaftlichen Bildungsarbeit in den Entwurf hineingewandert, auch wenn er sich immer noch wie Kraut und Rüben liest.

In den letzten Jahren gewann das "Arbeitsvorhaben" unter Beteiligung von KollegInnen aus den Regionen und engagierten LehrerInnen wieder mehr Bodenhaftung. Die wichtigsten Ergebnisse:

Die Zertifizierung ist vom Tisch, 14-Tage-Seminare sind wieder erlaubt (gewünscht) und die Module unterscheiden sich, wenn man einen Blick in die Konzeptionen wirft, nicht wesentlich von dem, was früher Seminar hieß. Fest vorgegebene Bildungswege soll es nicht mehr geben, das kann man so machen, aber es löst nicht das eigentliche Problem, wie KollegInnen sinnvolle Bildungswege für sich finden. Kompetenzorientiert sollen Seminare sein. Darunter wird heute alles und nichts verstanden. Was das genau heißen soll, wurde nie geklärt. Wenn damit gemeint ist, das man die Alltagsprobleme besser bewältigen lernt und zugleich in der Lage ist, seine Arbeit in einem größeren politischen Zusammenhang zu verstehen, dann kann man damit leben. Aber wollten wir das nicht schon immer?

Was ist neu aus dem Arbeitsvorhaben herausgekommen? Es soll einen eigenen Ausbildungsgang für Vertrauensleute geben mit vier einwöchigen Modulen/Seminaren (Ökonomie, Tarifpolitik, Arbeitsbeziehungen und Betriebspolitik), die auch in zwei mal zwei Wochen angeboten werden. Der Ausbildungsgang soll das klassische AII ablösen. Hier wäre zu prüfen, ob das AII damit tatsächlich aufgefangen werden kann. Auf jeden Fall sollte der Ausbildungsgang für Betriebsräte und Vertrauensleute gemeinsam angeboten werden. Für Betriebsräte soll es ebenfalls einen Ausbildungsgang geben. Hier bleibt das traditionelle Betriebsräte II (zweimal eine Woche oder zweiwöchig) erhalten, daran schließt sich eine Reihe von weiteren Wochenseminaren an. Die Palette zu erweitern ist sicher sinnvoll, was aber nicht von jedem einzelnen Modul gesagt werden kann. Die ausufernden Fachseminare sind eingedampft worden. Das ist sicher richtig, wenn dabei nichts wesentliches verloren geht. In der politischen Weiterbildung gibt es wieder ein festes grundlagenbildendes Angebot in den Bereichen Ökonomie, Sozialpolitik und Geschichte. Das ist gut so, wenn es zukünftig auch im nötigen Umfang angeboten wird. Außerdem ist daran gedacht, einen Bereich einzurichten, der stärker experimentellen Charakter hat, mit neuen Fragestellungen, Kontakten usw. Das klingt hoffnungsvoll.

Vor allem von den Konzeptgruppen ist viel gute Arbeit geleistet worden. Aber Konzeptarbeit gehört doch zur Alltagsaufgabe von BildungsarbeiterInnen. Man fragt sich, ob diese doch sehr überschaubaren Reformschritte nicht im normalen Betrieb der Bildungsarbeit besser zu erreichen gewesen wären. War dazu ein sechsjähriges "Arbeitsvorhaben" nötig, mit den ganzen Veranstaltungen, Sitzungen und Ausschüssen, die sehr viel Personen, Zeit, Energie und Geld gebunden haben?

Allerdings ist das "Arbeitsvorhaben" in einer Hinsicht als ein Lehrbeispiel zu werten: Es zeigt, wie durch beharrliche und nachdrückliche Kritik in Rahmen der Gewerkschaft eine Fehlentwicklung gestoppt und der Prozess wieder auf den Weg der Vernunft zurückgeführt werden kann. In dieser Hinsicht ist das "Arbeitsvorhaben" sogar eine Erfolgsstory.

Nicht die Ergebnisse des "Arbeitsvorhabens" sind das Problem, sondern das, was in den sechs Jahren nicht angepackt wurde. Ich will nur drei Beispiele nennen. Im Sommer 2003 gab es ein Streitgespräch zur Bildungsarbeit (Forum Bildung, August 2003). Volker Stahmann (Bezirk Küste), Thomas Händel (Vwst Fürth) und ich appellierten damals eindringlich an das verantwortliche Vorstandsmitglied, dass man das Haus nicht von Dach her umbauen könne, sondern vor allem das Fundament stärken müsse, die regionale Bildungsarbeit. Leider ohne großen Erfolg. Die Verwaltungsstellen stehen heute unter enormen Druck. Sie brauchen die Unterstützung durch die Bildungsarbeit. Dies kann und darf nicht den Bildungswerken überlassen werden. Hier hätte die zentrale Bildungsarbeit einiges leisten können, vor allem zur Verbesserung der örtlichen Bildungsstrukturen. Was nicht ist, kann (muss) noch werden.

Ein weiteres Beispiel ist die internationale Bildungsarbeit. Sie war dem ganzen "Arbeitsvorhaben" nicht mal ein Projekt wert, sondern stagniert vor sich hin. Die Arbeitskämpfe um den Erhalt von Standorten haben noch einmal eindringlich gezeigt, wie wichtig es ist, mindestens auf europäischer Ebene, wenn möglich darüber hinaus, handlungsfähig zu sein. Wenn wir auf Globalisierungsprozesse Einfluss nehmen wollen, dann brauchen wir eine offensive internationale Bildungsarbeit, die Vorraussetzungen schafft für das Handeln über die Grenzen hinweg. Das wären wirkliche Investitionen in unsere Zukunft.

Der nächste Punkt ist die Frage der Gegenöffentlichkeit. Die "Initiative neue soziale Marktwirtschaft" pumpt Jahr für Jahr viele Millionen Euro in ihre Kampagnen, mit denen sie ihre neoliberale Ideologien im Lande verbreitet. Die Unternehmerseite weiß offenbar sehr viel besser als wir, was Meinungsführerschaft wert ist. Es fehlt uns keineswegs an Konzepten, im Gegenteil: Im Zusammenhang mit den Arbeitnehmerbegehren sind gute Seminarunterlagen entstanden. Es fehlen der Wille, die Initiative, die Phantasie und die Ideen, wie wir auch durch Bildungsarbeit eine Gegenöffentlichkeit herstellen können. Was nützen die besten Argumente, wenn sie nicht an die Frau oder den Mann gebracht werden.

Das "Arbeitsvorhaben" geht zuende. Die zukünftige Entwicklung der Bildungsarbeit bleibt weiterhin offen. Bildungsarbeit hat eine große Tradition in der IG Metall. Keine andere Gewerkschaft investiert so viel in Bildungsarbeit und diese Bildungsarbeit hat viel für die Organisation geleistet. Damit das so bleibt, wäre es gut, eine Bildungsarbeit zu stärken und weiterzuentwickeln, die bewusst anknüpft an ihre kritisch-emanzipative Tradition, für die beispielsweise Oskar Negt steht mit "soziologischer Phantasie" und "exemplarischem Lernen" und der Konzeption einer betriebsnahen Bildungs- und Gewerkschaftspolitik. Dann brauchten wir uns um die Zukunft der Bildungsarbeit und der IG Metall weniger Sorgen machen.

Werner Dreibus ist 1. Bevollmächtigter der IG Metall Verwaltungsstelle Offenbach und Mitglied der Fraktion DIE LINKE im Deutschen Bundestag. Er hat mehrfach in Sozialismus zur Bildungsdebatte Stellung bezogen, z.B. "Vor lauter Modulen verstehen wird die Welt nicht mehr" (5/2002); "Eine Runde nachsitzen" (9/2002); "Wir brauchen eine Mobilisierung zunächst in den Köpfen" (3/2003).

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