1. Januar 2008 Christina Ujma

Widerständig, elegant und intellektuell

Die italienische Linke steckt gegenwärtig in einem schwierigen Prozess der Neuformierung. Dabei hat sie viel von ihrer früheren politischen Kultur verloren, für deren Attraktivität in den 1960er und 1970er Jahren und ihrer publizistischen Fortführung in Il Manifesto die Kommunistin, Intellektuelle und Zeitzeugin Rossana Rossanda steht wie kaum ein(e) andere(r). Christina Ujma hatte für Sozialismus die Möglichkeit, Rossanda zu ihrer 2006 in Italien und 2007 auf deutsch erschienenen Autobiographie zu befragen.

"Nein, nein, Italien ist kein linkes Land", sagt Rossana Rossanda im Hintergrundgespräch, trotz recht erfolgreichem Generalstreik und der riesigen Frauendemo im November und der Millionendemo im Oktober 2007, die, wie sie nicht ohne Stolz vermerkt, von Il Manifesto maßgeblich mitorganisiert wurde. Il Manifesto, die 1969 von ihr mitgegründete Linkszeitung war ein wichtiger Wendepunkt in ihrem Leben, sie brachte ihr zwar den Ausschluss aus dem PCI ein, verwandelte die vormalige kommunistische Berufspolitikerin aber gleichzeitig in eine der bedeutendsten unabhängigen Linksintellektuellen Italiens. Anders als die taz, in deren Räumen sie Ende November 2007 ihre gerade auf Deutsch erschienene Autobiographie Die Tochter des 20. Jahrhunderts vorstellte, ist Il Manifesto seinen linkstheoretischen Wurzeln treu geblieben, wie auch dem Anspruch, die Bewegung zu vertreten. Einmal in der Woche kommentiert die mittlerweile 83jährige Rossanda scharfsinnig und elegant wie eh und je die neuesten politischen Entwicklungen in Italien, Europa und der Welt. Ihr Stil hat in der Zeitung Schule gemacht, er ist hochintellektuell und hochdifferenziert, mit gelegentlichen Ausflügen in Ironie und Polemik – fürs Grobe sind in Italien immer noch die Parteizeitungen, wie Unita oder Liberazione zuständig.

Geschichten aus der Geschichte der italienischen Linken

Bei der Vorstellung ihrer Autobiographie im Berliner taz-Cafe wie im Hintergrundgespräch beantwortete Rossana Rossanda Fragen nach der gegenwärtigen Situation der italienischen Linken allerdings eher mit Gegenfragen; so erwiderte sie Erkundigungen nach den Chancen und Aussichten einer zukünftigen italienischen Linkspartei mit der Anfrage, wo denn eine wirklich effektive europäische Linkspartei bleibe, die angesichts der Globalisierung doch eigentlich überfällig sei. Unsere Probleme in Europa sind ähnlich, sogar unsere sozialen Konflikte und Proteste (Stichwort Eisenbahnerstreik in Deutschland und Frankreich) laufen parallel, aber gleichzeitig vollkommen unverbunden und zusammenhangslos ab. Das Abblocken der Fragen nach der italienischen Gegenwart ist durchaus verständlich, denn Rossanda ist schließlich nach Deutschland gekommen, um ihre Autobiographie vorzustellen, die sich strikt auf die erste Hälfte ihres Lebens konzentriert und 1969 mit der Gründung von Il Manifesto ihr Ende findet. Ob sie sich dazu durchringen wird, einen zweiten Band, der die letzten vierzig Jahre behandelt, zu schreiben, blieb unklar. Auch so ist die Autobiographie ein spannendes Buch, das in Italien großes Aufsehen erregt, Literaturpreise eingeheimst hat und verfilmt werden soll. Es ist eine sehr italienische Geschichte, die Rossanda in ihren Memoiren erzählt, aber auch eine Geschichte der Linken, weshalb das bürgerliche Feuilleton in Deutschland so gar nichts damit anfangen kann.[1] Für außeritalienische Linke ist es dagegen eine fast universell gültige Geschichte, eine, die von Niederlagen, aber auch großen Erfolgen unter schlechten Startbedingungen erzählt und mit so manchem Vorurteil aufräumt. Rossana Rossanda hat das Kunststück vollbracht, eine diskrete Autobiographie zu verfassen, die das Persönliche weitgehend ausspart und sich auf die Rolle der Autorin im politischen Prozess konzentriert; diese war einflussreich und interessant genug, um ihr Buch zumindest in Italien zum großen Erfolg zu machen.

Dabei kommt es ihr nicht darauf an, die Geschichte bzw. die Geschichten ihres Lebens historisch und faktisch korrekt wiederzugeben, sagt sie in der Einleitung, vielmehr wählt sie eine sehr subjektive, impressionistische Erzählweise, die vor allem der Logik der eigenen Erinnerungen folgt. Historisch weniger versierten LeserInnen hilft eine Zeittafel, die Daten und Fakten nachliefert.

Unpolitische Anfänge

Die Kindheit der Politikerin wird relativ kurz behandelt, sie wuchs im italienischen Pula/Istrien, Venedig und Mailand auf, wo sie ab 1940 Kunstgeschichte und Philosophie studierte. Aus ihren Erinnerungen spricht eine große Liebe zur Welt der Gelehrsamkeit, Rilke, Wölfflin, Cassirer und Warburg gehören zu den deutschsprachigen Denkern, die sie besonders beeinflussten. Zur Politik kam sie über eine Beteiligung an der Resistenza, einen Werdegang, den sie mit fast allen linken Spitzenpolitikern ihrer Generation teilt. Viele Jahre hatte sie einen Fuß in beiden Lagern, in der Wissenschaft und in der kommunistischen Berufspolitik. Von den Dutzenden von Treffern, die der zentrale italienische Bibliothekskatalog unter ihrem Namen anzeigt, sind ungefähr die Hälfte politischer Natur, die andere Hälfte befasst sich mit kulturellen und literarischen Themen, unter denen die deutsche Kultur eine wichtige Rolle spielt; das reicht von der bereits 1945 erschienen Übersetzung der Aphorismen von Conrad Fiedler über Übersetzungen, Kommentare, Einleitungen und Aufsätzen zu Autoren, die so unterschiedlich sind wie Thomas Mann und Heinrich von Kleist. Über diese kulturellen und literarischen Aktivitäten findet sich relativ wenig in Tochter des 20. Jahrhunderts, aber wer ihr begegnet ist, weiß, dass sie bis heute beide Rollen gut verkörpert, die der Kulturwissenschaftlerin und die der linken Politikerin und Theoretikerin. Anders als viele ihrer Kollegen und führende Mitgenossen kommt sie nicht aus einem Elternhaus, das in einer dieser Sphären weitergeholfen hätte; was sie erreicht hat, hat sie allein erreicht.

Kultur und Resistenza

Wie so viele ihrer Generation hatte sie 1943, nach dem Bruch der Achse Berlin-Rom, der Besetzung Norditaliens durch die Wehrmacht und der darauffolgenden Mischung aus Widerstand und Bürgerkrieg, das Gefühl, nicht mehr abseits stehen zu dürfen. Da sie aus unpolitischer Familie stammt, war es zunächst gar nicht so einfach, das dringende Bedürfnis, aktiv gegen die Wehrmacht und die Faschisten zu kämpfen, in die Tat umzusetzen. Der Kontakt zum Widerstand wurde schließlich durch ihren verehrten Lehrer, den als Kommunisten geltenden Philosophen Antonio Banfi, hergestellt. Der verordnete ihr erst linke Lektüre und vermittelte sie dann weiter. In der Folge setzte sie ihre Arbeit an der Universität fort, arbeitete aber auch im Widerstand mit, erst bei Giustizia e Liberta und dann bei den Garibaldi-Brigaden, die dem PCI nahestanden. Über die unterschiedlichen politischen Strategien, die diese beiden Organisationen verfolgten, die ideologischen Differenzen und politischen Strategien des Exils, die vielfach die politische Landschaft nach 1945 antizipierten, schreibt sie nichts. Im Hintergrundgespräch sagt sie, dass der jüngeren Generation diese ziemlich gleichgültig waren, während für die ältere Generation die Traditionslinie des Risorgimento, an die bereits die Namensgebung der Organisationen anknüpft, zu den Determinanten des Denkens gehörte.

Die Arbeit für den italienischen Widerstand wird als wenig heroisch, dafür als gefährlich und nervenaufreibend geschildert, wie insgesamt die Darstellung des späten faschistischen Italien durch ihre atmosphärische Dichte und Intensität heraussticht. Die ständige Angst verraten zu werden, aber auch die Angst vor den Repressionen der Wehrmacht, die die Opfer ihrer Rache bevorzugt auf Marktplätzen und Straßen hinrichtete und hinterher zur Abschreckung liegen ließ, setzte ihr zu. Anders als viele Aktivisten, die aus politisch aktiven Familien oder Freundeskreisen stammten, war sie ziemlich isoliert, selbst ihre Familie erfuhr erst durch eine Hausdurchsuchung der Wehrmacht von ihren Aktivitäten.

Abgebrochener Aufbruch

Nach der Befreiung Italiens und hervorragend bestandener Doktorprüfung trat sie sogleich der kommunistischen Partei bei und arbeitete ehrenamtlich an Banfis Lehrstuhl für Ästhetik mit. Im Rausch des Neubeginns nach 1945 schien vieles möglich, die Politik und die Parteienlandschaft wurden neu aufgebaut, weite Perspektiven der Kultur eröffneten sich plötzlich, ausländische Literatur konnte nun endlich publiziert werden, nach über 20 Jahren Faschismus gab es ein ungeheures Nachholbedürfnis an moderner Kultur.

Die politische Aufbruchstimmung währte allerdings nicht lange, bald fegte der kalte Krieg durchs Land und viele hoffungsvolle Ansätze gingen genauso zugrunde wie viele hoffungsvolle Initiativen und die starke Stellung des PCI in der unmittelbaren Nachkriegszeit. Bereits 1947 wurde er aus der Regierung der nationalen Einheit ausgeschlossen, kurze Zeit später wurde die CGIL als Einheitsgewerkschaft zerschlagen. Dies alles hielt Rossana Rossanda nicht davon ab, ab 1947 hauptamtlich für den PCI zu arbeiten, wo sie relativ schnell in den politischen Hierarchien aufstieg.

Togliatti ist an allem Schuld?

Die 1950er Jahre stehen eindeutig im Mittelpunkt der Autobiographie. In vielen Punkten korrigiert die Autorin eigene Meinungen der 1970er Jahre, die auch auf der sonstigen Linken sehr verbreitet waren. Dies gilt vor allem für die Ära Togliatti. Der langjährige Nachkriegsvorsitzende des PCI galt spätestens seit den 1980er Jahren in seiner Partei als Unperson, zu sehr war er mit Komintern und dem Kommunismus stalinistischer Prägung verbunden. Auf Seiten der übrigen Linken ist er seit vielen Jahren zum Hauptadressaten der verschiedensten Vorwürfe geworden: er habe sich gegenüber Gramsci unaufrichtig verhalten, seine Strategie in der Resistenza wie in der Nachkriegsregierung der nationalen Einheit sei den alten und neuen Eliten gegenüber viel zu nachgiebig und kompromisslerisch gewesen und schließlich habe er trotz des eigenständigen Kurses gegenüber Moskau, den die italienischen Kommunisten unter seiner Leitung eingeschlagen hatten, gezögert, die Niederschlagung des Ungarn-Aufstandes 1956 und andere Gewalttaten, die in Ostblockländern gegen die eigene Bevölkerung verübt wurden, zu verurteilen.

Um die zweifelhafte Natur dieser Demontage Togliattis zu erkennen, muss man noch nicht einmal besonders belesen in europäischer Nachkriegsgeschichte sein und wissen, dass unter Leitung Togliattis die kommunistische Partei Italiens als Partei neuen Typs zur linken Massenpartei wurde, die gegenüber Moskau ihre Idee des eigenständigen und demokratischen Wegs zum Sozialismus hochhielt. Es reicht, die deutschsprachigen Nachkriegsliteraten zu kennen, unter denen nicht nur Ingeborg Bachmann regelmäßig nach Italien floh. Lobeshymnen auf das kulturelle und intellektuelle Klima, das durch den PCI und seine Kulturarbeit um einiges lebhafter und interessanter als im stickig-restaurativen Adenauerdeutschland war, finden sich häufiger. In Alfred Andersch’ Essayband "Aus einem römischen Winter" werden die linken Schriftsteller und Regisseure, die sich dem PCI-nahen Neorealismus zugehörig empfanden, so lebhaft und liebevoll beschrieben, dass sich die deutsche Gruppe 47 dagegen ausnimmt wie eine biedere Stammtischrunde. Italien insgesamt erscheint als eines der letzten literarischen Paradiese. Die Genese dieses linken Kulturwunders wird in Tochter des 20. Jahrhunderts genauso illustriert, wie eine interessante Neubewertung der Politik Togliattis vorgenommen, mit der Rossanda ihre eigene Kritik aus den 1970er Jahren revidiert. Der kommunistische Vorsitzende sei deshalb so legalistisch und nachgiebig gewesen, weil er die radikale Veränderung der Gesellschaft nicht wirklich wollte, so ihre These. Er hatte während des Krieges in der Sowjetunion gelebt und die Verhältnisse im Nachkriegsitalien schienen ihm vor diesem Hintergrund durchaus akzeptabel. Im von Gramsci inspirierten Stellungskrieg Italien hin zu mehr Freiheit und Gleichheit zu reformieren, schien ihm eine attraktivere Perspektive als der Umsturz, denn wie sie sagt, war es in der Nachkriegszeit vermutlich besser, Anführer der italienischen Kommunisten zu sein als der polnischen. In ihrer Autobiographie wendet sie sich dagegen, Togliatti zum Schuldigen für diverse Fehlentscheidungen, die zum Niedergang des PCI führten, zu machen. Diese Einschätzung hilft vielleicht, den Weg zu ebnen für eine sachlichere Diskussion dieser Periode linker Geschichte und ihrer prägenden Figur Palmiero Togliatti, auf den bisher zumindest vor allem die Defizite und Probleme der Zeit abgewälzt wurden, nach dem Motto: Togliatti war an allem schuld.

Im Hintergrundgespräch fügt Rossanda noch hinzu, dass Berlinguer wesentlich eher der Nachgiebigkeit gegenüber den bestehenden Verhältnissen und der Rechten zu beschuldigen sei als Togliatti, denn Berlinguer agierte nicht während des Kalten Krieges, sondern während der linksbewegten 1970er Jahre, die immer noch vom Aufbruch des Jahres 1968, der in Italien zehn Jahre andauerte, bestimmt waren. Wie dem immer gewesen sein mag, der plötzliche Tod des Parteiübervaters Togliatti stürzte den PCI in ein unüberschaubares Durcheinander und in Machtkämpfe, die die Substanz der Partei nachhaltig schwächten, dies geht aus den Schilderungen der Autorin ziemlich eindeutig hervor.

Die Stärke Togliattis war m.E., bei aller Nachgiebigkeit den herrschenden Eliten gegenüber, die zentrifugalen Kräfte im PCI, die sich nach seinem Tod recht ungezügelt Bahn brachen, durch seine Autorität in Schach zu halten und so weit wie möglich zum Wohle der Partei zu nutzen. Die theoretische Arbeit, die Monatszeitung Rinascita, die sich Politik, Kultur und Theorie widmete, auch solcher, die nicht der Parteilinie entsprach, lag ihm besonders am Herzen. Obwohl er weder sonderlich konfliktwillig noch konfliktfähig war, riskierte er zwar nicht den offenen Bruch mit Moskau, aber nabelte den PCI mit dem Bekenntnis zum italienischen und demokratischen Weg zum Sozialismus doch relativ weit vom großen Bruder ab. Trotz seiner Abneigung gegen die Moderne im Allgemeinen und die moderne Kunst im Besonderen gab es in den 1950er Jahren unter seiner Ägide ein in ganz Europa einmaliges Bündnis zwischen Intellekt, Kultur und PCI. Rossana Rossanda gehörte zu den wesentlichen Protagonisten dieses Bündnisses und ihre Aufzeichnungen über jene Jahre gehören zu den interessantesten Passagen von Tochter des 20. Jahrhunderts. Sie erzählen die erstaunliche Erfolgsgeschichte des italienischen Kommunismus in den 1950er Jahren, die auch für Leser in Deutschland interessant ist, schildern sie doch Italiens Entwicklung zur modernen Industrie- und Kulturnation, was breiteren Schichten hierzulande immer noch relativ unbekannt ist, die Italien immer noch vor allem mit Mafia, Rückständigkeit und Korruption zusammenbringen und als positiven Aspekt maximal die ländlichen Wochenendidyllen der Toskanafraktion zur Kenntnis nehmen.

Mailänder Avantgarde

Im heimatlichen Mailand bekommt Rossana Rossanda diese italienischen Entwicklungen unmittelbar mit, denn parallel zum Wachstum der Industrie und des Proletariats im damals hochindustriellen Mailand vollzog sich das Wachstum des PCI, der zumindest im Norden eine starke Basis in der Arbeiterschaft der Großindustrie hatte. Dabei begann alles mit einer Niederlage, denn nach der einschneidenden Wahlniederlage 1948 wurde die Partei auch aus vielen Stadtregierungen und Betrieben gedrängt, wo politische und gewerkschaftliche Tätigkeit oft unmöglich gemacht wurde. Ausgesprochen amüsant lesen sich Rossandas Erinnerungen an ihre Zeit als junge Funktionärin, als die Partei oft genug Schwierigkeiten hatte, Räume oder Büros anzumieten. Obwohl sie bald für die Kulturarbeit zuständig wurde, fährt sie oft genug raus in die Vororte oder ins Umland, um auf Kundgebungen oder Versammlungen zu sprechen. Meist ein wenig unsicher, denn mit der traditionellen Rolle der Frau kollidiert dies Verhalten durchaus. Aber die Emanzipationsstrategie jener Jahre bestand einfach darin, so zu tun, als wäre man keine Frau, was durchaus befreiend sein konnte, wie sie sagt.

In den 1950er Jahren wird sie Leiterin der Mailänder Casa della Cultura und versucht Politik, Kunst und Kultur zusammenzubringen, was sich bald erstaunlich erfolgreich entwickelt. Mailand war schließlich nicht nur die Stadt der neuen Großindustrien, sondern auch führend in Kunst, Architektur, Design und Theater. Bis auf ganz verbiesterte Rechte und Christdemokraten kamen alle, die in der damaligen Kulturszene irgend etwas darstellten. Führende Nachkriegsschriftsteller wie Italo Calvino und Filmemacher wie Visconti waren damals PCI Mitglieder. Berührungsängste gegenüber abweichenden Positionen kannte man kaum, auch internationale Intellektuelle wie Lukács, Sartre, Brecht oder Adorno kamen gern vorbei. Allein diese Auswahl zeigt, wie bedenkenlos die Demarkationslinien des linken Denkens in Mailand überschritten wurden und wie erfolgreich eine offene linke Politik sein kann, die sich gleichzeitig ihrer eigenen Position sicher ist.

Kultiviert, gebildet und selbstbewusst war die Mailänder Partei in jenen Jahren, sagt Rossana Rossanda, und welche europäische Linkspartei kann und konnte das schon von sich sagen. Während die Mailänder Genossen voranstürmten, legte sich die allgemeine Tristesse offiziöser marxistischer Theorie der 1950er Jahre auch über das Denken der römischen PCI Zentrale. Thesen wie die, dass der Kapitalismus den Fortschritt und die Entwicklung der Produktivkräfte hemme oder den Wohlstand der Arbeiter nicht mehre, wurden damals in Mailand und Norditalien Lügen gestraft. Die verstaubte Militanz wurde ein wenig durch die damals gerade erstmals publizierten Schriften Gramscis gemindert, die wie eine frische Brise wirkten, betont die Autorin in ihren Erinnerungen.

Sozialistin mit Stil

Die sowjetische Niederschlagung der ungarischen Rebellion im Jahr 1956 führt zu heftigen Diskussionen in der Mailänder Casa della Cultura und erschüttert Rosssanda und viele andere Intellektuelle sehr. Sie entscheidet sich, durchaus schweren Herzens, in der Partei zu bleiben. Im PCI gibt es viele kritische Stimmen, was zur Folge hat, dass nun die relative Unabhängigkeit und die eurokommunistische Linie des eigenständigen italienischen Wegs zum Sozialismus offiziell Parteidoktrin wird. Schon vorher hatte man sich allerdings um Distanz zu Moskau bemüht, sagt Rossanda, getreu dem Motto, die Sowjetunion ignorieren lernen, heißt siegen lernen. Die Berufung von jüngeren Genossen wie Ingrao, Trentin und Rossanda in die Parteiführung war wohl auch Teil des Erneuerungsversuches. Ab 1963 wird Rossanda dann sogar Leiterin der Kulturabteilung des PCI in der römischen Parteizentrale in der berühmten Via Botteghe Oscure. Ihr geliebtes Mailand zu verlassen, wo sie sowohl in der Arbeiter- wie in der Kulturbewegung fest verwurzelt war, fällt ihr schwer, sagt sie. Noch schwerer war es aber, mit dem Kulturverständnis der römischen Genossen klarzukommen, dieses war traditionell dem Risorgimento und Postrisorgimento, Denkern wie de Sanctis und Croce verpflichtet, der immer lauter auftrumpfenden Moderne stand man kritisch gegenüber. Im Gespräch erläutert Rossanda, dass das Risorgimento damals ein ungemein wichtiger historischer Bezugspunkt gewesen sei, denn Italien hatte keine Weimarer Republik, keine Zwischenkriegszeit, auf die zurückgegriffen werden konnte. In ihren Erinnerungen führt sie allerdings auch an, dass dieser Mangel den Vorteil hatte, dass die italienische Linke in der Illegalität gemeinsam gegen den Faschismus stand und sich nicht gegenseitig zerfleischte wie in anderen europäischen Ländern; wer mit dem realen Faschismus zu kämpfen hatte, konnte mit der Moskauer Doktrin vom Sozialfaschismus wenig anfangen.

Dies alles schildert Rossana Rossanda mal dramatisch mal romanhaft, immer mit einem sicheren Gespür für den richtigen Stil. Sie liefert streckenweise eine sehr kurzweilige Lesart der linken italienischen Nachkriegsgeschichte. Kabinettsstückchen sind besonders die Reisebeschreibungen, die kommunistische "Staatsbesuche" in die Länder des realen Sozialismus schildern. Diese Reiseskizzen sind kleine Meisterstücke von großer erzählerischer Dichte, politischer Aussagekraft und Eleganz. Surrealistisch erscheint eine winterliche Reise in die SU des Jahres 1949; wie ein Bericht von einem Besuch auf einem anderen Stern muten hier ihre Erinnerungen an. Von einem burlesken, karnevalistischen Sozialismus weiß sie dagegen in ihrer Schilderung einer Kubareise des Jahres 1967 zu erzählen. Auch sozialistische Depression und Tristesse begegneten ihr auf ihren Reisen nach Ost-Berlin, Budapest und Prag Ende der 1950er Jahre.

Melancholisches Ende

Die latent im PCI vorhandenen Konflikte brachen nach Togliattis Tod ziemlich ungebremst aus. Obschon sich der PCI erfolgreich vom Moskauer Diktat gelöst hatte und den italienischen Weg zum Sozialismus propagierte, bedeutete dies nicht unbedingt, dass die Partei mit ihrem Traditionalismus brach. Im Gegenteil, die mit dem Ende der heißen Phase des Kalten Krieges einhergehende gesellschaftliche Liberalisierung Italiens stürzte Teile der PCI Führung in große Verwirrung, man sah einen Verfall der Moral und der Sitten überall, was zu Konflikten mit den jüngeren Leuten in der Parteiführung führte, berichtet Rossanda. Bereits Anfang der 1960er Jahre repräsentierte der PCI nicht länger den gesellschaftlichen Fortschritt, es formierten sich Kräfte links von der Partei und einige Intellektuelle zogen sich bereits in den Jahren vor 1968 zurück. Ingrao, Trentin und Rossanda formten eine Art Erneuerungsbund im Zentralkomitee, wurden allerdings bald weitgehend kaltgestellt.

Als die Linkswende von Teilen der Jugend und der Arbeiterschaft im Jahr 1968 in offene Rebellion umschlug, wusste der PCI keine Antwort und rückte eher nach rechts, kritisiert Rossanda. Auch Ingrao und Trentin, einstmals die jungen Leute des PCI, konnten im Unterschied zu Rossanda mit der neuen linksgewendeten Jugend nur bedingt etwas anfangen. Als sich die Parteiführung anlässlich der sowjetischen Niederschlagung des Prager Frühlings noch nicht einmal zu einer klaren Verurteilung durchringen konnte, eskalierten die Konflikte zwischen alter und neuer Linker. Als Rossana Rossanda, Luigi Pintor, Luciana Castellina und Aldo Natoli 1969 Il Manifesto gründeten mit der Absicht, eine Brücke zwischen alter und neuer Linker zu bauen, wurden sie aus dem PCI ausgeschlossen, vorgeblich um die Partei zu retten. Mit einer gewissen Bitterkeit vermerkt Rossanda, dass die Leute, die ihren Ausschluss betrieben, wie Occhetto, Natta und Napoletano, dieselben Leuten waren, die 1992 die Partei, die noch immer Reste eines lebendigen Organismus an sich hatte, zerschlugen und in eine relativ profillose sozialdemokratische Partei verwandelten.

Mit der Beschreibung des Ausschlusses der Manifestogruppe findet Tochter des 20. Jahrhunderts einen melancholischen Abschluss. Das angestrebte Ziel des Manifesto sei nicht erreicht worden, sagt Rossanda abschließend, womit sie etliche alte Manifesto-Mitstreiter unglücklich machte. Ihre wenig optimistische Einschätzung wiederholt sie auch im Hintergrundgespräch, in welchem ihre Prognosen über die Zukunft der italienischen Linken und des Erbes des alten PCI nicht allzu optimistisch klangen. Angesichts der Umwandlung der immerhin noch sozialdemokratischen DS in die Demokratische Partei, die als Hauptprogrammpunkt inhaltliche Beliebigkeit und erhöhte Wahlchancen verficht, erscheint dieser Pessimismus nachvollziehbar. Weniger nachvollziehbar dagegen ist ihre wenig positive Beurteilung dessen, was Il Manifesto letztendlich bewirkt hat. Denn, wie Rossanda selber sagt, hat der Manifestogruppe der Ausschluss aus dem PCI nicht geschadet, ganz im Gegenteil, damit war der Weg frei für neues Denken innerhalb der neuen Linken. Rossanda selber ist das beste Beispiel hierfür: Ihre intellektuelle Produktivität und Kreativität scheinen nach dem Ausschluss geradezu explodiert zu sein. Sie wurde zur führenden Linksdenkerin und Feministin Italiens, deren Schriften in ganz Europa rezepiert wurden. Mit den vom Suhrkamp Verlag publizierten Büchern wie "Die Dialektik von Kontinuität und Bruch", "Einmischung, Gespräche mit Frauen über ihr Verhältnis zu Politik, Freiheit, Gleichheit, Brüderlichkeit, Demokratie, Faschismus, Widerstand, Staat, Partei, Revolution, Feminismus" und "Vergebliche Reise oder Politik als Education Sentimentale" und der vom Argument Verlag publizierten Sammlung "Auch für mich, Aufsätze zu Politik und Kultur" ist sie immer auch in den deutschen Debatten präsent gewesen. In den vom VSA-Verlag publizierten "Verabredungen zum Jahrhundertende" (1996), in denen sie gemeinsam mit Pietro Ingrao die Strategien der Linken angesichts von Globalisierung und andauernder Krise der Linken diskutiert, zeigt sich einmal mehr, dass das euromarxistische Denken in Italien noch lebendig ist. In diesem Zusammenwirken von Rossanda und Ingrao findet sich auch so etwas wie die späte Zusammenführung von Weggefährten, die sich 1969 entfremdeten, als Ingrao im ZK des PCI für Rossandas Ausschluss stimmte. Er mochte erst Jahrzehnte später, als der PCI sich schon in eine relativ konturlose sozialdemokratische Partei verwandelt hatte, einsehen, was die Manifestoleute bereits 1969 wussten: Um Kommunist bzw. Sozialist zu sein, braucht man die Partei nicht unbedingt.

Christina Ujma arbeitet seit 1994 als Hochschuldozentin am Department of European and International Studies an der Loughborough University, GB. Zu Italien erschienen von ihr in Sozialismus: Arbeiterführer, Intellektueller und Politiker. Nachruf auf Bruno Trentin 1926-2007 (11/2007); Gramscis verschleudertes Erbe. Die italienische Linke im Prozess der Neuformierung (10/2007); Der Mann, der der Geschichte auf die Sprünge half. 200 Jahre Guiseppe Garibaldi (9/2007).
[1] Besonders sticht hervor: Katharina Rutschky, Beichte ohne Adressaten, FR, 19.11.2007.

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