14. Oktober 2016 Elisabeth Abendroth

Wolfgang Abendroth im Widerstand gegen Hitler

W. Abendroth, Anfang der 1930er mit Rike Freyh (spätere Wankmüller) und Rudolf Krämer.

Elisabeth Abendroth berichtet über die Widerstandstätigkeit ihres Vaters, der am 1. April 1933 zum ersten Mal festgenommen, »nach kurzer, brutaler ›Schutzhaft‹ wieder entlassen wurde«. 1937 wurde er zu vier Jahren Zuchthaus verurteilt und kam Anfang 1943 als »wehrunwürdiger Bewährungssoldat« zur berüchtigten Strafdivision 999 aus die Ägäis-Insel Lemnos. Dort nahm er Kontakt zu den griechischen Partisanen auf. Nach dem Krieg hat Wolfgang Abendroth »dann die Politikwissenschaft in Westdeutschland mit aufgebaut, gegen den Mainstream, für die Demokratie und den Sozialismus gestritten.«

Im vergangenen Herbst erhielt unsere Nichte Kim Wünsch­mann, die an der Universität von Sussex arbeitet und in Brighton und Jerusalem lebt, im Brüsseler Rathaus den Jacques Rozenberg Preis des belgischen Auschwitz-Komitees für ihre Dissertation »Before Auschwitz. Jewish Prisoners in the Prewar Concentration Camps« (Harvard University Press, Cambridge, MA/London 2015). Mein Mann und ich fuhren zur Preisverleihung nach Brüssel. Beim anschließenden Empfang kam ich ins Gespräch mit der italienischen Übersetzerin und Autorin Rossella Paschi, die seit vielen Jahren in Brüssel lebt.

Wir stellten fest, dass unsere beiden Väter, Arturo Paschi und Wolfgang Abendroth, vieles gemeinsam hatten. Vor allem dies: Sie haben beide gegen Hitler gekämpft. Rossella Paschi, die mit ihrem Buch Il segretario di Nino. Un ebreo triestino nella resistenza (mit einem Vorwort von Silva Bon. Edizioni Arterigere, Varese 2011) ihrem Vater ein Denkmal gesetzt hat, erzählte mir, nicht viele ihrer Freunde wüssten, dass es von Anfang an auch in Deutschland Widerstand gegen Hitler gegeben hat – und lud mich deshalb ein, am 71. Jahrestag der Befreiung Italiens vom Hitlerfaschismus im Istituto Italiano in Brüssel einen Vortrag über Wolfgang Abendroth im Widerstand zu halten. Dieser Beitrag ist kein wissenschaftlicher Aufsatz, sondern eine leicht bearbeitete Version meines am 25. April 2016 in Brüssel auf Französisch gehaltenen Vortrags.[1]

Beginnen wir mit einer kleinen Geschichte. Sie spielt während der deutschen Besatzung in Griechenland, auf einer Insel in der Ägäis. Eines Abends kehrt ein deutscher Soldat in seine Kaserne zurück – mit einem Maschinengewehr im Arm. Er verfehlt eine Treppe, stürzt acht Meter in die Tiefe und wird ohnmächtig. Er wird gefunden und ins Lazarett gebracht. Dessen Chef, ein deutscher Kinderarzt mit geringer medizinischer Erfahrung, diagnostiziert Rippenbrüche und verordnet eine entsprechende Therapie. Der verunglückte Soldat fällt erneut in Ohnmacht. Er hat entsetzliche Schmerzen, sein Zustand wird immer schlimmer. Freunde aus der griechischen Widerstandsbewegung, mit der der deutsche Soldat illegal eng zusammenarbeitet, wundern sich, dass er nicht zum verabredeten, klandestinen Treff erscheint. Sie erfahren, dass er verletzt im Lazarett liegt – und schicken einen griechischen Genossen, einen Chirurgen, dorthin. Der erkennt sofort einen Darmverschluss, operiert und rettet so dem deutschen Soldaten das Leben.

Elisabeth Abendroth, 1947 in Potsdam-Babelsberg geboren, in Marburg a.d. Lahn aufgewachsen, studierte dort, in London und Gießen Kunstpädagogik, Politologie, Soziologie, öffentliches Recht und Philosophie. Seit 1976 lebt sie in Frankfurt am Main. Sie arbeitete u.a. bei medico international, im Frankfurter Kulturamt und im Institut für Stadtgeschichte, in der Hessischen Staatskanzlei sowie im Hessischen Ministerium für Wissenschaft und Kunst. Sie publizierte u.a. über Lateinamerika, NS-Geschichte und deutsche Literatur.

[1] Frank Deppe danke ich für die Anregung zu dieser kleinen Publikation, Michael Buckmiller für deren Durchsicht. Vor allem aber danke ich meiner 2012 verstorbenen Mutter Lisa Abendroth, geborene Hörmeyer, ohne deren detailgenaues, nahezu fotografisches und zugleich strukturierendes Erinnerungsvermögen ich die vielen verschiedenen Berichte wohl kaum in eine zusammenhängende Erzählung hätte verwandeln können.

Die komplette Leseprobe als pdf-Datei!

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